„Hilfe, mein Kind ist rechts!“ – Das können Eltern tun, wenn Jugendliche abrutschen
Experte Torsten Niebling berät Eltern im Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen. Wichtig ist: Nicht emotional werden!
Welches Verhalten gilt als „rechtsextrem“?
Das Teilen oder Nachahmen rechtsextremer Symbole wie Hakenkreuzen. Handlungen wie den Hitlergruß zeigen. Oder auch das Verunstalten und Posten von Fotos von Mitschülern. Auch äußerliche Merkmale wie das Tragen bestimmter Kleidung oder das Hören bestimmter Musik mit Freunden gehören dazu. Es geht immer darum, Angst zu verbreiten, die eigene Gruppe aufzuwerten und andere zu diskriminieren, zu bedrohen und bestimmte Ideologien zu verbreiten.
Nachfragen!
Was sollen Eltern tun, wenn ihre Jugendlichen plötzlich rechte Lieder trällern oder entsprechende Meinungen äußern?
Eltern haben aufgrund der besonderen Beziehung zu ihrem Kind immer die Möglichkeit, auf es einzuwirken. Falsch wäre, so ein Verhalten nur schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen oder aber nur mit Enttäuschung und Wut, also sehr emotional, zu reagieren. Das verhärtet nur die Fronten. Kommen Sie stattdessen miteinander ins Gespräch. Bemerken Sie, dass es Sie irritiert, dass Ihr Sohn so eine Position vertritt, und fragen Sie ihn, wo er das herhat, was genau er damit meint. Stellen Sie ihm Fragen, denn das führt dazu, dass er sich erklären muss – und mit einer anderen Sichtweise konfrontiert wird. Zeigen Sie sich politisch. Sagen Sie ihm, dass Sie es nicht so sehen und warum. Diskutieren Sie miteinander! So werden Sie auch herausfinden, wie feststehend seine Meinung wirklich ist, oder ob er „nur“ mal provozieren und testen wollte, wie das ankommt.
Manche Jugendliche wollen provozieren
Wo kommt so ein Verhalten her?
Jugendliche politisieren sich durch die Verarbeitung von Erfahrungen im Alltag. Diese Entwicklung ist eingebettet in den Prozess von Persönlichkeitsentwicklung und Identitätsfindung. Sie bilden sich eine eigene Meinung – auch und gerade unabhängig von den Eltern. Manche gehen gezielt über die Grenzen der Eltern hinaus, um sich als selbstständig zu erleben. Und Eltern kann man mit rechtsextremen Meinungen mitunter sehr stark provozieren! Viele rechtsextrem orientierte Jugendliche haben aber noch keine gefestigte politische Einstellung. Sie haben zwar ihre Meinung, sind darin aber noch in der Entwicklung und somit beeinflussbar.
Holen Sie Hilfe!
Wie können Eltern rechtsextremen Tendenzen entgegenwirken?
Wenn Ihr Kind in die rechte Szene gerät, holen Sie sich frühzeitig Hilfe – auch bei Beratern. Kultivieren Sie eine Konflikt- und offene Gesprächskultur. Dafür ist es nie zu spät! Es geht nicht immer darum, das bessere Argument zu haben. Wenn in Familien nicht über Politik und Werte diskutiert wird, lernen Jugendliche nicht, sich eine Meinung dazu zu bilden und – ganz wichtig! – andere Meinungen zu respektieren. Wir wissen aus Biografien rechtsextremer Gewalttäter, dass sie häufig in kalten Familien aufgewachsen sind, wo es wenig Wertschätzung, keinen Ausdruck von Gefühlen und sogar Gewalt gab. All das sind Risikofaktoren für Gewalt. Lassen Sie Ihren Jugendlichen deshalb viel Wärme erleben und begleiten Sie ihn in seinem Aufwachsen. Jugendliche beobachten sehr genau, wie ihre Eltern mit aktuellen Themen oder Krisen umgehen und wie sie über andere sprechen. Deshalb seien Sie Vorbild!
Torsten Niebling arbeitet bei „Rote Linie“, einer pädagogischen Fachstelle für Rechtsextremismus in Marburg.
Interview: Ruth Korte