„Ich habe einiges falsch gemacht“
Eltern machen Fehler. Kleine und große. Eine Auseinandersetzung damit ist unverzichtbar. Von Kathrin Koch
Neulich saß ich mit einer jungen Mutter im Gespräch zusammen. Sie offenbarte mir ihre Sorge: „Ich habe solche Angst, dass ich meinem Sohn keine gute Mutter bin. Und dass ich durch meine schwierige Vergangenheit Fehler an ihm mache.“ – „Herzlichen Glückwunsch“, war meine spontane Reaktion. „Du wirst definitiv Fehler machen, weil du und ich nicht perfekt sind. Willkommen im Club!“ Wir Eltern leben in großen, inneren Spannungsfeldern. Mit den eigenen Kindheitserlebnissen im Rücken wollen wir es bei den eigenen Kindern richtiger machen, als es geht. Für mich war es eine ernüchternde Feststellung, dass ich meine Kinder nur bedingt vor meinen Schwächen und Fehlern behüten kann. Ich bin nun mal ein Mensch und nicht Gott. Gott macht keine Fehler – ich schon.
AUS PUREM GEHORSAM
Unsere Kinder sind volljährig. Ich erlebe jetzt, wie sie als junge Erwachsene Entscheidungen treffen und in Situationen reagieren. In manchen Situationen hat mich das nachdenklich gemacht. Warum handeln sie so und nicht anders? Bei diesen Fragen kam ich nicht umhin, den Bogen auch zu mir und meinen erzieherischen Überzeugungen und Praktiken zu schlagen. Es war hart, mir einzugestehen, dass ich Fehler an meinen Kindern begangen habe, und obendrein auch noch die Auswirkungen davon in ihrem Verhalten sehe. Von meiner Ältesten habe ich im Teenageralter erwartet, dass sie an all unseren Gemeinde-Veranstaltungen teilnimmt, obwohl sie das nicht immer wollte. Sie saß also öfter aus purem Gehorsam in unseren Events. Einige der Prediger schenkten gerade den Teenagern ihre Aufmerksamkeit. Meine Tochter stand mehrmals ungewollt im Mittelpunkt. Das verletzte sie und veranlasste sie zu bestimmten Entscheidungen. Ich war in den jeweiligen Situationen nicht in der Lage, sie zu schützen. Ich war überzeugt, dass „ein bisschen Herausforderung“ gut täte. Erst Jahre später erkannte ich, dass die Verpflichtung meiner Tochter zu diesen Veranstaltungen keine guten Früchte trug. Noch schlimmer: Ich realisierte meinerseits ein Misstrauen ihr gegenüber. Ich traute ihr nicht zu, bezüglich des Glaubens gute Entscheidungen zu treffen. Und genau da begann mein Herz zu bluten. Ich war bestürzt und beschämt über meine Denk- und Handlungsweise. Es kostete eine ordentliche Portion Mut, mich dem eigenen Versagen zu stellen, der Wahrheit ins Auge zu sehen und mich für mein Verhalten angemessen zu entschuldigen.
ENTSCHULDIGUNG!
Wer meint, in Autoritätsverhältnissen – als Mutter gegenüber meinem Kind – diese demütigenden Prozesse nicht durchlaufen zu müssen, hat sich meiner Meinung nach geirrt. Gerade hier zeigt sich charakterliche Reife, die im Heilungsprozess für mein Kind sehr wichtig sein kann. Für mich wurde es auf zwei Ebenen praktisch:
1. Selbsterkenntnis ist die beste Erkenntnis: Ich hatte versagt! Trotzdem war jetzt wichtig zu differenzieren und nicht die ganze Erziehung an meiner Tochter als miserabel zu betrachten.
2. Es galt, ein Gespräch in angemessenem Rahmen zu suchen, mich vor ihr zu erklären und sie um Verzeihung zu bitten. Ganz nebenbei war nicht ganz unwichtig, wie ich meine Entschuldigung vorgetragen habe. Hier muss ich erwähnen, dass ich über Jahre Teil einer Elterninitiative in unserer Realschule war. Mit dem Gewaltpräventionsprojekt f.ü.r. (Freunde üben Rücksicht) haben wir Schüler im Umgang mit Wut und Ärger trainiert. Ein kleiner Teil des Programms zielt darauf ab, wie man sich richtig entschuldigt. Diese Vorgehensweise setze ich – weil es so hilfreich ist – in persönlichen Konfliktklärungen um:
Aufrichtig sein: Meine Entschuldigung soll von Herzen kommen. Mir ist klar, was ich falsch gemacht habe, ohne Wenn und Aber. Außerdem ist es wichtig, dass ich fähig bin, mich in die Lage des anderen zu versetzen. Das hilft zu verstehen, was ich verursacht habe. Konkret kommunizieren: Ich muss klar ausdrücken, für was ich mich entschuldige. Das zeigt auch, dass ich mich innerlich damit auseinandergesetzt habe und Verantwortung übernehme. Von Angesicht zu Angesicht: Zeit und eine persönliche Begegnung sind unerlässlich, um respektvoll eine Entschuldigung vorzubringen. Augenkontakt und mindestens ein fester Händedruck zur Versöhnung sind Standard. Schadensersatz/Wiedergutmachung leisten: Ich muss mich in irgendeiner Form für den Schaden praktisch verantwortlich machen. Das ist nicht immer möglich. Spätestens bei seelisch zugeführten Verletzungen kommt bei uns Christen das Kreuz ins Spiel. Das Kreuz, an dem Jesus für unsere Schuld gestorben ist. Das Kreuz als der Ort, wo wir Vergebung empfangen und auch vergebungsbereit unseren Nächsten entlasten können.
DIE VERANTWORTUNG ENDET HIER
Eine wichtige Feststellung ist, dass die gebräuchliche Formulierung „Ich entschuldige mich für …“ nicht korrekt ist. Wir können uns nicht selbst entschuldigen, sondern nur um Entschuldigung bitten. Unsere Bitte um Entschuldigung annehmen, akzeptieren und vergeben, also ENTschuldigen, kann nur der Geschädigte. Und genau hier habe ich die Geschicke im Gespräch mit meiner Tochter nicht mehr in der Hand. Hier endet die elterliche Verantwortung. Wie sie mit meiner Offenbarung umgeht, kann ich nicht beeinflussen. Wird sie mich aus der Schuld entlassen? Kann sie mir vergeben? Für meine Tochter war es befreiend zu erleben, dass ihre Mutter nicht perfekt ist und Fehlverhalten einsieht. Sie hat mir von Herzen verziehen. Doch es hätte auch anders ausgehen können. Wir Eltern können dann lediglich darauf vertrauen, dass unsere Kinder sich zur Entlastung der Schuld entscheiden. Und wir können darauf vertrauen, dass die Kraft des Kreuzes auch in der nächsten Generation keine Kraft verloren hat.
Kathrin Koch leitet die Arbeit von YWAM Altensteig. Sie ist verheiratet, hat drei volljährige Kinder und liebt es, zusammen mit ihrem Mann das Tanzbein zu schwingen.