Narzisstische Mutter: „Ich wurde ständig manipuliert“
Fast ihr ganzes Leben wird von Ängsten bestimmt. Als unsere Autorin sich ihnen stellen will, kommt sie der möglichen Ursache auf die Spur: dem Narzissmus ihrer Mutter.
Ich kenne dich nur zusammen mit deinen Ängsten“ – diese Aussage meines Mannes bringt mich ins Nachdenken. Immerhin kennen wir uns seit über 20 Jahren. Meine Gedanken gehen zurück in meine Jugendzeit. In den oberen Schulklassen war ich öfter wegen Übelkeit zu Hause. War das der Beginn meiner Ängste? Die schulische Phase meiner Berufsausbildung konnte ich genießen. Doch als die praktische Arbeit begann, zu der Besprechungen mit Kolleginnen dazugehörten, merkte ich: Das Zusammensein mit anderen Menschen bereitet mir Schwierigkeiten. In dieser Zeit lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Er hat recht: Er kennt mich nur mit meinen Ängsten. Diese wurden nicht weniger, das Leben wurde immer anstrengender. Entweder zwang ich mich, irgendwo hinzugehen und quälte mich, oder ich blieb zu Hause. Die Vermeidung begann.
Die Ängste anschauen
Wir heirateten, bekamen Kinder und ich war mit deren Betreuung beschäftigt. Als sie aus dem Gröbsten raus waren, kam mir die Idee, mich für ein Ehrenamt fortbilden zu lassen. Lange wog ich ab, ob ich dies mit meinen Ängsten schaffen könnte. Die Aufgabe reizte mich so sehr, dass ich mich für die Fortbildung anmeldete. Die ersten beiden Abende waren nicht einfach, aber dennoch gut. Am dritten Abend bekam ich eine Panikattacke. Völlig erschöpft kam ich nach Hause. Mir war klar: Das kann so nicht weitergehen. Ich schaffe diese Fortbildung nicht. Außerdem mag ich nicht mehr auf die schönen Dinge im Leben verzichten.
Ich suchte mir eine Psychotherapeutin und begann, meine Ängste anzuschauen. Seit vielen Monaten bin ich dort in Behandlung, es ist ein wellenartiges Auf und Ab. Durch meine kleinen Fortschritte will ich mich ermutigen lassen, dranzubleiben, auch wenn es viel Kraft kostet. Im Zuge der Psychotherapie kam die Frage auf, woher diese Ängste kommen könnten. „Keine Ahnung“, war lange meine Antwort. Dadurch, dass ich eine Verhaltenstherapie mache, stehen die Vergangenheit und die Kindheit nicht im Vordergrund. Ängste haben jedoch oft ihren Ursprung im Elternhaus oder in der Schulzeit, was den sporadischen Blick zurück nahelegt.
Blick in die Kindheit
Nach über einem Jahr in der Therapie begegnete mir zum ersten Mal der Begriff „Narzissmus“. Es stand die Frage im Raum, ob meine Mutter eine verdeckte narzisstische Persönlichkeitsstörung haben könnte. Ich verfolgte dies zuerst nicht. Monate später kam der Begriff „Narzissmus“ wieder auf, und ich begann zu recherchieren. So gelangte ich an ein Video von Pet Anthony, in dem es um Töchter narzisstischer Mütter geht. In meiner Psychotherapie hatte ich Glaubenssätze herausgearbeitet, die zu meinem Unwohlsein in Gegenwart anderer Menschen führten. Nun begegneten mir genau diese Glaubenssätze wieder. Der Zusammenhang zwischen meinen Glaubenssätzen und den Spuren, die eine narzisstische Mutter bei ihrer Tochter hinterlassen kann, machte mich sprachlos. Einer der Glaubenssätze lautet: „Ich darf nicht laut sein. Ich muss mich der Gesellschaft anpassen.“ Ein anderer: „Ich muss immer (der Mutter) dienen.“
Ich wagte einen Blick in meine Kindheit und versuchte, die Gefühle von damals zuzulassen: Meine Mutter war sehr launisch und hatte extreme Stimmungsschwankungen. Wurde ich beachtet, wenn ich nach Hause kam, folgte Erleichterung. Wurde ich ignoriert, war klar, dass etwas vorgefallen sein musste. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich lebte in ständiger Anspannung und entwickelte einen vorauseilenden Gehorsam, der mich bis heute begleitet. Ich war damit beschäftigt, die Erwartungen und Bedürfnisse meiner Mutter herauszufinden und zu erfüllen. Bloß keinen Fehler machen – sonst war tagelanges Schweigen die Folge. Mein Vater erwartete, dass ihr Verhalten akzeptiert wird. Er rechtfertigte ihre Stimmungsschwankungen: „Sie hat heute einen schlechten Tag, bitte nimm Rücksicht auf sie!“ Wie viele der „schlechten Tage“ ich in meiner Kindheit miterleben musste, kann ich nicht ermessen. Ich wurde ständig manipuliert, musste machen, was sie wollte, und konnte nicht ich selbst sein. Das war emotionaler Missbrauch.
Wenig Liebe und Empathie
Das alles führte dazu, dass ich keine eigene Meinung hatte und auch nicht haben durfte. War ich anderer Ansicht als meine Mutter und äußerte diese, musste ich mit Schweigen rechnen. Vermutlich nahm sie andere Meinungen als Kritik wahr und konnte damit nicht umgehen. Ich lernte nicht, wie man miteinander kommuniziert, Konflikte aushandelt und löst. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, mit wie wenig Liebe und Empathie ich großgeworden bin. Ein Lob oder eine Umarmung gab es selten. So konnte ich kein Selbstbewusstsein entwickeln. Angststörungen, Stimmungsschwankungen, Depressionen und Süchte sind oft die Folgeerscheinungen bei Kindern mit einem narzisstischen Elternteil. Ich bin nicht auf der Suche nach einem Schuldigen für meine Angststörung. Ich möchte meine Mutter nicht schlechtreden – schließlich habe ich auch gute Dinge von ihr mit auf den Weg bekommen. Doch es hilft mir, eine Idee zu haben, woher meine Schwierigkeiten kommen könnten. So kann ich vieles einordnen, auch wenn es mein „Problem“ an sich nicht löst.
In Gedanken gehe ich meine nähere Verwandtschaft durch. Gehäuft finde ich Ängste, Depressionen und Süchte. Ist das ein Zufall? Ich denke nicht. So wie es aussieht, ziehen sich der Narzissmus und seine Folgen schon über viele Generationen. Ich fasse den Entschluss, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Auf keinen Fall möchte ich ihn an meine Kinder weitergeben. Also werde ich tun, was ich kann, und mich mit meiner Vergangenheit und meinen Ängsten auseinandersetzen.
Freiheit durch Distanz
In einem Newsletter von team-f bringt es die Ärztin und Therapeutin Maria Steuer auf den Punkt: „Wer Klarheit darüber hat, wie er zu dem Menschen heute geworden ist, hat die Chance, sich zu ändern und eine neue Selbstliebe zu entdecken. Und er muss auch nicht sein Kindheitspaket unbewusst und unreflektiert an die eigenen Kinder weitergeben.“ Es braucht oft jahrelang, bis man erkennt, was einem widerfahren ist. Es braucht Zeit, bis man akzeptiert, dass die eigene Mutter so ist und man sie nicht ändern kann. Erst dann beginnt Heilung, indem man sich die Fragen stellt, „Wer bin ich?“ und „Was brauche ich?“.
Damit mir dies möglich ist, habe ich mich von meinen Eltern distanziert. Ich spürte sofort, wie viel Freiheit ich dadurch bekam. Mein Weg ist noch nicht zu Ende, und es gibt auch (noch) kein Happy End. Doch ich bin auf einem guten Weg.
Die Autorin möchte anonym bleiben.