Intimität aufbauen – Vier Säulen der Partnerschaft (Teil 4)

Tiefe Intimität erleben

Guter Sex ist intimer Sex. Zum Abschluss der Serie erklären Kim und Kristian Reschke, wie Paare zu einem erfüllten Sexleben finden können.

Auf dem Weg zu einer langfristig erfüllenden Sexualität liegen einige Stolpersteine. Die Über-Sexualisierung unserer Gesellschaft ist einer davon. Sie kann zwar einerseits die Lust fördern, aber auch Abstumpfung, Leistungsdruck und Entzauberung zur Folge haben, weil nichts mehr geheim bleibt. Tauchen wir dann in die Intimität ein, führen überzogene und falsche Erwartungen zu Enttäuschung. Auch negative Vorerfahrungen stehen im Weg. Die Entwicklung einer erfüllenden gemeinsamen Sexualität kann deswegen – je nachdem, was beide mitbringen – eine längere, aber lohnenswerte Reise sein.

Schamlos!

Während die gemeinsame Sexualität für uns heute Herausforderungen birgt, erfahren Adam und Eva das intime Miteinander durchweg positiv. Es ist für beide ein perfektes Geschenk Gottes. Im biblischen Schöpfungsbericht finden wir sie nackt und ohne Scham voreinander (1. Mose 2,25). Eine Beziehung ohne Blockaden und Schattenbereiche – vom Feinsten! Doch nachdem beide sich gegen Gott als König entscheiden, ändert sich alles: Ihre körperliche Unterschiedlichkeit erleben sie nun als Mangel, verbergen sich voreinander und vor Gott (1. Mose 3,7). Der Gegenspieler der Intimität hat das Paradies betreten: Scham.

Die Sozialwissenschaftlerin Brené Brown macht eine hilfreiche Unterscheidung zwischen Schuld und Scham. Schuld definiert sie als Erkenntnis, etwas Falsches getan zu haben und Scham als den Gedanken, falsch zu sein. Während Schuld vergeben werden kann, müssen wir mit Scham anders umgehen. Wir brauchen eine tiefgreifende Erkenntnis: Wir mögen falsch gehandelt haben, aber wir sind nicht falsch! Scham war im Schöpfungsplan Gottes nicht vorgesehen, denn ihr folgt die Angst vor Ablehnung – das Gegenteil von Intimität. Die partnerschaftliche Suche nach Intimität bedeutet, die Angst zu überwinden, von unserem Partner abgelehnt zu werden und sich zusammen in Richtung Schamlosigkeit zu bewegen. Dies geschieht, indem wir riskieren, uns verletzlich zu machen.

Phasen der Lust

Unsere Bereitschaft zur Intimität variiert. Sie hängt von Dingen wie Entspanntheit, Gesundheit, Lebensumständen und dem Zustand unserer Beziehung ab. All dies beeinflusst unser Verlangen nach körperlicher Nähe und Sex. Schwankungen im Lustniveau sind natürlich.

Um über Unterschiede im Begehren ins Gespräch zu kommen, ermutigen wir Paare, die Qualität ihrer Sexualität über den Zeitraum ihrer Beziehung grafisch dazustellen. Malt dazu eine X- und eine Y-Achse. Diese stehen für Intimität und Zeit. Die Zeitskala (X, waagerecht) beginnt mit dem Jahr des Kennenlernens. Wie schätzt ihr euer Intimitätsniveau (Y, senkrecht) in diesem Jahr ein? Es ist möglich, dass ihr unterschiedliche Einschätzungen habt. Kommt darüber ins Gespräch. Es geht nicht um objektive Wahrheit, sondern um euer subjektives Empfinden.

Wiederholt die Einschätzung für Phasen eurer Beziehung. Ihr werdet feststellen, wie Babys, Umzüge, Stellenwechsel oder ähnlich fordernde Ereignisse eure Intimität beeinflussen. Wenn ihr mit der Kurve fertig seid, schaut gemeinsam die höchsten Punkte an. Was hat euch in diesen Phasen ermöglicht, eine tiefe Intimität zu erreichen? Was war anders? Was könnt ihr davon für heute lernen?

 

Was ist Intimität?

Wir glauben, dass eine ganzheitliche Sexualität von Intimität gekennzeichnet ist. Intimität bedeutet, beim Sex mit unserem Partner mehr als nur unseren Körper zu teilen. Eine ganzheitliche sexuelle Begegnung hat eine körperliche und eine seelische Ebene. Gott schafft uns als intimfähige Wesen. Intimität kann aber nicht erzwungen, sondern nur geschenkt werden. In einer sexuellen Begegnung entscheiden wir souverän, wie nahe – wie intim – wir mit dem anderen sein wollen. Als Negativbeispiel: Bei einem One-Night-Stand würden wir unseren Körper involvieren, aber den anderen eher nicht „in unsere Seele“ schauen lassen. Unser Innerstes bliebe verborgen. In einer langfristigen Partnerschaft wünschen wir uns, „alles“ miteinander zu teilen – eins zu werden mit Körper und Seele. Das ist anspruchsvoller, aber auch erfüllender.

Drei Punkte zum „Glück“

Eine für beide erfüllende Sexualität ist kein Zufallsprodukt, sondern Ergebnis eines gemeinsamen Weges. Sich selbst sowie den Partner kennenzulernen und miteinander zu üben, dient als Navigationshilfe.

Sich selbst kennenlernen kann uns herausfordern. Immer noch scheint es für (pubertierende) Jungen natürlicher, ihre Sexualmerkmale kennenzulernen, als für Mädchen. Sicherlich hat das auch physiologische Gründe: Ihr Geschlecht ist exponierter und leichter zu erreichen. Doch Sozialisation ist dabei ebenfalls entscheidend. Dass ein Junge seine Genitalien erforscht und damit spielt, ist gesellschaftlich akzeptierter, als wenn dies ein Mädchen tut. Das formt unterschwellig die weibliche Denkweise. Oft wachsen Mädchen mit dem Gedanken auf, ihre Geschlechtsmerkmale zu verstecken, sich nicht damit zu beschäftigen oder darüber zu reden. Doch die Unkenntnis führt in ein Dilemma: Wie kann Frau guten Sex haben, wenn sie ihren Körper nicht kennt? Wie soll sie ihrem Partner erklären, was lustvoll ist, wenn sie es selbst nicht weiß? Eine Frau tut also gut daran, sich kennenzulernen! Vielleicht klingt das für manche zu steil? Doch sich selbst kennenlernen muss nicht mit dem Bruch einer jesusmäßigen Sexualität einhergehen. Frau kann mit einfachen Fragen beginnen: Was fühlt sich für mich gut an? Und was nicht? Wie steigert sich mein sexuelles Verlangen? Was hilft mir, körperlich und emotional warm zu werden? Weiß ich, wozu mein Körper in der Lage ist? Wie könnte ich das herausfinden?

Kim: „Ich möchte nichts verallgemeinern, doch Vorglühen ist für viele Frauen essenziell. Während Männer tendenziell eine kurze oder gar keine Startbahn brauchen, um erregt zu sein, ist die weibliche Sexualität facettenreicher. Frau braucht mehr Zuspruch, um sexuell hochzufahren. Ihr Verlangen entwickelt sich langsamer. Für Frauen entscheidet sich oft lange vor der intimen Begegnung, ob sie Spaß haben werden. Der Wunsch ist, sich ganzheitlich ‚sexy‘ zu fühlen. Und obwohl Frau gerne eine längere Aufwärmphase in Anspruch nimmt, braucht es nur eine blöde Bemerkung oder Ungeschicklichkeit des Partners, um wieder neutral zu werden. Der Partner muss lernen, damit umzugehen.“

Unseren Partner kennenzulernen, ist genauso wichtig. Die Sexualität unseres Partners kann sehr vielschichtig sein. Das braucht Zeit. Gut ist, wenn wir dabei die zwei Stockwerke unserer Sexualität im Blick behalten: die körperliche Ebene und die Fähigkeit zur Intimität. Das heißt, wir wollen nicht nur die körperlichen Vorlieben unseres Partners kennenlernen, sondern auch verstehen, was ihm oder ihr hilft, Intimität zuzulassen.

Kristian: „Auf beiden Ebenen haben wir uns über die Jahre aufeinander zubewegt. Sich auf Intimität einzulassen, fiel Kim anfangs schwerer als mir. Deswegen empfand ich es als meine Verantwortung, ihr zu ermöglichen, dass sie unser Miteinander genießen kann. Um dahinterzukommen, was es dazu braucht, habe ich mich ins Thema weibliche Sexualität eingelesen, aber auch versucht, Kims persönliche Perspektive zu verstehen. Meine wichtigste Erkenntnis war, wie sehr mein Alltagsauftreten sie emotional öffnen oder auch verschließen kann. Dies war mir vorher nicht klar.“

Sich kennenzulernen klappt nur, wenn beide Partner für Sex-Talk bereit sind. Ohne Kommunikation bleibt Verbesserung dem Zufall überlassen. Wir haben gelernt, auf eine nette Art und Weise über Sex zu sprechen. Das war am Anfang nicht leicht.

Kim: „Ich mochte das nicht und musste erst begreifen, dass Kristian Informationen braucht, um auf mich eingehen zu können. Meine Sorge war, dass Reden den Zauber wegnehmen und die Erfahrung bagatellisieren würde. Doch im Gegenteil, erst durchs Reden kam der Zauber zustande! Unsere Gespräche über Sex waren der Hauptweg, einander zu verstehen und aufeinander eingehen zu können.“

Verändern sich Lebensphasen, wird Sex-Talk neu wichtig. Beispielsweise bringt Elternwerden einen Bruch in die gemeinsame Sexualität. Für eine Frau verändert sich durch das Mutterwerden alles. Es wirft sie in eine komplett neue Rolle. Körper, Selbstbild, Hormone müssen in ein neues Gleichgewicht finden. Auch das Thema Sex ist davon betroffen. Es muss neu erfunden oder neu verhandelt werden. Der abendliche Sex darf sich nicht in die häuslichen Aufgaben des Tages einreihen und in die Kategorie „Stress, Pflichterfüllung, Arbeit, Aufgabe“ fallen. So eine Situation kann für eine Kleinkind-Mutter leicht entstehen. Es ist gut, wenn der Partner einen Blick dafür hat. Nur durch Gespräch und Austausch kann diese Dynamik umgekehrt werden.

Miteinander üben ist der dritte Punkt. Es ist kein Geheimnis: Üben ist die Grundlage für jede Weiterentwicklung. Doch geht es um Sex, sehen wir das ungern ein und hoffen, dass sich die Dinge einfach ergeben. Sex wird jedoch nur durch Übung besser. Gemeinsames Training ist alles. Wichtig ist, dabei humorvoll zu bleiben – sonst wird es stressig. Außerdem muss gemeinsam besprochen werden, wie das Training aussehen kann. Im Grunde heißt „miteinander üben“ einfach, nicht aufzuhören, Sex zu haben und darüber zu reden.

Fragen für eure Partnerschaft

Sex kann eine Energiequelle und ein Ausdruck von Lebensfreude, aber auch ein weiteres To-do oder eine frustrierende Erfahrung sein. Das hängt oft von den Rahmenbedingungen ab:

  • Was braucht mein Partner, um den Sex genießen zu können?
  • Braucht er oder sie Entspannung oder entspannt er oder sie beim Sex?
  • Wann beginnt Intimität für euch?
  • Wie wichtig ist euch der (gemeinsame) Höhepunkt?
  • Mögt ihr es spontan oder braucht ihr einen Plan?
  • Kennst du die (geheime) Angst, von deinem Partner abgelehnt zu werden?
  • Wie würde eure Sexualität aussehen, wenn ihr schamlosen Sex hättet? Welche Schritte könntet ihr dafür gehen und wer geht voran?
  • Wie würde für euch eine vergnügliche Intimität aussehen?
  • Welche Schritte könnten euch dorthin führen?

 

TIPP

Onlinekurse & Paarcoaching Kim und Kristian Reschke bieten individuelles Paarcoaching und den Onlinekurs „Schulter an Schulter, Arm in Arm“ an.

Infos: HerrUndFrauCoaching.de

 

KIM UND KRISTIAN RESCHKE

sind seit über 20 Jahren gemeinsam unterwegs, sind systemische Coaches und begleiten Paare und Einzelpersonen. Sie leben mit ihren beiden Kindern in Hamburg, St. Pauli.