„Kinder haben ein Recht auf eigene Gottesbilder“

Am letzten Wochenende war ich bei einem Fachtag zum Kinderschutz. Er stand unter dem Motto „Kindern auf Augenhöhe begegnen“. Im Wesentlichen ging es um Kinderschutz in der Gemeinde, speziell auch in der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch für Eltern gab es viele wertvolle Impulse. Denn Kinderschutz geschieht nicht nur, indem eine Gemeinde Schutzmaßnahmen ergreift und Schulungen abhält, sondern vor allem, wenn Kinder die Chance haben, sich zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln.

Torsten Hebel, Leiter und Gründer der blu:boks in Berlin, die mit Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Gebieten arbeitet, betonte in seinem Vortrag zu Beginn des Fachtags, wie wichtig es ist, was Kindern in der Gemeinde und auch zu Hause bezüglich Gott und Glaube vermittelt wird. „Wir stellen uns ja nicht vor unsere Kinder und sagen: ‚Also so ganz grundsätzlich gesehen bist du scheiße'“, formulierte er sehr plakativ. Ähnliches geschehe aber nicht selten bei der Glaubensvermittlung, wenn den Kindern gesagt werde, dass der Mensch grundsätzlich sündhaft und böse sei. „Theologisch ist es richtig zu sagen: ‚Wir sind Sünder‘, aber das hat nichts bei den Kindern verloren“, betonte Torsten Hebel. „Das Kind braucht bedingungslose Zuwendung: ‚Du bist geliebt, egal wer und wie du bist!‘ Wir dürfen kein defizitäres Bild vom Kind haben.“ Aufgabe von Eltern und Mitarbeitenden sei es, Kindern liebevoll, wertschätzend und auf Augenhöhe zu begegnen.

Am Nachmittag wurden zahlreiche Workshops angeboten, um die verschiedenen Aspekte des Themas Kinderschutz zu vertiefen. Es ging um Kinderschutzkonzepte, um den Umgang mit Kindeswohlgefährdung und Missbrauchserfahrungen und um Schritte zu einer sicheren Gemeinde. In weiteren Workshops tauschten sich Eltern und Mitarbeitende über Erziehungsfragen aus oder bekamen Einblick in Konzepte der Arbeit mit Kindern.

In einem Workshop von Bastian Erdmann, Landesjugendpastor im Gemeindejugendwerk Norddeutschland, ging es um die Frage, wie Kinder Gott anschauen und wie sich Gottesbilder verändern. „Theologie mit Kindern bedeutet nicht, ihnen meine Wahrheit zu vermitteln“, betonte Erdmann. „Kinder haben ein Recht auf eigene Gottesbilder.“ Dabei definierte er ein Gottesbild als eine persönliche theologische Momentaufnahme – im Gegensatz zu einem festen Konstrukt, auf das sich das Bilderverbot in der Bibel beziehe. Anhand konkreter Beispiele zeigte Bastian Erdmann, wie sich das Gottesbild von Kindern in den verschiedenen Entwicklungsphasen verändert. „Auch Erwachsene müssen ihre Gottesbilder an ihre jeweilige Lebenssituation anpassen“, forderte er.

Ein weiterer Workshop trug den schönen Titel „Fröhlich und gelassen als Eltern scheitern“. Dagmar Lohan, Referentin im Fachbereich Familie und Generationen des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, lud die TeilnehmerInnen dazu ein, sich unter anderem darüber auszutauschen, wie Eltern Ermutigung erfahren. Dabei wurde deutlich, dass das Eingeständnis des eigenen Scheiterns für andere Eltern sehr ermutigend sein kann. Gerade in einer Zeit, in der immer höhere Ansprüche an Eltern gestellt werden – von der Umwelt ebenso wie von sich selbst. „Erziehung ist anstrengender geworden, weil sie von anderen bewertet wird“, erläuterte Dagmar Lohan. Die Elternschaft sei zu einem besonderen Projekt geworden, das gelingen müsse. Hilfe und Ermutigung gebe es für Eltern auch in der Bibel. Dort werde häufig von Menschen erzählt, die mit Gott unterwegs waren, aber trotzdem scheiterten. Die Bibel habe kein Interesse daran, ein ideales Bild von Familie zu beschreiben. Sie beschreibt, was war. Deshalb gebe es in der Bibel auch kaum etwas zu Erziehungsfragen. Aber es gebe durchaus grundlegende Gedanken, die sich auch auf die Erziehung und das Familienleben beziehen lassen. Beispielsweise, dass jeder Mensch einzigartig sei. Dass kein Mensch allein sein soll. Dass alle Menschen gleich sind. Dass Menschen – auch Eltern – aus der Gnade leben. Und dass sich Menschen – und damit auch Eltern und Kinder – gegenseitig Respekt erweisen sollen.

Am Ende des Tages waren wohl alle Besucher des Fachtags angefüllt mit vielen guten, oft auch herausfordernden Gedanken. Bei der Abschlussveranstaltung kamen Jason Querner und Andreas Schlüter zu Wort, die sich in ihrem jeweiligen Gemeindebund für das Thema „Sichere Gemeinde“ stark machen. Beide waren sich einig, dass in diesem Bereich noch viel zu tun sei. Viele Gemeinden hätten sich noch nicht mit Fragen des Kinderschutzes beschäftigt, manche seien auch gar nicht bereit dazu – aus Sorge, dass etwas ans Licht kommen könne, das man lieber nicht sehen wolle. Hier sind wir Eltern gefragt: Wir sollten uns dafür einsetzen, dass sich unsere Kirchengemeinde mit dieser Thematik auseinandersetzt – auch wenn sie durchaus unbequem ist!

Bettina Wendland, Redakteurin bei Family und FamilyNEXT

Der Fachtag zum Kinderschutz war eine gemeinsame Veranstaltung des Fachkreises „Sichere Gemeinde“ im Gemeindejugendwerk des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, der FeG Junge Generation im Bund Freier evangelischer Gemeinden und des Kinder- und Jugendwerks der Evangelisch-methodistischen Kirche Süd. Er fand in Bochum statt.