Nach der Scheidung: „Ich musste zu mir zurückfinden“

Nach ihrer Scheidung fühlte Christine Poppe sich völlig zerbrochen. Trotz Druck und zerstörten Selbstbildern kämpfte sie sich ins Leben zurück.

Ein zerbrochenes Selbstbild

Scheidung bedeutet Zerbruch – von Liebe, Freundschaften, Zukunftsträumen, Idealen. Wie hast du das erlebt?
Ja, mir ging es sehr ähnlich. Vor allem war mein Selbstbild damals auch zerbrochen. Ich hatte bis zu der Scheidung geglaubt, dass ich alles schaffen kann, dass es nichts gibt, was mir zu schwer ist und dass mit Gottes Hilfe und Gebet alles möglich ist. In diesem Glauben bin ich auch in diese Ehe gegangen. Jahrelang habe ich mir größte Mühe gegeben, alles versucht, bin über meine Grenzen gegangen. Aber es hat nie gereicht, und wir sind gescheitert.

Wie hat dein Umfeld auf die Scheidung reagiert?
Leider habe ich viele Freunde und Bekannte, vor allem aus der Gemeinde, verloren und bin auf Unverständnis gestoßen, weil ich diejenige war, die die Beziehung beendet hat. Zwar habe ich auch viel Unterstützung und Mitgefühl erfahren, auch von Menschen, von denen ich es nicht erwartet hätte. Allerdings konnte ich mich damals nicht gut innerlich von anderen abrenzen, da tat jede Bemerkung weh. Und es gab auch Leute, von denen ich mich verraten gefühlt habe. Von einigen Personengruppen musste ich mich ganz abschotten, um mich zu schützen.

Identifizierst du dich als „geschiedene Frau“?
Nein, das spielt keine entscheidende Rolle. Es ist Teil meiner Geschichte. Jede Geschichte hat Brüche und Fehler. Ich war 21, als ich geheiratet habe. In einem Umfeld ohne diese Prägung mit sehr enger Sexualmoral hätte ich nicht so früh geheiratet. Daher ist es eher wie eine schlechte Ex-Freund-Geschichte. Ich habe viel daraus gelernt und mich weiterentwickelt. Aber es bestimmt nicht meine Identität. Ich bin jetzt jemand anderes. Ich bin in erster Linie einfach ich. Und dann die Frau meines zweiten Ehemanns, ich bin die Mutter meiner Tochter, ich bin Traumasensible Coachin – diese Dinge machen mich aus. Heute fühlt es sich so an, dass nicht mein wahres Selbst damals geheiratet hat, sondern etwas in mir, das sehr zerbrochen war und inzwischen heilen konnte.

Meilensteine auf dem Weg der Heilung

Du hast – das beschreibst du auch in deinem Buch – bis zur Selbstaufgabe für deine Ehe gekämpft. Wie ist es dir gelungen, dein Selbst wieder zurückzugewinnen?
Das ist ein langer Prozess, der noch bis heute andauert. Das Wichtigste war die Therapie, die ich bei einem christlichen Therapeuten gemacht habe, der auf Trauma spezialisiert war. Mit dem habe ich direkt nach der Trennung circa zwei Jahre gearbeitet. In der Zeit habe ich meine Trennung aufgearbeitet. Jahre später, nachdem ich meine Tochter geboren habe, ist bei mir noch mal einiges aufgebrochen, was in meiner Kindheit passiert ist und wozu ich vorher keinen Zugang hatte. Mir wurde klar, dass diese Erfahrungen erst der Grund waren, warum ich mich auf jemanden eingelassen hatte, der selbst nicht wusste, ob er mich liebte oder nicht. Ich konnte Zugang zu meinem unversehrten Kern finden, zu dem in mir, was trotz allem, was mir passiert ist, in Ordnung geblieben ist. Ich durfte verschiedene innere Anteile in mir kennenlernen, auch Anteile, die miteinander in Konflikt sind, sie in Einklang bringen, und konnte ein, wie man sagt, kohärentes Selbst finden. Ich habe gelernt, was eine sichere Beziehung ist: eine Beziehung, in der ich nicht abgewertet werde, in der meine Gefühle relevant sind, in der meine Grenzen akzeptiert werden. Durch meinen jetzigen Mann und meine beste Freundin durfte ich lernen, was Bindungssicherheit bedeutet. Ich habe gelernt, dass es okay ist, zu zeigen, wer ich wirklich bin und was ich möchte. Ich konnte eine Beziehung zu mir selbst gewinnen und das war entscheidend.

Gab es denn spezielle innere und äußere Schritte oder Meilensteine auf diesem Weg?
Ein wichtiger Schritt war, als ich das erste Mal bei meinem Therapeuten Michael saß und ihm gesagt habe, dass ich glaube, dass ich komplett kaputt bin, dass alles furchtbar ist, ich überhaupt keine Hoffnung habe, dass ich Hilfe brauche und nicht weiß, wie ich weiterkomme. Er konnte mir glaubhaft vermitteln, dass ich nicht kaputt bin, sondern nur das Bild, das ich von mir habe. Das hat mich aufatmen lassen und mir Hoffnung gegeben, dass ich mich davon wieder erholen kann. In der Therapie hatte ich dann eine krasse Begegnung mit Jesus. Er hat mir den Rucksack mit meiner Schuld abgenommen. Da habe ich gemerkt, dass ich tief im Inneren überzeugt war, dass ich schuld war, weil ich einfach generell schlecht bin. So hatte ich das immer gelernt. In der Jesusbegegnung habe ich erlebt, dass er zu mir sagt, dass ich nicht selbst schuld bin und dass er mir da, wo ich Mist gebaut habe, die Schuld abnimmt. Gott macht mir keinen Vorwurf – nur ich mir selbst. Korrigierende Erfahrungen in Beziehungen waren für mich relevante Meilensteine. Die Beziehung zu meiner besten Freundin und die zu meinem zweiten Mann. In diesen zwei Beziehungen habe ich zum ersten Mal im Leben wirkliche emotionale Sicherheit gespürt. Das war eine sehr positive Erfahrung für mich.

Was war für dich nötig, um wieder neu ins Leben und in eine neue Beziehung zu starten?
Eigentlich bin ich in die Beziehung zu meinem zweiten Mann gestolpert, ohne dafür bereit gewesen zu sein. Ich hatte ausgeprägte Bindungsängste. Mein Mann war sehr sensibel und hat mir durch sein Verhalten immer wieder signalisiert, dass er da ist und sich kümmert. Anfangs war es auch keine feste Beziehung. Er hat sich aber immer verhalten wie ein fester Freund. Er hat mir handwerklich geholfen und als ich immer wieder ins Krankenhaus kam, hat er seine beruflichen Termine abgesagt und ist zu mir gekommen. Ich hatte ihm das gar nicht erzählt, aber er hat es mitbekommen, fand heraus, wo ich war und hat mich damit nicht alleine gelassen. Immer wieder hat er sich gekümmert und mich priorisiert. So ein Verhalten kannte ich nicht und mir wurde klar, dass mir das immer gefehlt hat. Gerade weil er so war, hatte ich Angst und wollte deswegen die Beziehung immer wieder beenden. Ich dachte, er ist jetzt so nett, weil er verliebt ist, ich gewöhne mich daran und komme dann nicht mehr klar, wenn er so wird, wie ich es bisher von Menschen kannte. Daher brauchte ich Mut, mich auf die Beziehung einzulassen, der Angst entgegenzutreten und das Gute zu erwarten.

Erkenntnisse aus der Scheidung

Was war für dich die größte Hürde, wieder du selbst zu sein?
Ich glaube, die Loyalität, die ich gespürt habe, gegenüber meiner Familie und auch der Glaubensgemeinschaft. Die Entwicklung, die ich in meinem Glauben erlebt habe, widersprach dem, was mein engstes Umfeld glaubte und das fühlte sich an wie Verrat. Dazu kam die Angst, dass ich, wenn ich so bin, wie ich bin, meine wichtigsten Bezugspersonen verliere. Aber durch die Verbindung zu mir selbst, meiner besten Freundin und meinem Mann war ich schließlich in der Lage, das Risiko, ich selbst zu sein, einzugehen.

Empfindest du Groll gegenüber deinem Ex-Mann?
In den ersten zwei Jahren nach der Trennung war das schon so. Ich war sehr verletzt und hatte das Gefühl, er tut absichtlich Dinge, um mich zu verletzen. Dann habe ich versucht, zu vergeben und loszulassen. Ich wollte alles hinter mir lassen und mich auf mein neues Leben fokussieren. Einmal sagte meine Mutter zu mir, wie sauer sie darüber sei, dass er mein Leben zerstört habe. Einerseits hat mich ihre Solidarität getröstet. Aber ich habe dann zu ihr gesagt, dass er es nicht zerstört hat. Mir geht es gut, er hat keine Macht mehr über mein Leben. Ich kann mich um meine Angelegenheiten kümmern. Ich habe mich von ihm getrennt. Ich übernehme Verantwortung für mein Leben und gestalte meine Zukunft.

Was hat dir geholfen, deine Zukunft aktiv zu gestalten?
Es gab einen entscheidenden Moment. Es war ein Tiefpunkt, an dem ich dachte, es würde alles nur immer schlimmer werden. Danach habe ich mich zusammengerissen, habe mir überlegt, wie ich denn leben will. Ich habe für alle Lebensbereiche aufgeschrieben, was ich mir vorstelle. Wer sollen meine Freunde sein? Wie sollen sich Freundschaften anfühlen? Welchen Job möchte ich machen? Welche Träume habe ich? Und so weiter. Dann habe ich bewusst meine Energie auf die Zukunft fokussiert. Kurz entschlossen habe ich Wirtschaftspsychologie studiert, eine Ausbildung zur Traumasensiblen Coachin gemacht, den Job gewechselt, mir unterschiedliche berufliche Standbeine aufgebaut. Dann bin ich schwanger geworden. Insgesamt habe ich mir ein Leben gebaut, das mir entspricht. Diese Freiheit und Ausrichtung hat mir unfassbar viel Motivation und Energie gegeben.

Wenn du ein Resümee ziehen solltest, was wäre deine wichtigste Erkenntnis aus oder nach deiner Scheidung?
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass wir einen unversehrten Kern haben, der unfassbar stark ist, der sehr viel überstehen kann. Unsere Fehler definieren nicht, wer wir sind. Und dass das Einzige, was Gott mir schenken will, Liebe ist. Das hat mein Leben verändert.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Family-Redakteur Marcus Beier.