Psychologin: Diese Kindheitserfahrung beeinflusst unsere Beziehungen heute
Fehlende Sicherheit als Kind sorgt dafür, dass wir als Paare anders streiten. Doch das kann durchbrochen werden, sagt Monika Ringleb.
Rums! Krachend fällt die Haustür hinter Marcus ins Schloss. Susanne, die zurückbleibt, lässt den Tränen freien Lauf, die sich in der heftigen Diskussion angestaut haben. Sie ist stocksauer auf ihren Mann, der sie einfach nicht zu verstehen scheint. Warum sieht Marcus nicht, wie schlecht es ihr damit geht, dass er immer wieder so spät von der Arbeit kommt? Dass sie sich alleingelassen fühlt mit den Kindern und der Alltagsorganisation? Sie hat es ihm schon so oft gesagt, doch ihre verzweifelte Botschaft, dass sie sich von ihm im Stich gelassen fühlt, scheint nicht zu Marcus durchzudringen.
Szenenwechsel zu Marcus: Er sitzt im Auto und fährt ziellos durch die Gegend. Sein Puls beruhigt sich nur langsam. Warum muss Susanne ihm immer wieder Vorwürfe machen? Warum sieht sie seine Bemühungen nicht, ihr ein guter Partner zu sein? Er tut doch so viel für sie! Da ist es wieder, dieses hochbelastende Gefühl, Susanne nicht zu genügen. Der Druck ist wieder so unerträglich, dass er rausmusste, einfach nur weg von ihren Vorwürfen. Warum schafft er es nicht, die Frau, die er liebt, glücklich zu machen? Minderwertigkeitsgefühle und Scham überfluten ihn.
Ohnmächtig im Streit
Susanne und Marcus sind ein fiktives Paar, aber Paare wie die beiden begegnen mir immer wieder: Obwohl sie sich um eine gute Kommunikation bemühen und Strategien aus Paar-Ratgebern befolgen, finden sie einfach keine Lösung für den ständigen zehrenden Streit. Sie fühlen sich der zerstörerischen Macht des Konflikts ohnmächtig ausgeliefert, obwohl sie in anderen Lebensbereichen und Beziehungen gut zurechtkommen. Vor allem, wenn ein Partner oder sogar beide in vergangenen Beziehungen Traumatisierungen erlebt haben, ist die Gefahr groß.
Warum ist es für betroffene Paare so schwer, aus dem Streitmuster auszubrechen? Weil sie oft in einer unsicheren Bindung feststecken. Um zu verstehen, was das bedeutet, werfen wir einen kurzen Blick in die Bindungstheorie: Babys sind darauf angewiesen, dass ihre Eltern feinfühlig erspüren, was ihnen fehlt, da sie sich selbst nicht anders als über ihre Stimme oder Körperbewegungen äußern können. Wenn Eltern in ausreichendem Maße in der Lage sind, die körperlichen und emotionalen Bedürfnisse ihres Babys sensibel wahrzunehmen und sie zu erfüllen, kann das Kind das Vertrauen entwickeln, dass andere Menschen verlässlich sind. Psychologen würden sagen, das Kind ist sicher an seine Eltern gebunden.
Jedoch sind nicht alle Eltern – aus verschiedenen Gründen und oft unverschuldet – in der Lage, feinfühlig wahrzunehmen, was ein Baby braucht oder ihm dies auch zu geben. Kinder solcher Eltern erleben nicht, dass die Bezugspersonen sich zuverlässig um ihre Bedürfnisse kümmern und bilden eher die Erwartung aus, dass niemand für sie da ist. Sie sind unsicher gebunden.
Kindheit beeinflusst Beziehungen als Erwachsene
Wir Menschen bewegen uns ein Leben lang in Beziehungen, in denen wir uns nach Sicherheit sehnen. Was wir über die Verlässlichkeit anderer Menschen gelernt haben, nehmen wir mit in unsere Beziehungen als Erwachsene. Entsprechend können sich unsere Paarbeziehungen zu unsicheren oder sicheren Bindungen entwickeln.
Vermutlich hat Susanne die Erfahrung gemacht, von wichtigen Bezugspersonen verlassen worden zu sein. Sei es durch eine reale Trennung oder dadurch, dass ihr emotionale Zuwendung verwehrt geblieben ist. Deshalb ist es für Susanne so schmerzhaft, wenn sie sich von Marcus alleingelassen fühlt. Marcus dagegen kennt es sicher, dass er nicht genügt und dass sich wichtige Menschen deswegen von ihm abwenden. Vielleicht konnte er von klein auf nicht den Erwartungen seines Vaters entsprechen, der sich enttäuscht von seinem Sohn zurückgezogen hat. So wird verständlich, warum Susannes Kritik für ihn unerträglich ist.
Angst dominiert
Beide haben also in der Vergangenheit Beziehungen erlebt, in denen sie nicht bekommen haben, was sie brauchten, um sich emotional sicher zu fühlen: das Gefühl, dass jemand da ist für Susanne, und für Marcus die Gewissheit, dass er so, wie er ist, geliebt ist. Aufgrund dieser Prägungen sind beide der Gefahr ausgesetzt, dass sich auch in ihrer Partnerschaft ein unsicheres Bindungsmuster etabliert.
In unsicheren Paarbindungen dominieren Angst und Unsicherheit anstelle von Sicherheit und Geborgenheit, weil der Streit ständig wiederkehrt. Susanne und Marcus erleben sich nicht als emotional verlässlich, fühlen sich voneinander nicht verstanden und aufgefangen, sondern eher das Gegenteil: Der andere wird als gleichgültig („Ihm ist egal, wie es mir geht!“) oder sogar feindselig („Sie macht mich absichtlich nieder!“) wahrgenommen.
Gefährlicher Teufelskreis
Häufig nimmt der eine Teil wie Susanne eine eher verfolgende Position ein. Dass sie sich allein fühlt, macht ihr große Angst und so versucht sie, an Marcus heranzukommen. Ihre Vorwürfe sind ein Bemühen, Marcus zu erreichen, um ihre emotionale Not zu lindern. Das Tragische ist jedoch, dass sie mit diesem Verhalten bei Marcus das Gegenteil von dem auslöst, was sie möchte. Denn Marcus, der eher eine Rückzüglerposition einnimmt, fühlt sich von Susannes verzweifelten Versuchen, zu ihm durchzudringen, stark unter Druck gesetzt. Gleichzeitig erlebt er sich als unfähig und schämt sich, dass er sie nicht zufriedenstellen kann. Auch er hat Angst: Dass Susanne ihn deswegen verlassen wird. Diese belastenden Gefühle behält er für sich, was den Druck so stark ansteigen lässt, dass er raus muss aus der Streitsituation. Damit jedoch entfernt er sich auch von Susanne, die sich in ihrer Verlassenheit bestätigt sieht – der Beginn einer weiteren Runde im Streitmuster.
Erlernte Muster lassen sich ändern
Es gibt jedoch eine gute Nachricht: Bindungsmuster sind veränderbar! Das macht sich zum Beispiel die Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT) nach Sue Johnson zu Nutze. Diese zählt zu den am besten erforschten und effektivsten paartherapeutischen Verfahren. Ziel ist es, beiden Partnern zu einer sicheren Bindung zu verhelfen. Dazu wird das Streitmuster genau erforscht und mit ihm tiefer liegende schlimme Gefühle sowie Rückzug oder Verfolgung als Möglichkeiten, mit diesen Gefühlen umzugehen. So erleben sich die Partner von einer neuen Seite: Der wütende Verfolger wird plötzlich sichtbar als jemand, der große Angst hat – wie ein Kind, das sich nach Beruhigung sehnt.
Und auf Seiten des Rückzüglers wird deutlich, dass er an sich zweifelt und dringend die Zusage braucht, dass er geliebt ist. Die Partner erleben sich also in ihrer Bedürftigkeit und Verletzlichkeit. Wenn sie spüren, dass ihr Gegenüber sie sieht und sie in ihrem emotionalen Bedürfnis abholt, entstehen tief berührende Momente von emotionaler Sicherheit. Bei wiederholten sicheren Erfahrungen gewinnt die Beziehung insgesamt an Sicherheit und destruktive Streitmuster können sich auflösen.
Nicht der Partner ist das Problem
Paare, die in unsicheren Bindungen feststecken, können jedoch auch selbst etwas dafür tun, mehr Sicherheit zu erleben. Dazu ist es wichtig, dass Sie Folgendes erkennen: Nicht Ihr Partner und sein Verhalten ist das Problem – das Problem ist das Streitmuster zwischen Ihnen! Es ergibt mehr Sinn, dass Sie sich als Paar gegen das Muster verbünden, als sich gegenseitig anzugehen! Auch wenn das Verhalten Ihres Partners Sie verständlicherweise verletzt, zeigt er dies nicht in böser Absicht, sondern als Strategie, mit seinen schlimmen Gefühlen umzugehen. Machen Sie sich bewusst, dass Sie beide in Not sind, wenn das Muster im Gange ist. Die Not Ihres Partners sieht anders aus als Ihre, aber er ist auch sehr belastet!
Der Weg zu einem sicheren Bindungsmuster führt über sichere Bindungserfahrungen – über das Erleben von Momenten, in denen Sie von Ihrem Partner das bekommen, was Sie emotional brauchen. Schaffen Sie sich gegenseitig diese Momente!
Monika Ringleb ist Psychologin und Theologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin und EFT- Therapeutin i.A. Dieser Artikel stützt sich auf Erkenntnisse aus der Forschung zur Emotionsfokussierten Paartherapie sowie der Bindungswissenschaft.