Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Sie will ein Junge sein

„Meine Tochter (10) zieht sich an wie ein Junge – breite Shirts und Hosen, Sneaker, Cap – und hängt kaum noch mit Mädchen rum. Jetzt will sie sich auch noch ihre langen Haare abschneiden lassen. Ich frage mich manchmal, ob sie kein Mädchen mehr sein will, und mache mir Sorgen. Ob ich es mal ansprechen soll?“

Ein offenes und wertschätzendes Gespräch ist immer eine sehr gute Idee! Hier würde ich Sie ermutigen, den Gedanken und Beweggründen des Verhaltens Ihrer Tochter mit viel Neugier und aufgeschlossenem Interesse zu begegnen und diese nicht zu problematisieren.

Stereotype hinterfragen

Bei Themen wie der Geschlechteridentität besteht für uns Erwachsene die große Chance, unsere eigenen Positionen und Werte immer wieder neu zu überprüfen. Wer entscheidet darüber, welche Kleidergröße oder Haarlänge weiblich oder männlich ist? Letztlich sind dies gesellschaftlich gewachsene Stereotype, die einer freiheitlichen, selbstbestimmten Entwicklung von Kindern und Jugendlichen eher im Wege stehen, als diese zu fördern. Wir haben die Chance, uns zu fragen, ob es mehr unser persönlicher Wunsch ist, dass unser Kind sich in bestimmter Weise kleidet und warum das so wichtig für uns ist. Dass ein Kind oder Teenager sich nach eigener Vorstellung „gestalten“ möchte, losgelöst von den Stereotypen oder gesellschaftlichen Konventionen, kann zunächst einmal auch als Ausdruck einer selbstbewussten Haltung verstanden werden. Dabei unterstützen wir unsere Kinder dann weitergehend, indem wir uns ganz aufgeschlossen für ihre Gedanken und Ideen interessieren, ohne diese zu bewerten.

Hierbei sollten wir selbstverständlich trotzdem weiterhin wachsam für Sorgen oder mögliche Probleme der Kinder bleiben. Auch solche können Ihre Tochter zu ihren aktuellen Veränderungen veranlassen. Vielleicht treiben sie Fragen in Bezug auf die Entwicklung ihrer Weiblichkeit oder damit verbundene Sorgen um? Sie befindet sich in einem Alter, in dem auch auf der biologischen Ebene viele Veränderungen stattfinden – einige Mädchen bekommen in diesem Alter das erste Mal ihre Periode, was sehr kontroverse Gefühle auslösen kann. Ebenso gut kann es sich um ungelöste Streitigkeiten zwischen Freundinnen oder schlicht Neugier für die Interessen des männlichen Geschlechts handeln. Der Vielzahl an möglichen Anliegen sind hier keine Grenzen gesetzt.

Wichtige Ansprechpartnerin

Wichtig ist bei all diesen Belangen, in einem vertrauensvollen Kontakt zu Ihrer Tochter zu stehen. Als Mutter sind Sie für Ihre Tochter erst einmal das gleichgeschlechtliche Vorbild und somit eine wichtige Ansprechpartnerin in Bezug auf Fragen zur weiblichen Entwicklung. Wenn Sie das Gefühl haben, dass es Ihrer Tochter schwerfällt, mit Ihnen direkt über dieses Thema oder ihre Sorgen zu reden und sie dennoch eine erwachsene Ansprechperson braucht, überlegen Sie, welche vertrauensvollen Alternativen es gibt. Fragen Sie beispielsweise eine gute Freundin der Familie oder eine wichtige andere weibliche Bezugsperson Ihrer Tochter, ob diese ihr in einem passenden Moment ein Gespräch oder Unterstützung anbieten kann.

Mara Pelt ist Psychologin M.Sc., systemische Beraterin und Familientherapeutin, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeutin i.A. und lebt mit ihrer Familie in Hamburg. Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com