Mücke oder Elefant?
Was im Alltag wirklich wichtig ist
„Wie gut, dass Kinder keine Kuscheltiere sind, die immer nur nett und brav dasitzen, sondern dass sie ihren Willen trainieren und sich mitteilen.“ – Wie oft habe ich diesen Satz wiederholt, wenn Rieky ihr Eis erst in der Hand schmelzen lassen wollte, bevor sie es schlecken konnte. Oder wenn Tarik nicht in sein Bett wollte, „weil jemand seinen Duft weggeschnuppert hat“. Zwischen Routine und Dauerkopfschütteln hatte dann jemand einen Tipp für mich: „Elefant oder Mücke? Entscheide du!“
Ein Elefant ist groß und schwer. Es dauert seine Zeit, bis er seinen Platz verlässt. Was sind Elefantenthemen? Welche Dinge sind mir so wichtig und wertvoll, dass ich sie begleiten und vertiefen möchte, auch wenn es mühsam ist? Eins dieser Elefantenthemen für mich ist das Essen am Tisch. Es ist ein großes Thema, und dafür möchte ich mehrmals täglich trainieren. Und es ist mir den Dauer(ein)satz wert: „Ich möchte mit dir am Tisch sitzen, wenn wir essen!“ Der vorsichtige Umgang mit Spielzeug ist auch so ein Bereich: Für mich erscheint innerlich der Elefant, wenn jemand auf seinen Legosteinen herumläuft oder Bücher achtlos wegwirft. Da reagiere ich deutlich und lasse die Bücher wegräumen.
Wieso geht das nicht?
Und die Mücken? Klingen fast wie „Macken“: Nori, die im Feuerwehranzug den Tag verbringt (und dabei sehr, sehr schwitzt), Antonia, die sich zehnmal umzieht, Silas, der sich eine sehr laute Kreissäge zum Spielen ausdenkt. Im Kindergartenalter hat jedes Kind wechselnde oder begleitende Schrulligkeiten. Sie helfen ihm, der sich stark verändernden Welt und all den neuen Eindrücken die Stirn zu bieten. Der erwachsene Ruf „Das geht doch nicht!“, darf bei Mückenthemen hinterfragt werden. Wieso geht das nicht? Wen stört es, wenn Tinus eine 1A-Baustelle im Garten buddelt? Die Nachbarn, dieeigene innere Ordnung? Wieso darf Lennard nicht einmal in der Wocheseine Gemütlichkeitshose anziehen? Wieso darf Klara nicht sagen, wenn sie nicht mit Dennis spielen will? Da machen wir Eltern schnell aus der Mücke einen Elefanten. Dabei lassen sich oft gute Kompromisse schließen. Nori darf zum Beispiel ihren Anzug gerne zu Hause tragen – wenn sie rausgeht, zieht sie sich um. Eine klare Absprache!
Freundlich in Gummistiefeln
Ich habe viel Kraft beim Erziehen verloren, weil ich dachte, jede kleine Mücke höchstpersönlich verscheuchen zu müssen. Dafür sorgen zu „müssen“, dass meine Kinder nicht schrullig wirken. Irgendwann beim Beobachten der Lebenswirklichkeit der drei Experten habe ich dann gespürt: Wie schön, sie sind speziell, sie sind sie selbst. Unsere Aufgabe als Eltern dabei ist, die Elefanten im Blick zu behalten. Freundlich zu anderen zu sein, geht auch in unpassenden Gummistiefeln.
Eltern sind aufgefordert, miteinander im Austausch zu bleiben: Ist es eine Mücke, dass unsere Tochter so viel allein spielt? Darf unser Kind Gemüse verweigern? Wenn dieses Thema groß wie ein Elefant ist, sollten wir es aktiv und kreativ angehen: zum Beispiel indem wir weiter vielfältig Gemüse essen und an einigen Tagen die süßen Kekse weglassen. Vielleicht machen Sie in den nächsten Tagen ja mal ein Spiel daraus: Schreiben Sie zehn Situationen auf, und diskutieren Sie gemeinsam: Elefant oder Mücke? Bei uns gibt es diesen Dialog auch heute noch.
Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und arbeitet im Gemeindejugendwerk Südwest, um Mitarbeiter für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auszubilden. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.