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Generation Maybe: Wieso sich Jugendliche oft nicht mehr entscheiden können

Jungen Erwachsenen fällt es oft schwer, sich festzulegen. Roswitha Wurm nervt das. Aber ein bisschen maybe ist sie auch …

Vor ein paar Jahren verkündete meine Tochter wenige Wochen vor ihrem Geburtstag: „Ich feiere diesmal im Freien mit einem Picknick mit meinen acht besten Freunden!“ Wir planten gemeinsam die Location und das Essen. Zumindest zwei Tage lang. Denn dann beschloss meine Tochter, ihren Geburtstag „doch nicht mit Freunden, sondern nur mit der Familie“ zu verbringen. In den nächsten Tagen änderte sie wieder ihre Meinung. Nun wollte sie bei uns zu Hause eine Party geben, aber „nur für 12 Freunde“. In den zwei Wochen bis zum Geburtstag sagten einige Freunde zu und einige wieder ab.

Schließlich kamen 18 junge Menschen, von denen ursprünglich nur acht eingeladen waren. Mein Mann und ich verbrachten den Abend auswärts und überließen den jungen Leuten unsere Wohnung. Alles ging gut und alle waren glücklich. Nur ich fühlte mich überfordert. Ähnliches erlebte ich bei Gruppen, Familienfeiern und anderen Festen. Zusagen und Absagen von den (jungen) Besuchern in der letzten Minute, weil sich irgendetwas anderes Interessantes angeboten hatte. Mich verwirrte und verunsicherte dieses Hin und Her!

Alles ist möglich

Zum Glück klärte mich ein Buch von Oliver Jeges auf. Der in Wien geborene Journalist, Jahrgang 1982, outete sich: „Ich bin ein Maybe. Meine Freunde sind Maybes. Ich wäre zwar gern keiner, aber es ist nun mal so. Ich habe kein ADHS, dennoch tue ich mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intensiv zu widmen. Ich bin entscheidungsschwach. Ich sehe all die Optionen vor mir, die Verlockungen einer ultramodernen Welt, in der alles möglich ist.“

Unendlich viele Wahlmöglichkeiten

Die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden im digitalen Zeitalter sozialisiert. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt vom immer stärker werdenden Einfluss von Social Media. Wer täglich über die verschiedenen Kanäle erfährt, was sich so alles tut im Leben seiner Bekannten, ist überzeugt: Ich habe unendlich viele Wahlmöglichkeiten. Vergleichbar ist das mit dem Gefühl, wenn man im Eisladen vor 25 Eissorten steht und sich für zwei entscheiden muss. Die verärgerte Menschenschlange hinter einem wird länger, während man unentschlossen, zaudernd und zögernd abwartet, bis man sich sicher ist, ob es Weiße Schokolade oder doch lieber Melonensorbet sein soll.

„Bis dass der Tod euch scheidet“ weicht „Solange es nicht zu kompliziert ist“

„Maybes“ tun sich zum Leidwesen ihrer Mitmenschen schwer, Entscheidungen zu treffen und Wort zu halten. Flexibilität und Bereitschaft, spontan etwas Neues zu wagen, sind die Schlagwörter dieser Generation. Wenn es sein muss, auch auf Kosten anderer. Die Generation der Maybes ist mitunter auch überzeugt davon, dass sie die Freiheit hat zu wählen, ob sie einen schwierigen Weg geht oder nicht. Die Frage ist jedoch, ob uns die vielen Wahlmöglichkeiten wirklich frei machen. Wir können vor Schwierigkeiten davonlaufen. Jeder findet das in Ordnung und hat Verständnis dafür. Schließlich muss jeder „auf seine Art glücklich werden“. Wir können Beziehungen, die uns nerven oder zu schwierig sind, einfach beenden. Wenn es uns zu schwerfällt, dem anderen dabei in die Augen zu schauen, sogar einfach per WhatsApp. „Bis dass der Tod euch scheidet“ ist einem „Solange es nicht zu kompliziert ist“ oder einem „Bis ich etwas scheinbar Besseres für mich gefunden habe“ gewichen.

Unentschlossenheit bringt Stress

Diese scheinbare unendliche Freiheit bringt in vielen Fällen innere Leere und Orientierungslosigkeit mit sich, die eine ganze Generation zu befallen scheint. Oliver Jeges schreibt: „Wir sind die Generation, die nichts mit sich anzufangen weiß und sich permanent fragt: Leben – wie geht das? Wir wollen tun, worauf wir Lust haben, wollen nur Erlebnis, aber nie Alltag. Ist das vielleicht die Lebenslüge unserer Generation? Uns alle eint die Sorge, nicht dahin zu gelangen, wo wir uns in unseren Vorstellungen sehen. Die Sorge, dass wir vielleicht die falschen Entscheidungen treffen. Wir wollen unsere Träume wahr werden lassen, haben aber nie gelernt, was zu tun ist, wenn das nicht klappen sollte.“

So sehr wir uns als Über-Fünfunddreißigjährige auch an der Unschlüssigkeit und der Unverbindlichkeit der Jungen stoßen, vergessen wir nicht: Es ist für die Maybes gar nicht so angenehm, sich nicht entscheiden zu können. Schließlich verpasst man dann auch vieles, zum Beispiel Beziehungen, die bereits in jungen Jahren beginnen und ein Leben lang halten. Oder Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten ohne langes Zaudern anzunehmen. Auch auf das Wagnis hin, dass man erst nach und nach in etwas hineinwächst, wenn man wagt, es zu tun. Stattdessen ist da die Angst, man würde etwas verpassen, wenn man sich festlegt.

„Schauen wir mal“

Da ich nicht nur Mutter dreier Kinder der Maybe-Generation bin, sondern auch beruflich viel mit jungen Leuten zu tun habe, sind mir Aktionen wie die variable Geburtstagsfestplanung nichts Neues. Und ehrlich gesagt: Wir sind von der Generation Maybe vielleicht mehr beeinflusst, als uns lieb ist. Auch wir Eltern sind uns in der Fülle aller Angebote nicht immer sicher, wofür wir uns entscheiden sollen. In der Stadt, in der ich lebe, gibt es ein geflügeltes Wort: „Schauen wir mal!“

Wenn uns jemand fragt: „Wollen wir uns treffen?“, antworten wir gern mit diesem Satz. Ich ertappe mich auch immer wieder, dass ich mit „Schauen wir mal!“ antworte, wenn ich mich nicht festlegen möchte. Im Grunde genommen warte ich dann darauf, ob noch „etwas Besseres“ für dieses Datum in mein Leben kommt. Dabei bin doch gerade ich eine Verfechterin des wichtigen Bibelwortes: „Euer Ja sei ein Ja! Euer Nein ein Nein!“ (Matthäus 5,37). Das zitiere ich gern den lieben Maybes in meinem Leben.

Zusammenleben mit Maybes

Diese Erkenntnis hat mich den Maybes gegenüber verständnisvoller gestimmt. Es fällt tatsächlich schwer, aus dem riesigen Angebot zu wählen, das uns heute allerorts geboten wird.

Ich will Verständnis haben für die jungen Menschen, die so viel mehr Möglichkeiten vor Augen haben, als wir das in unserer vordigitalen Zeit hatten. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Verabredungen oder Familienfeiern nicht eingehalten werden können. Für uns als Familie haben wir eine Lösung gefunden, die meist alle glücklich macht. Wir sprechen uns am Sonntag jeder Woche ab: Wie ist der ungefähre Plan aller für die kommende Woche? Welche Termine, die uns alle betreffen, sind wirklich wichtig für jeden Einzelnen von uns? Es klappt manchmal gut, manchmal weniger gut. Aber seit wir darüber reden und mitunter lachen können, fällt es auch uns „Oldies“ leichter, mit der scheinbaren Unverbindlichkeit umzugehen. Nicht selten kommt ein Anruf unserer Kinder, die mit einem humorvollen Unterton meinen: „Mama, du weißt, hier spricht dein Maybe … Wegen Mittwochabend …“

Corona kann auch Segen sein

Unsere Maybe-Generation macht gerade eine schwere Zeit durch: Corona hat sie in die Knie gezwungen. Plötzlich sind die Möglichkeiten beschränkt. Es ist für uns alle eine harte, eine gute Schule. Ein Kurs im Dankbarsein für das, was wir trotz allem noch haben. Minimalismus im Angebot kann für geraume Zeit ein Segen sein. Jedenfalls habe ich unsere Maybes selten so entspannt erlebt wie in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen: „Endlich muss ich mich für nichts entscheiden, weil es nur eine Sache zu tun gibt!“

Einmal Maybe, immer Maybe?

Neulich fragte mich unser ältester Sohn per WhatsApp, ob wir an einem bestimmten Feiertag auf seine Kinder aufpassen könnten. Ich wollte mich zuerst mit meinem Mann absprechen. Dann vergaß ich es, und als es mir wieder einfiel, hatte ich gerade zu tun und dachte, vielleicht hat sich das Ganze ja schon erledigt und ich könnte an diesem Tag etwas mit Freunden unternehmen. Drei Tage vor dem Termin fragte mein Sohn nach: „Wisst ihr bereits, ob ihr das übernehmen könnt?“ Ich zögerte. Höflich wie er ist, fragte er nicht laut: „Mama, bist du jetzt auch ein Maybe?“ Aber im Unterton seiner Stimme meinte ich, genau das zu hören!

Tja, unsere Maybe-Kinder sind erwachsen geworden. Spätestens wenn sie selbst Eltern sind und Verantwortung tragen, weicht das Zaudern und Zögern einer Erkenntnis: Manchmal gibt es keine Wahlmöglichkeit! Es gilt vielmehr, den eingeschlagenen Weg mit der Hilfe Gottes zu bewältigen. Dann weicht dem „Vielleicht“ ein „So ist es“.

Roswitha Wurm ist Förderpädagogin und Kinderbuchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Ihre Webseite ist lesenmitkindern.at

Keine Angst vor Verbindlichkeit

Ein wunderschönes Brautkleid, zu Tränen gerührte Gäste, Blumenmädchen und eine Bilderbuchehe bis der Tod uns scheidet. Das waren meine Vorstellungen von Hochzeit und Ehe, bevor es mit dem Heiraten konkret wurde. Wie diese Entscheidung nach Außen wirkte, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.

Als es dann soweit war, war ich 22 Jahre alt und wollte einfach nur meinen David heiraten. Für mich war wichtig, eine Verbindlichkeit für das gemeinsame Leben mit dem Mann einzugehen, den ich liebe.

Doch so klar und einfach diese Entscheidung für uns war, war sie nicht für alle Menschen in unserem Umfeld. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt noch und bei meinen Kommilitonen warf diese Entscheidung viele Fragen auf. Ganz vorne dabei waren zwei Fragen: „Wie alt seit ihr denn?“ und „Woher nehmt ihr das Geld?“. Scheinbar war für viele die Heiratsfrage eine Frage des Alters und des Geldes. In Gesprächen mit Altersgenossen wurde oft zum Ausdruck gebracht, dass man mit Anfang 20 so eine Entscheidung gar nicht treffe könne, weil das Leben doch jetzt gerade erst anfinge. Wer weiß schon, wo man in 10 Jahren steht? Natürlich kann man nicht in die Zukunft sehen, aber mit 30 weiß ich genauso wenig wie sich meine Zukunft entwickelt. Den Rest seines Lebens mit einem Partner zu verbringen, scheint für die meisten jungen Leute wenig attraktiv zu sein. Eine Ehe wird eher als Hindernis für die persönliche Entfaltung gesehen. Ich kann für mich nur sagen, dass ich mich in meiner Persönlichkeit noch nie so gut entfalten konnte, wie mit meinem Mann an der Seite, der mich in jeder Herausforderung des Lebens begleitet und bestärkt. Der mir Ideen gibt, wenn ich keine mehr habe und der oft eine andere Sichtweise auf die Dinge hat. Zu zweit ist jede Herausforderung nur noch halb so groß.

Eine Frage des Geldes?

Dann war da ja noch die Sache mit dem Geld. Ja, eine Hochzeit kostet Geld. Doch obwohl ich mich im Studium befand, hat es hingehauen. Schlussendlich geht es doch darum, die Liebe zueinander zu feiern. Ob in einem Schloss oder im Gemeindehaus von nebenan, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Für uns war einfach wichtig, im Kreis unserer Familien und Freunde „Ja“ zu einem gemeinsamen Leben zu sage und dieses „Ja“ unter Gottes Segen zu stellen. Dafür brauchte es nicht viel Geld und keiner der Gäste hat sich je beschwert, dass es keine Stuhl-Hussen gab, dass die Deko ein wenig zusammengewürfelt war oder dass der ein oder andere Gast Kuchen mitbringen musste.

Hand in Hand durch stürmische Zeiten

Dass eine Ehe zu führen nicht immer einfach ist und dass man nicht jeden Tag gut miteinander auskommt, scheint für die meisten jungen Leute nicht in der Vorstellung von Ehe enthalten zu sein. Die wichtigen Dinge des Lebens, wie Zusammenhalt, Loyalität, Kompromissbereitschaft, Vergebung und Empathie habe ich noch nie so intensiv erlebt, wie in den vergangenen drei Ehejahren. Mein Mann und ich führen keine perfekte Beziehung, wir verstehen uns auch nicht jeden Tag gleich gut, aber wir sind durch das Band der Ehe fest verbunden. Ich kann darauf vertrauen, dass wir zueinander halten, auch wenn wir uns ab und zu mal streiten. Wir haben eine gemeinsame Basis, von der alle Entscheidungen ausgehen. Dieses Fundament lässt sich nicht so einfach durch Streit oder Unstimmigkeiten zerschlagen, weil wir wissen, dass der Partner sich entschieden hat, für ein gemeinsames Leben, so wie wir sind.

So hart das vielleicht klingt, ich weiß nicht, ob mein Mann und ich noch zusammen wären, wenn wir nicht geheiratet hätten. Vielleicht hätte ich in Krisenzeiten einfach aufgegeben und den leichteren Weg der Trennung gewählt, wenn es die gemeinsame Basis nicht gegeben hätte. Umso schöner ist es doch zu sehen, das man viele Krisen oder Streits auch als Ehepaar überwinden kann.

Doch dieses Verständnis von Ehe ist, meiner Erfahrung nach, in unserer Gesellschaft verloren gegangen. Der Drang nach Perfektion und Vollkommenheit in allen Lebensbereichen ist groß, sodass die Entscheidung für eine verbindliche Partnerschaft schwer fällt. Ständig muss alles abgewogen und bewertet werden, damit man den perfekten Zeitpunkt oder das perfekte Alter nicht verpasst. Doch die Menschen sind nicht vollkommen. Ist es nicht viel einfacher nicht perfekt sein zu müssen? Die Gewissheit, dass man nicht alles richtig machen muss, um geliebt zu werden. Das Gott mir jemanden an die Seite stellt, mit dem ich mein Leben leben darf, so wie es eben kommt. Das ist für mich Ehe.

Eine richtige Entscheidung

Zum Glück standen unsere Familien immer voll hinter uns und freuten sich mit uns über die Entscheidung zu heiraten. Wir waren beide 23 Jahre alt und die Hochzeit war der schönste Tag unseres Lebens, weil wir unsere Liebe zueinander feierten. Ich glaube es wäre ganz egal gewesen, wie dieser Tag verlaufen wäre. Es war etwas ganz besonderes „Ja“ zueinander zu sagen. Auch wenn es den ganzen Tag geregnet hat (und das im Hochsommer), die Eisbombe schon halb geschmolzen war und der Standesbeamte mich mit Daniel anstatt David verheiraten wollte. Wenn ich mich an meine Hochzeit erinnere, dann habe ich immer ein Gefühl von Geborgenheit. Wir müssen unser Leben jetzt nicht mehr alleine bewältigen, wir haben jemanden zur Seite gestellt bekommen, mit dem wir durch Leben gehen dürfen.

Doch auch nach diesem Fest muss ich mich noch oft rechtfertigen. Die Frage nach meinem Alter ist allgegenwärtig, noch viel häufiger seit unsere Tochter auf der Welt ist. Fast niemand, der uns als Paar oder als Familie sieht, geht davon aus, dass wir verheiratet sind. Am häufigsten tauchen  die Fragen in meinem beruflichen Umfeld auf. Oft finde ich diese ganzen Erklärungen lästig, manchmal macht es mich aber auch stolz diesen Weg gegangen zu sein.

Insgesamt bin ich froh in jungen Jahren das Leben von dieser spannenden Seite kennenlernen zu dürfen. Wenn ich 10 Jahre lang darüber nachgedacht hätte, ob Heiraten die richtige Entscheidung ist oder ob David wirklich der richtige Mann ist, ich hätte vermutlich die eigentliche Bedeutung von Ehe aus den Augen verloren. Ich habe letztlich auf mein Gefühl gehört und hatte keine Angst vor falschen Entscheidungen, denn ich lebe in dem Vertrauen, dass mein Leben nicht allein in meiner Hand liegt, sondern dass es einen Gott gibt, der am Ende alles gut werden lässt. Auch eine Ehe, die mit Anfang 20 beginnt.

 

Annabell Meyer ist seit 3 Jahren verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Essen.

 

Weitere Beiträge zu diesem Thema sind in der Family 1/2018 zu lesen.

Damit es nicht zum Patt kommt

Entscheidungen bestimmen die Richtung unseres Lebens. Sie beeinflussen, wie sich die Liebe entfaltet und welche Gestalt das gemeinsame Leben annimmt. Und manchmal fordern Entscheidungen die Kompromissbereitschaft eines Paares sehr heraus.

„Wir dürfen so vieles gemeinsam entscheiden.“ Myriam und ich standen ganz überwältigt vor diesem Privileg, als wir nach der Hochzeit in unsere erste gemeinsame Wohnung zogen. Von der Einrichtung und Organisation unseres Haushalts über die Freizeitgestaltung bis hin zu den Weichenstellungen, die bestimmt haben, wie sich unser Freundeskreis entwikkelt. Viele Entscheidungen haben eine Welt eröffnet, die wir dann gemeinsam betreten durften. Mit jeder Entscheidung haben wir entweder am Guten aus unseren Herkunftsfamilien festgehalten oder haben einen eigenen Weg eingeschlagen, der etwas aus unserer Vergangenheit hinter sich gelassen hat. In vielem haben wir so entschieden, wie es die meisten anderen auch tun, einfach weil das unkompliziert und kraftsparend ist. In anderem haben wir Wege gewählt, die selbst für Menschen, die uns nahe standen, erklärungsbedürftig waren. Und natürlich gab es auch umkämpfte Entscheidungen, wenn Prioritäten zunächst weit auseinander lagen. In unserer Beziehung, aber auch bei Paaren, die ich begleite, habe ich folgende Erfahrung gemacht: Unterschiedliche Wünsche und Werte lassen sich zusammenführen, manchmal geht es schnell, wenn die Unterschiede nicht allzu groß sind, manchmal dauert es länger. Wenn ein Paar aber bei einer Entscheidung nicht weiterkommt, ist es vielmehr der Entscheidungsprozess, der Probleme macht. Für diesen sind folgende Faktoren wichtig: die Motivation, das Urteilen und die Kompromissbereitschaft. Auf allen drei Ebenen gibt es nämlich jeweils zwei gegensätzliche Herangehensweisen. Das kann Paare in eine Pattsituation bringen.

DIE MOTIVATION: HOFFNUNG ODER FURCHT
Der Motivationspsychologe Heinz Heckhausen entdeckte zwei gegensätzliche Motivationen, die Menschen zu ihren Entscheidungen bewegen: Hoffnung auf Erfolg und Furcht vor Misserfolg. Manche Menschen haben vor allem das Schöne im Blick, das durch eine Entscheidung in ihr Leben kommen könnte. Andere sehen auf die Risiken und wollen diese so klein wie möglich halten. Sicher können Sie nachvollziehen, dass eine Entscheidungssituation völlig anders aussieht, je nachdem ob einer die Brille einer Erfolgshoffnung oder die Brille eines möglichen Misserfolges aufsetzt: Antje und Dirk überlegen, ob sie vielleicht einmal auf einer Nordseeinsel Urlaub machen. Antje riecht bereits den salzigen Wind, sieht die Dünen vor sich und spürt das überwältigende Gefühl, ganz von Meer umgeben zu sein. Dirk dagegen sieht die verregneten Tage, an denen die Kinder in der Ferienwohnung quengeln. Er ahnt die teuren Überraschungen, die einem der Einkauf auf einer Insel bescheren könnte. Gerne würde ich nun empfehlen: „Beides ist wichtig. Die Aussicht auf das Schöne und der Blick auf die Risiken, der vor bösen Überraschungen schützt.“ Nur würde das nicht dem Stand der Motivationsforschung entsprechen. Menschen, die durch Hoffnung auf Erfolg motiviert werden, geht es nicht nur besser, sie erreichen auch mehr. Wenn es hier Unterschiede gibt, lässt sich der ängstlichere Partner besser vom zuversichtlicheren leiten. Natürlich muss man bei Entscheidungen die Risiken prüfen. Sie sollten aber nicht zur ausschlaggebenden Motivation werden.

DAS URTEIL: KOPF ODER BAUCH
Jeder Mensch trägt zwei Systeme in sich, um Situationen zu beurteilen: ein intuitives und ein rationales. Das beschreiben zum Beispiel die Psychologin Maja Storch („Das Geheimnis kluger Entscheidungen“) oder der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman („Schnelles Denken, langsames Denken“). Unsere Intuition urteilt blitzschnell. Ihr Ergebnis teilt sich oft als Gefühl oder Körperempfindung mit. Dabei wird eine Situation mit vielen ähnlichen Situationen verglichen, die wir schon einmal erlebt haben. Das rationale Urteilen muss die Situation analysieren und Pro und Kontra gegeneinander abwägen. Das dauert länger und ist grundsätzlich nie abgeschlossen – wer könnte nicht durch weiteres Nachdenken noch andere Aspekte entdecken, die für die Entscheidung eine Rolle spielen? Auch hier kann ein Paar zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, wenn ein Partner mehr zum rationalen, der andere zum intuitiven Urteilen neigt. So könnte beispielsweise der Vermögensberater sagen: „Sie können sich das Haus leisten, aber es wird dann schon eng. Sie müssen sich das überlegen, ob Sie unter Umständen ein paar Jahre sehr sparsam leben wollen.“ Ihre Intuition sagt vielleicht: „Das packen wir.“ Sein rationales Urteil fühlt sich aber zu einer solchen Entscheidung außer Stande. Denn die Faktoren, die entscheiden, wie es finanziell wird, liegen in der Zukunft und sind der Analyse noch nicht zugänglich. Hier ist es die Entscheidungsforschung, die eine Empfehlung gibt: „Wenn es um eine wichtige Sache geht, dann triff nur eine Entscheidung, bei der sowohl deine Intuition als auch dein rationales Urteilsvermögen zum gleichen Ergebnis kommen.“ Paare können also ihr rationales und intuitives Urteilen zusammenführen, wenn sie hier unterschiedlich sind. Nach dieser Regel sollte sich das Paar in unserem Beispiel nur für das Haus entscheiden, wenn auch das rationale Urteil positiv ausgeht: „Wir sind bisher immer gut und entspannt mit Engpässen umgegangen. Das können wir wagen.“ Wenn es noch kein rationales „Ja“ gibt, kann sich das Paar für ein günstigeres Haus entscheiden oder die Entscheidung vertagen und vielleicht einmal ein Jahr lang besonders sparsam leben. Das steigert nicht nur das Eigenkapital, sondern schafft auch Erfahrungswerte, wie es einem Paar in einer finanziell knappen Situation geht.

DIE KOMPROMISSBEREITSCHAFT: SELBSTBEWAHRUNG ODER OPFER
Es gibt Entscheidungssituationen, die sich nur auflösen lassen, wenn einer ein Opfer bringt. Auch hier kann man auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Manche Partner verhalten sich bei Entscheidungen selbstbezogen. Sie wollen ihre Komfortzone nicht verlassen und verstehen nicht, dass ein gemeinsames Leben manchmal Opfer erfordert. Andere dagegen bringen derart große Opfer, dass sie sich mit den Folgen überfordern, bitter werden oder sich selbst in der Beziehung verlieren. Führende Paartherapeuten wie zum Beispiel der Frankfurter Psychoanalytiker Michael Lukas Möller oder der amerikanische Paar- und Sexualtherapeut David Schnarch raten hier Folgendes: „Wo Sie ein Opfer bringen müssten, das Ihrer Persönlichkeit oder Ihren Überzeugungen Gewalt antut, sollten Sie das Opfer nicht bringen.“ In allen übrigen Entscheidungen kann es ein starker Ausdruck von Liebe sein, für den anderen ein Opfer zu bringen (und für den anderen ist es dann eine Kunst, das Opfer auch anzunehmen). In meiner Arbeit mit Paaren orientiere ich mich an der Faustregel: Veto vor Wunsch. Wenn sich der eine etwas wünscht (ein drittes oder viertes Kind, ein Pflegekind, eine kommunenartige Lebensform, ein Aussteigerjahr im Ausland) und sich der andere wirklich damit überfordert fühlt, schadet es der Beziehung weniger, wenn einer verzichtet als wenn der andere sich auf etwas einlässt, das ihn dauerhaft überfordert. Beides, ein Verzicht oder ein Opfer, kann ein Paar an die emotionalen Grenzen führen. Es kann dann entlastend sein, sich in einigen Gesprächen durch den Entscheidungsprozess begleiten zu lassen. Das Einnehmen unserer ersten Wohnung und unseres gemeinsamen Lebens ist inzwischen 18 Jahre her. Wir haben seither viel miteinander erlebt und aufgebaut, was wunderschön ist. Aber wir haben auch einiges nicht erreichen können, was uns heute manchmal schmerzt. Das Leben ist begrenzt, und unsere Entfaltungsmöglichkeiten sind es ebenfalls. Zum Entdeckermut haben wir im Laufe der Jahre eine weitere Fähigkeit gewonnen: die Fähigkeit zum Verschmerzen dessen, was nicht möglich war. Manche scheuen den Schmerz aus Furcht, er verderbe einem, was schön im Leben ist. Aber wir erfahren zusammen mit vielen anderen Paaren: Wer sich ab und zu schmerzlichen Gefühlen stellt und betrauert, was nicht möglich war, kann von Herzen loslassen.
Das vertieft das gemeinsame Glück.

 

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg.

In 7 Schritten zum schönen Kindernamen

Letztens in der Mittagspause im Verlag: Unser Kollege Christian Hausberg erzählt, wie er und seine Frau einen Namen für ihr Kind auswählen. Wir sind beeindruckt. Und wollen euch das nicht vorenthalten:

Wir erwarten unser erstes Kind. Alle Klamotten sind organisiert und das zukünftige Kinderzimmer ist fertig eingerichtet. Nur mit der Namensfindung tun wir uns schwer – jeder hat seinen Favoriten. Daraufhin haben wir uns Zeit genommen und auf spielerische Art einen Pool an möglichen Namen erarbeitet – mit drei Namen, die uns beiden gut gefallen.

Hier unsere kleine Anleitung zur Namenssuche, die wir beim nächsten Kind wieder anwenden wollen:

  1. Namensbücher und Internetseiten nach Namen durchforsten
  2. Jeden potenziell denkbaren Namen auf je einen Zettel schreiben (wenn möglich mit Bedeutung)
  3. Alle Karten in der Mitte knicken, wieder aufklappen und dann auf einen großen Tisch verteilen
  4. Bewertung abgeben: Auf der eine Hälfte der Rückseite gibt die Frau ihre Bewertung zwischen 1 (schlecht) und 5 (gut) ab. Auf der anderen Hälfte der Mann. Wichtig ist, dass man die Bewertung des Partners nicht sieht, um sich nicht beeinflussen zu lassen.
  5. Karten umklappen
  6. Alle Namen, die in der Summe weniger als 6 Punkte haben, scheiden aus. Hilfreich ist es, eine Art Ranking zu machen, in dem man die Namen anhand der Punkte sortiert.
  7. Jeden Namen nach folgenden Gesichtspunkten prüfen und dadurch die Anzahl der Namen auf ein Minimum reduzieren: Bedeutung/Herkunft, Klang zum Nachnamen, Klang zu den Vornamen der Eltern (und evtl. Geschwister), Visuell: Geschriebener Name zum geschriebenen Nachnamen

Unsere Entscheidung steht zwar noch aus, aber die Wahl wird wesentlich einfacher sein – zwischen schön, schön und schön.

Christian Hausberg, Mediengestalter Web-Services