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Erben und weitergeben

Manche Werte „vererben“ sich von Generation zu Generation. Manchmal muss man sich aber bewusst für oder gegen einen Wert entscheiden, der in der Herkunftsfamilie wichtig war.

Es gibt wohl kein wertvolleres Geschenk, als der nächsten Generation gute Werte mitzugeben. In der Kindheit vermittelte Werte prägen den Menschen ein Leben lang. Besonders als Eltern haben wir einen sehr großen Einfluss auf das Werteempfinden unserer Kinder. Andererseits sind wir selbst von den Werten in unserer Herkunftsfamilie geprägt. Das w irft für mich Fragen auf: Welche Werte habe ich aus meiner Herkunftsfamilie mitbekommen? Welche Werte haben mein Leben bisher geprägt? Und gibt es Werte, die ich ablehne? Als Christin ist es mir wichtig, unseren Kindern nicht irgendwelche Werte zu vermitteln, sondern solche, die aus Gottes Sicht gut sind. Wenn ich das Wertefundament meiner eigenen Herkunftsfamilie genauer unter die Lupe nehme und daraufhin prüfe, stelle ich fest: Ich habe sowohl gute christliche Werte erfahren als auch solche, die gesellschaftlich nicht als schlecht gelten, aus Gottes Sicht aber nicht in Ordnung sind. Es gibt Werte, die ich bewusst oder unbewusst übernommen habe. Aber es gibt auch welche, die ich ganz bewusst nicht übernehmen möchte. Werte, die ich ablehne und auf die ich schon bei kleinsten Bemerkungen, die manchmal im Familienleben fallen, extrem allergisch reagiere.

VERGEBEN UND VERZEIHEN
Wenn ich zum Beispiel an Situationen zurückdenke, in denen „kleine“ Notlügen innerhalb der Familie in Ordnung waren, sträuben sich mir heute noch die Haare. Ich habe für mich entschieden, dass in unserer Familie diese Art von gesellschaftlich akzeptierten Notlügen keinen Platz hat. Ich lehne es rigoros ab, weil es für Gott keine kleinen, großen, guten oder bösen Lügen gibt. Ich weiß, dass der eigentliche Grund dahinter oft Angst, Bequemlichkeit oder Stolz ist. Und genau deshalb wollen wir in unserer Familie absolute Ehrlichkeit leben, in dem Wissen, dass wir gnädig miteinander umgehen, wenn wir uns gegenseitig Fehler eingestehen. Das hat einen weiteren Wert zur Folge: Vergeben und Verzeihen. Wie oft habe ich als Kind darunter gelitten, wenn es Streit in der Familie gab, eine Person sich beleidigt zurückzog und stundenlang wortlos in meiner Nähe war. Solche Situationen waren f ür m ich u nerträglich. Fast immer habe ich den ersten Schritt zur Versöhnung gemacht. Wie sehr wünschte ich mir, dass einmal der andere diesen ersten Schritt wagen würde. Diese Erfahrungen haben dazu geführt, dass ich mir in meiner eigenen Familie eine aktive Versöhnungskultur wünsche. Kein Familienmitglied darf durch sein Beleidigt- Sein Macht auf den anderen ausüben. Jeder sollte seinen eigenen Stolz erkennen und überwinden lernen, um sich beim Gegenüber zu entschuldigen. Natürlich darf das nicht als Floskel und ohne jegliches Mitgefühl oder Schuldeingeständnis geschehen. Die Situation muss offen und ehrlich besprochen werden. Es kostet zwar immer wieder Kraft, in solchen Situationen den Kindern zu erklären, warum Versöhnung wichtig ist. Bei kleineren Kindern hilft es, eine passende Geschichte zu erzählen oder vorzulesen und darüber ins Gespräch zu kommen. Vor einiger Zeit bin ich auf das sehr hilfreiche Buch „Werte für Kinder“ von Bärbel Löffel-Schröder (Gerth Medien) gestoßen, auf das ich in gegebenen Situationen zurückgreifen kann. Zum Weiterdenken Welche Werte waren in meiner Herkunftsfamilie wichtig? Welche Werte habe ich übernommen? Welche Werte sind mir nicht so wichtig? Welche Werte sind mir wichtig, die in meiner Herkunftsfamilie keine Rolle spielten?

GUTES ÜBERNEHMEN
Natürlich wurden in meiner Herkunftsfamilie nicht nur Werte gelebt, die ich heute ablehne, sondern auch gute Werte, die ich gerne weitergeben möchte wie Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit. Gerade in unserer schnelllebigen digitalen Zeit beobachte ich, dass die Verbindlichkeit immer mehr abnimmt. Wie schnell ist per WhatsApp ein Treffen abgesagt, das Kind vom Training entschuldigt oder eine Verspätung angekündigt, weil spontan etwas dazwischengekommen ist. In meiner Kindheit wurden Termine, Trainingszeiten, Verabredungen eingehalten, auch wenn man manchmal lieber eine andere Option gewählt hätte. Dadurch habe ich gelernt, dass Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit wichtig sind, um Vertrauen zu stärken und dem anderen Respekt entgegenzubringen. Und ich erwarte diese Verbindlichkeit auch von meinen Mitmenschen, weil sie die Basis für ein gutes Miteinander ist. Unseren Kindern leben wir diesen Wert bestmöglich vor und erinnern sie immer mal daran. Die Gastfreundschaft ist ein weiterer Wert, der in meiner Herkunftsfamilie über mehrere Generationen hochgehalten wurde. Jederzeit konnten unverhofft Gäste kommen – ob zum Essen oder Übernachten. Ich habe die Anwesenheit von Gästen immer als wertvoll und bereichernd empfunden. Deshalb möchten auch wir als Familie offen und herzlich Gäste begrüßen, ohne dass es für uns in Stress ausartet. Die Gäste sollen sich wie zu Hause fühlen und nicht den unbehaglichen Eindruck haben, dass wir ihretwegen unseren Familienalltag, das Haus oder die Essensplanungen auf den Kopf stellen. Das verstehe ich unter wertvoller Gastfreundschaft. Dabei beobachte ich, dass unsere Kinder sich außerordentlich freuen und wissbegierig alles aufsaugen, was sie in dieser Zeit von den Gästen hören und sehen.

MEGA-WERT
Ich bin davon überzeugt, dass es wichtig ist, gute Werte zu leben und an die nächste Generation weiterzugeben. Jedoch können sämtliche Werte nichts bewirken und keinen positiven Einfluss auf unser Umfeld und unsere Familie haben, wenn nicht über allem ein Mega-Wert liegt. Und zwar der Mega-Wert schlechthin, der nur in Gott in seiner vollkommenen Ausprägung zu finden ist: die Liebe.

Carolin Schmitt arbeitet als Wirtschaftsingenieurin und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in Karlsdorf/Baden. Sie veröffentlicht von Zeit zu Zeit ihre Gedanken auf dem Blog www.morethanpretty.net.

 

 

Zum Weiterdenken
– Welche Werte waren in meiner Herkunftsfamilie wichtig?
– Welche Werte habe ich übernommen?
– Welche Werte sind mir nicht so wichtig?
– Welche Werte sind mir wichtig, die in meiner
– Herkunftsfamilie keine Rolle spielten?

„Du bist wie deine Mutter“

Wir ähneln unseren Eltern, ob wir es wollen oder nicht. Sechs Autorinnen und Autoren haben dem nachgespürt, was sie von ihren Müttern und Vätern geerbt und übernommen haben.

WEGWERFEN? UNDENKBAR!

Was ich von meinem Vater gelernt habe, lässt sich an einem alten Tannenbaumständer beschreiben. Jahr für Jahr war dieser Ständer wackelig und brauchte immer neue Keile, um den Baum zu halten. Aber mein Vater hatte die Devise: „Was nicht passt, wird passend gemacht!“ Dabei ging es nicht um „stylish“, sondern um praktisch und vor allem darum, Geld zu sparen. Schon früh habe ich den Umgang mit Werkzeugen gelernt und zusammen mit meinem Vater überlegt, wie alte Schrauben zu lösen sind oder ein Blumentopf mit neuer Farbe lackiert werden kann. Dinge wegzuwerfen oder schnell durch Neues zu ersetzen, war undenkbar. Ich bin ihm heute dankbar dafür, so kann ich vieles selbst bauen und herstellen, wofür andere teure Handwerker brauchen. Ob ich das meinen Kindern so weitergeben kann, weiß ich allerdings nicht … Vaters Werkstatt war eine übersichtlich geordnete Schar an aufgehängten Dingen. Für alles und nichts wurde ein Nagel oder Haken in die Wand geschlagen und Seile, Schraubzwingen, Keile und Maulschlüssel wurden fein säuberlich aufgereiht. Der Tannenbaumständer hat so jedenfalls fast 20 Jahre mit stetigen Reparaturen überlebt, bis er so hässlich war, dass er den Weg in den Sperrmüll fand. Auch da erlebe ich heute meine Grenze: Räder zu pflegen und zu reparieren, Regale umzubauen – das hat Sinn. Aber Dinge totzupflegen aus dem Unwillen (oder sagen wir ruhig Geiz), Neues zu investieren – da greift meine Familie ein.

Der Autor lebt mit seiner Familie im Südwesten Deutschlands.

 

KRANKE PSYCHE

Irgendwann in meiner Jugend begriff ich, dass meine Mutter nicht gesund ist. Ihre Psyche ist erkrankt. Die Stimmungsschwankungen forderten uns als Familie täglich heraus. Manchmal war es so schlimm, dass sie in eine selbstzerstörerische Phase rutschte. Besonders in den Nächten war sie unruhig, oft betrunken und hin und her gerissen zwischen Hass auf irgendjemanden oder Todessehnsucht. Ich dachte als Kind: So sind Erwachsene nun mal. Es hat mir später als Erwachsene jahrelang wehgetan zu verstehen, dass meine Familie gelitten hat, weil meine Mutter sich keine Hilfe suchen wollte und mein Vater schwieg. Schuld waren in Mutters Augen doch sowieso die anderen, die sie alle falsch behandelten, beleidigten und missachteten. Es gab in meinem Leben keinen Urlaub oder kein Familienfest mit der Anspannung: Wie geht es meiner Mutter? Als ich selbst Mutter wurde, entdeckte ich ähnliche Spannungen in mir. Die Angst, ebenso unberechenbar zornig zu werden, wurde immer größer. Schließlich saß ich bei einem Facharzt, um die Frage zu stellen: „Ist die psychische Erkrankung meiner Mutter erblich?“ Mir hat es gutgetan, die Hintergründe der Krankheit erklärt zu bekommen und auch die Strukturen einer schlechten Phase. Ich habe verstanden, dass meine sehr empfindsame Wahrnehmung als Schutz vor der Unberechenbarkeit meiner Mutter entstanden ist und ich deshalb auch viel schneller erschöpft bin als andere. Besonders wichtig wurde dieses Erbe meiner Familie, als eines meiner Kinder mit meiner Mutter Ähnlichkeit bekam. Nicht nur die Hände meines Kindes sind so feingliedrig wie ihre, sondern auch sein finsterer Blick bei Unverständnis erinnerte mich schaudernd an die Krisen meiner Kindheit. Gebe ich dieses Erbe nun weiter? Es braucht bis heute, dass ich bewusst die Fachinformationen in mein Wissen rufe: Dieses Erbe ist keine genetische Erkrankung. Ich habe aus den seelischen Unsicherheiten und Schmerzen meiner Kindheit meine feinfühlige Kompetenz für Menschen gewonnen und kann das mittlerweile als Gutes erkennen. Um mein Kind sorge ich mich immer noch manchmal … Wird es sich ausdrücken können, oder bleiben Emotionen ohne angemessene Ausdrucksform? Bis heute umfängt mich eine Welle von Trauer zwischendurch, dass meine Familiengeschichte durch die Erkrankung eines Menschen so geprägt wurde. Es bleibt trotz aller inneren Wege eine Wunde.

Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Rheinland-Pfalz.

In Family 6/16 finden Sie weitere Statements zu diesem Thema.