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Mein unsichtbarer Freund

„Unser Sohn (4) hat seit kurzem einen unsichtbaren Spielgefährten. Wenn wir ihm seinen unsichtbaren Freund ausreden wollen, wird er wütend. Müssen wir uns Sorgen machen?“

Internationale Studien sagen, dass 37 Prozent der Kinder zwischen drei und sieben Jahren eine Weile mit einem imaginären Freund zusammenleben. Ihre Freunde entstehen in der Fantasie, sie sind mal bärenstark und schlau, mal keck und klein, aber immer unsichtbar. Andere Kinder beseelen zusätzlich ihre Stofftiere oder Gegenstände, mit denen sie reden und streiten, die sie ständig begleiten und schützen. Ein Ball im Wasser kann ein Delfin sein, ein Stock ein Pferd. Kommt ein Erwachsener hinzu, ist es sofort wieder der Stoffhase, Stock oder Ball. Das Kind wechselt blitzschnell zwischen seiner Fantasiewelt und der Realität. Insgesamt leben, laut Studien, 67 Prozent der Vorschulkinder in ihrer eigenen Vorstellungswelt.

FANTASIEVOLL UND INTELLIGENT

Ihr Kind „spinnt“ also nicht, es ist vielmehr eine ganz normale Entwicklung, es zeugt sogar von Intelligenz in diesem Alter zwischen Vorstellung und realer Welt umdenken zu können. Ihr Kind erfindet einen Fantasiefreund, der nicht immer ein Mensch sein muss. Diese Figuren entstehen entweder ganz in der blühenden Einbildungskraft oder werden durch Geschichten angeregt.
Der eingebildete Freund begleitet Ihr Kind nun Tag und Nacht, er muss sich nicht an Regeln halten, tut Dinge, die man niemals mit Mama oder Papa machen kann (zum Beispiel mit einem Einhorn durch den Wald reiten), er schützt das Kind oder ermutigt es. Gerade Einzelkinder suchen sich häufig einen Freund, der immer bei ihnen ist.

NEHMEN SIE IHR KIND ERNST

Wir Erwachsene leben ständig in einer realen Welt, es fällt uns häufig schwer, uns auf die „verrückten“ Ideen unserer Kleinen einzulassen. Gehen Sie auf den unsichtbaren Freund ein und lassen Sie ihn erzählen. So können Sie erfahren, was Ihr Kind bewegt, wovor es Angst hat, was es sich nicht zutraut oder wie es gerne wäre. Eher schüchterne Kinder werden sich einen starken Freund aussuchen. Großstadtkinder mit wenig Platz zum Toben suchen manchmal in ihrer Vorstellungskraft ein freieres Leben. Dieses unsichtbare Wesen begleitet Ihr Kind durch dick und dünn und hilft ihm die Welt, außerhalb des Elternhauses, mit all den Gefahren, Verboten und Geboten zu bewältigen. Manche Kinder entwickeln sogar ihre eigene Fantasiestadt, mit einer eigenen Sprache oder eigenem Geld. In der Kindertherapie werden schüchternen, ängstlichen oder auch auffallend aggressiven Kindern diese Fantasiewesen manchmal auch als Helfer und Beschützer zur Seite gestellt.
Mit Eintritt in die Schule wird ihr Kind immer mehr reale Freunde finden. Meist brauchen Kinder dann keine unsichtbaren Freunde mehr. Die kognitive Weiterentwicklung führt bei Grundschulkindern zu kritischem Denken, sie lernen ihre Gefühle besser auszudrücken und sind motorisch geschickter. Diese erweiterten Fähigkeiten helfen Ihrem Kind, die reale Welt immer besser zu meistern.

Doris Heueck-Mauß ist Entwicklungspsychologin und Psychotherapeutin und lebt in München

Einen Freund mit 9?

„Meine Tochter (9) hat schon seit der Kindergartenzeit immer wieder einen Freund. Mehr als Händchenhalten und kleine Küsse läuft angeblich nicht. Aber mir fällt es schwer damit umzugehen. Gibt es Tipps, wie ich sie stärken und schützen kann?“

Das ist tatsächlich eine Herausforderung, und ich kann Ihr Gefühl, dass das alles sehr früh ist, nachvollziehen. Jedes Kind kommt als sexuelles Wesen mit Bedürfnissen und Empfindungen zur Welt und durchläuft in seiner Entwicklung einen Prozess, bis die Sexualität im Erwachsenenalter ausgereift ist. Mit etwa vier, fünf Jahren – in der so genannten „genitalen Phase“ – zeigen Kinder vermehrt Interesse an den eigenen Geschlechtsorganen und entdecken die Unterschiede der Geschlechter. So manche Kinder erleben schon im Kindergartenalter ein bisschen Kribbeln im Bauch und Herzklopfen, wenn „er“ oder „sie“ auftaucht. In der Grundschulzeit geht diese Phase in die „Latenzphase“ über, in der sich diese Gefühle wieder verändern. Die meisten Mädchen finden Jungs dann eher doof und umgekehrt.

AUSTAUSCH ANREGEN
Aber nicht alle Kinder sind gleich, und es gibt es auch Kinder, die weiter für ihren Freund oder ihre Freundin schwärmen. Auch wenn Freundschaften zwischen Jungs und Mädchen nicht die Regel sind, sollten sie nicht direkt als unnormal oder falsch eingestuft werden. Verhält sich Ihre Tochter grundsätzlich altersangemessen und erleben Sie keine weiteren Besonderheiten, kann ich Sie beruhigen. Dann sind die Küsschen und das Händchenhalten sicherlich harmlose Freundschaftsbekundungen. Sobald sich die Beziehung aber intensiviert oder Sie weitere Auffälligkeiten Ihrer Tochter wahrnehmen, sollten Sie genauer hinschauen und fachliche Beratung in Anspruch nehmen. Grundsätzlich möchte ich Ihnen Mut machen, einen natürlichen und entspannten Umgang mit ihrer Tochter zu haben. Kinder brauchen altersangemessene Informationen über Liebe, Freundschaft und Sexualität. Da Ihr Kind hier schon ein frühes Interesse zeigt, ist der Austausch absolut notwendig. Hierbei sollten Sie Ihrer Tochter vermitteln, dass Sie ihre Gefühle wertschätzen und dass Sie ihr diese Zuneigung gönnen. Gleichzeitig braucht Ihre Tochter aber auch die Information, dass sich „richtiges Verliebtsein“ später noch ganz anders anfühlen und eine ganz andere Dimension haben wird.

REGELN ABSPRECHEN
Und genau so sollten Sie in diesem Alter auch auf sanfte Art und Weise Einfluss darauf nehmen, wie intensiv diese Freundschaft gestaltet wird. Sprechen Sie als Mutter mit Ihrer Tochter einige Regeln ab. Es ist durchaus angemessen zu formulieren, dass es über das Händchenhalten und Küssen nicht hinausgehen soll. Und begründen Sie das. Es wäre auch ratsam, die Freundschaften zu anderen Freundinnen zu fördern. Geben Sie Ihrem Kind ein gutes Selbstwertgefühl mit auf den Weg, indem Sie als Eltern betonen, dass Ihre Tochter ein wertvolles und hübsches Mädchen ist. Und achten Sie darauf, dass der Liebestank ihres Kindes auf körperlicher und emotionaler Ebene im Elternhaus gefüllt wird. Kinder, die sich zu Hause geliebt fühlen, haben auf jeden Fall einen guten Schutz, sich nicht zu früh in Beziehungen zum anderen Geschlecht zu begeben.

 

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrer Familie in Remscheid, www.sonja-brocksieper.de.