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„Sie ist fremdgegangen“

„Unsere Tochter war ihrem Mann untreu. Nun lebt sie getrennt von ihm und ihren Kindern. Wir wissen nicht, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen. Einerseits wollen wir unserer Tochter helfen, andererseits sehen wir das Leid, das sie unserem Schwiegersohn und unseren Enkeln zugefügt hat. Was sollen wir bloß tun?“

 

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende“ – dieses klassische Ende der Kindheitsmärchen ist in unserer Seele verankert, und wie wünschen wir uns dies auch für die Ehe unserer Kinder!

Es ist eine starke Erschütterung, wenn eine Ehe zerbricht. Dies betrifft nicht nur die beiden Ehepartner und deren Kinder, sondern auch die Familien und Freunde des Paares. Es wird dann empfunden, als ob eine „Welt zusammenbricht“ und das ist es ja auch: Die Ehe- und Familienwelt fällt auseinander. Gerade die Eltern des Paares stehen verzweifelt und oft ratlos vor dem Ehe-Scherbenhaufen. Die Eltern lieben das eigene Kind, haben aber auch den Partner und die Enkel lieb gewonnen und sitzen nun buchstäblich zwischen den Stühlen.

Eltern sind nicht verantwortlich!

Zuerst ist es wichtig, dass die Eltern sich selbst auch eine Traurigkeit über diese starke Ehekrise zugestehen, aber sich gleichzeitig klar darüber werden, dass diese Krise in der Verantwortung der Ehepartner liegt. Auch wenn die Eltern vielleicht im Vorfeld keine Krise wahrgenommen haben, hätte die Mutter oder der Vater wenig Einfluss darauf nehmen können. Die Ehekrise ist in erster Linie ein Geschehen zwischen den Ehepartnern.

Es ist wichtig, dass die Eltern sich nun nicht zu einem Ehetherapeuten entwickeln, sondern – und das ist sehr viel – weiter für die Familie da sind. Dies bedeutet, dass Sie nur etwas zu dem Konflikt sagen, wenn Sie von der Tochter oder dem Schwiegersohn dazu befragt werden. Machen Sie stattdessen das Angebot: Wir sind an der Seite eurer Familie, doch ihr müsst uns sagen, wo ihr Unterstützung braucht.

Oma und Opa können den Enkeln Sicherheit geben

Diese Klarheit  ist wichtig, denn der Fokus der Eltern sollte besonders auf den Enkelkindern liegen, um Freiraum und Sicherheit für die Enkel zu gestalten. Dazu gehört, dass die Eltern nicht schlecht über die oder den eine/n Ehepartner/in vor den Enkeln sprechen. Dagegen können kleine gemeinsame Unternehmungen, Besuche und Übernachtungen mit und bei Oma und Opa Stabilität in dem wankenden Ehe- und damit auch Familienalltag für die Enkel bringen.

Die Liebe der Eltern zu ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und den Enkeln bleibt. Doch sollte gerade diese Liebe nicht dazu verführen, über die Krise zu urteilen, sondern versuchen, die Beziehungs- und die Konfliktebene zu trennen. Im besten Fall versöhnen sich die beiden Ehepartner, und dann soll ja die Beziehung zu allen Beteiligten unbelastet und frei sein. Auch in so einer starken Ehekrise liegt immer die Chance, dass die Familie gestärkt daraus hervorgehen kann.

Ute Sinn ist verheiratet mit Martin, hat drei erwachsene Kinder und lebt und arbeitet als Seelsorgerin und Künstlerin in Wetter/Ruhr.

Kein Beziehungsratgeber half diesem Paar. So wurden sie trotzdem ein Team

Früher schrien sich Jennifer Zimmermann und ihr Mann wochenlang abends an. Heute ist ihr Partner gleichzeitig ihr bester Freund.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheratgeber vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit und wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder. Die letzten zehn Einheiten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Das Ehebuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Beziehung legen wollten.

Viele Ratschläge

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

Bedienungsanleitung falsch verstanden

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen und die wohlgepflegten Rituale durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Augenringe bis zum Boden

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

Zwei Freunde

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Sonntage in der Notaufnahme

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

Immer noch ein Team

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem Paar entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Nur überleben

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Trotz allem

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

Alle suchen den idealen Partner

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

Der Prinz auf dem weißen Pferd

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

Gegen den Optimierungswahn

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Menschen mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Eheratgeber zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Freundschaft in Wüstenzeiten

Jennifer Zimmermann hatte immer mit einem Idealbild von der christlichen Ehe zu kämpfen. Mittlerweile hat sie gemerkt: Eine Ehe lässt sich nicht so leicht optimieren und die Freundschaft zu ihrem Mann trägt auch durch Wüstenzeiten.

Man sollte es gleich zu Anfang wissen: Wir sind kein Vorzeigepaar. Ich sehe uns heute noch in unserer ersten Wohnung am Frankfurter Westbahnhof sitzen. Draußen donnerten die Güterzüge und drinnen las ich mit roten Ohren das Kapitel über Sex aus unserem Eheandachtsbuch vor. Zehn von zwanzig Kapiteln lang übten wir uns in größtmöglicher Offenheit, wälzten Vorstellungen über Geld und Rollenbilder, endeten in abwechselndem Gebetsgestotter. Die letzten zehn Andachten lasen wir nie. Das einzige Buch, das wir gemeinsam (fast) bis zum Ende gelesen haben, enthielt gesammelten Poetry Slam. Ohne Gebetsaufforderungen. Das Andachtsbuch lag unterdessen auf dem Couchtisch und starrte uns vorwurfsvoll an, weil wir offenbar keinen stabilen Grundstein für unsere Ehe legen wollten.

Ich kam mit neuen Büchern und Seminarangeboten nach Hause. Mein Angetrauter verdrehte die Augen. Zurecht. Er konterte mit einer Auswahl von Restaurants, in die er mich für ein Ehedate entführen wollte. Ich seufzte, weil in mir ein kleiner grummeliger Zwerg mit Kontrollzwang wohnte, der es überhaupt nicht leiden konnte, wenn jemand anderes sein Essen kochte. Freunde erzählten mir, wie sie in ihre Beziehung investierten. Welche Rituale sie bewusst in ihren Alltag einflochten. Wie sie das gemeinsame Gebet jeden Abend durch persönliche Probleme trug. Wie dieses oder jenes Kommunikationsseminar die Weichen für ihre gemeinsame Zukunft gestellt hatte. Und ich seufzte wieder und schämte mich ein bisschen.

BEDIENUNGSANLEITUNG FALSCH VERSTANDEN

Zu Beginn unserer Ehe war ich mir sicher: Wir hatten etwas an der Bedienungsanleitung für unsere Ehe falsch verstanden. Wie konnte all das, was uns stark machen sollte, all das, was eine Partnerschaft bereichern sollte, sich so verkehrt anfühlen? So furchtbar verkrampft? Würde unsere Ehe es ohne all die Investitionen, die wohlgepflegten Rituale und die gemeinsamen Gebete durch die Abgründe schaffen, die sich im Leben manchmal so plötzlich auftun?

Der erste Abgrund kam schneller als gedacht. Schwerfällig stapften wir durch den unerwartet tiefen Sumpf frisch gebackener Elternschaft: durchwachte Nächte und völlige Fremdbestimmung. Mein Mann machte sein Examen und startete ins Referendariat. Wir bekamen ein zweites Kind. Tageweise entlud sich all die Anspannung in erbitterten Kämpfen, die wir abends auf dem Sofa ausfochten. Tagsüber waren wir zwei abgeschaffte, zerzauste Menschen mit hängenden Schultern und Augenringen bis zum Boden, die um alles in der Welt versuchten, ihre Kinder nicht anzuschreien.

In dieser Zeit waren wir vor allem eins: Freunde. Zwei Freunde, die sich hin und wieder auf die Schultern klopften. Zwei Freunde, die beschlossen hatten, gemeinsam durch die guten und die schlechten Zeiten zu gehen. Und das taten wir. Ein heimlicher Beobachter hätte vielleicht diagnostiziert, dass wir nebeneinander her lebten, so still, wie wir unserer Wege gingen. Aus unserer Perspektive aber sah alles ganz anders aus. Ausgelaugt und verzweifelt klammerten wir uns wortlos an den einzigen anderen Menschen, der mit im Boot saß. Abends trafen wir uns auf der Couch zu unserer Lieblingskrimiserie. Ich schlief auf der Couch ein. Er weckte mich und schickte mich ins Bett. Und am nächsten Morgen standen wir wieder auf und stellten uns gemeinsam dem Chaos, das unser Leben geworden war. Jeder an seiner Front.

Von allen Seiten schien man uns zuzuschmettern, dass wir um alles in der Welt nicht „nur“ Eltern sein dürften. Wir hörten uns schlotternd die Warnungen an. Was würde mit uns passieren, wenn die Kinder eines Tages auszögen? Das Ende war wohl vorprogrammiert. Wir zitterten. Kurz. Dann wechselten wir wieder Windeln, machten die Nächte durch, gingen arbeiten und verbrachten unzählige Sonntage mit einem fiebernden Kind in der Notaufnahme.

IMMER NOCH EIN TEAM

Und eines Tages blickten wir über die Schultern und stellten fest, dass wir das Schlimmste hinter uns hatten. Wir blickten an uns herab und stellten fest, dass wir uns immer noch an den Händen hielten. Irgendwann in dieser Zeit kam der Moment, in dem mir klar wurde, dass wir uns nicht mehr zu dem „guten christlichen Paar“ entwickeln würden, das in meinem Kopf wohnte. Wir waren anders, als ich gedacht hatte. Wir konnten einander immer noch zum Lachen bringen. Wir bewunderten einander immer noch für den Umgang mit unseren Kindern. Wir arbeiteten immer noch als Team. Und wir lernten zu schätzen, was wir miteinander hatten, statt uns krampfhaft in eine Form zu pressen, in die wir nicht passten.

Zeiten des Ausnahmezustands sind keine glorreichen Zeiten. Egal, ob wir ein neues Familienmitglied durch die ersten Monate begleiten, ein Elternteil pflegebedürftig wird oder eine Krankheit die Familie durchschüttelt – es gibt Zeiten, in denen wir nur überleben. Es gibt Zeiten, in denen unsere Ehe nur überlebt. Aber zu wissen, dass der Mann an meiner Seite versprochen hat, mich auch noch morgen zu lieben, egal, wie müde und elend ich heute durch die Wohnung geschlurft bin – das ist eins der größten Geschenke in meinem Leben.

Es sind Zeiten wie diese, in denen ich den Wert von Treue schätzen gelernt habe. Von Zuverlässigkeit. Und Freundschaft. Es sind Zeiten wie diese, in denen ich gelernt habe, dass Liebe etwas anderes ist als die Summe der schönen gemeinsamen Stunden. Denn wie mein Mann in dieser Zeit zu seiner müden Frau gehalten hat, das erklärt meinem Herz etwas darüber, wie treu auch Gott ist. Wie zuverlässig. In einer Zeit, in der auch mein Glaube nur knapp überlebte, gab es keine deutlichere Botschaft, als jeden Morgen aufzuwachen und meinen Mann neben mir zu finden. Immer noch. Trotz allem.

DER PRINZ AUF DEM WEISSEN PFERD

In dem Buch „Ehe“, das der US-amerikanische Pastor Timothy Keller 2011 gemeinsam mit seiner Frau Kathy veröffentlichte, beschreibt er einen Wandel im Verständnis von Ehe. „Früher ging es in der Ehe um uns, jetzt geht es um mich.“ Vergangene Jahrhunderte haben die Ehe als ökonomische und soziale Institution begriffen. Heute tritt der verständliche Wunsch nach Selbstverwirklichung in den Vordergrund, wenn es um die Erwartungen an eine Beziehung geht. In einer von Keller zitierten Studie suchen die befragten Singles vor allem nach Partnern, für die sie sich nicht ändern müssen. Sie suchen „den idealen Partner, einen Menschen, der glücklich, gesund, interessant und mit dem Leben zufrieden ist. Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit hat es eine Gesellschaft gegeben, die so voller Menschen war, die alle den idealen Partner suchten.“

In einer Zeit, in der die Geschichte vom Prinzen auf seinem weißen Pferd in allen Schattierungen von Hollywood ausgeschlachtet worden ist, drängt sich die Überlegung auf, ob das Warten auf den idealen Partner, den „Seelenverwandten“, nicht alles leichter gemacht hätte. Meist kann ich diese Frage nach einigem Gedankenwälzen unter „Selbstoptimierung“ verstauen. In meinem Leben nimmt sie einen ähnlichen Stellenwert ein wie die Frage, ob regenbogenfarbene Haare mein Leben besser – weil bunter – machen würden. Etwa fünf Minuten lang erscheint sie wirklich dringend. Dann rastet mein Fünfjähriger aus, weil die Nudeln alle sind und ich blicke in das tiefenentspannte Gesicht meines Mannes und weiß wieder, dass ich hier richtig bin. Aber die Frage nach dem idealen Partner ist nicht für jeden so eindeutig zu lösen wie für mich. Und manchmal scheint es so, als ob wir, wenn wir an der Optimierung unserer Partnerwahl scheitern – und das tun wir immer, egal wie gründlich wir suchen – mit der Optimierung unserer Beziehungen weitermachen.

GEGEN DEN OPTIMIERUNGSWAHN

Wie wir mit Ehe umgehen, erinnert mich manchmal an meinen Pinterest-Account. Ständig werden mir Bilder von perfekten Lösungen für meine Wohnprobleme vorgeschlagen. Aber Paare lassen sich viel schwerer optimieren als Wohnzimmer. Paare sind zwei komplexe Gotteskinder mit vielen Jahren Leben im Gepäck und jeder hat einen Reisekoffer voller rumpelnder Gedanken, den er hinter sich herzieht. Wenn irgendwer vor Selbstoptimierung Halt machen sollte – sei sie körperlicher, psychischer oder geistiger Natur – dann sollten wir Christen es sein, die wir an einen Gott glauben, der die Machtverhältnisse der Welt einfach auf den Kopf stellt und die Letzten zu Ersten erklärt. Es gibt niemanden auf dieser Welt, der mit mir so geduldig ist wie er. Und wenn es Ecken und Kanten in unserer Beziehung gibt, dann hat er Zeit genug, sie rund zu lieben. Oder uns beizubringen, wie wir sie lieben lernen.

Ich durfte zu der liebevollen Erkenntnis kommen, dass es ok ist, nicht das Paar zu sein, das ständig investiert und optimiert. Dass es sogar ok ist, ein paar Wochen lang das Paar zu sein, das sich abends anschreit, wenn uns das am Ende einen Schritt weiterbringt. Es kann sich vollkommen richtig anfühlen, Andachtsbücher zu lesen und gemeinsam Seminare zu besuchen. Aber es gibt tausend andere Möglichkeiten, eine Ehe zu einem guten Ort für beide Partner zu machen. Für uns ist es tausendundein Gespräch, das wir den Tag über zwischen Tür und Angel führen. Es sind die Insider, die nur wir verstehen. Der gelegentliche kinderfreie Nachmittag mit einem heimlichen Eis. Und dann gibt es die schlechten Zeiten. Die, in denen wir auf dem Zahnfleisch gehen. Manchmal reicht es dann, wenn der andere über deinen schrägen Witz lacht. Wenn einer weiß, wie du deinen Kaffee trinkst. Wenn du mit deinem besten Freund unter einem Dach wohnst und irgendwie versuchst, das Lebenschaos zu managen. Ja, wirklich, es gibt Zeiten, da reicht Freundschaft voll und ganz. Vergiss nur nicht, ab und zu auf die starke Schulter neben dir zu klopfen.

Jennifer Zimmermann lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Bad Homburg. Vor einigen Monaten ist ihr erstes Buch erschienen: „Als Gott mich fallenließ. Vom Ausharren und Weitergehen mit ihm“ (SCM R.Brockhaus).

Keine Angst vor Verbindlichkeit

Ein wunderschönes Brautkleid, zu Tränen gerührte Gäste, Blumenmädchen und eine Bilderbuchehe bis der Tod uns scheidet. Das waren meine Vorstellungen von Hochzeit und Ehe, bevor es mit dem Heiraten konkret wurde. Wie diese Entscheidung nach Außen wirkte, darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.

Als es dann soweit war, war ich 22 Jahre alt und wollte einfach nur meinen David heiraten. Für mich war wichtig, eine Verbindlichkeit für das gemeinsame Leben mit dem Mann einzugehen, den ich liebe.

Doch so klar und einfach diese Entscheidung für uns war, war sie nicht für alle Menschen in unserem Umfeld. Ich studierte zu diesem Zeitpunkt noch und bei meinen Kommilitonen warf diese Entscheidung viele Fragen auf. Ganz vorne dabei waren zwei Fragen: „Wie alt seit ihr denn?“ und „Woher nehmt ihr das Geld?“. Scheinbar war für viele die Heiratsfrage eine Frage des Alters und des Geldes. In Gesprächen mit Altersgenossen wurde oft zum Ausdruck gebracht, dass man mit Anfang 20 so eine Entscheidung gar nicht treffe könne, weil das Leben doch jetzt gerade erst anfinge. Wer weiß schon, wo man in 10 Jahren steht? Natürlich kann man nicht in die Zukunft sehen, aber mit 30 weiß ich genauso wenig wie sich meine Zukunft entwickelt. Den Rest seines Lebens mit einem Partner zu verbringen, scheint für die meisten jungen Leute wenig attraktiv zu sein. Eine Ehe wird eher als Hindernis für die persönliche Entfaltung gesehen. Ich kann für mich nur sagen, dass ich mich in meiner Persönlichkeit noch nie so gut entfalten konnte, wie mit meinem Mann an der Seite, der mich in jeder Herausforderung des Lebens begleitet und bestärkt. Der mir Ideen gibt, wenn ich keine mehr habe und der oft eine andere Sichtweise auf die Dinge hat. Zu zweit ist jede Herausforderung nur noch halb so groß.

Eine Frage des Geldes?

Dann war da ja noch die Sache mit dem Geld. Ja, eine Hochzeit kostet Geld. Doch obwohl ich mich im Studium befand, hat es hingehauen. Schlussendlich geht es doch darum, die Liebe zueinander zu feiern. Ob in einem Schloss oder im Gemeindehaus von nebenan, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Für uns war einfach wichtig, im Kreis unserer Familien und Freunde „Ja“ zu einem gemeinsamen Leben zu sage und dieses „Ja“ unter Gottes Segen zu stellen. Dafür brauchte es nicht viel Geld und keiner der Gäste hat sich je beschwert, dass es keine Stuhl-Hussen gab, dass die Deko ein wenig zusammengewürfelt war oder dass der ein oder andere Gast Kuchen mitbringen musste.

Hand in Hand durch stürmische Zeiten

Dass eine Ehe zu führen nicht immer einfach ist und dass man nicht jeden Tag gut miteinander auskommt, scheint für die meisten jungen Leute nicht in der Vorstellung von Ehe enthalten zu sein. Die wichtigen Dinge des Lebens, wie Zusammenhalt, Loyalität, Kompromissbereitschaft, Vergebung und Empathie habe ich noch nie so intensiv erlebt, wie in den vergangenen drei Ehejahren. Mein Mann und ich führen keine perfekte Beziehung, wir verstehen uns auch nicht jeden Tag gleich gut, aber wir sind durch das Band der Ehe fest verbunden. Ich kann darauf vertrauen, dass wir zueinander halten, auch wenn wir uns ab und zu mal streiten. Wir haben eine gemeinsame Basis, von der alle Entscheidungen ausgehen. Dieses Fundament lässt sich nicht so einfach durch Streit oder Unstimmigkeiten zerschlagen, weil wir wissen, dass der Partner sich entschieden hat, für ein gemeinsames Leben, so wie wir sind.

So hart das vielleicht klingt, ich weiß nicht, ob mein Mann und ich noch zusammen wären, wenn wir nicht geheiratet hätten. Vielleicht hätte ich in Krisenzeiten einfach aufgegeben und den leichteren Weg der Trennung gewählt, wenn es die gemeinsame Basis nicht gegeben hätte. Umso schöner ist es doch zu sehen, das man viele Krisen oder Streits auch als Ehepaar überwinden kann.

Doch dieses Verständnis von Ehe ist, meiner Erfahrung nach, in unserer Gesellschaft verloren gegangen. Der Drang nach Perfektion und Vollkommenheit in allen Lebensbereichen ist groß, sodass die Entscheidung für eine verbindliche Partnerschaft schwer fällt. Ständig muss alles abgewogen und bewertet werden, damit man den perfekten Zeitpunkt oder das perfekte Alter nicht verpasst. Doch die Menschen sind nicht vollkommen. Ist es nicht viel einfacher nicht perfekt sein zu müssen? Die Gewissheit, dass man nicht alles richtig machen muss, um geliebt zu werden. Das Gott mir jemanden an die Seite stellt, mit dem ich mein Leben leben darf, so wie es eben kommt. Das ist für mich Ehe.

Eine richtige Entscheidung

Zum Glück standen unsere Familien immer voll hinter uns und freuten sich mit uns über die Entscheidung zu heiraten. Wir waren beide 23 Jahre alt und die Hochzeit war der schönste Tag unseres Lebens, weil wir unsere Liebe zueinander feierten. Ich glaube es wäre ganz egal gewesen, wie dieser Tag verlaufen wäre. Es war etwas ganz besonderes „Ja“ zueinander zu sagen. Auch wenn es den ganzen Tag geregnet hat (und das im Hochsommer), die Eisbombe schon halb geschmolzen war und der Standesbeamte mich mit Daniel anstatt David verheiraten wollte. Wenn ich mich an meine Hochzeit erinnere, dann habe ich immer ein Gefühl von Geborgenheit. Wir müssen unser Leben jetzt nicht mehr alleine bewältigen, wir haben jemanden zur Seite gestellt bekommen, mit dem wir durch Leben gehen dürfen.

Doch auch nach diesem Fest muss ich mich noch oft rechtfertigen. Die Frage nach meinem Alter ist allgegenwärtig, noch viel häufiger seit unsere Tochter auf der Welt ist. Fast niemand, der uns als Paar oder als Familie sieht, geht davon aus, dass wir verheiratet sind. Am häufigsten tauchen  die Fragen in meinem beruflichen Umfeld auf. Oft finde ich diese ganzen Erklärungen lästig, manchmal macht es mich aber auch stolz diesen Weg gegangen zu sein.

Insgesamt bin ich froh in jungen Jahren das Leben von dieser spannenden Seite kennenlernen zu dürfen. Wenn ich 10 Jahre lang darüber nachgedacht hätte, ob Heiraten die richtige Entscheidung ist oder ob David wirklich der richtige Mann ist, ich hätte vermutlich die eigentliche Bedeutung von Ehe aus den Augen verloren. Ich habe letztlich auf mein Gefühl gehört und hatte keine Angst vor falschen Entscheidungen, denn ich lebe in dem Vertrauen, dass mein Leben nicht allein in meiner Hand liegt, sondern dass es einen Gott gibt, der am Ende alles gut werden lässt. Auch eine Ehe, die mit Anfang 20 beginnt.

 

Annabell Meyer ist seit 3 Jahren verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Essen.

 

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