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Vergiftete Liebe

Zuerst hing der Himmel voller Geigen, doch dann entpuppte sich die große Liebe als Albtraum. Wie Leonie Hoffmann nach einer furchtbaren Erfahrung innere Freiheit gefunden hat, beschreibt sie hier.

Nicht alles, was sich richtig anfühlt, ist auch das Richtige! Das musste ich auf die harte Tour erfahren. Das, was Menschen Liebe nennen, kann die schönste, aber auch die zerstörerischste Macht des Universums sein. Gerade hatte ich mein Abitur abgeschlossen und war beflügelt von einem nie da gewesenen Freiheitsgefühl. In dieser Zeit lernte ich ihn kennen. Ihn, der mir diese große Freiheit mit all ihren Möglichkeiten innerhalb weniger Monate wieder nahm – und beinahe mein junges Leben.

Ich traf ihn auf einer Sommerparty in meiner Heimatstadt: Alex. Dieser Mann gab mir alles, wonach sich mein junges Herz gesehnt hatte. Tiefe Liebe – und das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein. Die ersten Monate mit ihm schwebte ich im siebten Himmel. Ich glaubte, in ihm tatsächlich den Richtigen gefunden zu haben.

Rasend vor Eifersucht

Seine „abgöttische Liebe“ zu mir hatte jedoch eine unangenehme Begleiterscheinung. Was ich anfangs als schmeichelhaftes Nähebedürfnis interpretierte, entwickelte sich zunehmend zu einer besitzergreifenden Eifersucht. Wenn mein Blick zufällig den eines anderen Mannes streifte, konnte dieses „Vergehen“ ausreichen, um einen schönen Abend in hitzigen und tränenreichen Diskussionen enden zu lassen. Irgendwann waren es nicht nur andere Männer, auf die er eifersüchtig war, sondern auch Gott. Tatsächlich war seine Eifersucht auf Gott die einzige berechtigte. Denn ja, ich liebte Jesus – sehr sogar! Schon als Teenagerin hatte ich ihm mein Leben gegeben.

Mit der Zeit rutschte ich, ohne es zu merken, immer tiefer in eine emotionale Abhängigkeit von Alex. Denn er schaffte beides: meine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Bestätigung zu stillen und gleichzeitig durch subtile Kritik meine Selbstzweifel zu nähren. So wurde ich süchtig nach dem guten Gefühl, das scheinbar nur er mir geben konnte. Ich gab nach und nach alles für ihn auf – sogar meinen Glauben an Gott, von dem Alex mich durch seine Manipulation und esoterischen Lügenkonstrukte bewusst immer weiter entfernte. Er selbst drängelte sich an die Stelle Gottes und ich wurde ihm hörig.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion zog ich nach nur drei Monaten Beziehung in seine spärlich eingerichtete Wohnung. Er sagte, es sei die einzige Chance, unsere Beziehung zu retten, nachdem ich mit einer Lappalie „sein Vertrauen endgültig zerstört“ hatte. Um mir wieder vertrauen zu können, wollte er mich eine Zeit lang kontrollieren – und ich ließ mich darauf ein. Denn der Gedanke, ihn sonst zu verlieren, versetzte mich in blanke Panik.

Vom Traummann zum Monster

Ein paar Tage später eskalierte die Situation zum ersten Mal bei einem seiner nun täglichen Verhöre. Er war der festen Überzeugung, ich hätte in meinem gerade begonnenen Studium einen anderen Mann kennengelernt. „Sag mir endlich die Wahrheit!“, schrie Alex mich immer wieder an. Seine Augen waren weit aufgerissen, eisblau und eiskalt. Dieselben Augen, in denen ich früher so viel bedingungslose Liebe gesehen hatte. Zunächst packte er mich nur fest an den Schultern und drückte mich gegen die Wand. Dann schlug er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Dann noch mal. Und noch mal. Immer fester. Schließlich ballte er seine Hand zur Faust. In meinem Kopf begann es zu hämmern.

Irgendwann ließ er von mir ab und brach in Tränen aus – scheinbar entsetzt über sich selbst. Nach wenigen Augenblicken kehrte jedoch die Anklage zurück: „Du hast dieses Monster aus mir gemacht! Das gerade wäre niemals passiert, wenn du ehrlich zu mir gewesen wärst! Ich bin zu so etwas nur fähig, weil ich dich unendlich liebe.“ Damit hatte er mich. Vielleicht habe ich es ja verdient, so behandelt zu werden?, fragte ich mich. Vielleicht liebt er mich tatsächlich mehr als ich ihn – wenn ich ihn so zum Ausrasten bringen kann?
Heute weiß ich, dass nichts davon wahr ist. Nichts, gar nichts rechtfertigt Gewalt in einer Beziehung. Damals zog ich es dennoch ernsthaft in Erwägung. Eine Tatsache, die mich im Nachhinein schockiert – genauso wie der Umstand, dass sich meine Gefühle für diesen Mann offensichtlich nicht totschlagen ließen. So traf ich die größte Fehlentscheidung meines Lebens: Ich blieb. Monate später sagte mir meine Therapeutin: „Wenn man nach dem ersten Schlag nicht geht, geht man auch nicht nach dem zweiten oder dritten.“ Das ist die traurige Wahrheit.

Zwischen Küssen und Schlägen

Die sechs Monate zwischen dem ersten und dem letzten Schlag vermischen sich in meiner Erinnerung zu einer zähen grauen Masse. Meine beängstigende Erkenntnis aus dieser Zeit: Man gewöhnt sich an alles. Erschreckenderweise gab es zwischendurch sogar Momente, in denen es mir gelang, mich so in den Augenblick zu versenken und alles andere auszublenden, sodass unsere „Liebe“ die einzige Realität war. Der ganze Horror schien dann unwirklich. Es waren jene Momente, in denen ich sein wahres Ich wiederzuerkennen glaubte, den Mann, der „die Liebe meines Lebens“ war. Immer noch. In diesen Momenten fühlte ich mich darin bestätigt, dass er „eigentlich ja ganz anders“ war. Doch die Hände, die mich eben noch so zärtlich streichelten, konnten sich jederzeit wieder zu Fäusten ballen und brutal auf mich einschlagen. Es passierte. Immer wieder. In immer kürzeren Abständen.

Im Gefängnis seiner Liebe

Das alles ist zwölf Jahre her. Wie oft habe ich seitdem an diese Zeit zurückgedacht und mir immer wieder dieselbe Frage gestellt: „Wie konntest du nur? Wie konntest du nur – so dumm, so verblendet, so schwach sein, dass du dir von einem Mann alles hast nehmen lassen: deine Freiheit, deine Familie, deine Träume, deine Freunde, deinen Glauben und beinahe dein Leben?“

Mittlerweile habe ich meine Antwort gefunden. Ich konnte mir alles nehmen lassen, weil ich eigentlich alles hatte – außer einem gesunden Selbstvertrauen. Ich sehnte mich nach einem Partner, der mir genau das geben könnte – der mich sehen und erkennen würde, wie ich wirklich war, und mich genauso lieben würde. Und dann traf ich ihn und hielt viel zu lange daran fest, dass er tatsächlich „mein wahrer Seelenverwandter“ war.
Das Ende dieser Schreckenszeit kam dann wie ein Wunder: Es war Karfreitag. Alex hatte mir erlaubt, den Fernseher anzuschalten, und es lief „Ben Hur“ mit der Kreuzigungsszene Jesu. Die Karfreitags-Tradition meiner Familie! Seit Monaten hielt Alex mich inzwischen in seiner Wohnung gefangen und hatte mir alle Kontaktmöglichkeiten zur Außenwelt genommen. Ich ging ins Bad und schaute durch das kleine Dachfenster in den strahlenden Frühlingshimmel. Er wirkte friedlich und gleichzeitig erschreckend leer. Ich wagte seit Langem wieder ein Gebet an den Gott der Bibel: „Gott, wenn du mich mittlerweile nicht ganz abgeschrieben hast, dann bitte hole mich hier raus, und ich will dir mein Leben lang dienen!“ Wenig später klingelte es. Nach allen gescheiterten Rettungsversuchen standen sie noch einmal vor unserer Wohnungstür: meine Eltern. Ich weiß nicht warum, aber an diesem Tag stand die Haustür sperrangelweit offen, sodass sie bis zur Wohnungstür kommen konnten. Alex drohte mir mit einem Besenstil und befahl mir, leise zu sein. Sie sollten denken, niemand sei zu Hause. Dann schubste er mich ins Schlafzimmer und schlug auf mich ein. Meine Eltern hörten, dass wir da waren. „Wir wollen euch nur zu einem Eis einladen und reden“, sagte mein Vater in unfassbarer Sanftmut. Da platzte Alex der Kragen. Er ließ von mir ab, riss die Wohnungstür auf und ging auf meine Mutter los. Ich rannte ihm hinterher.
Mein Vater gab mir mit einem Blick zu verstehen, dass ich diesen kurzen Augenblick, in dem die Tür offen war, nutzen sollte. Während er zwischen Alex und meine Mutter ging, drängelte ich mich an ihnen vorbei. In die Freiheit. Meine Eltern eilten hinterher. „Wenn du jetzt gehst, siehst du mich nie wieder!“, rief Alex mir nach. Was früher seine schlimmste Drohung war, wurde nun zur Befreiung. Ostern verbrachte ich mit meiner Familie. Die Sonne schien. Die Welt blühte. Und wir feierten nicht nur Jesu Auferstehung von den Toten.
Nun war ich zwar körperlich wieder frei, aber der Weg in die innere Freiheit sollte noch ein langer werden. Viele Therapie- und Seelsorgegespräche, Gebete und die fürsorgliche Liebe meiner Familie und meiner Freunde halfen mir Schritt für Schritt beim Wiederaufbau meines Lebens.

Was mich mein dunkelstes Kapitel gelehrt hat

Ich habe erlebt, dass es wirklich nichts gibt, was Gott nicht wiederherstellen könnte – egal, ob es ein noch so geschundenes Herz oder eine abgebrochene Beziehung zu ihm ist. Es hat sich für mich bestätigt, was Jesus über die Freiheit sagt: nämlich, dass es die Wahrheit ist, die frei macht (vgl. Johannes 8,32). Konkret: die Wahrheit über uns selbst. Die Wahrheit über unsere Beziehung und die Wahrheit über den (Ex-)Partner, der sich allen wilden Hoffnungen und Versprechungen zum Trotz nicht einfach ändert und der genauso wenig einfach aufhören wird, gewalttätig zu sein, wenn die Abwärtsspirale der Gewalt erst einmal begonnen hat. Ich will nicht ausschließen, dass Gott dieses Wunder vollbringen kann, aber in diesem Fall würde ich tatsächlich davon abraten, fest mit einem solchen zu kalkulieren!

Aber vor allem ist es die Wahrheit über meinen gottgegebenen Wert und meine Würde, die mich freigemacht hat – auch von der Angst, noch einmal in so eine zerstörerische Abhängigkeit geraten zu können.
Heute ist mein Leben schöner, als ich es mir jemals hätte erträumen können. Gott hat mich zurück ins Leben und in die Freiheit geführt – eine Freiheit, die nirgendwo sonst zu finden ist. So habe ich die befreiende Kraft der Vergebung erfahren und inzwischen nicht nur mir selbst, sondern auch Alex von ganzem Herzen vergeben können, auch wenn ich keinerlei Kontakt mehr zu ihm möchte. Ich kann wieder unbeschwert leben – sogar lieben und vertrauen, was ich niemals für möglich gehalten hätte.
Mein Tipp an Betroffene ist so simpel wie schwer: Bitte brecht das Schweigen und holt euch Hilfe, solange es noch möglich ist! Kämpft euch zurück in die Freiheit, die euch zusteht und für die ihr geboren wurdet, erinnert euch an euren gottgegebenen Wert und eure unantastbare Würde, die euch nichts und niemand nehmen darf, und glaubt den Worten Gottes, der sagt: „Bei mir gibt es keine hoffnungslosen Fälle!“
Und allen Angehörigen möchte ich ans Herz legen: Egal, wie fremd die Tochter, Mutter, Freundin, Schwester auch erscheint, gebt niemals auf und versucht unbedingt, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Haltet ihr keine belehrenden Vorträge und macht ihr keine Vorwürfe, denn das tut sie selbst ohnehin schon genug. Zeigt ihr vielmehr, dass es wirklich bedingungslose Liebe gibt – und dass offene Arme auf sie warten, wenn sie es wagt, sich aus den zerstörerischen Armen zu lösen.

Leonie Hoffmann ist ein Pseudonym. Die vollständige Geschichte und ausführliche und konkrete Tipps für Betroffene und Angehörige sind im Buch „ÜberWunden“ aufgeschrieben, das im Verlag Gerth Medien erschienen ist.

„Ihr Verhalten ist uns unangenehm“

„Unsere Tochter (1,5) schubst und schlägt andere Kinder – wenn ihr jemand zu nahe kommt zum Beispiel, oder wenn sie sich freut oder aufgeregt ist. Was können wir tun?“

Kinder unterscheiden sich in ihren Interessen und ihrem Temperament. Auch Gefühle bringen sie unterschiedlich zum Ausdruck: Manche weinen, stampfen oder werfen sich zu Boden, wenn sie sich ärgern oder wütend sind. Andere schlagen, beißen oder schubsen, auch dann, wenn sie sich freuen oder aufgeregt sind. Für Sie als Eltern ist dieses Verhalten oft sehr unangenehm. Dabei hat das vermeintliche „Fehlverhalten“ wenig mit Ihnen zu tun.

KEINE BÖSE ABSICHT

Das Gehirn des Kindes entwickelt sich erst. Während das „Gefühlszentrum“ schon angelegt ist und Ihr Kind unterschiedliche Gefühle wahrnehmen kann, ist sein „Vernunftshirn“ noch in der Entwicklung. Um wichtige Verbindungen zwischen „Gefühlszentrum“ und „Vernunftshirn“ herzustellen, braucht das kindliche Gehirn noch einige Jahre. Erst diese Verbindungen ermöglichen es ihm, sich bei bestimmten Gefühlen angemessen zu verhalten.

Vor allem in Stresssituationen funktioniert das im Kleinkindalter ohnehin nur rudimentär angelegte „Vernunftshirn“ noch weniger. Das „Gefühlszentrum“ bestimmt dann das Verhalten Ihres Kindes: Überfordert von den intensiven oder negativen Gefühlen, weiß es sich nur mit einfachen, reflexhaften Handlungen (schlagen, schubsen) zu helfen. Der Situation angemessene Verhaltensweisen muss sie noch lernen. Erst im Alter von drei bis vier Jahren fangen Kinder an zu verstehen, dass sie anderen mit ihrem Verhalten wehtun können. Es steckt also keine böse Absicht dahinter.

SEIEN SIE EIN VORBILD

In Situationen, die Ihre Tochter stressen oder starke Emotionen hervorrufen, können Sie ihr wichtige Hilfestellungen geben. Ihre Tochter reagiert nicht grundlos mit Schubsen und Schlagen, auch wenn die Gründe für das Verhalten nicht immer leicht zu verstehen sind. Überlegen Sie, wie sie sich wohl in Situationen fühlt, in denen sie gehäuft schubst oder haut. Was möchte sie mit ihrem Verhalten erreichen? Vermutlich schubst Ihre Tochter beispielsweise ein zu nahe kommendes Kind (nennen wir es Lara), weil sie sich in ihrer persönlichen Sicherheitszone verletzt fühlt und diese verteidigen möchte. Wehrt sich Lara daraufhin, ist Ihre Tochter frustriert oder fühlt sich noch bedrohter.

Seien Sie deshalb in der Nähe Ihrer Tochter, wenn sie mit anderen Kindern zusammen ist. So können Sie schnell reagieren, wenn ihr ein Kind zu nahe kommt. Sagen Sie ihr: „Du möchtest nicht, dass Lara dir zu nahe kommt? Schau, so kannst du es ihr zeigen.“ Seien sie dann ein Modell für Ihre Tochter (nennen wir sie Maria), indem sie freundlich mit Lara sprechen: „Lara, Maria möchte nicht, dass du ihr so nahe kommst. Kannst du dich bitte hierher stellen?“ So lernt Ihr Kind im Zuge seiner normalen Sprachentwicklung auch, eigene Grenzen zu wahren.

Seien Sie immer wieder ein gutes Modell, indem Sie Ihrer Tochter sagen und zeigen, wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten kann. Sie braucht Sie als Übersetzungshilfe ihrer Gefühle und als Vorbild, um sich in Zukunft eigenständig sozial kompetent ausdrücken und verhalten zu können. Haben Sie Geduld!

Sandra Maul ist Psychologin und lebt mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn bei Gießen.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Schlagen aus Liebe?

Zum heutigen Tag der gewaltfreien Erziehung veröffentlichen wir hier einen Artikel, der 2012 in Family erschien und leider immer noch aktuell ist:

Obwohl es in Deutschland verboten ist, haben zwei Drittel der Eltern ihre Kinder schon einmal geschlagen – oft aus Überforderung, manchmal aus Überzeugung.

„Ich finde es nicht schlimm, wenn ein Kind eine auf den Po oder auf die Finger bekommt, wenn es frech war“ – das ist eine der Rückmeldungen, die Family auf seiner Facebook-Seite zum Thema „körperliche Strafen“ bekommen hat. Wir waren etwas überrascht, dass es gar nicht so wenige „Family-Freunde“ gab, die das Schlagen von Kindern rechtfertigten. Immerhin ist das in Deutschland seit 2000 verboten. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig“ (§1631 BGB). Das ist ein klares Wort — und das ist gut so.

Von Eltern, die körperliche Strafen bewusst in der Erziehung einsetzen, werden die folgenden sechs Sätze häufig zur Rechtfertigung angeführt. Bei näherer Betrachtung sind sie aber alles andere als überzeugend.

 1. „Das sind Schläge aus Liebe!“

Manche Eltern meinen das wirklich so. Aber nachempfinden können wir das nicht. Vor allem: Wir kennen keine Kinder, die die Liebe ihrer Eltern in den Schlägen gespürt haben. Es gibt hundert Wege und Möglichkeiten, Kindern seine Liebe zu zeigen. Zu meinen, dies ginge mit Schlägen, die immer auch erniedrigend sind, ist absurd. Natürlich müssen Eltern oft Dinge tun, die zum Besten des Kindes sind, ihm aber nicht gefallen: Süßigkeiten einschränken, Schlafenszeiten einfordern, Gefährliches verbieten. Schläge sind aber definitiv nicht zum „Besten“. Das führt uns zum zweiten Satz:

2. „Das hat uns doch auch nicht geschadet!“

Das sagen Mütter und Väter, die selbst von ihren Eltern geschlagen wurden. Natürlich hinterlässt nicht jeder Klaps in der Kindheit einen dauerhaften psychischen Schaden. Aber andererseits: Wie kann man sich so sicher sein? Wäre die Beziehung zu den eigenen Eltern vielleicht enger, herzlicher, wenn es diese Schläge nicht gegeben hätte? Wäre ich dann vielleicht besser in der Lage, mein Kind gewaltfrei zu erziehen? Es ist erwiesen, dass Eltern, die in ihrer Kindheit selbst geschlagen wurden, später auch zu dieser „Erziehungsmethode“ neigen.

Aber die Auswirkungen sind schon früher sichtbar: Studien zeigen, dass Kinder, die zu Hause Gewalt erleben, als Jugendliche selbst zu Gewalt neigen. Der Kinder- und Jugendarzt Dr. Rüdiger Penthin steht nicht allein da, wenn er elterliche Gewalt – und dazu zählen auch „einfache“ körperliche Strafen — als Risikofaktor Nr. 1 für Jugendgewalt bezeichnet (in seinem Buch „Wenn Kinder um sich schlagen“). Zwar werden nicht alle betroffenen Kinder zu jugendlichen Gewalttätern. Aber Kinder, die geschlagen werden, verlieren an Selbstvertrauen und an Vertrauen in andere. Bei manchen äußert sich das auch darin, dass sie sich zurückziehen und resignieren.

 3. „Sonst hat man ja gar kein Druckmittel in der Hand!“

Braucht man in einer vertrauensvollen Beziehung ein „Druckmittel“? Eltern sind doch nicht mit Gewerkschaften vergleichbar, die ihre Forderungen durchsetzen wollen oder mit Chefs, die ihre Angestellten unter Druck setzen, damit sie mehr Umsatz machen. Erziehung ist Beziehung – es geht nicht darum, die Kinder dahin zu „ziehen“, wo man sie haben will, sondern sich gemeinsam auf den Weg zu machen. Und dabei ist Angst eine ganz schlechte Grundlage. Natürlich gibt es Situationen im Familienalltag, die nach Konsequenzen verlangen. Wer die Hausaufgaben nicht fertig hat, darf nicht fernsehen. Wer seine Mutter mit Schimpfworten disst, muss in sein Zimmer gehen. Nicht immer leicht, die passende Konsequenz zu finden. Familie fordert und fördert eben die Kreativität …

 4. „Die Kleinen verstehen doch noch nichts anderes!“

Die „Kleinen“ sind nicht so unverständig, wie Mama und Papa manchmal glauben. Schon ein Einjähriger kann lernen, was das Wort „Nein“ bedeutet. Wenn er immer wieder zur Stereoanlage krabbelt, muss man ihn eben immer wieder dort wegholen und deutlich „Nein“ sagen. Klar ist das mühsam – aber auf lange Sicht wirksamer als ein Schlag auf die Finger. Der Schweizer Kinderschutzexperte Frank Ziegler weist darauf hin, dass Körperstrafen keine positiven Reaktionen beim Kind erzeugen. Es werde nicht braver oder weniger störrisch. Und eigentlich ist das vielen Eltern auch klar. Etwa achtzig Prozent der Eltern, die ihr Kind schlagen, kommen zu dem Schluss, dass diese „Erziehungsmethode“ nichts bringt.

5. „Mit Worten kann man viel schlimmer verletzen!“

Es stimmt, dass Eltern ihre Kinder mit Worten sehr verletzen können. Das aber ist noch lange kein Grund, ein Kind zu schlagen. Nicht umsonst heißt es im deutschen Gesetzestext: „Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Gewalt in jeder Form hat in der Erziehung nichts zu suchen. Verbale Gewalt ist da sicher noch schwieriger einzugrenzen als körperliche Gewalt. Andererseits heißt der Verzicht auf körperliche Gewalt nicht, dass man jede Form von körperlichem Eingreifen vermeiden muss. Wenn die Tochter verbotenerweise auf dem Sofa herumhüpft, kann man sie mit einem beherzten Griff herunterheben. Wenn der trotzende Sohn um sich schlägt, kann man seinen Arm festhalten. Aber nicht zurückschlagen! Das Motto „Wehren ist erlaubt“ gilt nicht, wenn der Gegner körperlich so unterlegen ist wie ein Kind seinen Eltern.

6. „Das steht doch in der Bibel!“

Es stimmt: Im Alten Testament wird körperliche Züchtigung als Teil der Nachwuchsförderung angesehen. „Wer seinen Sohn liebt, der züchtigt ihn“, heißt es beispielsweise in Sprüche 13, Vers 24. Was in der Bibel steht, hat für Christen immer Bedeutung, aber ist doch nicht in allen Aspekten eins zu eins in unsere Zeit hinein zu übersetzen. Die Ratschläge und Anordnungen, die wir im Alten Testament finden, sprechen in eine völlig andere Zeit und Kultur hinein, in der die Todesstrafe üblich war, Vielehe, Sklaverei und andere Sachverhalte, die heute für die allermeisten undenkbar sind. Die Mitte des christlichen Glaubens ist Jesus Christus. Von ihm her ist das Alte Testament zu lesen und zu verstehen. Seine Botschaft und sein Handeln beschreiben uns die Evangelien als engagiert und emotional, aber vor allem den Menschen zugewandt, liebevoll und gnädig. Die unverdiente Gnade Gottes predigt er, die offenen Arme des wartenden Vaters. Und er ehrt die Kinder in einer besonderen Art und Weise. Jesus selbst hat Aussagen des Alten Testaments aufgegriffen und neu gedeutet. Im fünften Kapitel des Matthäus-Evangeliums nennt er unter anderem die Regel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und weist seine Nachfolger an, nicht Rache zu üben, sondern der Gewalt mit Friedfertigkeit zu begegnen. Eine gute Grundlage für eine christliche Erziehung kann man auch in den so genannten „Früchten des Geistes“ finden, die im Galaterbrief aufgezählt werden: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Bescheidenheit und Selbstbeherrschung.

Wo immer Sie einen der obigen sechs Sätze hören: Widersprechen Sie!

Martin Gundlach ist Redaktionsleiter von Family.

Bettina Wendland ist Redakteurin bei Family.

 

 

 

Würdevoll schlagen?

Eigentlich hatte Papst Franziskus bei mir bisher einen guten Eindruck hinterlassen: lebensnah, menschenfreundlich, zugewandt … Auch Kindern gegenüber wirkt er freundlich und liebevoll.

Umso erschreckender seine Aussagen in einer Generalaudienz diese Woche: Der Papst erzählt von einer Begegnung mit einem Vater, der ihm sagte, manchmal müsse er seine Kinder schlagen, aber niemals ins Gesicht. Das würde sie demütigen. Der Kommentar von Franziskus dazu: „Wie schön! Er hat einen Sinn für Würde.“

Nein! Schlagen hat niemals etwas mit Würde zu tun! Wenn ich einen Menschen schlage, ist das immer entwürdigend und verletzend. Das gilt bei Erwachsenen und erst recht bei Kindern.

Ich weiß, dass es in den besten Familien vorkommt, dass einem mal die Hand ausrutscht, weil man als Vater oder Mutter sich nicht mehr anders zu helfen weiß. Aber Hilflosigkeit ist ein schlechter Berater. Natürlich wird ein Kind von so einem einmaligen Vorfall nicht sofort traumatisiert. Aber es ist trotzdem falsch und darf nicht von der Kirche oder sonst wem legitimiert werden.

Der Vatikan versucht, den Papst zu verteidigen. Er habe nicht über Gewalt gegen Kinder gesprochen, sondern darüber, ihnen zu Wachstum und Reife zu verhelfen, erklärte ein Vatikanvertreter.

Ich kann es nicht fassen: Ja, Kinder brauchen Grenzen und Regeln und Konsequenzen. Aber wie sollen sie lernen, dass Gewalt keine Probleme löst, wenn ihre Eltern ihnen etwas anderes vorleben? Wie sollen sie verstehen, dass man Konflikte ohne Gewalt lösen kann und muss?

Mal ganz davon abgesehen, dass die gutgemeinten Erziehungstipps des Papstes gegen die UN-Kinderrechtskonvention und auch gegen Gesetze in Deutschland und vielen anderen Ländern verstoßen …

Bettina Wendland

Family-Redakteurin