Beiträge

Alles wird gut

Elisabeth Vollmer muss akzeptieren, dass sie ihre Kinder nicht vor allem beschützen kann. Zuversichtlich ist sie trotzdem.

Oktober 2001: schweißgebadet wache ich auf. Der 11. September hat mich in meine Träume verfolgt: Tabea im Tragetuch, die Jungs an der Hand befinde ich mich auf der Rolltreppe eines Einkaufzentrums, das in sich zusammenfällt. Mit meinem Körper versuche ich, meine Kinder zu schützen. Meine beruhigenden Worte „Alles ist gut, ich passe auf euch auf“ sind schlicht falsch, und genau dieses Bewusstsein trifft mich tief und lässt mich schweißgebadet aufwachen. Der Traum vergeht, das Bewusstsein bleibt: Ich kann meine Kinder nicht in allem beschützen. Und es ist auch nicht gewiss, dass alles in diesem Leben gut ausgehen wird. Meine Grundzuversicht ins Leben wird in dieser Nacht erschüttert. Vielleicht bin ich auch dort erst erwachsen geworden.

Inzwischen sind meine Kinder groß. Ich bin immer noch Mutter und würde so gerne beschützen und beruhigen, stärken und auf einen guten Weg begleiten. Und in vielen Bereichen kann und darf ich das auch noch. Aber meine (vermeintlichen) Beschützer-Möglichkeiten sind geringer, die Risikofaktoren sind größer (und mir bewusster) geworden. Damit zu leben und umzugehen, fordert mich immer wieder heraus. Ich stolpere und schlingere dabei. Aber es gibt drei Lebensweisheiten, die mir dabei hilfreiche Krücken geworden sind:

Die Erste stammt von meiner Schwester Ulrike: Jonas war ein paar Tage alt und ich im postnatalen Hormontief, als ich aufgrund einer heftigen Neugeborenengelbsucht um seine Gesundheit bangte. Im Telefonat gab sie mir ein Bild weiter: „Du bist das Mutterschaf. Du kümmerst und sorgst dich um dein Lämmchen und das ist gut so. Aber du kannst und musst nicht alles machen. Es gibt auch noch den guten Hirten. Er hält dich und dein Lämmchen und kümmert sich um euch beide. Du darfst ihm auch und gerade jetzt vertrauen.“ Das übe ich seitdem. Mein Job ist nur der des Mutterschafs. Der Hirte ist ein anderer.

Von Sören Kierkegaard stammt das Zitat: „Gott macht aus dem Verkehrten noch das Bessere, als es das Richtige gewesen wäre.“ Aus unbekannter Quelle stammt das ähnliche Zitat: „Gott macht aus Mist Dünger.“ Verkehrte Entscheidungen, Schuld, Fehler … gehören zum Leben dazu. Das darf ich mir, meinen Kindern, meinem Mann und allen anderen zugestehen. Gott kann daraus trotzdem „Dünger“ oder sogar „das Bessere“ machen. Falsch bleibt es trotzdem und fühlt sich auch so an. Das ist nicht schön, aber normal!

Und zum Dritten dann noch Joachim Ringelnatz: „Humor ist der Knopf, der verhindert, dass dir der Kragen platzt“ in Kombination mit dem Zitat von Papst Johannes XII: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“ Ich kann mich dafür entscheiden, meine Sorgen sich nicht dadurch aufblähen zu lassen, dass sie meine beständige Aufmerksamkeit bekommen. Zum zweiten hilft eine gute Portion Humor sogar dann, wenn mir nicht zum Lachen zu Mute ist. Lachen baut Stress ab, entspannt und setzt Glückshormone frei. Schon Lächeln hilft.

Nun kann ich zwar nicht behaupten, dass ich dadurch zur Expertin in Zuversicht, Loslassen und Glaubensstärke geworden wäre. Krücken sind Krücken. Marathon läuft man damit nicht und manchmal gibt es sie immer noch, diese gruselig-große Sorge ums Leben und meine Liebsten. Aber ich bin dran und zuversichtlich, dass am letzten Ende wirklich alles gut sein wird.

Elisabeth Vollmer ist Religionspädagogin und lebt mit ihrer Familie in Merzhausen bei Freiburg.

 

„Warum tu ich mir das eigentlich an?“

Ein ganz normaler Tag um die Mittagszeit. Der Dreijährige ist k. o. vom Kindergarten und entsprechend nervenstrapazierend. Unsere Achtjährige stochert meckernd auf ihrem Teller herum. Zwei Wochen zuvor war dieses Essen noch ihr Lieblingsgericht. Ohne aufzuschauen bemerkt sie: „Wenn du arbeiten gehen würdest, dann könnte ich in der Betreuung zu Mittag essen. Meine Freundin wünscht sich immer, dass ich auch dableibe.“ Na toll, denke ich mir einigermaßen frustriert, dafür habe ich nun am Herd gestanden.

Nach den Hausaufgaben machen wir uns bei strahlendem Sonnenschein auf in Richtung Spielplatz. Auf dem Umweg zum Bäcker, den wir vorher noch machen, entfaltet der Dreijährige seine Künste, sich lautstark zu widersetzen. „Ich will nicht zum Bäcker!“ Einmal rennt er fast vor ein Auto. Dann trödelt er im Schneckentempo. Als ich an der Hauptstraße entlang darauf bestehe, dass er an meiner Hand bleibt, brüllt er so laut, dass sich Passanten nach uns umdrehen. Ich seufze und frage mich: Warum tu ich mir das eigentlich an? Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, einige Jahre Vollzeit-Familienfrau zu sein. Ich will mir Zeit für die Kinder nehmen und bin dafür bereit, auf materielle Annehmlichkeiten zu verzichten. Aber an Tagen wie diesem kann ich Eltern, die ihre Kinder den größten Teil des Tages im Kindergarten und in der Schule betreuen lassen, extrem gut verstehen. Voller Selbstmitleid fange ich innerlich an, nach Stellenanzeigen Ausschau zu halten …

Später auf dem Spielplatz habe ich Zeit, meinen Gedanken nachzuhängen. Mit der Frühlingssonne im Gesicht und zwei zufriedenen Kindern verblasst das Selbstmitleid schon etwas. Mir kommt ein Gespräch mit einer berufstätigen Mutter in den Sinn. Ihr Beruf macht ihr Spaß und sie ist grundsätzlich zufrieden mit ihrer Wahl, aber neulich sagte sie: „Ich wünschte, ich hätte erst später wieder angefangen zu arbeiten. Ich bin oft so gehetzt, mein Alltag ist so vollgestopft. Manchmal fühle ich mich richtig schlecht, dass ich nicht mehr Zeit für die Kinder habe.“

Ich tauche vollends aus meinem Selbstmitleid auf und denke mir: Keine Art, Familie zu leben, ist frustfrei. Egal, wie ich mich entscheide – ich habe Punkte, an denen ich mich reibe und die mich Kraft kosten. In dieser Hinsicht sind sich die unterschiedlichen Lebensentwürfe vermutlich sehr ähnlich. Ich habe mich bewusst für diesen Weg entschieden und will ihn durchhalten, auch wenn die Kinder es nicht zu jeder Zeit schätzen. Vielleicht würdigen sie es später, vielleicht auch nicht. Jedenfalls brauche ich mich nicht woanders hin zu wünschen. Denn genau die Lebensumstände, in denen ich stecke, sind meine Herausforderung, um Gelassenheit, Widerstandskraft und Meckerresistenz zu lernen. Dazu ermutigt mich auch ein Zitat von Romano Guardini: „Was geschieht, kommt von Gott her, aus seiner Liebe, auf mich zu. Es ruft mich an. Es fordert mich auf. Darin soll ich leben und handeln und wachsen und der werden, der ich nach Gottes Willen sein soll.“

Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.