Mehr als gute Freunde
Bei mir schlug die Verliebtheit nicht ein wie der Blitz. Sie kam eher schleichend, auf leisen Sohlen in mein Herz, säte hier ein bisschen Unsicherheit, da ein bisschen Zweifel, begoss alles mit Herzklopfen, und schließlich sprach ich es dann aus: „Das, was ich für dich empfinde, ist mehr als nur Freundschaft.“ Er sah mich an und ich wusste, dass es ihm genauso ging.
Zu dem Zeitpunkt war ich seit fast vier Jahren verheiratet; glücklich – so hatte ich es immer empfunden. Ja, wir waren sehr jung, als wir uns das Eheversprechen gaben im Standesamt und in der Kirche, aber ich hatte niemals an dieser Entscheidung gezweifelt. Niemals – bis ich bei einem Besuch bei Bekannten im Ausland, wo ich schon früher einige Zeit verbracht hatte, einen sehr engen Freund wieder traf. Ich hatte ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Von Anfang an fühlte ich mich ihm wieder so vertraut wie damals, als hätten zwi- schen dieser und unserer letzten Begegnung höchstens fünf Tage gelegen. Sein Lächeln, sein Gang, seine Art zu sprechen, der Blick, mit dem er mich ansah – es hatte sich nichts verändert. So dachte ich jedenfalls.
In den ersten Tagen wunderte ich mich auch kein bisschen darüber, dass ich mich in seiner Gegenwart so wohl fühlte, dass ich seine Nähe suchte und am liebsten keine Sekunde ohne ihn sein wollte. Doch irgendwann spürte ich, dass ich mich meinem Freund so viel näher fühlte als meinem Ehemann, dass sich in meinem Herzen etwas regte, was noch nie da gewesen war.
Meinem Mann gegenüber wurde ich lieblos und kalt, am liebsten hätte ich ihn abgeschüttelt und stattdessen den ganzen Tag mit mei- nem Freund verbracht, denn mit ihm konnte ich reden, mein Herz teilen, wie mit keinem anderen Menschen. Wann immer sich unse- re Blicke trafen, spürte ich, dass da mehr zwischen uns war … Nacht für Nacht lag ich mit klopfendem Herzen in unserem Bett, meinem Mann den Rücken zugedreht, und starrte mit leeren Augen in die Dunkelheit. Ich wusste nicht, was da war zwischen meinem besten Freund und mir.
Einfach nur Freunde geht nicht mehr
Drei Tage vor unserer Abreise zurück nach Deutschland waren mein Freund und ich verabredet. Wir wollten vom höchsten Punkt eines Hügels aus den Sonnenuntergang beobachten, so wie wir es damals, vor über fünf Jahren, auch oft getan hatten. Den ganzen Tag lang konnte ich kaum an etwas anderes denken, so sehr fieberte ich diesem gemeinsamen Abend entgegen. Und diesen Abend wer- de ich tatsächlich niemals vergessen, denn während wir nebenein- ander saßen und unsere Beine baumeln ließen, während der rote Feuerball hinter den Bergen versank, erzählte ich ihm von meiner Verwirrtheit, von diesem völlig neuen Gefühl.
Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte. Vielleicht hatte ich gedacht, er würde mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen, mich an unsere Freundschaft und meinen Familienstand erinnern, mir einen Schlag in die Magengrube verpassen, mich zurückwei- sen. Aber er tat es nicht. Stattdessen umarmte er mich und sagte mir, dass es ihm genauso ging.
Die kommenden Tage waren schrecklich. Wir einigten uns darauf, dass wir einfach nur Freunde wären und bleiben müssten. Er sagte mir, mein Mann sei genau der Richtige für mich. Aber seine Augen sagten mir etwas anderes, und auch seine Hand auf meinem Arm. Er sagte zu mir Dinge, die mir zuvor kein anderer Mensch gesagt hatte, nicht einmal mein Mann.
Wenn ich mich von meinem Mann verabschiedete, um mich mit meinem Freund zu treffen, hielt das schlechte Gewissen meinen Brustkorb fest umklammert. Ich fühlte mich, als würde ich zu mei- nem Geliebten gehen. Dabei geschah rein körperlich niemals etwas zwischen uns. Kein einziger Kuss.
… Betrug mit den Augen
Aber zum Betrug gehört weit weniger als ein Kuss. In die- sen Tagen habe ich verstanden, was Jesus damit meint, wenn er sagt: „Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Her- zen.“ (Matthäus 5,27) Mit meinem Körper habe ich die Ehe niemals gebrochen. Aber in meinem Herzen beging ich diesen Betrug, und mit meinem Mund und mit mei- nen Augen.
Kurz vor dem Abflug zurück nach Deutschland gestand ich meinem Mann alles. Er hatte nichts geahnt, aber als ich ihm von meinen Gefühlen für meinen Freund be- richtete, verstand er, was die ganze Zeit über unsichtbar zwischen uns gewesen war. Ich sagte ihm, dass ich nicht wüsste, ob ich noch mit ihm zusammen sein wolle. Es sei ernst. Ich schonte ihn nicht.
Zurück in Deutschland befand ich mich über mehrere Monate hinweg in einem Ausnahmezustand. Beinahe jeden Tag kommunizierte ich heimlich mit meinem Freund; wir schrieben einander unzählige E-Mails und SMS, telefonierten, bis meine Telefonrechnung für mich beinahe unbezahlbar wurde. Viele Nächte wälzte ich mich schlaflos herum, hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, meine Sachen zu packen und meinen Mann zu verlassen, für ein besseres Leben, für mein „Glück“, und der Vernunft, dieser inneren Stimme, die einfach nicht schweigen wollte.
Ich fühlte mich wie eine elende Heuchlerin und Betrü- gerin, und doch konnte ich diese heimliche Beziehung nicht beenden. Unsere Versuche, den Kontakt abzubre- chen, scheiterten immer wieder – zu groß war die Faszi- nation, zu übermächtig das Herzklopfen, dieser unwider- stehliche Rausch der Verliebtheit. Während dieser Zeit war ich innerlich zerrissen, von einem Widerspruch, den ich in einer solchen Form nie zuvor erlebt hatte: Was sich in meinem Herzen vollkommen richtig anfühlte, wurde von meinem Verstand und von all dem, was ich im Glau- ben als richtig erkannte, als Sünde verdammt. Aber das Leben, das ich führte, die Ehe, in der ich mich befand und die ich vor etwa vier Jahren vor Gott geschlossen hatte, schien mir plötzlich falsch und hohl.
Falsche Entscheidungen
Ich begann, meine Entscheidungen zu hinterfragen. Hat- te ich damals, als ich zu meinem Mann „Ja“ sagte, einen Fehler gemacht, mich gar gegen Gottes Willen gestellt? Warum hatte ich nicht früher erkannt, dass eigentlich ein anderer Mann für mich gedacht war? Warum hatte ich mich damals, vor über fünf Jahren, nicht in meinen Freund verliebt?
An manchen Tagen gelang es mir tatsächlich, mir ein- zureden, ich sei im falschen Leben gefangen, hätte mit unserer Ehe einen verkehrten Weg eingeschlagen – dabei hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt niemals an meiner Ent- scheidung gezweifelt. Am Tag unserer Hochzeit hatte es für mich keinen anderen Mann gegeben als nur meinen Mann.
Warum sollte ich auf einmal eine Entscheidung anzwei- feln, die ich in vollem Bewusstsein und aus ganzem Herzen vor Gott und den Menschen getroffen und be- kräftigt hatte? In meinem Inneren wusste ich, dass ich mir nur etwas vormachte, aber es brauchte einige Monate, bis ich bereit war, mir dies auch einzugestehen und vor mir selbst auszusprechen, dass diese Beziehung – diese Affäre – falsch war und ich sie sofort beenden musste.
Es ist merkwürdig, aber in dieser Zeit fühlte ich mich Gott so nah wie nie zuvor in meinem Leben. Gott sprach in diesen Wochen auf vielerlei Weise zu mir. Nicht nur, dass er mir Freundinnen zur Seite stellte, die mir die Wahrheit ins Gesicht sagten und mich dabei doch nie- mals verurteilten. Sie halfen mir, all die liebenswerten Eigenschaften meines Mannes wieder neu zu entdecken und wertzuschätzen. Er legte auch eine tiefe Sehnsucht nach seinem Wort in mein Herz – und das, was ich da fast täglich in der Bibel las, konnte schließlich nicht ohne Frucht bleiben. Es waren wohl weniger die unmissver- ständlichen Aussagen darüber, was Gott von Ehebruch hält (nämlich rein gar nichts), die mich darin bestätig- ten, meinem Mann treu zu bleiben und unserer Ehe eine Chance zu geben. Das, was mich auf unserem gemeinsa- men Weg hielt, war vor allem ein Satz, der mir auf jeder Seite der Bibel zugeflüstert wurde: „Vertrau mir!“ Ich lernte, dass ich Gottes Zusagen absolut vertrauen kann. Und Gott meint es gut mit mir – alle Dinge werden mir zum Besten dienen (Römer 8,28), auch die Ehe mit mei- nem Mann und sogar diese „Beinahe-Affäre“.
Von der rosaroten Brille zu klarer Sicht
Es hat eine Weile gedauert, aber inzwischen sind die Ge- fühle für den anderen Mann gänzlich verschwunden, und ich habe das „Ja“ zu meinem Mann und unserer Ehe neu finden können. Die Entscheidung, an der Ehe festzuhalten, traf ich zuerst ausschließlich mit dem Kopf und vor dem Hintergrund meiner Überzeugung, dass dies Gottes Wille war. Das war hart – meine Gefühle hinten anzustellen und für einige Wochen eine umkämpfte „Kopfehe“ zu führen. Als ich es schließlich schaffte, den Kontakt zu meinem Freund abzubrechen, konnte ich auf diese Weise auch emotional Abstand zu ihm gewinnen und schließlich er- kennen, dass ich unsere Beziehung bisher lediglich durch die berühmte rosarote Brille betrachtet hatte. Ja, mein Freund und ich hatten sehr tiefe Gespräche geführt und ich schätze ihn nach wie vor für viele seiner guten Eigen- schaften – aber irgendwann setzte sich doch die Erkennt- nis durch, dass auch er einige Schwächen besitzt.
Der gelebte Alltag mit meinem Mann dagegen führte mir vor Augen, was ich eigentlich an ihm habe. Dankbarkeit und Bewunderung über seine Treue und Zuverlässigkeit, seinen Humor und seine scheinbar grenzenlose Liebe zu mir schlichen sich zurück in mein Herz und breite- ten sich darin aus – ja, sogar das lange vermisste Gefühl der Verliebtheit zog wieder in unsere Ehe ein. Ich genoss es wieder, Zeit mit meinem Mann zu verbringen und in Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes zu schwelgen. Ich erkannte, dass unsere Beziehung und die Nähe, die ich zu meinem Mann spüre, unendlich wertvoll und mit nichts zu vergleichen ist.
Dass mein Mann mir verziehen hat und mir wieder be- dingungslos vertraut – das ist ein Wunder! Ich liebe mei- nen Mann. Sehr! Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, „Ja“ zu ihm zu sagen.
Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.
[iconbox title=“Weiterlesen“ icon=“go-jump.png“]Ein Interview zum Thema finden Sie in der Ausgabe 4/12 der Zeitschrift family. Es ist hier bestellbar.[/iconbox]