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Wenn’s mal wieder laut wird… – So gelingt der Umgang mit der Wut

Im alltäglichen Familientrubel kann es schnell hitzig werden. Wenn die Wut hochkocht, braucht es starke Nerven. Psychotherapeutin Melanie Schüer gibt Tipps, was Eltern und Kindern hilft.

Knallende Türen, lautes Geschimpfe und jede Menge Tränen – dass die Wut immer mal wieder hoch- bzw. auch überkocht, kennen wohl alle Familien. Und das ist auch ganz nachvollziehbar. Denn Kinder zu erziehen, nebenbei den Haushalt zu führen, den Familienalltag zu organisieren und womöglich auch noch zu arbeiten – das ist Schwerstarbeit und oftmals eine Überforderung. Schlafmangel, ständige Infekte, ein übervoller Terminkalender, riesige Wäscheberge und viele weitere Herausforderungen im Leben mit Kindern zerren einfach an den Nerven. Dass Eltern da immer mal wieder die Geduld verlieren und lauter werden, als sie eigentlich wollen, ist verständlich.

Anschreien ist fast wie körperliche Gewalt

Was, wenn im Affekt dann sogar die Hand ausrutscht? Dann fühlen sich die meisten Eltern sehr schnell sehr schlecht, und das ist gut so! Denn auch wenn wir alle nicht perfekt sind und einzelne Fehler uns nicht gleich zu schlechten Eltern machen – körperliche Gewalt ist ein No-Go. Zahlreiche Studien zeigen, wie schädlich es für Kinder ist, wenn sie mit Gewalt erzogen werden. Übrigens: Studien zeigen zudem, dass regelmäßiges Anschreien sich auf Kinder genauso negativ auswirkt. Beides schadet der psychischen Gesundheit und der Entwicklung von sozialen Fähigkeiten ganz enorm. Schreien ist verbale Gewalt und damit genauso schwerwiegend wie ein Klaps.

Das bedeutet natürlich nicht, dass es mit der glücklichen Kindheit vorbei ist, wenn Papa oder Mama mal die Sicherung durchbrennt. Aber: Körperliche und verbale Gewalt sollten wir als Eltern beide niemals als „normal“ ansehen.

Schadensbegrenzung im Worst Case

Stattdessen gilt, wenn wir eine solche Grenze überschritten haben:

  • sich kurz Ruhe gönnen, tief durchatmen
  • sich bei dem Kind entschuldigen: „Es tut mir leid! Ich hätte dich nicht anschreien/hauen dürfen. Entschuldige bitte.“
  • Überlegen, was der Auslöser war und, wie die Ruhe zukünftig besser gewahrt werden kann. Oft ist es wichtig, sich mehr Ruhepausen zu organisieren, z.B. mithilfe von Familienpaten oder Projekten wie „wellcome“ mit Kindern im ersten Lebensjahr (wellcome-online.de)
  • Wenn die Wut immer wieder mit einem durchgeht: Unterstützung holen, z.B. von einer Erziehungsberatungsstelle (dajeb.de)

Durch ein solches Verhalten bringen wir unseren Kindern etwas Wichtiges bei: Fehlerfreundlichkeit. Sie sehen an unserem Beispiel, wie man Fehler zugeben und an sich arbeiten kann. Und das hilft auch ihnen selbst, einen guten Umgang mit den eigenen Emotionen und Schwächen im Verhalten zu erlernen.

Wenn die Wut kommt: Tools für den Umgang

  • Eine Hand auf den Bauch legen und tief in den Bauch einatmen, kurz die Luft anhalten, dann langsam und ausgiebig ausatmen. Das 5 Mal wiederholen.
  • Beobachten, was sich in unseren Gefühlen und unserer Körperwahrnehmung verändert, wenn der Ärger wächst, z.B. Hitze, Herzrasen, Anspannen der Muskeln, etc., um zu erkennen, wann es gefährlich wird.
  • Sich ein Codewort überlegen, das man sich innerlich als Stopp-Signal sagt, wenn die Wut stärker wird, z.B.: „Stopp, bleib ruhig, es geht vorbei!“
  • Kurz die Situation unterbrechen und Gegen-Reize setzen, z.B. mit einem Glas Wasser, dem Öffnen des Fensters für etwas frische Luft oder kaltem Wasser, das man sich über die Handgelenke laufen lässt.

Und was ist mit Kinder-Wut?

Dass wir Erwachsenen gut mit Wut umgehen lernen, ist die Basis für ein entspanntes Familienleben, denn Kinder orientieren sich am Verhalten ihrer Eltern. Doch auch Frust und Ärger der Kleinen kann uns im Alltag ziemlich herausfordern – besonders in der Autonomiephase (oft auch „Trotzphase“ genannt) zwischen ca. zwei und sechs Jahren. In diesem Alter spüren die Kleinen ganz besonders stark ihren eigenen Willen. Gleichzeitig ist ihr Gehirn noch nicht so weit entwickelt, als dass sie sich in andere hineinversetzen könnten. Das heißt, sie nehmen intensiv wahr, was sie wollen und verstehen noch nicht, warum andere manchmal ganz andere Bedürfnisse haben. Da sind Wutanfälle vorprogrammiert! Hinzu kommt, dass die Kleinen noch kaum Selbstkontrolle haben: Ruhig bleiben, obwohl die Wut hochkocht ist ohne diese Fähigkeit kaum möglich und so ist es normal, dass Kinder besonders in diesem Alter oft “ausrasten”. Helfen kann dann:

  • Selbst ruhig bleiben und sich erinnern: Mein Kind macht das nicht absichtlich! Es ist gerade überfordert von seinen Gefühlen.
  • Auf Augenhöhe gehen, das Kind freundlich ansprechen, Kontakt herstellen: „Hey, ich bin da!“
  • Die Gefühle, die du bei deinem Kind wahrnimmst, in Worte fassen: „Ich sehe, du bist gerade ziemlich wütend, oder?“ Das zeigt deinem Kind, dass es nicht allein ist und hilft ihm, nach und nach zu lernen, die Wut selbst zu erkennen und zu verbalisieren.
  • Kompromisse und Wahlmöglichkeiten anbieten, um den Wunsch des Kindes nach Autonomie ernst zu nehmen, z.B.: „Wir können jetzt kein Kleid anziehen, aber du kannst zwischen diesen Hosen auswählen!“
  • Techniken zeigen, die helfen, die Wut zu kanalisieren, z.B.: „Komm, wir boxen die ganz Wut jetzt in die Kissen!“ oder „Wir stampfen die Wut jetzt in den Boden, bis es uns besser geht!“

Miteinander statt gegeneinander

Wir haben wohl alle diesen Traum von einem harmonischen, glücklichen Familienleben. Und doch ist es normal, dass der Alltag oft chaotischer, anstrengender und konfliktreicher aussieht. Auch wir Eltern haben Bedürfnisse und Grenzen, die wir auch formulieren sollten. Gerade Gespräche, in denen wir respektvoll mit unseren Kindern reflektieren, was im Streit schiefgelaufen ist und wie es besser gehen kann, stärken die sozialen Fähigkeiten unserer Kinder sehr. Das Wichtigste ist unsere Grundhaltung: Wir leben nicht gegeneinander, sondern miteinander. Nicht „wir gegeneinander“, sondern „wir gemeinsam gegen die Probleme“.

Melanie Schüer Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche und Autorin.

„Hilfe! Mein Kind ist aggressiv.“

„Unser vierjähriger Sohn ist zu Hause und im Kindergarten aggressiv. Wie sollen wir damit umgehen?“

Bei bestimmtem Verhalten von Kindern können wir uns erst einmal nicht erklären, woher es kommt. Doch sicher ist, es gibt eine Begründung! Die gilt es herauszufinden, um entsprechend zu reagieren. Bei Jungen kann eine mögliche Erklärung der erste Testosteronschub um das vierte Lebensjahr sein. Es kann auch vorkommen, dass sich verschiedene Entwicklungsprozesse überlappen und das Kind überfordern. Das Testosteron sagt seinem Körper zum Beispiel: „Geh raus in die Welt und zeig jedem, wie groß und stark du bist.“ Gleichzeitig schmälert die Trotzphase seine Frustrationstoleranz, und sein Geduldsfaden ist sehr kurz. Dies ist eine explosive Kombination und kann zu dem geschilderten Verhalten führen. Wichtig ist nun genau zu beobachten, in welchen Situationen das aggressive Verhalten auftritt. Versuchen Sie sich zu e rinnern, ob es plötzlich begonnen hat. Dies könnte ein Hinweis auf biologische Ursachen sein, die Sie mit einem Arzt besprechen sollten. Teilen Sie dem Kind Ihr Verständnis für seine Wut mit und zeigen Sie ihm Wege auf, wie es damit umgehen kann. Aggressives Verhalten erfordert darüber hinaus eine sofortige Konsequenz. Auf keinen Fall sollten Sie die Aggression unter „so ist er nun mal“ abhaken. Ansonsten lernt Ihr Kind, dass sein Verhalten keine Konsequenzen hat und Gewalt ein bewährtes Mittel ist, seine Konflikte zu lösen.

DER RICHTIGE UMGANG
Um Aggressionen vorzubeugen, sollte ihr Kind zunächst körperlich ausgelastet sein. Frühzeitig einschreiten und zusammen die Situation lösen. Will das Kind unbedingt seinen Willen durchsetzen, kann es für Sie beide nervenaufreibend sein. Der Lernprozess fordert besonders von den Eltern viel Geduld, doch durchhalten lohnt sich! Lenken Sie das Kind nicht mit anderen Dingen ab. Um zu lernen, muss es sich der Situation stellen. Einen Kompromiss auszuhandeln ist okay. Geht das Kind darauf nicht ein, bleibt es bei den Vorschlägen, die Sie bisher gemacht haben. Wichtig für Eltern ist es, einen eigenen Plan zu haben. Wenn Sie hinter dem stehen, was Sie sagen, können Sie in der Situation selbstbewusst handeln. Kinder brauchen Gelegenheiten, um Gelerntes umzusetzen. Geben Sie ihrem Kind immer wieder Freiräume, um sich zu beweisen und beobachten Sie, wie die Situation läuft. Hierunter fällt auch das „Prinzip“ der Verwarnung. Wenn das Kind auffällt, machen Sie deutlich, dass es jetzt nur noch eine Chance hat. Wenn so etwas nochmal passiert, folgt die Konsequenz. Nur durch häufiges Wiederholen kann das Kind lernen, Situationen ohne Aggression zu meistern. Klare Grenzen verhindern häufig, dass Aggressionen überhaupt erst aufkommen und stecken den Rahmen ab, indem es sich bewegen darf.

LOGISCHE KONSEQUENZEN
Am besten sind logische Konsequenzen nach dem „Wenn – dann – Prinzip“. Zum Beispiel: Du schlägst Kinder mit Stöcken, dann hast du heute „Stock-Verbot“. Wichtig ist durch die Körpersprache auszudrücken, dass dieses Verhalten unerwünscht ist. Es darf eine gewisse Strenge in Gesicht und Stimme zu erkennen sein. Wenn sie Ihrem Kind mit einem Lächeln vermitteln, dass Schlagen falsch ist, kann es Sie nicht ernst nehmen und weiß nicht, woran es ist.

Anika Sohn ist Erzieherin und bietet Bewegungs-Kurse für Eltern und Kinder an: familie-bewegt.de. Sie lebt in Neuhofen (Pfalz).