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Unperfekt und trotzdem fröhlich

Vatersein zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Von Cornelius Haefele

Sie sind bestimmt ein toller Vater, nicht so wie ich“, sagt der Herr, der mir in meiner Praxis gegenübersitzt. Er hat mir gerade erzählt, wie schwer es ihm fällt, den Kontakt zu seinen Kindern aufrechtzuerhalten, von denen er getrennt lebt. In meinem Kopf sind zwiespältige Gedanken unterwegs. Der selbstgerechte Kerl in mir sagt: „Stimmt, du siehst deine Kinder jeden Tag. Du versuchst, ihnen jeden Tag auf die eine oder andere Weise zu vermitteln, dass sie dir wichtig sind und du gern an ihrem Leben teilnimmst.“ Aber dann ist da auch noch die andere Seite. Denn mir ist klar, dass ich alles andere als der perfekte Paps bin.

SCHNAPPATMUNG
Da ist zum Beispiel meine Ungeduld. An einem dunklen Winterabend komme ich nach Hause und sehe es schon von weitem. In jedem, wirklich jedem nur verfügbaren Zimmer unseres Einfamilienhauses brennt das Licht. Ich fange schon mal an, leicht asthmatisch zu schnaufen, dann betrete ich das Haus. So freundlich, wie es mir noch möglich ist, rufe ich in die Stille: „Hallo!“ Ich bin selbst erstaunt, es klingt ein bisschen wie das Bellen eines Bullterriers. Meine Jüngste kommt aus ihrem Zimmer gesaust: „Hallo Papi.“ Sie fliegt mir um den Hals. Ich bin gar nicht in Stimmung und frage: „Wo sind denn alle anderen?“ „Mami ist noch schnell was einkaufen, Joni ist bei einem Freund und Luki und Sammy sind in der Jungschar.“ Ich schnappe innerlich nach Luft. Wie ich befürchtete. Keiner im Haus und alle Lichter an. Das geht gar nicht. Wie oft hab ich schon gesagt: „Macht die Lichter aus, wenn ihr aus dem Zimmer geht.“ Ich blaffe meine Tochter an: „Und wieso brennen hier im ganzen Haus die Lichter?“ Sie zieht eine Schnute und sagt beleidigt: „Ich hab die nicht angemacht, das waren die anderen.“ Ja, das ist meine Lieblingsantwort. Ich fange an, mit finsterer Miene durch das ganze Haus zu stiefeln und alle Lichter auszumachen. Dabei grummle ich vor mich hin: „Unverantwortlich, so eine Verschwendung, und an die Umwelt denkt auch keiner, was das kostet.“ Als endlich überall die Lichter aus sind, laufe ich durch den dunklen Flur Richtung Wohnzimmer und stoße mir ganz fürchterlich den großen Zeh an einer herumliegenden Schultasche. Das gibt mir den Rest. Leise schimpfend sitze ich im finsteren Wohnzimmer, reibe meinen Zeh und fange langsam an, mich selbst zu fragen: „Was machst du eigentlich hier? Bist du wirklich der Meinung, du hättest gerade den Lauf der Welt geändert, weil du alle Lichter ausgemacht hast?“ Plötzlich stelle ich mir vor, wie das wohl in fünfzehn Jahren sein wird, wenn ich abends nach Hause kommen werde. Dann wird das Haus dunkel sein, weil meine Kinder ausgeflogen sind. „Was bin ich doch für ein ungeduldiger Trottel“, denke ich. „Du kamst nach Hause und dein Haus sagte dir: ‚Hier ist Leben. Hier sind alle die am Werk, die du liebst – und alles, woran du denken kannst, ist dein schwäbischer Geldbeutel.‘“ Ich stehe auf, gehe durchs Haus und mache wieder ein paar Lichter an, nicht alle, aber immerhin. Dann geh ich zu meiner Tochter und sage: „Tut mir leid, mein Schatz, dass ich dich eben so angepflaumt habe.“ Sie grinst mich an und sagt: „Tja, Paps, mach dir nichts draus, keiner ist perfekt.“

AUF DURCHZUG GESTELLT
Und dann ist da noch meine Unaufmerksamkeit. Wenn ich im Stress bin, bin ich in meiner Familie mit Autopilot unterwegs. Ich kriege schon irgendwie mit, dass alle da sind und dass um mich herum der Bär steppt, aber die Einzelheiten gehen an mir vorbei. Das nervt mich selbst kolossal, aber ich krieg es einfach nicht abgestellt. Schon meine Kinder haben das kapiert. Beim Essen geht es mal wieder hoch her, alle erzählen was. Plötzlich kriege ich mit, dass einer der Jungs morgen ins Schullandheim fährt. „Wie, du fährst ins Schullandheim?“, frage ich. Mein Sohn schaut mich mit einer Mischung aus leichtem Spott, Erstaunen und vielleicht auch etwas Verletztheit an und sagt: „Ach, Papi hat mal wieder was nicht mitgekriegt? Ja, Papi, ich fahre morgen ins Schullandheim. Und das hab ich dir schon ungefähr hundertmal erzählt.“ Solche Momente bealtanaka schämen mich. Da sitze ich den ganzen Tag in meiner Praxis und höre aufmerksam meinen Klienten und Patienten zu, und bei meiner eigenen Familie hab ich auf Durchzug gestellt. Was stimmt nicht mit mir? Leider bin ich an manchen Stellen auch noch unerträglich perfektionistisch. Und das, obwohl ich eigentlich eher ein Chaot bin. Wie passt das bitte zusammen? Nun, es gibt so ein paar Bereiche, da will ich die Sachen so, wie ich sie will. Basta. Meine Werkbank und mein Werkzeug zum Beispiel. Mein Werkzeug hätte ich am liebsten sauber sortiert im Werkzeugkasten, meine Maschinen ordentlich in der Werkbank und nach jedem Gebrauch schön abgestaubt. Es gibt da nur ein Problem: Ich habe drei Söhne. Also kann ich das vergessen. Meine Jungs kommen zu den unmöglichsten Zeiten auf die unmöglichsten Ideen. Da muss einer nun unbedingt aus alten Brettern ein Laserschwert basteln. Kurz darauf komme ich in den Keller und falle fast in Ohnmacht. Auf der Werkbank liegt die Stichsäge, daneben steht, noch eingesteckt und vor sich hin tropfend, die mit Sägemehl bestäubte Heißklebepistole. Ein offener Farbtopf steht auch noch da und der Pinsel steckt in der Farbe. Selbstverständlich wurde keine Unterlage benutzt, was zur Folge hat, dass meine schöne, frisch geölte Werkbank nun fette blaue Farbkleckse aufweist. Ich könnte heulen. Wie oft ich schon verzweifelt Schraubenzieher, Zangen, Hämmer, den Akkuschrauber oder was auch immer suchte und dann irgendwann in einem Jungs-Zimmer – am besten noch unter dem Kopfkissen – fand, ich weiß es nicht. Natürlich habe ich das immer pädagogisch wertvoll genutzt, um meinen Söhnen eindringlich den Wert von Ordnung und Sauberkeit und den sachgerechten „Umgang mit dem Material“ beizubringen … Nur um mich dann gleich wieder aufzuregen: Hört mir eigentlich mal einer zu?

FESTGETROCKNETE FARBE
Aber dann gibt es die anderen Momente: Wenn ich mit meinen inzwischen baumlangen Jungs am Feuerkorb sitze und wir alle gemeinsam immer noch Spaß daran haben, Holzstöcke in die Flammen zu halten und nach Herzenslust zu kokeln. Oder wenn ich spätabends auf meinem Kopfkissen einen Zettel meiner Zwölfjährigen finde, auf dem steht: „Papi, ich hab dich soooo lieb. Du bist der beste Papi der Welt.“ Dann wird mir bewusst, wie reich ich eigentlich bin. Und dann geh ich in den Keller, räume meine Werkbank auf, fahre mit dem Finger über die festgetrocknete Farbe auf der Arbeitsplatte und denke: „Dich lass ich genau da, wo du bist, denn du wirst mich auch in zwanzig Jahren noch an die wunderbaren Zeiten erinnern, als ihr noch klein wart.“ Nein, ich bin gewiss nicht perfekt, manchmal bin ich sogar ziemlich unerträglich. Aber ja, ich bin trotzdem von Herzen gern ein Paps und will gar nichts anderes sein. Die Freude, der Stolz und das Glück, das mir meine Kinder bereiten, überwiegt alles andere bei weitem. Manchmal sehe ich das und kann es schätzen, manchmal vergesse ich es und nehme es nicht wahr. Dann wäre ich gern ein Vater, wie Gott es ist, „barmherzig, geduldig und von großer Güte“. Aber das bin ich nicht – noch nicht.

Cornelius Haefele ist Theologe, Berater und Coach in eigener Praxis (www.theologische-dienstleistungen.de). Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. Im Betulius-Verlag erschien sein Buch „1+1=6. Der ganz normale Wahnsinn in der Familie“.

 

 

 

Dieser Artikel ist auch in MOVO PAPS erschienen, einem Special des Männermagazins MOVO. Wie sieht das Männerleben mit Kindern wirklich aus? Was wünschen sich Kinder von ihren Vätern? Wie lässt sich eine Vaterzeit umsetzen und gestalten? Dies und mehr können Papas in MOVO PAPS lesen. www.movo.net

 

 

Wenn gut nicht gut genug ist

Die Perfektionismus-Falle schnappt immer häufiger zu. Warum ist das so? Und wie kann man sich daraus befreien?

Unser Garten macht mich nervös, weil er „wilder“ aussieht als die gepflegten Gärten unserer Nachbarn. Die Staubmäuse unter dem Sofa muss ich noch wegsaugen, bevor meine Schwiegereltern da sind. Die Muffins für das Schulfest backe ich heute Abend selbst, weil niemand mit gekauften Sachen aufkreuzt. Viel zu oft überkommt es mich: Alles muss perfekt sein. Und das stresst mich. Ich habe dann keine Zeit, eine Pause einzulegen, mich entspannt mit meinen Kindern zu beschäftigen oder andere, schönere Dinge zu tun, weil ich so hohe Ansprüche an mich selbst stelle. Vor allem möchte ich vor anderen den Eindruck vermitteln, dass bei mir alles perfekt läuft. Und ich entdecke den zwanghaften Wunsch, alles perfekt machen zu wollen bei vielen Menschen meiner Generation: Wohnung, Job, Ehe, Kinder. Alles perfekt durchgestylt.

Ist Mittelmaß besser?
Zwei Drittel der Menschen haben – in unterschiedlichen Ausprägungen – perfektionistische Tendenzen. Ungefähr die Hälfte davon lässt sich als „funktionale Perfektionisten“ bezeichnen. Der funktionale Perfektionismus ist die gesunde Variante. Ich würde mich in diese Kategorie einordnen. Mittlerweile müssen die Staubmäuse nicht mehr ausziehen, wenn sich die Mutter meines Mannes ankündigt. Nur die Muffins backe ich noch selbst. Ich will zwar richtig gut sein in dem, was ich tue, habe aber keine Angst, auch mal einen Fehler zu machen. Passiert mir ein solcher, stelle ich mich und meine Fähigkeiten nicht in Frage. Meistens merke ich rechtzeitig, wenn ich übertreibe und eine Erholungspause brauche. Perfektionismus ist nicht grundsätzlich etwas Schlechtes. Ich möchte nicht von einem Chirurgen operiert werden, der in seinem Beruf das Mittelmaß okay findet. Es gibt aber auch den „dysfunktionalen Perfektionismus“. Menschen, die an diesem ungesunden Perfektionismus leiden, setzen sich unerreichbare Standards für alles, was sie tun. Für dysfunktionale Perfektionisten ist es nicht vorstellbar, dass man geliebt wird, wenn man keine perfekte Leistung bringt. Wenn sie einen Fehler machen, geben sie sich selbst die Schuld. Sie zweifeln an sich und ihrer Leistungsfähigkeit. Folglich geben sie immer mehr, und am Ende sind sie ausgebrannt.

Höhere Anforderungen
Warum wird der Perfektionismus zusehends zum Problem für viele Menschen? Wir sind nicht unbedingt perfektionistischer als unsere Eltern und Großeltern, aber die Anforderungen haben sich gewandelt. „Früher hatte ein Mann perfekt im Beruf zu sein und eine Frau perfekt im Haushalt. Er draußen, sie drinnen. Heute müssen alle überall perfekt sein“, schreibt Florentine Fritzen in ihrem Buch „Plus minus 30. Oder die Suche nach dem perfekten Leben“. Wir befinden uns auf Rollensuche und im Rollenstress: fürsorgliche Mutter, gut ausgebildete Karrierefrau, gleichberechtigte und gleichzeitig aufregende Ehefrau, aufmerksame Freundin und ordentliche Haushälterin. Für die Männer ist es nicht einfacher: Versorger und Ernährer der Familie, engagierter Vater, unterstützender Ehemann. In allen Rollen haben wir den Anspruch an uns, perfekt zu sein. Es mangelt aber an Rollenvorbildern, die uns zeigen, wie wir das gemanagt bekommen. Wo klar definierte Standards fehlen und gleichzeitig viele verschiedene Erwartungen an uns gestellt werden, kommt schnell Unsicherheit und Angst auf, etwas falsch zu machen. Man will einfach alle Erwartungen erfüllen und perfekt sein. Und das kann fast nur scheitern.

Oasen des Perfektionismus
Doch was mache ich, damit mir mein Streben nach Perfektion nicht zu viel wird? Ich habe mir bewusst einige Wege aus dem Streben nach Perfektion gesucht: Ich nehme mir Auszeiten zum Durchatmen. Unser Körper und unser Geist brauchen Pausen, um Kraft zu tanken. Im Kleinen reichen da verschiedene Entspannungstechniken „für zwischendurch“: zurücklehnen, kurz die Augen schließen, vielleicht etwas Lieblingsmusik hören. Für längere Pausen kann man sich ein Hobby suchen, das entspannt. Aber Vorsicht! Das Hobby soll der Entspannung dienen und nicht zusätzlich Druck aufbauen, perfekt zu sein. Deshalb habe ich mir „Oasen des Perfektionismus“ geschaffen. Ich habe mir regelrecht antrainiert, nicht überall perfekt zu sein: Meinen Unterricht bereite ich perfekt und detailliert vor – für meine Steuererklärung suche ich jedes Jahr die Unterlagen wieder mühsam zusammen. In meinem Bücherregal herrscht Ordnung – in meinen Kleiderschrank nicht. Ich höre auf mein Bauchgefühl, vor allem da, wo Standards fehlen, zum Beispiel bei der Erziehung meiner K inder. Ich versuche, m ich n icht mehr von dem, was man hört oder liest, verunsichern zu lassen, sondern vertraue vor allem auf meinen Instinkt.

Mehr Ehrlichkeit
Außerdem versuche ich, ehrlich zu sein. Eine Freundin hat mir erzählt, dass sie nicht zu Krabbelgruppen geht. Sie fühle sich dort schlecht, weil alle anderen Mütter ihren Alltag problemlos zu meistern scheinen. Aber wenn nicht in so einer Gruppe, wo sonst könnte man ehrlich sagen: „Ich gehe gerade auf dem Zahnfleisch! Mein Kind schläft schlecht und ich bin total übermüdet!“ Ich wette, wenn eine der Mamas damit anfängt, platzt es auch aus den anderen heraus. Das gilt auch, wenn die Kinder schon groß sind: „Mein Sohn hat die Ausbildung abgebrochen.“ – „Ach tatsächlich? Meiner hat das Studium geschmissen …“ Mein bester Weg aus der Perfektionismus-Falle ist allerdings mein Vertrauen auf Gott. Denn er liebt mich genau so wie ich bin, mit all meinen Fehlern. Wenn ich mir bewusst mache, dass ich vor Gott Fehler machen darf, dass es ihm egal ist, was andere von mir denken, nimmt mir das den Druck. Da darf das Unkraut im Vorgarten auch mal etwas mehr sprießen.

Tanja H. ist in der Erwachsenenbildung tätig und lebt mit ihrer Familie in Norddeutschland.