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Langfristige Partnerschaft: Von Spaziergängen und Wanderwegen

Eine Partnerschaft durchlebt viele verschiedene Stadien und ist von unterschiedlichen Faktoren geprägt. Wie wir Herausforderungen gemeinsam meistern und langfristig glücklich bleiben können, verrät Paartherapeutin Ira Schneider.

Zueinander „Ja“ zu sagen bedeutet, sich all dem Schönen zu widmen, das eine Partnerschaft zu bieten hat. Wir dürfen das Paarsein feiern – all das Leichte, Fluffige und Blumige genießen. Aber nicht nur: Manche der gemeinsamen Wegstrecken sind wie Spaziergänge, andere wie Wanderungen mit Hürden.

Berge und Täler

Wer eine Weile gemeinsam durchs Leben tanzt, erfährt auch Herausforderungen. Nicht nur ältere Paare, sondern auch viele junge Paare wissen unabweislich: Jedem Paar begegnen Stolpersteine. Das Leben, das uns von außen vor Herausforderungen stellt, aber auch unser emotionales Gepäck, die Anteile, die wir mitbringen, können überwältigend sein. Genau deswegen ist es wichtig, sich gemeinsam bewusst auf die Spaziergänge und auf die Wanderwege zu begeben, die uns zu Überwindern machen. Gemeinsam machen wir uns mit unserem Gepäck auf durch die Berge und Täler. Dabei gilt es, sich auch den inneren und äußeren Gepäckstücken behutsam zuzuwenden. Viele sind ständig auf der Suche nach neuen Tools, nach etwas, das schnell hilft. Das alles hat seine Berechtigung. Für Wanderwege dagegen braucht man Zeit, um sie zu bewältigen. Genauso kostet es Zeit und Bereitschaft, sich den biografischen Spuren zuzuwenden. Aber es lohnt sich.

Dieser Wanderweg kann für jedes Paar zu einer noch verbundeneren Zukunft führen, denn etwas, das fast jedes Paar nach einiger Zeit der Reflexion erlebt, ist, dass man innerhalb einer Beziehung mit seinem Gegenüber so spricht, wie früher mit einem selbst gesprochen wurde, oder dass man sein Gegenüber so erlebt, wie man Bindungspersonen in seiner Kindheit und Jugend erlebt hat. Da wiederholt sich etwas, da wird etwas Altes aktualisiert: Geborgenheit und Schmerz. Macht und Ohnmacht. Vertrauen und Angst. Zuwendung und Abwendung.

Prägende Vergangenheit

Das Gemenge unserer kindlichen Erfahrungen, und zwar sowohl der wohltuenden als auch der schmerzlichen, vermischt sich mit unserem Hier und Jetzt. Muss uns das beunruhigen? Auf keinen Fall: Mit unserem Gegenüber können wir Uraltes überschreiben, ein zutiefst heilsames Korrektiv erleben und neue Beziehungserfahrungen über alte legen. Wir können unseren Lebenspfad neu beschreiben. Was wir nicht verkennen dürfen, ist, dass wir unsere Prägung nicht einfach abschneiden, uns umdrehen und nach vorne schauen können, als wäre sie bedeutungslos. Sie bleibt bei uns. Sie zählt. Sie ist nicht egal. Sie richtet sich ein und beeinflusst unbewusst unser Handeln und Fühlen im Hier und Jetzt. Wir können sie nicht mal eben wie ein Gewand abstreifen. Nein, sie kommt in einem anderen Kleid immer wieder ans Tageslicht.

Die vergangenen Erfahrungen jedes Einzelnen in seinem ursprünglichen familiären Umfeld und in seiner frühkindlichen Entwicklung haben mit den größten Einfluss auf eine Paarbeziehung. Das Gute ist aber: Alles, was wir verstehen, kann uns daran hindern, unbewusst alte verinnerlichte Reaktionsmuster zu wiederholen. Aber eins ist paradoxerweise wahr: Zurückblicken bringt Paare nach vorne.

Ob ihr in eurer Partnerschaft lieber erst einmal spazieren gehen und euch der gemeinsamen Wundertüte des Gestaltens widmen wollt oder gleich mit der Wandertour starten wollt, ist euch überlassen. Ihr entscheidet, was ihr gerade am meisten braucht. Wenn Ihr Lust habt: Ich würde mich freuen, euch mit meinem Buch auf der gemeinsamen Reise zu begleiten.

Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin und Autorin. Der Ausschnitt stammt aus ihrem frisch erschienenen Ratgeber „Jeden Tag ein neues Ja“ bei SCM Hänssler. Mehr dazu unter: @ira.schneider_ und auf schneider-ira.com

WG der Eigenheiten – Warum wir nie allein am Tisch sitzen

Am Esstisch nehmen nicht nur die Familienmitglieder Platz. Prägungen aus früheren Generationen sind immer stille Mitbewohner. Manchmal sind es lustige Eigenheiten, manchmal dunkle Schatten, die besser in den Keller gehören. Von Sandra Geissler

Als ich vor vielen Jahren mein Herz an meinen Mann verlor, begannen wir unsere Geschichte, unsere Geschichten und unsere Mahlzeiten zu teilen. Dabei fiel mir eine kuriose Marotte des werdenden Gatten auf. Belegte er sich Brot oder Brötchen, dann schnitt er mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen alles Überstehende ab, bis Belag und Schnitte fein säuberlich Kante auf Kante saßen. So eine Brotbelegungstechnik hatte ich tatsächlich noch nie gesehen.

Einige Zeit später lernte ich den Cousin des Zukünftigen aus dem Norden der Republik kennen und beim Frühstück starrte ich ihn entgeistert an. Da saß er doch, beschnitt seine Käsescheibe und richtete die Gurkenscheiben aus, als wolle er einen Fliesenboden verlegen. Exakt die gleichen Handbewegungen, der gleiche hochkonzentrierte Gesichtsausdruck, die gleiche Schnitttechnik. Seither frage ich mich, welcher Vorfahr vor wie vielen hundert Jahren diese kleine Eigenheit mit ins Leben brachte und sie seither an der ein oder anderen Verästelung des Stammbaumes hervorblitzen lässt.

Dauergäste im Tarnumhang

Heiratet man einen Menschen, dann heiratet man nicht nur seine Art und Weise, ein Brot zu belegen. Man heiratet auch die Menschen seines Lebens, die Geschichte und Geschichten einer Familie, geschrieben über Generationen, ihre Werte und Rituale, ihre Seltsamkeiten und kuriosen Eigenschaften. Sie folgen unserem Lebenslauf, sind verflochten mit Begegnungen, Berufungen und Bedürfnissen. Ein Flechtwerk eingewoben in unsere Herzen, ein Netzwerk aus Prägungen, Erfahrungen und Erinnerungen. Sie sind nicht in Umzugskisten verpackt, nicht klobig sichtbar wie die alte Regalwand aus Kindertagen und werden nicht in einem Sack mit den Klamotten ins gemeinsame Heim getragen. Vielmehr sind es Dauergäste im Tarnumhang, unsichtbare Gepäckstücke des Lebens, über die man hin und wieder stolpert, weil sie an den unpassendsten Stellen im Weg rumstehen, mal klobig und sperrig, mal liebevoll, heiter und weich, wie eine Umarmung. Weil auf diese Weise jeder viele und vieles ist, ist es eine große bunte Gesellschaft, die sich schließlich zusammenfindet und immer was zu sagen hat. Diese Mitbewohner eines jeden Zuhauses zahlen keine Miete, beanspruchen keinen Schlafplatz und keinen eigenen Zahnputzbecher, aber sie gestalten und prägen das Zusammenleben der sichtbaren Menschen munter mit. Sie haben Einfluss auf unsere Art zu streiten und wie wir uns gernhaben. Sie mogeln verjährte Ungerechtigkeiten aus Kindertagen in die tagesaktuelle Schmutzwäsche, legen Reißzwecken alter Empörung aufs Sitzkissen und schaffen es so mühelos, eine kleine Meinungsverschiedenheit in einen handfesten Krach zu verwandeln.

Vorliebe für Quittengelee

Manchmal erinnern sie uns an alte Rituale, die schon immer Trost spendeten, an das Käsekuchenrezept von Tante Lise zum Essen an jedem Ostermontag, an die generationenerprobte Fähigkeit, beizeiten über sich selbst zu lachen. Vielleicht erkennst du im Lächeln deines Kindes das freundliche Gesicht deiner Oma wieder, einen Hang zum Starrsinn in deinem Handeln, weitergegeben wie Opas altes Tintenfass. Vielleicht brennt ein Feuer für Gerechtigkeit schon seit Generationen in euren Herzen, gleich neben der seltsamen Vorliebe für saure Heringe und Quittengelee.

All diese Unsichtbarkeiten leben mit uns und in uns, in unseren Kindern und Kindeskindern, mischen sich ein und mischen auf und manches Mal, wenn sie es gar zu bunt treiben, müssen sie zur Räson gebracht werden. Es ist nicht immer einfach, mit all den Gestalten und Gepäckstücken zu leben. Manche von ihnen sind so gut getarnt, dass man wirklich genau hinspüren muss, wer oder was sich da gerade zu Wort meldet. Dann stehen wir mitten im Streit, in einem Kummer oder einer scheinbaren Harmlosigkeit und wundern uns, warum unser Gegenüber, das wir zu kennen glaubten, reagiert, wie es reagiert.

Dem Schatten die Tür weisen

Es kommt nicht selten vor, dass die wunderbare bunte Truppe der Mitbewohner einige echte Störenfriede unter sich hat, Rucksäcke voll mit schwerwiegenden Erinnerungen, Trauer und Not. Die stehen nicht irgendwo im Keller des Lebens rum, sondern wiegen schwer auf den Schultern, scheuern Rücken und Seele auf und machen das Zusammenleben für alle zur Qual. Dann wird es höchste Zeit, sich zu lösen, sich freizumachen, einen neuen Ort für altes Gepäck zu suchen. Dafür darf man sich nicht nur Zeit, sondern auch Hilfe nehmen.

Wir müssen nicht jeden und alles ertragen, mit manchen lässt sich Frieden schließen und manchem Schatten muss man beherzt die Tür weisen. Manch tradierte Eigenheit ist eine Belastung, die niemand mehr tragen will. Dafür muss man sie sichtbar machen, ansprechen und aussprechen. Wenn Jähzorn schon seit Generationen in einer Familie zu Hause ist, dann darf er trotzdem nicht bleiben. Wenn Schläge die Sprache der Vorfahren waren, dann sind sie dennoch keine angebrachte Kommunikationsform mehr. Und wenn es auch ein ganz und gar undramatisches Erbstück ist, das du einfach nicht mehr haben willst, dann weg damit.

Augenzwinkern aus der Ewigkeit

Diese bunte Wohngemeinschaft des Lebens ist ein großartiges, wohldurchdachtes Netzwerk. Als Christin glaube ich, dass Gott uns nicht aus dem Nichts ins Nichts gestellt hat. Unsere Geschichte und unsere Geschichten, unsere Eigenarten und Besonderheiten sind miteinander und ineinander verflochten, eingewoben in das große Buch der Menschheitsgeschichte. Ein Netzwerk, das beflügelt und Halt gibt, das uns bereichern und bestärken kann. Es verknüpft Gegenwärtiges mit dem Vergangenen, das Diesseits mit dem Jenseits. Und plötzlich merkst du, dass die Art, wie deine Tochter sich das Haar aus der Stirn streicht, die Lachfältchen um die Augen deines Mannes und deine Begeisterung für blühende Gärten einem Augenzwinkern aus der Ewigkeit gleicht. Ein Augenzwinkern, das spricht: „Ich bin noch da, bin noch bei euch und lebe in euch weiter.“

Manchmal sitze ich beim Abendessen und beobachte mit großem Vergnügen, wie eines unserer Kinder sein Brot belegt. Mit der Akkuratesse eines Hirnchirurgen und der Genauigkeit eines Fliesenlegers, Belag auf Schnitte, Kante auf Kante.

Sandra Geissler ist katholische Diplomtheologin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern in Nierstein am Rhein und bloggt unter 7geisslein.com.