Expertin warnt: Tradwives sind keine Beziehungsratgeber
Ein Trend aus den USA, die sogenannten Tradwives, suggeriert ein neues altes Bild von Frauen und Familie. Doch hinter dem Vorhang lauern bedenkliche Ideale. Paarexpertin Ira Schneider nimmt deren Beziehungstipps unter die Lupe.
„Oh, ein leckerer Kuchen“, denke ich und betrachte das vor mir aufpoppende Video genauer. Eine Frau in blumiger Schürze, strenger Körperhaltung und adrett gelocktem Haar steht am Küchentresen voller Backutensilien. Die Szene füllt das Bild auf meinem Handy. Ich bin neugierig und schaue etwas genauer hin. Der Algorithmus von Instagram hat inzwischen registriert, dass ich dem Video einen Moment zu viel Aufmerksamkeit gewidmet habe. Schon füllen ähnliche Videos von Tradwives meinen Feed.
Damals und heute
Die Videos erinnern mich an True Womanhood und Culture of Domesticity. Das waren Schlagworte aus der amerikanischen Literaturgeschichte im 19. Jahrhundert, die kennzeichneten, wie eine wahre Frau zu sein hatte. Sie sei häuslich und der öffentliche Raum wurde ihr verwehrt. Geschichtsnarrative wiederholen sich. Die Gemeinsamkeit der Frauenbilder damals und heute: Ihre Hauptwirkungsstätte scheint ausschließlich häuslich zu sein. Doch eins ist heute anders: Obwohl die Frauen in den Videos sich im häuslichen Raum bewegen, bedienen sich einem riesigen öffentlichen und schnell zugänglichen Raum – dem medialen – um ihr Narrativ der wahren Frau zu verbreiten. Das zugrundeliegende Bild ist allerdings zutiefst patriarchalisch. Es geht um eine immer willige, stets schöne und nie erschöpfte Frau. Eine, die zuhause bleibt und dessen einziges Lebensglück das Wohl der anderen ist und die dabei die eigenen vier Wände in eine wohlige Heimat verwandelt.
Die Videos der Tradwives spielen mit Gegenüberstellung dualistischer Prinzipien einer schwarz-weißen Welt. Die Tradwife sei liebevoll, bescheiden und sogar schlank, weil sie zuhause gesund kochen könne. Eine Frau, die erwerbstätig ist, sei übergewichtig, da sie keine Zeit habe, sich gesund zu ernähren und habe einen schlechten Selbstwert. Diese selbsternannten fürsorglichen Frauen sind jedoch gar nicht so herzerwärmend wie ihre frisch aus dem Ofen gezauberten Cookies, sondern ziemlich hart – nämlich allen Frauen gegenüber, die eigene Wünsche und Bedürfnisse außer der Fürsorgearbeit ihrer Familie verspüren.
Mehr als Limonadenrezepte
Was ich als Paartherapeutin als sehr besorgniserregend empfinde, sind aber vor allem die Beziehungstipps der Tradwives. Es gibt nämlich nicht nur Cup Cake-, Limonaden- und Sauerteigrezepte im Angebot, sondern auch kostenfreie Beziehungstipps von diesen Frauen in ihren fluffigen Kleidern. Es sind Tipps für ein harmoniegeschwängertes Ehe- und Familienleben. Damit das gelinge, müsse Frau sich ihrer ureigenen Bestimmung als Hausfrau und Mutter zurückbesinnen. So zumindest das Postulat dieser Videos.
Das Ganze wird dann über Schuld- und Schammechanismen verstärkt, indem raffiniert moralisiert wird. Hierfür wird noch das Christentum hinzugezogen und Zitate aus biblischen Texten werden wie eine Collage zusammen geclustert. Dabei wird der ursprüngliche historisch-kulturelle Hintergrund ignoriert. Diese Textstellen werden so instrumentalisiert, dass vor allem Frauen ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie nicht diesem einen bestimmten Bild entsprechen.
Dieser Trend aus den USA, der auch nach Deutschland herübergeschwappt ist, arbeitet mit Stilmitteln der Übergeneralisierung. Dabei entbehren diese Gedanken und jeglicher therapeutischen Basis. Stattdessen werden hoch emotionalisiert die Beziehungstipps aus dem Ärmel beziehungsweise aus der Schürze geschüttelt. Sie tauchen plakativ als Texttitel in Videos auf, während kitschige Musik im Hintergrund läuft und um die Rührschüssel herumgetänzelt wird. Die Allgemeingültigkeit dieser Tipps wird dabei mit keiner Silbe hinterfragt. Perspektivvielfalt? Fehlanzeige!
Beziehungstipps der Tradwives im Faktencheck
Diese Frauen wissen angeblich, wie man Ehemänner glücklich macht. Dabei schreiben sich die Tradwives Ratschläge auf ihren Accounts jeweils ab. Drei Tipps tauchen interessanterweise immer wieder auf. Diese möchte ich mir genauer anschauen:
- Die Tradwife empfiehlt, dass sich Frauen ihrem Mann immer frisch geschminkt, frisiert und fein angezogen präsentieren.
Sich für das Gegenüber frisch zu machen, ein Parfüm anzulegen, vielleicht auch mal das Oberteil zu tragen, von dem man weiß, dass der oder die andere es besonders schätzt, finde ich für Paarbeziehungen sehr achtsam, wärme-schenkend und entzückend. Aber dass hier Frauen im Grunde Frauen zu Objekten machen, finde ich empörend. Was für ein Druck, immer besonders herausgeputzt sein zu müssen und das mitten im Familienalltag, der doch oft mit kleinen Kindern unkontrollierbar und unvorhersehbar ist. Was auf Paarebene besonders problematisch ist, ist der Gedanke, sich nicht wahrhaftig zeigen zu können. Da wird etwas versteckt, nämlich die wuscheligen Haare und die verschwitzte Jogginghose. Solche Tipps nehmen einer intimen und vertrauten Beziehung die Natürlichkeit. Aber nicht nur das: Sie rauben auch das Gefühl tiefer Annahme. Denn ein wichtigstes Kriterium von Nähe ist, sich unbekümmert und frei so zu zeigen, wie man gerade ist.
- Die Tradwife empfiehlt, sexuell großzügig zu sein.
Sexuelle Bedürfnisse im Blick zu haben, einander zu fragen, was der oder die gerade braucht, eine gemeinsame Sprache über das Sexualleben zu entfalten, sind wichtige Entwicklungsaufgaben eines Paares. Jede Frau befindet sich in unterschiedlichen Lebensphasen. Vielleicht ist gerade Wochenbettruhe angesagt oder womöglich ist das innere Nähekontingent durch Kinder, die gerade viel kuscheln wollen, bis zum letzten Tropfen ausgeschöpft. Möglicherweise ist der Alltag auch so stressig, dass für romantisch-lustvollen Sex gerade keine Kraft mehr da ist. Vielleicht liegt aber auch eine hormonelle Störung vor oder es gibt schwerwiegende traumatische Erfahrungen in Zusammenhang mit Sexualität. Einfach großzügig sein impliziert, dass fehlende Sexualität im Gegenzug emotionaler Geiz wäre. Diese Form der Unterstellung ist für keine Paarbeziehung konstruktiv. Ein hilfreicherer Tipp wäre, beide Teile des Paares zu ermuntern, sich über Wünsche und Fantasien auszutauschen.
- Die Tradwife empfiehlt, morgens dem Ehemann Mittagessen für die Arbeit mitzugeben.
In vielen Videos sieht man Frauen, die noch vor Sonnenaufgang Fleisch anbraten und große Brotboxen richten. Gegenseitige Fürsorge, kulinarische Gelüste erfüllen, für den anderen, die andere mitdenken, einander überraschen und sich gegenseitig versorgen bringt viel Halt und Geborgenheit in Paarbeziehungen. Was diese Videos allerdings empfehlen, ist eine sehr einseitige Form der leiblichen Versorgung. Eine, bei der der Mann nicht mehr auf Augenhöhe bleibt, sondern eher auf die Kinderebene rutscht. Ich frage mich, wo hier das Elternpaar als Team ist, das die Kinder gemeinsam versorgt. Davon sehe ich in den Videos wenig. Für eine langfristig gesunde Beziehung ist es wichtig, dass Eltern miteinander kooperieren und nicht ein Teil das Gefühl hat, ein weiteres Kind versorgen zu müssen. Da braucht es Erwachsene, die selbstfürsorglich sind, was nicht bedeutet, dass auch gegenseitige Versorgung und Entlastung stattfinden kann.
Einen individuellen Weg finden
Was ich festhalten möchte: Als Paartherapeutin werte ich nicht die Verteilung von Care- und Erwerbsarbeit. Das ist nicht mein Auftrag. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Kinder gute Bindungspersonen haben, die zuverlässig sind, und dass sie einen sicheren Lebensraum erfahren. Für mich ist entscheidend, dass beide Teile einer Partnerschaft sich in dem gesehen fühlen, was sie zum Familienleben beitragen. Für jedes Paar und jede Familie funktioniert etwas anderes. In meiner Arbeit und in meinem privaten Umfeld habe ich sehr viele unterschiedliche Paare kennengelernt. Alle geben ihr Bestes. Paritätische Partnerschaft kann man nicht pedantisch in stündlichen Tabellen ausmessen. Tabellen und Listen finden manche Paare hilfreich. Aber schlussendlich geht es darum, ob emotionale Prinzipien im Gleichgewicht sind. Beispielsweise, dass eine achtungsvolle Wertschätzung da ist oder dass das Gefühl der Gleichwertigkeit im Gleichgewicht ist.
Es ist hilfreich, wenn beide Teile des Paares sich mit Altersvorsorge beschäftigen und ein für sich gutes Modell ausarbeiten. Wenn ein Paar sich Rollen traditionell aufteilt, kann das für das Paar wunderbar funktionieren. Oft beobachte ich auch, dass Paare sich in Lebensphasen abwechseln. Mal ist der eine Teil mehr, mal der andere Partner erwerbstätig. Paarbeziehungen sind ein vertrauensvolles gegenseitiges Wechselspiel an Unterstützung. Das entscheiden Paare für sich. Hingegen ein rigides Bild zu malen, in dem Ehe und Familie nur nach einem Modell funktioniert, wie es die Tradwives in flatternden Röcken behaupten, streut rechtspopulistische Werte. Es ist ein Nährboden derer, die Frauen in ihrer Freiheit beschneiden wollen und stärkt die strukturelle Benachteiligung, die Frauen ohnehin schon erleben.
Ira Schneider arbeitet als Paartherapeutin. Ihr Ratgeber ,,Jeden Tag ein neues Ja“ ist im Juni erschienen. @ira.schneider_