Plötzlich Mama und Papa! – So versinkt ihr nicht im Chaos
Mit der Geburt des ersten Kindes beginnt ein wundervoller und bereichernder neuer Lebensabschnitt. Aber nicht alles klappt auf Anhieb. Coach Julia Otterbein gibt hilfreiche Tipps.
„Egal, wie sehr du dich auf das Elternsein vorbereitet hast und es auch vielleicht noch täglich tust: Es kommt doch immer anders als erwartet. Denn es gibt keinen Plan, den du auf dieser Reise abarbeiten kannst. Keinen Fahrplan oder Ratgeber, an dem du dich zu 100 Prozent orientieren kannst. Jedes Kind, jede Mutter, jede Familie ist individuell.“ (Claudia P., dreifache Mama)
Ein gemeinsames Bild von Familie
Dass jeder Partner eigene Vorstellungen und Wünsche für das Familienleben mitbringt, ist selbstverständlich. Jeder von uns hat individuelle Erfahrungen in seiner Ursprungsfamilie gemacht – positive wie negative. Darüber lohnt es sich als Paar ins Gespräch zu kommen, um beiden Perspektiven Raum zu geben, Verständnis füreinander zu entwickeln und ein neues, gemeinsames Bild von Familie zu skizzieren. Mit welchen Farben diese Skizze im Lauf der Zeit gefüllt wird oder ob einzelne Linien noch einmal korrigiert werden wollen, wird sich später zeigen. Mögliche Themen dieses Findungsprozesses als Familie können sein: Planung und Aufteilung der Elternzeit, Aufteilung von Care-Arbeit und Lohnarbeit, aber auch Werte und Erziehungsziele.
Vom Paar zur Familie
Das Allerwichtigste in der ersten Zeit ist und bleibt es, eure Dreisamkeit zu genießen. In dieser Zeit passiert eure sichtbare Verwandlung vom Paar zur Familie – quasi ein neues Level in eurer Partnerschaft. Ihr dürft gemeinsam in eure neuen Rollen hineinwachsen und euer kleines Wunder bestaunen.
Wenn diese erste Zeit eurer Elternschaft schon hinter euch liegt, könnt ihr auch im Rückblick die Schwangerschaft, die Geburt und das Wochenbett gemeinsam reflektieren. Themen wie die Aufteilung von Care-Arbeit und Lohnarbeit bleiben für lange Zeit aktuell und dürfen im Erleben regelmäßig nachjustiert werden. Besonders dann, wenn weitere Veränderungen anstehen, wie die Geburt von weiteren Kindern oder berufliche Veränderungswünsche.
Aufgaben teilen
Am besten wächst man von Anfang an gemeinsam an den neuen Aufgaben als junge Familie, aber eine gewisse Schieflage an Zuständigkeiten ist auch nicht ungewöhnlich. Die alten patriarchalen Strukturen unserer Gesellschaft sind immer noch sehr mächtig. Als Mutter darfst du loslassen, und als Vater darfst du dir etwas zutrauen. Versuche nicht, die perfekte Mutter zu sein, die immer allen Erwartungen entspricht. Du bist die beste Mutter für deine Kinder, weil du ihre Mutter bist und nicht, weil du einem Ideal hinterherhechtest, das zutiefst unmenschlich und nicht zeitgemäß ist.
Väter machen Dinge oft anders als Mütter und das ist okay! Anders heißt nicht schlechter. Kinder lernen durch diese unterschiedlichen Vorbilder, dass es verschiedene Wege zum Ziel und keine festgefahrenen Strukturen zwischen Männern und Frauen gibt. Einzig das Stillen bleibt natürlich die Kernkompetenz von Müttern.
Das Rad nicht neu erfinden
Weil Frauen das eher intuitiv tun, richtet sich dieser Appell speziell an die Väter: Sucht euch Mentoren oder Vorbilder, mit denen ihr euch austauschen könnt! Ihr müsst das Rad nicht neu erfinden, sondern könnt euch Ideen und Impulse bei anderen Vätern holen. Das gilt selbstverständlich auch für beide gemeinsam: Im Kontakt mit anderen Paaren, die bereits ältere Kinder haben, findet man häufig ein offenes Ohr und Verständnis für die aktuellen Herausforderungen, in denen man gerade steckt. Und man profitiert von ihren Erfahrungen und der weitsichtigeren Perspektive. Ich persönlich bin verschiedenen Menschen in unserem Umfeld sehr dankbar für ihre ermutigenden Worte und ihre mit uns geteilten Weisheiten, die uns immer wieder einen wertvollen Perspektivwechsel ermöglichen.
Rituale schaffen Verbindung
Wenn der Alltag kommt, gilt es, den Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Vorhandene Rituale als Paar könnt ihr weiterpflegen oder weiterentwickeln. Der Eheabend im Kino wird dann eben ins Wohnzimmer verlegt, solange das Kind noch zu klein ist, um von einem Babysitter betreut zu werden. Bleibt im Gespräch über das, was sich ändert, und das, was gleich bleiben soll. Manche Veränderungen sind nach außen deutlich sichtbar, andere spielen sich eher in unserem Inneren ab und bleiben damit für den Partner oder die Partnerin verborgen. Hier ist eine offene Kommunikation unabdingbar, um ein Auseinanderdriften zu verhindern. Schafft euch Rituale für diesen Austausch – dann ist die Hürde nicht so groß, wenn es „schwierige“ Themen gibt, die besprochen werden wollen. Dann ist es wichtig, Verständnis zu entwickeln, zuzuhören und aufeinander einzugehen.
Ihr braucht Freiraum und ein Dorf
Ermöglicht euch gegenseitig, am besten täglich, Freiräume ohne Verantwortung für Kind oder Haushalt, damit die Fremdbestimmung nicht zum Dauerzustand wird. Aber Vorsicht: Was dem einen guttut, muss noch lange nicht die passende Strategie für die andere sein. Tauscht euch aus über eure individuellen Bedürfnisse und findet gemeinsam Möglichkeiten, wie diese Bedürfnisse erfüllt werden können.
Dabei dürft ihr auch euer sprichwörtliches Dorf nutzen und euch unterstützen lassen. So ein modernes „Dorf“ kann heute ganz anders aussehen als früher. Statt der Großfamilie im gleichen Haus oder in der direkten Nachbarschaft bilden heute evtl. die Tagesmutter, die Kita, andere Eltern, Babysitter, Leihomas oder Menschen aus der Gemeinde oder dem Sportverein euer persönliches Dorf. Haltet bewusst Ausschau nach Kontakten, die euch durch geteiltes Wissen, gemeinsam verbrachte Zeit und gegenseitige Unterstützung bereichern. Davon profitiert ihr als Eltern, aber auch eure Kinder.
Julia Otterbein ist Diplom-Sozialpädagogin und Selbstfürsorge-Coach und lebt mit ihrer Familie in Süderbrarup/ Schleswig-Holstein. familywithlove.de