„Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt …“

Ihre Teenager für die Bibel begeistern? Ein schweres Unterfangen für Nicole Schweiger. Bis sie es mit Kreativem Schreiben versuchte.

Zu ihrer Taufe hatte unsere älteste Tochter eine Neukirchener Kinderbibel von ihrer Tante geschenkt bekommen. Aus der las ich ihr – und später auch ihrer kleinen Schwester – regelmäßig und gerne vor. Die Geschichten der Bibel begleiteten unsere Kinder durch ihre Grundschulzeit. Aber irgendwann – für mich war es ein schleichender Prozess – wurde die Bibel zu einem Buch mit sieben Siegeln. Vor allem unsere Ältere, inzwischen fast 16, kann sich wenig dafür begeistern. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg zum Propheten kommen“, heißt es. Aber wie sollte ich die Bibel zu meinem Teenagerkind bringen?

Berührungspunkte suchen

Bei der Jüngeren klappt das ganz gut mit Bible Art Journaling (siehe Artikel S. X). Wir toben uns beide gern kreativ aus, und beim gemeinsamen Gestalten der Bibel kann man gut über Textinhalte ins Gespräch kommen. Wie aber könnte ein Zugang für unsere Große aussehen? Wo gibt es Berührungspunkte mit ihren Interessen?

Wir drei Frauen des Hauses sind Schreiberlinge. In der Schule besuchen unsere Töchter mit ungebrochener Begeisterung das Wahlfach „Kreatives Schreiben“. Wäre das vielleicht ein Ansatzpunkt? Ich wagte den Vorschlag und nach Äußerung ein paar kleinerer Bedenken stimmten beide Mädchen zu.

Konkret sieht das Kreative Schreiben zum Beispiel so aus:

  • Der erste Satz wird vorgegeben, die Handlung mit eigenen Gedanken fortgesetzt.
  • Zu einem Coverbild soll der Klappentext für die Rückseite eines (fiktiven) Buches verfasst werden.
  • Ein Geruch weckt Assoziationen, die als Grundlage für den Text dienen. Alternativen: Schreiben zu einem Geschmackserlebnis oder Musikstück
  • In einem Text werden Worte/Sätze/Textpassagen durchgestrichen. Die übrig gebliebenen Teile ergeben ein Gedicht.
  • Ohne Absetzen des Stiftes und ohne Nachdenken über korrekte Orthografie und Grammatik werden Gedanken zu Papier gebracht.

„Zornszerbrochen“

Als Erste machte sich die 16-jährige Sophia ans Werk. Um an einen Text zu kommen, schlug sie die Bibel einfach irgendwo auf und landete bei Hiob. Manchmal hat Gott wirklich einen schrägen Humor, dachte ich. Da bringt man das Kind nach Jahren mal wieder freiwillig dazu, sich mit der Bibel zu beschäftigen und dann muss es ausgerechnet Hiob sein? Sophias aus zusammengestrichenen Textpassagen entwickeltes Gedicht liest sich durchaus literarisch, aber dem Kapitelinhalt nach entsprechend düster:

„Kinder, die das Licht nie gesehen haben.

Das Licht nicht ernteten.

Zornszerbrochen.

In der Nacht ist Stille.

Sie sterben ohne die Funken des Feuers.“

Ich fühlte mich einen Moment lang überfordert. Mein Plan sah vor, dass wir uns über den ursprünglichen und den neu entstandenen Text austauschten. Nach tiefem Durchatmen meinerseits ließen wir uns darauf ein und hatten zu meiner großen Überraschung und Erleichterung ein richtig gutes Gespräch. Wir diskutierten das Thema „Leid“ und die Frage, ob Gott sich tatsächlich auf Hiobs Kosten mit dem Teufel auf einen Handel eingelassen hat.

Kritische Auseinandersetzung

Ermutigt durch dieses tiefgehende Gespräch machte ich mich ein paar Tage später auf den Weg zu unserer 13-Jährigen. Sie entschied sich für die Fortsetzung eines vorgegebenen ersten Satzes und wollte diesen von mir. Ich ließ den Zufall (oder Gott?) entscheiden und war erleichtert über die Aussage „Ihr seid für die Welt wie Salz.“ Daraus müsste sich doch etwas Positives machen lassen. Doch Lina setzte sich mit diesem Anspruch sehr kritisch auseinander. In unserem anschließenden Gespräch ging es um Glaubenszweifel – die ihrer Mitschüler, ihre und auch meine eigenen. Diesen Austausch hätte es ohne unser Schreibexperiment sicher nicht gegeben.

Ich habe viel über die Gedanken und Gefühle meiner Töchter hinsichtlich ihres Glaubens erfahren. Und vielleicht wirken der Text und unser Austausch in den beiden nach. Gottes Wege sind unerschöpflich, und es ist lohnenswert, sich auf die Suche nach alternativen Zugängen zu seinem Wort zu machen.

Nicole Schweiger ist Sozial- und Montessoripädagogin. Sie wohnt mit ihrer Familie in Lauf a.d. Pegnitz und bloggt unter milchundhonig.jimdo.com.