Symbolbild: Getty Images / Sladic

Wenn Jugendliche nur noch chillen wollen – Tipps für Eltern

Teenager und Jugendliche hängen gern ab und treiben ihre Eltern damit in den Wahnsinn. Was tun? Chillen lassen oder antreiben? Pädagogin Sonja Brocksieper gibt Tipps.

Mit Beginn der Teenagerjahre erleben viele Eltern, dass sich die Verhaltensweisen ihrer neugierigen und aktiven Kinder, die sich gern zu gemeinsamen Aktivitäten einladen ließen, verändern. Chillen und Abhängen werden zur Lieblingsbeschäftigung. Jugendliche lassen sich zu den liebgewonnenen Familiengewohnheiten immer weniger motivieren. Das Engagement für die Schule und das ein oder andere Hobby werden vernachlässigt. Manche Eltern empfinden ihre größer werdenden Kinder regelrecht als faule Mitbewohner, die kaum noch etwas auf die Reihe bekommen. Je nach Ausmaß führt diese Faulheit in vielen Familien zu Auseinandersetzungen und Diskussionen.

Antriebslose Jugendliche

Zunächst muss man hervorheben, dass das Abhängen der Teenager ein normaler Entwicklungsschritt ist. Die Jugendzeit ist eine Zeit enormer Veränderungen. Am auffälligsten ist das bei der körperlichen Entwicklung, aber auch seelische Umbrüche prägen diese Zeit. Viele Teenager erleben – aufgrund hormoneller und neurologischer Veränderungen – große emotionale Schwankungen. Gerade war noch alles wunderbar und einen Moment später geht die Stimmung in den Keller. Die Pubertät ist eine anstrengende Zeit des Zweifelns, der Unsicherheit und der Suche nach dem eigenen „Ich“. Dazu kommt, dass sich der Biorhythmus im Jugendalter ändert und sich die Melatonin-Ausschüttung verschiebt. Morgens kommen sie nicht aus dem Bett, tagsüber sind viele antriebslos und abends werden sie später müde. Auch ernsthafte körperliche Beschwerden können Begleiterscheinungen in der Pubertät sein: Kopf- und Gliederschmerzen, Schwindel, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Müdigkeit oder nervöse Erregbarkeit sind nicht selten die Folgen.

Bei vielen Teenagern gehen die Schulleistungen in der siebten bis neunten Klasse etwas nach unten. Der Kopf und das Herz sind mit wichtigeren Themen beschäftigt als Vokabeln und Geschichtsdaten. Das Gehirn ist in dieser Zeit eine regelrechte Baustelle, sodass es vielen Jugendlichen schwerfällt, sich mit abstraktem Wissen, das mit der eigenen Gefühlswelt wenig zu tun hat, zu beschäftigen. Viel spannender ist die Frage, wie man sich im eigenen Körper wohlfühlen kann, wie man bei den Jungs oder Mädchen in der Klasse oder Jugendgruppe ankommt und wie sich die Freundschaften untereinander entwickeln. Nicht selten erleben Teenager hier auch Stress, Enttäuschung oder Zurückweisung, was Zeit zur Verarbeitung braucht. Und natürlich nagt es auch an der Teenagerseele, wenn man ständig in der Schule das Feedback bekommt, dass die Leistungen nicht so brillant sind. Im Grunde wissen sie, dass mehr Lernen helfen könnte, aber dafür fehlt die Energie.

Gesunde Selbstfürsorge

Um all die Veränderungen zu verarbeiten, brauchen viele Jugendliche Zeiten für sich. Sie ziehen sich zurück und hängen in ihrem Zimmer ab, weil sie schlichtweg eine Verschnaufpause für ihre Seele und ihren Körper brauchen. Und solange das kein Dauerzustand ist, sollten Eltern ihren Kindern diese Erholungszeiten zugestehen. Zeiten des Rückzugs, in denen ein Teenager den ganzen Nachmittag auf dem Bett verbringt und keinen sehen will, sind eine gesunde Selbstfürsorge. Auch das lange Ausschlafen am Wochenende ist eine wichtige Oasenzeit für die Heranwachsenden.

Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass Eltern bei dauerhafter Lethargie und völliger Passivität genauer hinsehen. Wird aus einzelnen Chill-Phasen ein Dauerzustand, in dem die Stimmungslage des Jugendlichen kippt, sollten Eltern das Gespräch suchen. Bei aller Erholung ist es wichtig, dass Jugendliche gleichzeitig motiviert werden, ihren Platz im Leben einzunehmen und Verantwortung zu übernehmen. Ein Mindestmaß an schulischem Einsatz, Mithilfe im Haushalt, Bewegung und Kontakt zu Gleichaltrigen sollte in dieser Lebensphase im Blick bleiben und von den Eltern liebevoll gefördert werden. Dabei ist es wenig hilfreich, wenn wir unseren Teenagern Vorwürfe machen. Sätze wie „Du hängst nur rum“, „Du machst ja gar nichts mehr“ oder „Jetzt geh doch mal an die frische Luft“ sollte man lieber vermeiden. Stattdessen können Eltern mit einer empathischen Haltung deutlich mehr erreichen: „Ich verstehe, wenn dir gerade alles zu viel wird. Ich finde es okay, wenn du morgen ausschläfst. Samstagnachmittag musst du dich dann bitte um das Badputzen kümmern.“

Manchmal ist es für Eltern auch gut, sich an die eigene Jugendzeit zu erinnern, in der man selbst genervt war, wenn man von den Eltern angetrieben wurde, endlich den Müll aus dem Zimmer zu räumen. Besonders dann, wenn der Tonfall nicht respektvoll oder wertschätzend war. Viele Reibungspunkte können Eltern vermeiden, wenn sie in der Kommunikation mit ihren Kindern eine Haltung des Respekts einnehmen und nachfragen, wie es ihnen geht.

Aus der Abhäng-Phase rauskommen

Aus der Gehirnforschung wissen wir, dass mit etwa 15, 16 Jahren eine deutliche Entwicklung der neurologischen Reife stattfindet. Etwa ab diesem Alter wächst die Fähigkeit, umfassend zu reflektieren, Einsicht zu bekommen und komplexe Entscheidungen zu treffen. Spätestens ab diesem Alter sollten Eltern ihre Anforderungen an ihre jugendlichen Kinder Schritt für Schritt steigern. Bleiben Jugendliche in dieser Abhäng-Phase stecken, können sie sich zu Konsumenten entwickeln, die wenig lebensfähig werden und es dann später schwerer haben, die Alltagsherausforderungen zu bewältigen.

Nicht selten können Übergangsphasen Fallstricke sein, sodass es gut ist, diese Phasen gut vorzubereiten und zu planen. Nach dem Schulabschluss inklusive Prüfungszeit lassen viele junge Leute mit gutem Recht erst mal ihre Flügel hängen. Jugendliche sollten auch genießen dürfen, wenn sie einen wichtigen Lebensabschnitt geschafft haben. Je nach Persönlichkeit ist es sogar ratsam, dass sie nicht sofort in der üblichen Tretmühle weitermachen. Dennoch ist es auch wichtig, diese Zeit der Pause klar zu begrenzen, damit Faulenzerei kein Lebensmotto wird, sondern Kraft für Neues freisetzen kann.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und leitet gemeinsam mit ihrem Mann die team-f Regionalarbeit im Rheinland. sonja-brocksieper.de