„Abschied“

„NUR NOCH GANZ KURZ“ – Katharina Hullen kommt beim Verabschieden so richtig ins Gespräch.

Eine Lebenswahrheit, die uns von klein auf begleitet: „Man muss gehen, wenn es am schönsten ist!” Wer kleine Kinder hat und diese von Freunden abholen muss, kennt diese oft leidvolle Situation, in der man als Mutter versucht, mit diplomatischem Geschick und konsequenter Haltung sein pädagogisches Gesicht vor den anderen Eltern zu wahren, die mehr oder weniger geduldig mit mir darauf warten, dass die angekündigte Abfahrt auch wirklich bald erfolgen kann. Meist dauert es aber doch so lange, dass man aus Höflichkeit noch einen Kaffee angeboten bekommt. Klares Signal, doch etwas strenger und nachdrücklicher gegenüber dem Nachwuchs aufzutreten. Es ist aber auch verzwickt: das beste Spiel, das tollste Versteck, die besten Gespräche und Ideen kommen eben immer dann auf, wenn man eigentlich jetzt gehen muss.

Ich kann das gut nachempfinden. Nicht selten geht es mir ebenso, wenn ich mich von Freunden zum Beispiel nach einer Feier verabschieden möchte. Eigentlich ist man schon auf seiner „Wirgehen- jetzt-danke-für-die-Einladung-Mensch-wir-haben-garnicht- richtig-gesprochen-heute-Abend-lass-uns-mal-einen-Termin- abmachen-Abschiedsrunde”, da fällt es mir einfach richtig schwer, nicht doch noch mal hängenzubleiben. Nur noch kurz nachzufragen: Was ist eigentlich aus diesem oder jenem Problem geworden? Hat es mit der Arbeitsstelle geklappt? Hat sich das Kind in der Schule inzwischen eingewöhnt? Seid ihr eigentlich schon umgezogen? Warst du nochmal beim Arzt wegen dieser Sache …? Manchmal kommt man eben erst beim Verabschieden mit einigen Leuten so richtig ins Gespräch. Just dann fallen mir die dicken Themen einfach so vor die Füße. Ich kann nichts dagegen tun.

Ich gebe auch gern zu, dass mir solche Verzögerungen beim Abschied häufiger passieren. Es ist nicht so, als wüsste ich nicht, dass sich mein Mann in dicker Jacke schon auf dem Weg zum Auto befindet. Er sitzt mir im Nacken. Viele gute Gespräche musste ich deshalb schon abbrechen. Aber ganz ehrlich: Jedes dieser Gespräche ist seine Zeit auch wert! Diese paar Minuten im Hausflur scheinen mir oft die effektivste Art der Beziehungspflege zu sein. Sie senden nochmal die deutliche Botschaft: „Ich sehe dich! Ich will wissen, wie es dir geht! Schön, dass es dich gibt!”

Einem sachorientiertem Menschen wie meinem Mann ist sowas natürlich völlig fremd. Und so ist es dann oft er, der versucht, mich mit diplomatischem Geschick und konsequenter Haltung, ohne sein Gesicht zu verlieren, aus der Situation zu zerren. Hach, Schatz, willkommen in meiner Welt!

Bildschirmfoto 2016-02-17 um 16.25.10Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

„ICH WILL NACH HAUSE“ –  Hauke Hullen bewundert die therapeutischen Fähigkeiten seiner Frau, aber warum spart sie sich die großen Themen für den Abschied auf?

Goethes letzte Worte auf dem Sterbebett sollen „Mehr Licht!” gewesen sein. Das ist eine kurze, sinnvolle und abgeschlossene Aussage, nach der sich der Poet auf seinen letzten Weg machen konnte. Um diesen Abgang beneide ich Goethe des Öfteren. Nein, nicht weil ich des Lebens müde bin, sondern weil ich manchmal einfach nur gehen will. Die Veranstaltung ist vorbei, das Büfett leer, der Morgen droht – Zeit für den Heimweg.

Meine Frau sieht das offenbar anders. Wenn der Gastgeber die Türklinke und ich den Autoschlüssel schon in der Hand halten, fallen Katharina Themen von existenzieller Bedeutung ein, die hier im Flur noch angesprochen werden müssen. Das ist keine geheuchelte Last-Minute-Anteilnahme, sondern echtes Interesse an den Schicksalen der Gastgeber. Meine Frau hat sowieso diese, nun ja, „Gabe”, mit chirurgischer Präzision durch das emotionale Fettgewebe ihres Gegenübers zu schneiden, sodass nach fünf Minuten sämtliche Eheprobleme, Kindheitstraumata und Zukunftsvisionen freigelegt sind. Vielleicht ein Grund, warum ich nicht mehr so viel mit ihr rede, doch ich schweife ab. Auf jeden Fall entwickelt sich nun neben der Garderobe ein Gespräch epischer Breite, während ich in meinem Wintermantel langsam vor mich hin schmelze.

Hilflos stehe ich neben meiner Frau und auch ein bisschen neben mir und beobachte, wie Lebensgeschichten verwoben, Probleme austherapiert und Blutsfreundschaften begonnen werden. Es ist beeindruckend. Ich will aber trotzdem nach Hause.

Ich frage mich: Warum nur spricht die beste Ehefrau von allen über all diese Dinge nicht schon während der Party? Als eher sachorientierter Mensch muss ich mir Fragen zum Teil schon vor der Feier notieren und sie mir sorgsam über die Zeit einteilen, damit mir am Ende der Gesprächsstoff nicht ausgeht – und meiner Frau fallen die finalen Fragen erst im Flur ein?

Vielleicht liegt es an diesen besonderen Koordinaten, diesem Nicht-Ort, diesen magischen acht Quadratmetern vor der Wohnungstür. Minuten werden zu Stunden, ein verbales Paralleluniversum entfaltet sich, ein Riss im Zeit-Raum-Kontinuum oder ein schwarzes Loch tut sich auf, aus dem weder Lichtstrahlen noch müde Ehemänner entkommen können.

Ich wehre mich verzweifelt, verbreite soviel Unruhe wie nur möglich und erscheine wahrscheinlich allen Anwesenden als grober Klotz, der ständig versucht, das Gespräch abzuwürgen, mittendrin Hände ergreift und schüttelt oder das Auto bis auf die Fußmatte heranmanövriert. Warum können wir nicht einfach gehen, wenn wir gehen wollen? Warum kommt frau einfach nicht zum Ende? Keine Ahnung.

Ich nehme aber an, dass dies der Grund ist, warum Frauen so viel länger leben als wir Männer: Sie finden ihre letzten Worte einfach nicht.

Bildschirmfoto 2016-02-17 um 16.23.30 Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

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