Auf eigenen Füßen – Großfamilie im Konflikt
Elternfrage: „Mich belastet im Umgang mit den Schwiegereltern unseres Sohnes (22) das Gefühl, immer zurückstecken zu müssen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, wo mein Sohn und seine Frau die Feiertage verbringen. Was kann mir dabei helfen?“
Diese Frage führt uns in eine Großfamilie, die noch nicht lange in dieser Konstellation besteht: Zwei junge Menschen haben geheiratet und damit treffen zwei Familienkulturen der Herkunftsfamilien aufeinander. Das betrifft aber nicht nur das Paar, sondern auch alle Angehörigen. Unsere Familienkultur prägt unseren Umgang mit Ritualen und Festen, aber auch mit den grundsätzlichen Themen wie Kommunikation und Erwartungen. Da gibt es ein Ehepaar, das gern an den Feiertagen ihren Sohn und seine Frau bei sich haben möchte. Und es gibt ein anderes Ehepaar, das gern zur gleichen Zeit ihre Tochter und deren Ehemann bei sich haben möchte. Um besser verstehen zu können, was in diesem Gesamtsystem „Großfamilie“ vor sich geht und wie sich dafür Lösungen finden lassen, kann man die vier Schritte der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg nutzen.
Gewaltfreie Kommunikation
Schritt 1: Was ist passiert? Versuchen Sie, so objektiv wie möglich zu beschreiben, was vorgefallen ist. Als ob Sie einen Film drehen würden, der vor dem inneren Auge abläuft. Wer hat was getan oder nicht getan und in welcher Reihenfolge?
Schritt 2: Welche Gefühle hat das Geschehen bei Ihnen ausgelöst? Es lohnt sich, darüber etwas länger nachzudenken.
Schritt 3: Welche Bedürfnisse stehen hinter den Gefühlen, die Sie entdeckt haben? Man könnte sich selbst auch fragen: Was will ich „eigentlich“? Was treibt mich denn so um, dass ich mich benachteiligt, ärgerlich, verletzt, hilflos oder ähnliches fühle? Wenn Sie bemerken, dass es emotional erstaunlich heftig in Ihnen zugeht, könnte es sein, dass sehr wichtige Dinge wie eine Sehnsucht, eine Überzeugung, ein Grundwert oder Ideal (zum Beispiel von Familie) berührt wurden.
Schritt 4: Formulieren Sie eine Bitte an sich selbst oder an eine andere Person, in der freundlich in Worte gefasst wird, was Sie sich wünschen.
Diese Abfolge von Fragen kann dazu dienen, dass Sie sich besser verstehen und sortieren.
Verständnis füreinander
Eine weitere Übung ist es, diesen 4-Schritte-Ablauf für jede beteiligte Person des Systems einmal zu durchdenken. Natürlich ist da etwas Spekulation dabei, aber sicherlich werden einige Fragen auch leicht zu beantworten sein. Was hat Ihr Ehepartner erlebt? Was hat denn das junge Paar dabei erlebt? Was haben die Eltern der Schwiegertochter erlebt? Gibt es überraschende Erkenntnisse bei dieser Betrachtung?
Der nächste Schritt wäre nun, diese Kommunikation nicht nur im Denken, sondern in der Realität zu führen. Ein „Sag mal, wie geht es dir eigentlich damit, wie wir die Feiertage als Familie verbringen?“ könnte Ihnen vielleicht leichter gegenüber Ihrem Sohn über die Lippen kommen, weil Sie sich vorher über Ihre Gefühle und Bedürfnisse klar geworden sind. Vielleicht kommen auch überraschende Erkenntnisse zutage, wer was gesagt oder nicht gesagt hat; wer welche Gefühle mit sich herumträgt und wer was gern hätte oder erwartet. Dabei können große Unterschiede oder Übereinstimmungen entdeckt werden. Im Idealfall kann sich ein größeres Verständnis für die anderen Beteiligten einstellen. Und vielleicht gelingt es anschließend, eine neue gemeinsame Großfamilienkultur zu leben.
Ursula Hauer leitet den Seelsorge- und Beratungsdienst Feuerbach und lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.