Aufatmen im Terminstress
Wie gut es tun kann, andere wertzuschätzen, hat Ingrid Jope erlebt.
Urlaubsreif. Mit diesem Wort ließ sich bestens beschreiben, wie es mir ging. Ein volles (Schul-) Jahr lag hinter mir. Der Schulwechsel unserer großen Tochter steckte darin und das letzte, intensive Kindergartenjahr unseres inzwischen auch großen Sohnes. Aufgrund meines beruflichen Wiedereinstiegs und einer damit verbunden Weiterbildung hatte ich ein Jahr lang eine 75-Prozent- Stelle und musste nebenbei noch eine Abschlussarbeit und einiges an Fortbildungsterminen stemmen. Die letzte Woche vor den großen Ferien hatte es mit sämtlichen Abschiedsfeiern und beruflichen Herausforderungen besonders in sich. Da musste der Termin fürs Abschlussgespräch im Kindergarten in die erste Urlaubswoche verschoben werden. Müde stand ich an diesem Tag morgens auf und hätte am allerliebsten darauf verzichtet, heute überhaupt einen Termin zu haben. Ich schleppte mich mehr zum Kindergarten, als dass ich radelte. Dann saß ich zwei freundlichen Erzieherinnen gegenüber. Sie hatten sich sorgfältig vorbereitet und stellten mir die Bildungsdokumentation meines Kindes vor. Nach wenigen Minuten war das Gefühl „Ich hätte keinen Termin gebraucht“ verdrängt vom Eindruck: „Toll, dass diese aufmerksamen und engagierten Erzieherinnen unseren Wirbelwind von Sohn durch seine Kindergartenzeit begleitet haben.“ Ich erfuhr Einzelheiten aus dem Kindergartenalltag, ich schnupperte die Sichtweise der Erzieherinnen auf mein Kind, kam so manches Mal ins Schmunzeln, weil ich typische Verhaltensweisen, Stärken und Schwächen vom Alltag zu Hause wiedererkannte. Und ich habe ganz viel Zugewandtheit gespürt, Wertschätzung und Respekt vor dem ureigenen Wachstumsprozess, den jedes Kind nach seiner „inneren Uhr“ und in seiner Einzigartigkeit durchläuft. In mir wuchs ein Glücksgefühl, es schmeckte nach Dankbarkeit, nach beschenkt sein und nach tief durchatmen. Ich fasste eine Erkenntnis, die uns schon lange begleitete, in Worte: Das war genau der richtige Kindergarten für unser Temperamentsbündel. Ich könnte mir keinen besseren für unser Kind und unsere Familiensituation vorstellen. Ich zählte einige Beispiele auf, die ich am Kindergartenalltag und dem ihn prägenden Erziehungsstil schätzte. Die vier Augen der Erzieherinnen strahlten. Meine Erschöpfung war wie weggeblasen. Achtsamkeit und Respekt zu erleben und Wertschätzung zu geben – das tat durch und durch gut. Auch wenn der Alltag voll ist und ich eigentlich viel zu erschöpft bin, will ich das nicht aus dem Blick verlieren: Danke sagen, Gutes wertschätzen, Menschen zeigen, dass ich wahrnehme, wie sehr sie sich einsetzen. All das tut auch mir und meiner Seele gut.
Ingrid Jope ist Theologin und Sozialpädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wetter/Ruhr.