Illustration: YT/Jadena Kühnel

Ein Paar, zwei Perspektiven: Autofahren

MIT DEN SCHILDERLESEN HAT ER ES NICHT SO

Katharina hat als Beifahrerin alle Hände voll zu tun.

Katharina: Ja, wir kommen häufig zu spät. Einer der Gründe: Hauke verfährt sich regelmäßig. „Papa, wo fahren wir hin? Wir wollen doch zum Sport? Warum fährst du auf die Autobahn?“ Wir sind ständig unterwegs – wohin auch immer Hauke uns trägt. Meine Hauptaufgabe als Beifahrerin ist, immer hellwach zu sein und frühzeitig zu erkennen, dass wir mal wieder drohen, Richtung Süden zu fahren, obwohl die Reise nach Norden gehen soll. Denn merke ich es erst, kurz bevor es zu spät wäre, ist es bereits zu spät, denn mein Bester ist dann nicht mehr in der Lage, das „Ruder“ herumzureißen. Also drehen wir häufiger mal eine Extra-Runde auf der Autobahn, wenn Hauke seine Ausfahrt verpasst. Die A3 ist vermutlich nur deshalb so eine Dauerbaustelle, weil wir die Fahrbahnen so strapazieren.

Hauke will zum Training fahren und wird erst stutzig, wenn er vor dem Kindergarten steht. Er will zur Arbeit und wundert sich nach einer Weile über das fröhliche Gegluckse eines Kindergartenkindes von der Rückbank. Wieder einmal heißt es: „Bitte wenden!“

Unser Bus verfügt auch über eine Rückfahr-Kamera und viele Sensoren, es piept und blinkt überall laut und klar. Es ist mir ein Rätsel, aber mein Mann hat es in den letzten drei Jahren trotzdem geschafft, vier (!) große Parkschäden zu verursachen. Er räumt zwar ein, dass es schon irgendwie gepiept hat, aber er dachte, es wäre vorne gewesen, und da war ja alles frei! Oder er dachte, er hätte noch ein paar Zentimeter. Oder er hätte einfach die Warntöne gar nicht gehört. Die Wahrheit ist wohl: Die Einparkkompetenz sinkt im Alter – mit dem Verlust der Hörfähigkeit. Vor Kurzem wollte ich ihm daher bei schlechter Sicht durch Einweisen in eine enge Parklücke helfen. Ich konnte sein Gesicht im Rückspiegel sehen und winkte ihn langsam zu mir. Plötzlich rollte unser Ungetüm von Wagen mit Schmackes auf mich zu. Ich rief, winkte, boxte gegen den Kofferraum und konnte noch rechtzeitig beiseite springen, bevor der Bus zum Stehen kam, als er mit der Anhängerkupplung das Nummernschild des Autos hinter uns touchierte. Hauke behauptet beharrlich, er hätte mich nicht gesehen!

Natürlich ist mein Mann ein guter Autofahrer. Er fährt uns stets sicher ans Ziel. Wir brauchen halt nur Zeit und mit dem Schilderlesen hat er es auch manchmal nicht so. So hat er bereits zweimal den Führerschein abgeben müssen, weil er zu schnell war. Natürlich: es war beide Male ein Sonntag auf einer 4-spurigen, leeren Autobahn, bei herrlichem Sonnenschein. Trotzdem ist man mit 170 km/h einfach zu schnell, wenn nur 100 km/h erlaubt sind.

Ja, ich sammle auch meine Knöllchen in den 30er Zonen unserer Stadt und die erste Beule in unserem Bus habe auch ich verursacht, weil eine Sturm-Böe die Tür an der Tankstelle gegen einen Pfosten gerissen hat. Aber die Bilanz, wer von uns beiden besser fährt, ist angesichts aller Beobachtungen eindeutig: Frauen können besser einparken, kommen sicherer und vor allem direkter ans Ziel und sind einfach die besseren Autofahrer!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

ICH WIDME MICH GEISTIG ANSPRUCHSVOLLEREN THEMEN

Hauke muss sich von einem beliebten männlichen Klischee verabschieden.

Hauke: Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Meine Frau fährt besser Auto als ich. Nach diesem Geständnis hat die Kolumne wahrscheinlich den größten Teil ihrer männlichen Leserschaft bereits verloren – warum sollte man(n) auch Zeit damit verschwenden, eine offenkundige Lügengeschichte weiter zu beachten, welche es wagt, das Alleinstellungsmerkmal des Mannes in Zweifel zu ziehen, nämlich die meisterhafte Beherrschung des Automobils? Denn wir wissen es doch alle: Frauen können nur zuhören, Männer hingegen einparken, Frauen und Technik … (lassen Sie beim Lesen hier bitte eine unheilvolle Pause), Frau am Steuer, das wird teuer … und so weiter und so fort.

Diese Macho-Matsche ließe sich noch beliebig fortsetzen. Doch was ist dran an der legendären Verschmelzung von Mann und Maschine? Bei der Beantwortung dieser Frage verlassen wir Männer uns natürlich nicht auf ein diffuses Bauchgefühl, sondern setzen auf knallharte Fakten. Um es gleich vorweg zu sagen: Ja, es stimmt. Auch insgesamt fahren Frauen besser Auto als wir Männer.

So verunglücken in allen Altersgruppen im Straßenverkehr deutlich mehr Fahrer als Fahrerinnen. Und als wäre das nicht schon schlimm genug: Wir sind auch meistens selbst schuld daran! Dieses Ergebnis bleibt auch dann bestehen, wenn man berücksichtigt, dass Männer rund zehn Prozent mehr Kilometer im Jahr zurücklegen. Woran liegt unser zerstörerisches Verhältnis zum Vehikel? Die Antwort kommt aus Flensburg: Dort sind 2,5 Mio Frauen als „Verkehrssünder“ registriert – und 8 Mio Männer! Tempolimit, Abstand, Alkoholverbot – in diesen Bereichen setzt die männliche Vernunft am häufigsten aus, so dass statt der edlen Krone der Schöpfung eher ein triebgesteuerter Testosteron-Torpedo über die Autobahn rast.

Bei mir ist das natürlich anders. Meine Blechschäden resultieren aus der Tatsache, dass ich den banalen Einparkvorgang in Gedanken schon längst abgeschlossen habe und mich geistig bereits anspruchsvolleren Themen widme. Während ich über den türkischen Einmarsch in Syrien sinniere, fällt der Parkpoller in die Fahrertür ein, denke ich an die prägenden Einflüsse der Fremdsprachen auf die deutsche Grammatik, hinterlässt ein fremder Außenspiegel seine Prägung im Seitenblech, und aus den Grübeleien über kulturell bedingte Kommunikationsdistanzen reißt mich das knirschende Geräusch einer Stoßstange, die mir beim Rückwärtsfahren zu nahe gekommen ist.

Und auch das, was die beste Ehefrau von allen despektierlich als „sich verfahren“ bezeichnet, ist in Wirklichkeit nur Ausdruck eines großen Geistes. Ich bin in Gedanken (und alsbald auch physisch) eben einfach woanders. Auf diese Weise lerne ich die nähere Umgebung auch viel intensiver kennen und darf mich mit Fug und Recht vielleicht nicht als den besseren, aber als den erfahreneren Automobilisten bezeichnen. Und was soll noch mal der Dirigent Karajan zum Taxifahrer gesagt haben? „Fahren Sie mich irgendwo hin, ich werde überall gebraucht.“ So wird‘s wohl sein.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.