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Da oder nicht da?

Christian Rommert vermisst sein E-Bike.

„Aber das Paket ist laut unseren Unterlagen da!“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung zum dritten Mal. „Das Paket ist nicht da!“, wiederhole ich geduldig. Der Mann am Kiosk mit angeschlossenem Paketservice nickt hektisch. „Hier ist nix!“, raunt er erneut. Noch heute früh glaubte ich, mein Fahrrad wäre zurück aus der Reparatur. Endlich! Nach nur sechs Wochen Wartezeit. Pustekuchen. „Hier ist kein Paket!“ Ich sehe Büchersendungen, Plastiktüten mit Kleidersendungen. Kleine Pakete, große Pakete! Aber keines der Pakete ist groß genug, dass ein Fahrrad darin verpackt sein könnte. „Wirklich, hier ist nichts!“

ZEITNAH …

Vor sechs Wochen war mein wunderbares Fahrrad kaputtgegangen. Genau an dem Tag, an dem die Frau, die ich liebe, endlich die höheren Gänge und den Knopf für die maximale Motorunterstützung ihres E-Bikes entdeckt hatte. Es hätte so schön sein können: gemeinsame Fahrten zum Markt, Ausflüge mit dem E-Bike an der Ruhr. Stattdessen steht mein Fahrrad beim Händler in Amsterdam. Oder irgendwo verschüttet in den Kellerräumen des Kioskbesitzers. Oder beim Paketservice im Anhänger. Ich sehe mich weiter meiner Frau mit meinem kaputten Tourenrad hinterherhecheln. Dabei schien alles so einfach! Der Hersteller hatte noch gemeldet: „Dein Bike ist gut gelandet und wird zeitnah repariert.“ Doch dann herrschte tagelang Funkstille. Ich hatte immer mal wieder angerufen und gemailt, doch keine richtige Antwort erhalten.

Ich dachte, es läge vielleicht an Sprachschwierigkeiten. Mein Englisch ist okay, aber nicht verhandlungssicher. Also meldete ich mich in der Deutschlandzentrale. „Sorry, my German is not that good!“, bat der Mensch am anderen Ende der Leitung um Verständnis, und wir redeten erneut in Englisch. Ich verstand, dass mein Bike einen irreparablen Motorschaden hat und dass ich deswegen ein nigelnagelneues Bike bekäme. Das fand ich super, erinnerte aber daran, dass ich mein altes Bike mit einem schicken Sattel und einem tollen Gepäckträger ausgestattet hatte. „Kein Problem! Wird alles gemeinsam mit deinem neuen Rad verschickt!“ Ich fragte: „Wann?“ Er sagte: „Tomorrow!“ Ich übersetzte: „Morgen!“, und halte diese Übersetzung bis heute für korrekt.

ÜBERRASCHNGSPAKET

Allerdings war „tomorrow“ vor sechs Wochen. Also wieder telefonieren: „Stimmt, das Fahrrad ist hier! Wir müssen nur noch von deinem alten Fahrrad deinen Sattel und deinen Gepäckträger abbauen, dann kommt alles!“ Das war vorgestern. Deswegen war ich gestern so glücklich, als ich eine E-Mail bekam, in der stand: Dein Paket ist unterwegs. Doch nun stehe ich hier. Laut Tracking-ID ist mein Paket da. Laut Paketdienstmitarbeiter nicht.

„So kommen wir doch nicht weiter!“, versuche ich es mit einem lösungsorientierten Ansatz. „Okay, wir recherchieren das und unternehmen dann übermorgen einen nächsten Zustellversuch. Sind Sie Freitag zu Hause?“ Bin ich nicht, aber mein Sohn wird da sein. Also noch zwei Tage warten, dann kann ich endlich wieder mein geliebtes Fahrrad in den Händen halten.

Zwei Tage vergehen. Am Freitagnachmittag meldet sich endlich mein Sohn. An seiner Stimme merke ich, dass irgendetwas ihn fürchterlich amüsiert. „Was ist los?“, frage ich. „Na ja, dein Paket ist da …! Aber ich schick dir mal ein Bild!“ Sekunden später erhalte ich die WhatsApp-Nachricht. Auf dem Boden liegt Paketpapier. „Was soll das?“, schreibe ich. „Wo ist das Rad?“ Es folgt ein weiteres Bild: Auf dem Tisch liegen ein Sattel und ein Gepäckträger. Darunter steht: „Papa, es tut mir leid, aber das ist alles!“

Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das „Wort zum Sonntag“ in der ARD.
Foto: Wolfgang Wedel