Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Das richtige Maß an Zuwendung

„Unser zweiter Sohn (3) ist ein sehr braves und kooperierendes Kind. Die Geburt seiner kleinen Schwester vor wenigen Monaten hat er gut weggesteckt. Nun fragte mich eine Erzieherin, ob er zu kurz komme. Sollte ich ihm mehr Aufmerksamkeit schenken, obwohl er so unproblematisch ist?“

Rückmeldungen von außen haben einen Wert. Sie sind deshalb so wertvoll, weil sie Eltern die Möglichkeit geben, einen Schritt zurückzutreten und ihr Verhalten, das ihres Kindes und das Zusammenspiel als Familie bewusster wahrzunehmen. Dabei können einige wichtige Veränderungen für die Entwicklung des Kindes angestoßen oder gar ein verfahrenes negatives Muster zwischen Eltern und Kind entlarvt werden. Alles in allem ist es eine Einladung zum Hinsehen.

BEWUSST BEOBACHTEN

Wachsame und mitdenkende Erzieherinnen sind eine Bereicherung. Jedoch haben Menschen mit pädagogischem Beruf wie Erzieher oder Lehrer, aber auch Großeltern oder Freunde nicht per se den „besseren“ Blick auf das eigene Kind. Wenn Fachkräfte aber zum genauen Hinsehen auffordern, kann das dazu führen, dass Eltern sich vergewissern: So wollen wir das Miteinander. Es ist gut so. Sicherlich war die Begegnung mit der Erzieherin, von der Sie berichten, nicht ganz einfach. Die Aufgabe, Ihren Sohn, seinen großen Bruder und nun auch noch das Baby nicht aus dem Blick zu verlieren, ist sicherlich fordernd genug für Sie. Doch anstatt sich mit Fragen und Vorwürfen zu beschäftigen, möchte ich Sie ermutigen, diese Rückmeldung als Chance zu sehen, Ihren Sohn und sein kooperierendes Verhalten einmal bewusst zu betrachten. Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen: Drückt er Ärger aus, wenn er übersehen oder missverstanden wird? Gibt es Momente, in denen er einen bewussten Blickkontakt oder Kuschelzeit von Ihnen benötigt? Wissen Sie, was ihn zum Lachen bringt, was er gern isst oder welches Buch gerade sein Favorit ist? Diese kleinen Alltagsmomente können Hinweise sein, ob er mit seiner wenig fordernden Art ausreichend Nähe bekommt und seine Bedürfnisse ausdrückt.

EMOTIONEN BENENNEN

Sie können ihm dabei helfen, seine Gedanken und Wünsche zu erspüren. Manchmal hilft eine kleine Minute mit einem Bilderbuch oder einem Wimmelbuch, in dem Menschen verschiedene Emotionen durch ihren Gesichtsausdruck zeigen. Sie können bewusst fragen: Wann bist du zornig? Anschließend können Sie mit einem Spiel verschiedene Gesichtsausdrücke aus dem Buch nachahmen. Um ihm zu helfen, sich wahrgenommen zu fühlen, nennen Sie zum Beispiel am Esstisch bewusst seinen Namen, sehen Sie ihn an und lassen Sie ihn als Erstes ausdrücken, was er für sein Brot als Aufstrich wählt. Oder fragen Sie ihn während der Autofahrt: „Wie fühlst du dich? Welches Lied wollen wir zusammen singen?“

Insgesamt muss er nicht unbedingt auf ein Geschwisterchen mit Aufruhr und Trotz reagieren. Es gibt Kinder, die in sich ruhen und auch auf starke Veränderungen sehr gelassen reagieren. Auch das darf das Ergebnis Ihrer Beobachtung sein.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com