Ein perfekter Samstag
Und warum der im Ruhrgebiet besonders schön ist … Von Christian Rommert.
Was ist Glück? Ein perfekter Samstag! Seitdem die Kinder groß sind, genießen wir die Freiheit, einen Samstag so zu gestalten, wie es uns Spaß macht. Niemand, der uns zu früh aus dem Bett zwingt – wie in den Zeiten als unsere Kinder klein waren. Niemand, der uns mit dem Frühstück warten lässt – wie in Zeiten der Pubertät.
Wir stehen auf, wenn wir wach sind und fahren gemütlich zum Markt. Markt im Ruhrgebiet bedeutet auch immer, lustige Gespräche am Stand. Zum Beispiel: Auswertung des letzten Fußballspiels – mein VfL Bochum hat mal wieder in der Nachspielzeit einen Ausgleich kassiert. Oder – wenn das Spiel erst noch stattfindet: Analyse des später anstehenden Fußballspiels – wird mein VfL Bochum mal wieder in der Nachspielzeit den Ausgleich kassieren?
„WAT GIBSTE IHM DAFÜR?“
Katrin und ich könnten stundenlang am Kaffeestand mit einem pain au chocolat und einem Cappuccino stehen und den Leuten zuschauen. Wir ziehen weiter zum Obststand. „Die Erdbeeren sind der Hammer!“, spricht einer mich an. „Der muss es wissen“, antwortet der Verkäufer, „Der kommt öfter!“ „Wat gibste ihm dafür, dass er hier an deinem Stand rumschleicht und Empfehlungen abgibt?“, lautet die erwartete Antwort. Danach Fahrt zum Supermarkt. Salat, Butter, Wurst und Schlangestehen an der Fleischtheke. Auch dort muss man einander dummes Zeug erzählen: „Du bist Schalker? Wat ist denn bei dir schiefgelaufen?“
Nach fünf Mal Currywurst mit großer Soße zum Selberaufwärmen ziehen wir zum Zeitungskiosk und holen eine Wochenendausgabe der regionalen Zeitung. Schon beim Überfliegen des Leitartikels sehe ich den ersten Rechtschreibfehler. Heimat ist dort, wo man die Regionalzeitung kauft, obwohl sie voller Fehler ist und nur Meldungen enthält, die man gestern schon online gelesen hat. Am Ausgang ein kurzes Gespräch mit dem Griechen am Feinkoststand. Ich weiß, dass er gar kein Grieche ist. Er ist Kurde, aber das ist egal, es gibt griechische Sauereien wie Oliven mit Mandeln und Aioli oder Paprika-Dip. Ich weiß, dass diese Spezialitäten wahrscheinlich spanisch oder italienisch sind, aber das ist egal, dieser Stand fühlt sich griechisch an, und Nationalitäten sind hier eh nur ein Alibi, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
WAS MACHT MAN MIT BEINSCHEIBE?
Dann ab zum Eiermann oder zur Eierfrau. Seit einigen Jahren fahren wir zu einem kleinen Bauernhof – ja, das gibt es im Ruhrgebiet. Am Eierautomaten noch ein kleines Schwätzchen mit anderen, die sich fragen, ob sie die große Fleischtüte, die der Schlachter gerade anbietet, bestellen sollen oder nicht. Wie lange reichen 20 kg von der Kuh, der man auf der Weide noch zuwinken kann, und: Was macht man mit Beinscheibe? Im Hintergrund läuten die Glocken des Kloster Stiepels.
Spätestens in diesem Moment denke ich: Hoffentlich spricht sich nicht rum, wie herrlich das Ruhrgebiet ist. Dann endlich fahren wir nach Hause. Inzwischen hat irgendeines unserer erwachsenen Kinder doch seinen Weg an unseren Frühstückstisch gefunden: „Was machst denn du hier?“ „Och, ich hatte Lust auf Frühstück mit euch!“ An solch einem Tag macht selbst der Hausputz Spaß. Mit Musik auf den Ohren schwingen wir Staubsauger und Putzlappen, machen Holz oder den Garten. Später wird gegrillt, soviel ist sicher. Das Leben ist schön und das Glück liegt vor den Füßen. Am Abend noch „Wetten, dass…?“ Das wär’s. Aber Tommy ist ja in Rente. Was soll’s! Dafür gibt es Streaming-Plattformen. Mit einem Glas Wein lassen wir den Abend vor dem Fernseher ausklingen. Ich glaube, Gott liebt Samstage! Und das Ruhrgebiet. Wir tun es auf jeden Fall.
Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das Wort zum Sonntag in der ARD.
Foto: Wolfgang Wedel