Erschlagen von guten Tipps

Bücher geben Rat in allen Lebenslagen. Aber manchmal ist weniger mehr.

Seit ich alle Buchstaben kenne, lese ich ohne Unterbrechung. Zunächst verschlang ich Pferde- und Internatsbücher, dann Fantasy-Romane. Mit 15 las ich das Kommunistische Manifest. Mit 23 Heinrich Heine, Stefan Heym und Rosamunde Pilcher. Die besten Bücher trösteten mich, veränderten mich, schenkten mir Zuflucht und Rat.

Als ich nach 34 Lebensjahren mit Amelie schwanger wurde, gab es mittlerweile das Internet. Welch ein Segen! Welch ein Fluch! Jede Unregelmäßigkeit ließ mich das Internet zu Rate ziehen: „HILFE! Was bedeutet der schwarze Fleck auf dem Ultraschallbild?“ Ich bekam so viele unterschiedliche Antworten, dass ich mir sicher war, es müsse sich entweder um ein Hämatom, einen unterentwickelten Zwilling oder eine Krebsart handeln. Voller Anspannung ließ ich mich von einem Professor untersuchen. Letztendlich handelte es sich um eine harmlose Zyste.

Von meinem Nachttisch verschwanden die Krimis. Stattdessen stapelten sich dort nun Schwangerschafts-, Still- und Erziehungsratgeber. Zwar war ich eine halbwegs gute Sekretärin und Freizeitleiterin und hatte mittlerweile eine ungefähre Ahnung, wie das mit der Ehe funktionierte. Mutterschaft war für mich jedoch ein Buch mit sieben Siegeln. Das beunruhigte mich. Aber ich hatte schon ganz andere Dinge bewältigt. Also würde ich auch die Geburt und das Stillen und das Wickeln und das Erziehen mit den richtigen Büchern meistern.

Während der ersten Jahre meiner beiden Töchter versuchte ich, streng jedes Wort aus meinen Ratgeberbüchern zu befolgen. Ich stillte länger, als ich eigentlich wollte. Ich trainierte meinem Kind ein ordentliches Schlafverhalten an. Ich redete nur noch in Ich-Botschaften. Ich bin dankbar für einige der Bücher, die mich aus mancher Notlage retteten und mir umsetzbare Tipps für meinen Alltag gaben. Andere Bücher, die Mutterschaft über-idealisierten, ließen mich all meine Unzulänglichkeiten spüren. Das, was ich an den meisten Tagen mit Baby und Kleinkind schaffte, war das nackte Überleben und vor dem Abendessen in Warp-Geschwindigkeit zu duschen.

Mittlerweile sind meine Babys keine Babysmehr, sondern fordernde, eigenwillige, schmutzige Kinder. Und ich habe noch mehr Ratgeber gelesen. Wie meine Kinder Regeln lernen, selbstständig werden und gefördert werden können. Oft war ich nahe der Verzweiflung angesichts der vielen sich widersprechenden Aussagen und komplizierten Systeme. Viele der Methoden, die wir ausprobierten, passten nicht zu uns, nicht zu unseren Kindern. Ich merkte: ich kann mir den Umgang mit meinen Kindern nicht anlesen. Vor Kurzem habe ich alle meine Ratgeber auf ein einsames Regal im Arbeitszimmer verbannt.

Stattdessen verlasse ich mich neuerdings auf mein Bauchgefühl und meinen Mutterinstinkt. Die wurden von den Büchern so sehr an den Rand gedrängt, dass ich erst neu lernen muss, meiner inneren Stimme zu vertrauen. Letztens las ich einen treffenden Satz von Thomas Carlyle: „Bevor der Kopf sehen kann, sieht das Herz schon längst.“ Mir ist es mittlerweile egal, was ein vierjähriges Kind können muss. Und ich rede auch nicht mehr ausschließlich in Ich-Botschaften. Manchmal rede ich sogar erschreckenderweise wie die Prusseliese in Pippi Langstrumpf.

Ich möchte als Mutter ich selbst bleiben. Mein großer Leitfaden heute ist mein Instinkt. Und Jesus. Die Masse an Ratgebern hatte mich verunsichert und trotzdem brauche ich einen, der mir Rat schenkt. Die Lehren von Jesus sind der Ankerplatz für meine Unsicherheiten und er selbst ist Abladeplatz für meine Unzulänglichkeiten. Das, was ich von Jesus lerne, ist immer mit Gnade und Einfühlsamkeit, mit Loslassen und Anleitung zum Selbstständigwerden verbunden. Und wenn mir mal wieder alles über den Kopf wächst, dann meine ich, Jesus flüstern zu hören: „Tief durchatmen, nimm einen Krimi und lass es dir gut gehen.“

Veronika Smoor aus Waldbach bei Heilbronn ist zweifache Mutter, Hausfrau und Ehefrau aus Überzeugung. Nebenbei arbeitet sie als Fotografin aus Leidenschaft. Ihren Mütter-Alltag verarbeitet sie in ihrem Blog: http://smoorbaer.wordpress.com.

 

Was ist Ihre Meinung zu dem Thema? Wie Rat(gebet)-liebend sind Sie?

1 Kommentar
  1. Dorina sagte:

    Hallo Frau Smoor, ich hatte während der Schwangerschaft auch ein Buch über natürliche Geburt gelesen und war danach der festen Überzeugung Krankenhäuser wären schlecht für den liebevollen Empfang eines Babys, ein Kaiserschnitt sehr schlecht weil das Kind dann noch nicht raus will usw…. Ich las viel übers stillen und die Bindung zwischen Mutter und Kind und auch dass das Bonding essenziell wichtig sei… Nun kam ALLES anders als geplant: keine natürliche Geburt wie geplant im Geburtenhaus sondern im Krankenhaus von dem ich so viele Horrorgeschichten gelesen hatte, dann auch noch Kaiserschnitt, ich durfte mein Baby nicht gleich sehen und dann auch noch die Verlegung ohne die Mami in ein anderes Krankenhaus – Bonding Ade- ! Dann war mein Baby saugschwach, also abpumpen und so weiter und sofort… alle meine Träume über den Haufen geworfen. Hätte ich mir nicht so viele Gedanken gemacht, dann wäre ich vielleicht viel ruhiger und gelassener gewesen und wäre nicht so maßlos traurig und enttäuscht gewesen. Heute ist die Kleine 9 Monate alt und sie liebt mich auch ohne Bonding und dafür den Papa umso mehr, denn er übernahm das Bonding. Die Kleine musste noch oft ins Krankenhaus, aber da sie es kannte weinte sie kaum. Und da ich zeitig die Flasche geben musste, konnte mein Mann sie auch öfter mal in der Nacht füttern und ich schlafen oder unterwegs sein! Ich versuche mich auch auf mein Bauchgefühl und auf Jesus zu verlassen, denn es ist für jeden anders und jedes Kind ist auch anders…. es gibt keine einzige Wahrheit und man sollte den Weg für sich selbst finden. Herzliche Grüße von einer ebenfalls leidenschaftlichen Fotografin
    Dorina

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