Freundinnen – mit und ohne Kind

Es ist einer dieser perfekten Som­merabende. Der Duft von Ge­grilltem lässt  den  Partygästen  das Wasser   im   Mund    zusammenlaufen. Gespräche,  zirpende  Grillen und  fröhli­ ches Gelächter schaffen eine entspannte Atmosphäre.  Auch wir sind  unter  den Gästen: Sina und Veronika. Wir kennen uns  nicht.  Und  beginnen   einfach  so ein Gespräch.  Partygeplänkel, aus dem dann ganz schnell mehr entsteht.  Denn so  unterschiedlich  wir  auch  sind,  es gibt  entscheidende  Gemeinsamkeiten: unser schräger Sinn für Humor,  unsere Liebe zum  Essen  und  unser  Interesse an christlicher Jugendarbeit.

Diese   Party   ist   der   Ausgangspunkt einer wunderbaren Frauenfreundschaft, die  über  die  Jahre  von  tiefen  Gesprä­chen,  Lachen und  geteilten  Sorgen genährt  wird. Und die auch Prüfungen standhalten   muss.    Als   erste    Kon­flikte aufgrund  der unterschiedlichen Lebenssituationen entstehen.  Oder als Veronikas  erste  Tochter  geboren  wird und  Sina darunter  leidet, dass sich die­ ser Traum von Ehe und Familie für sie selbst  noch  nicht   erfüllt  hat.  Immer wieder erlebt unsere Freundschaft Veränderungen,  die  uns  herausfor­ dern, die andere neu anzunehmen und verstehen zu lernen.

Die Freundschaft vor dem Mutterwerden

Veronika: Wir leben zwei Stunden  von­ einander  entfernt.  Das bedeutete früher stundenlange Telefonate am Abend, die sich meistens um Stress auf der Arbeit, Männer, unsere Beziehung zu Gott und um Gewichtsprobleme (eingebildet oder echt) drehten. Besuche gaben uns das Gefühl, angekommen zu sein. In der Gegenwart der Anderen erlebten wir Verständnis und Seelen­Wellness. Oft haben  wir nicht  viele Worte gebraucht. Und manchmal  ganz ganz viele. Uns verband auch die Liebe zum Reisen. Wir   haben   es   trotz   vollen  Terminka­ lenders geschafft, einmal ein „Weiber­ wochenende“ in Rom, Sinas Lieblingsstadt, zu verbringen.

Sina:  Wie   in   jeder   Beziehung    war die Anfangsphase unserer Freundschaft spannend. In ausgiebigen Gesprächen wurde die Vergangenheit der Anderen miterlebt, Gemeinsamkeiten gefunden, Höhen und Tiefen gemeinsam bestritten und die Unterschiedlichkeiten einfach erst mal übersehen. Als ich Veronika kennenlernte, hatte ich gerade erst den christlichen Glauben für mich entdeckt und  saugte alles auf, was mein  christli­ches Umfeld von sich gab. Veronika war mir eine große Hilfe in meiner ersten Orientierungsphase. Sie hat mir beige­ bracht, dass Glaube absolute Freiheit be­deutet! Außerdem  hatte ich bei ihr seit langer Zeit mal wieder das Gefühl, eine Freundin  gefunden  zu haben, die mich annimmt und  unterstützt, wie ich bin. Das war sehr erholsam!

Wertschätzung

Veronika: Ich schätze an Sina, dass sie mir den Pizzabäckertanz und die Her­ stellung von Pasta beigebracht hat. Oder dass sie mir einmal während einer sehr traurigen  Phase einen liebevoll gestalte­ ten Karton voller Aufmuntersüßigkeiten geschenkt  hat.  Ich liebe Sinas  Humor, ihr  Lachen.  Sie  hat  eine  ganz  große Liebe zu  Menschen  und  zu  Gott.  Sie geht den Dingen auf den Grund (kein Wunder  als Wissenschaftlerin!).  Das ist für mich anstrengend, denn ich weiche unangenehmen  Angelegenheiten    ger­ ne aus. Sina ist sozusagen mein spre­ chendes  Gewissen, das die Dinge beim Namen nennt, die ich selbst gerne unter den  Teppich  kehren  würde.  Ich  liebe auch   ihre   Zerbrechlichkeit   und   ihre unfassbare  Stärke, mit der sie den  He­rausforderungen des Lebens begegnet.

Sina: Ich schätze an Veronika, dass sie felsenfest  verlässlich ist, dass  man  ihr Lachen aus zwei Kilometern Entfernung hört, dass sie einen Sinn für das Schöne und  das Detail hat,  was man  in ihren Fotografien   und   ihrem    gemütlichen Zuhause  erkennt.  Ich genieße  unseren Austausch   über   Gott   und   die   Welt. Mittlerweile können  wir entspannt dis­kutieren,  ohne die Angst, verschiedene Ansichten könnten unsere Freundschaft beeinträchtigen. Ich mag ihre liebevolle Art, mich auf Fehler hinzuweisen, dass sie nicht  nachtragend  ist und  dass  sie mir Hoffnung  und Trost gibt. Ich genie­ße es, wie sie mich umsorgt,  wenn ich sie besuche und bin ganz gerührt, wenn sie mich ihren Töchtern als „Tante Sina“ präsentiert.

Der Start in die Kinderphase

Veronika: Einige Zeit nach unserem Kennenlernen   wollten    mein    Mann und ich eine Familie gründen. Sina wünschte   sich   zu   diesem   Zeitpunkt selbst  sehnlichst  Kind  und  Mann. Unsere Freundschaft erlitt ihre erste Belastungsprobe, unter deren Gewicht Risse auftraten.  Ich wollte diese Risse nicht.  Ich  versuchte  sie  zu  ignorieren und schönzureden, aber letztendlich mussten   wir  uns   beide   eingestehen, dass wir an sehr unterschiedlichen Punkten  unseres  Lebens standen.  Und von diesen Punkten aus war die Position der jeweils Anderen meilenweit entfernt.

Sina: Wir kamen in eine neue Phase unserer Freundschaft. Meine Lebens­ realität war die gleiche wie vorher, aber für Veronika sollte ein neuer Abschnitt beginnen. Für mich war klar, dass sich alles verändern würde und ich konnte diese neue Situation erst mal nur kri­ tisch annehmen. Die Angst, dass die unterschiedlichen Lebensrealitäten un­ überwindbar werden und aus einem Telefonat in der Woche eine Karte zu Weihnachten werden könnte, machte sich in mir breit. Ich spürte Skepsis und Einsamkeit.Veronika: Ich erinnere mich genau an den Moment, als Sina unsere neuge­ borene Tochter das erste Mal im Arm hielt. Ihr liefen Tränen übers Gesicht. Und ich wusste, dass das nicht nur Freudentränen waren, sondern auch Tränen über ihre Ehe­ und Kinderlosig­ keit. In dem Moment gab es mir einen Stich der Enttäuschung ins Herz. Als beste Freundin musste sie doch meine riesige Freude über dieses neue Leben teilen! Ich war voll Sorge, dass Sina von mir Abstand nehmen würde. Denn ich konnte mich nicht mehr in dem Maße in die Freundschaft investieren wie vor­ her. Abends war ich oft dermaßen er­ schöpft, dass die Kraft nicht mehr dafür reichte, zum Telefon zu greifen oder ei­ nen E­Mail­Gruß zu senden. Ich hoffte einfach, dass unsere gemeinsame Ver­ gangenheit und gegenseitiges Verständ­ nis unsere Freundschaft durch diese Zeit tragen würden.Sina: Die Freude über den Nachwuchs war natürlich riesengroß, aber die Sehn­ sucht nach einer eigenen Familie lässt sich mit einem süßen Knirps auf dem Arm einfach nicht mehr so gut verdrän­ gen. Es begann eine Zeit mit neuen Prioritäten und Problemen. Die Pro­bleme von Veronika wurden schwerer nachzuvollziehen und schon so banale Dinge wie der Tagesablauf konnten zum Hindernis werden. Wenn ich nach meinem Arbeitstag, dem Sport oder an­ deren Unternehmungen am späteren Abend nach Hause kam, erreichte ich meist eine übermüdete Veronika, die nach dem 24-­Stunden-­Job Kind nicht mehr die Muße hatte, wie früher zwei Stunden mit mir zu quatschen. Obwohl der verminderte Kontakt anfangs nicht leicht war, merkte ich, dass es uns aber immer noch wichtig war zu wissen, was in dem Leben der Anderen passierte.

Die Krise überwunden

Veronika: Mir wurde klar, dass ich Sina in ihrer Sehnsucht nach Familie neu annehmen und ihr weiterhin Freundin sein wollte. Für mich als frischgebacke­ ne Mutter bedeutete das, nicht nur stän­ dig von meinem Baby zu schwärmen, über Windelberge und Schlafentzug zu klagen, sondern mich für die Lebens­ wirklichkeit meiner Singlefreundin zu öffnen. Es war nicht immer einfach, denn ich wollte nicht in Gefahr geraten, mich zu verbiegen, um Sina „zu gefal­ len“. Andererseits tat es mir unend­ lich gut, mit ihr über babyferne Dinge sprechenzu können. Zum Beispiel über meine Beziehung zu Gott, über das neue Jamie­Oliver­Kochbuch, über Lite­ ratur oder Nahost­Politik.

Sina: Wir haben akzeptiert, dass sich unsere Freundschaft verändert hat, ohne dass sich die Position der Anderen im eigenen Herzen verändert hat. Wir hören und sehen uns vielleicht nicht mehr so oft, aber die Qualität unserer Freundschaft leidet nicht darunter. Wir haben uns miteinander weiterentwi­ckelt und haben offen und ehrlich Din­ge akzeptiert, die für einen selbst viel­ leicht nicht nachvollziehbar waren. Wir haben Anteil genommen und auch mal das Eigene zurückgesteckt. Mittlerweile genieße ich den Austausch über die un­terschiedlichen Lebenslagen, das lässt die eigene Situation in neuem Licht erscheinen.

Veronika: Ich habe festgestellt, dass ich Sina durch meine Ehe und Mutterrolle nicht „überlegen“ bin, im Gegenteil. Ich lerne von Sina unglaublich viel. Sie ist in den letzten Jahren in Glaubensdin­ gen stark gewachsen. Davon profitiere ich, wenn ich mal wieder den Durch­ blick verloren habe. Da holt sie mich zurück auf den richtigen Weg. Und ich bleibe offen für die Lebenswirklichkeit von Singlefrauen. Ich habe gelernt, dass es kein Patentrezept für die Partnersu­ che gibt und dass wohlwollende, trös­ tende Worte oft verletzend sein kön­ nen. In dunklen Zeiten hilft es meiner Freundin zu wissen, dass ich sie lieb habe, ihr zuhöre und mich still und be­ tend an ihre Seite stelle. Sprüche à la: „Der Richtige kommt schon noch“ oder „Du hast ja noch so viel Zeit“ sind nicht hilfreich.

Sina: Mir als Single gibt die Freund­ schaft mit einer Mutter die Möglichkeit, einen neuen Standpunkt kennenzuler­ nen.Esbestärkt mich im Glauben an die Familieund desillusioniert auch so man­ ches Mal die zu romantische Vorstel­ lung von Ehe und Elternsein. Veronika kann mir vielleicht keine Tipps für meine Lebenslage geben, aber sie unter­ stützt mich und eröffnet mir auch mal eine andere Sicht auf die Dinge. Das  Gute ist, dass unsere  Freundschaft nicht  durch  den Be­ziehungsstatus oder die Anzahl der Kinder definiert wird, sondern   durch  die  Verbindung   von  zwei  Frauen,  die durch  die richtige  Mischung  an Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten gefestigt wurde.

Freundschaftspflege

Veronika:  Freundschaft als Mutter  leben – das gestaltet sich nicht immer  einfach. Will ich mal in Ruhe telefo­ nieren,  dann  hängt  mir  garantiert  nach  zwei Minuten ein Kleinkind kreischend  am Hosenbein. Oder Erschöp­ fung wirkt sich so lähmend  auf mich aus, dass ich Tref­ fen oder Telefonate um Wochen verschiebe. Ich vergesse Geburtstage. Oder wichtige Anliegen, für die ich beten sollte. Trotzdem merke ich, wie gut es mir tut, meine Freundschaften zu pflegen. Das gelingt mir, wenn ich meine „Freundschaftspflege“ plane. In meiner Wochen­ planung trage ich Anrufe und E­Mails ein. Ich achte auch darauf, Freundinnen in regelmäßigen Abständen  zu se­ hen. Das bündele ich auch gerne, indem ich Geburtstags­ und gelegentliche Dinnerpartys schmeiße.  Eine tief ver­ wurzelte Freundschaft überlebt eine kurze Dürreperiode. Aber an anhaltendem Pflegemangel wird sie irgendwann zugrunde  gehen.

Sina: Ich habe gelernt, unseren  Kontakt besser zu timen. Auch wenn mein  Leben mehr  Flexibilität zulässt,  versu­ che ich mich  an  Veronikas  Tagesablauf  zu  orientieren. Das heißt  zum  Beispiel keine Anrufe während  der „Kin­ der­ins­Bett­bring­Phase“, Termine einhalten und nicht kurzfristig  alles umschmeißen, weil es für einen  selbst ja unproblematisch ist. Es gilt das Wesentliche  zu bere­ den, das Nebensächliche  zu ignorieren  und  das Schöne zu genießen,  und das ist in so einer Freundschaft meist die gemeinsame Zeit.

Veronika Smoor aus Waldbach bei Heilbronn ist zweifache Mutter und Hausfrau. Gerne lässt sie Windelberge und Putzlappen links liegen, um sich dem Schreiben und der Fotografie zu widmen. Ihren Mütter-Alltag verarbeitet sie in ihrem Blog: http://smoorbaer.wordpress.com
Sina Roth aus Biberach arbeitet als Biologin. Neben ihrer Leidenschaft für die Jugendarbeit lebt sie ihre Kreativität beim Schreiben und Fotografieren aus. Sie arbeitet an einem Buch über Frauen, Beziehungen und das Kopfkino der weiblichen Welt.

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