Ein Paar, zwei Perspektiven: Glückwunschkarten
Wertschätzung brauchen wir alle
Katharina Hullen steckt viel Zeit in Geburtstagskarten. Leider wird sie häufig trotzdem nicht rechtzeitig fertig.
Katharina: Heute sind unsere Zwillinge zum Geburtstag ihrer Freundin eingeladen. Das Geschenk ist besorgt und hübsch verpackt. Ich frage die Mädchen, ob sie Karten zu ihrem Geschenk geschrieben haben. Und es ist wie jedes Mal: Die eine Tochter zückt ein effektvoll gebasteltes Karten-Kunstwerk voller Pop-up-Elemente und Geheimfächer, wohingegen die andere motzig in ihrem Zimmer verschwindet, um noch schnell auf ein nacktes DIN A4-Blatt ein paar Glückwünsche zu kritzeln. Sticker drauf, fertig! Sie pfeffert ihr Werk neben das Geschenk mit den Worten: „Echt, Mama, kein Mensch schreibt mehr Karten! Die will auch keiner lesen und am Ende werden sie eh weggeworfen!“ Offenkundig scheint es eine Typfrage zu sein, ob man seinen Mitmenschen wenigstens zu bestimmten Anlässen auch ein paar nette Worte schreiben will. Aber ist es nicht so, dass jeder gern persönliche Karten bekommt? Ein paar Zeilen voll ehrlicher Wertschätzung und guter Wünsche? Ein Bildmotiv passend gewählt, eine liebevolle Bastelei, ein besonderer Umschlag? Alles doch Zeichen für: Ich habe an dich gedacht! Zwar wird es so ein Papier natürlich nicht gleich in den Nachlass des Beschenkten schaffen, doch ich hoffe, dass es ihm wenigstens für diesen Moment das Herz erwärmt. Wie sagte Mark Twain? „Von einem guten Kompliment kann ich zwei Monate leben.“ Doch das Problem ist: Um wirklich bedeutsame und tiefergehende Worte zu finden, braucht es leider auch viel mehr Zeit. Wie soll man es bloß schaffen, all die guten Wünsche, all die gemeinsamen Erfahrungen, all die Sympathie in wenigen Sätzen auf ein kleines Kärtchen zu quetschen? Oft schon habe ich stundenlang an den richtigen Formulierungen gefeilt – und dann die Karte doch in Haukes Hände gegeben. Einfach, weil wir jetzt wirklich losmussten. Und weil Hauke, obwohl er ein Beziehungsmuffel ist, ironischerweise dann doch die witzigsten Karten schreibt. Zwar nicht besonders tiefgründig, aber eben sehr unterhaltsam. Diese Texte fließen ihm einfach so aus der Feder – was für eine Gabe! Der Beschenkte hat immer ein Lächeln auf den Lippen! Und schmeißt die Karte dann nachher weg.
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
Ein Jahr älter – na und?
Hauke Hullen findet das Tamtam, das um Geburtstage gemacht wird, völlig überzogen.
Hauke: Ich muss zugeben: Ich gratuliere nicht gerne. Vor allem nicht schriftlich. Und mündlich eigentlich auch nicht. Irgendwie erschließt sich mir der Sinn dieses Rituals nicht: Wofür soll ich gratulieren? Dass jemand es geschafft hat, ein Jahr älter zu werden? In der Regel war dazu keine besondere Leistung nötig – älter werden wir von ganz allein, das kann jeder bestätigen, der sich wie ich beim Schuhezubinden jedes Mal überlegt, was man bei der Gelegenheit noch alles erledigen könnte, wenn man schon mal da unten ist.
Nein – Anerkennung fürs Überleben verdienen nur diejenigen, die unter prekären Bedingungen aufwachsen, weil vielleicht im Stadtteil Gewalt grassiert, im Land eine Hungersnot wütet oder die Eltern Volksmusik hören. Logischerweise sollte man daher eher der Mutter des Jubilars zum Jahrestag ihrer Niederkunft gratulieren – war sie doch die einzige, die an dem Tag etwas Produktives gemacht hat. Die beste Ehefrau von allen will trotzdem, dass ich Leuten zu ihrem Geburtstag beglückwünsche, weil es darum gehe, dem anderen seine tiefe Wertschätzung zu zeigen. Wirklich? Einmal im Jahr? Und ausgerechnet an diesem einen Tag? Immerhin mag man seine Freunde und Bekannten ja meistens durchaus langfristiger als nur 24 Stunden, da müsste man ja eigentlich täglich oder wenigstens im Wochentakt ein paar warme Worte wechseln, oder? Außerdem gibt es auch Menschen, mit denen mich gar nicht so wahnsinnig viel verbindet. Sie teilen sich nur dank einer Laune der Natur den gleichen Lebensraum mit mir in Firma, Verein oder Kirche. Doch statt sich konsequenterweise neutral zu verhalten, muss man sich auch dort eine Gratulation abringen, vor allem, weil das Geburtstagskind den Weg zum Kuchenbuffet versperrt. Auch der Empfänger interessiert sich doch nicht wirklich für die wohlgesetzten und tiefsinnigen Sentenzen, die wir mit Herzblut auf die Karte gezirkelt haben. Für meine Kinder ist das Kartenlesen eine lästige Pflicht vor dem Auspacken, dessen einziger Sinn darin besteht, die Spannung auf das Geschenk zu erhöhen. Wozu also der ganze Stress? Am nervigsten sind Chatgruppen auf WhatsApp & Co. Irgendwer sammelt immer ein Fleißkärtchen und schickt um kurz nach Mitternacht den ersten Glückwunsch auf die Reise. Danach pingt und brummt es, bis der Akku leer ist. Irgendwann sieht man sich genötigt, sich den zahlreichen Vorrednern anzuschließen. Man möchte ja nicht wie ein gefühlskalter Idiot erscheinen, weil man als Einziger nicht gratuliert. Vor ein paar Wochen hatte ich übrigens selbst Geburtstag. Viele haben mir gratuliert. Hat mich sehr gefreut.
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.