Hör auf zu träumen!
Warum ich versuche, keine Träumerin mehr zu sein. Von Stefanie Diekmann
Träume geben Kraft und sind Motor für Entwicklungen. Ich habe es in meinem Leben aber auch anders erlebt: Wie ein Schwamm sauge ich bunte Lebensbiografien und Geschichten auf. Von Menschen, die den Trott verlassen haben. In die Weite gehen, auswandern, ein Projekt starten, unbequem leben. Spuren hinterlassen. Ich höre hin und spüre das bekannte Sehnen in meinem Herzen.
SCHLECHT BEWERTET
In meinem Leben gab es fast 20 Jahre lang den Traum, anders zu leben. Irgendwie anders. Unbedingt. Ich wollte ein Freizeitheim gründen in Spanien oder Frankreich, damit Familien und Gruppen einen bezahlbaren Urlaub erleben dürfen und auftanken können. Und wenn das nicht hinhaut, wollte ich unbedingt in einer Kommune leben. Wo Menschen eine Weggemeinschaft sind. Einen Unterschied machen in einer Stadt. Eine Adresse für andere sein. Mit offenporigem Herzen saugte mein Traumschwamm Berichte von Christen auf, die Leben teilen und Ideen umsetzen. So was wäre doch zu schön! Gleichzeitig bestand mein Leben aus Fakten. Die Ideen in meinem Schwamm blieben. Und wie Bakterien in einem Küchenschwamm fingen sie an zu gären und sorgten für unschöne Reaktionen und „Gestank“. In mir war es, als spalte sich der Anspruch, anders zu sein und diesen Traum zu pflegen, ab von meinem wirklichen Alltag. Von meinem Alltag mit Kindern, Laminat-Pflege und Gemeinderoutine. Mehr und mehr habe ich mein Leben im Jetzt in unbequemen Momenten schlechter bewertet. Denn eigentlich wartet da ja noch der große Traum vom anderen Leben. Ein muffiger Geruch voller Sehnsuchtsgedanken, dass dieses Leben nicht alles sein kann. Gott hat sicher noch mehr mit mir vor …
BLICK AUF DIE FAKTEN
Mein Bericht könnte hier zu Ende sein. Ich kann nicht richtig beschreiben, was meinen Traum-Mix verändert hat. Ich denke, der Wille, meinen Alltag zu lieben, hat den Herzensschwamm durchspült. Nicht jede Faser ist „traumfrei“, aber der unangenehme Geruch klebt nicht mehr in mir fest. Das Gefühl, im falschen Leben zu stecken und auf etwas „Tolles“ zu warten, ist deutlich weniger geworden. Mir hat geholfen, meinen Traum immer wieder mit meinem Mann durchzudenken. Dabei half mir ein Blick auf die Fakten: Freizeitheim im Ausland: Bei null Sprachkenntnissen wenig realistisch. Und bei dem Druck, ein Haus effizient zu führen, bleibt die Idee, Kostengünstiges anzubieten, nur Theorie. Kommune: Nicht alles ist Zusammenhalt im Zusammenleben. Um diese Idee zu forcieren, braucht es viel Kraft, die ich nicht immer habe. Welche Menschen investieren sich mit in diesen Traum? Oder muss ich sehr lange mit Mut und Gestaltungswillen in Vorleistung gehen? Und der Faktencheck ergibt auch, dass meine Begabung nicht mit dem ausdauernden, langen Atem einer Organisation zu verknüpfen ist. Die gesammelten Träume im Schwamm könnten also eine stinkende Gefahr für mich bedeuten. Sie sind ja Träume: Immer im Sonnenschein glücklich vor einem Haus mit lachenden Menschen sitzen – unrealistisch und geträumt …
EINE ZU GUTE TRÄUMERIN
Hilfreich war für mich auch, meinen Herzensschwamm genau anzusehen. Was sauge ich so eifrig auf? Was nährt meinen Traum? Was bringt mich beim Träumen zum nächsten passenden Schritt für mein Leben? Wie reinigende Spülungen habe ich entdeckt, dass nicht mein Beruf falsch ist, meine Fähigkeiten falsch sind, mein Mann und seine Berufung falsch sind. In meinem Herzen ist mein Traum zu einem freundlichen bunten Bild geworden, aber es überlagert mit seinem Drängen nicht mehr mein Heute. Durch meine Träume habe ich die Themen meines Lebens besser kennengelernt: Ich sehne mich nach Beziehungen, nach kreativem Lebensraum voller Weite. Dazu brauche ich kein Freizeitheim und keine Kommune. Ich bin gefordert, diese Sehnsucht mit meiner Familie, meinen Kollegen und meiner Kirchengemeinde zu leben. Dieses Ausdrücken alter Träume aus meinem Schwamm macht mich bereit, Neues aufzunehmen. Ich höre heute schneller auf zu träumen, weil es mich nicht im Hier bereichert, sondern mich wegtreibt. Ich bin keine gute Träumerin, weil ich eine zu gute Träumerin bin. Es macht mich heute traurig zu sehen, wenn eine junge Frau ihrem Berufswunsch als Traum so viel Raum gibt, ohne den Mut zu haben, den ersten Schritt zur Verwirklichung auch zu tun. Oder wenn Ehepaare sich in einen Traum aus Familie flüchten, der sehr unterschiedlich und in beiden Fällen unreal ist. Ich spüre eine Gefahr, wenn das geschenkte Jetzt weniger wert ist als die Vergangenheit oder die Zukunft. Ich spüre es, weil es meine Gefahr war und ist. Für Gott bleibe ich Berufene, Beauftragte: Ich erkenne, dass unser Haus Heimat für Menschen wird, dass Wegbegleitung auch ohne feste Formen möglich ist. Ich stelle fest, dass mein Traum auch dann Realität wird, wenn das Traumbild nicht deckungsgleich hergestellt wird. Ich übe mich im Leben. Ja, davon träume ich heute. Das Leben zu füllen mit dem, was Gott für mich erdacht hat.
Stefanie Diekmann ist Diplom-Pädagogin und lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Ingelheim am Rhein.