Darf sie ihm seinen Traum ausreden?
Sven träumt davon, den Marathon endlich unter drei Stunden zu laufen. Maria gehen die langen Trainingsläufe und die vielen Rennen am Wochenende gehörig auf die Nerven. Sie wünscht sich, dass er als Vater und Ehemann präsenter ist. Darf sie ihm seinen großen Traum ausreden?
Ist die Verwirklichung individueller Träume, auch von solchen, die einen vielleicht schon ein Leben lang begleiten, überhaupt kompatibel mit einem intakten Familienleben? Aus meiner Sicht kommt es dabei entscheidend auf das Maß an. Geht es um eine einmalige Aktion, wie drei Wochen quer durch Finnland zu reisen, oder um eine Sache, die über Monate und Jahre viele Stunden beansprucht, wie beispielsweise ein Studium? Svens Traum scheint mir eher in die zweite Kategorie zu gehören.
Mein Schwager ist innerhalb von dreizehn Jahren über hundert Marathons gelaufen. Seine Bestzeit lag bei 3:12. Um das zu erreichen, musste er mindestens viermal wöchentlich mehrere Stunden trainieren. In seinen hoch aktiven Zeiten hat er als Single vieles andere vernachlässigt. Er sagt: „Als normal Berufstätiger ist das nicht kompatibel mit einem guten Familienleben.“ Heute genießt er den Lauf um der Freude willen und jagt keiner Zeit mehr nach.
Nicht auf Kosten der Familie
Wenn es darum geht, einen Traum Wirklichkeit werden zu lassen, ist das Ja des Ehepartners dazu eine wichtige Voraussetzung, vor allem, wenn es um eine so langfristige und zeitintensive Sache geht wie hier. Das scheint mir in diesem Fall aber nicht gegeben. Die Frage, ob die Partnerin ihm diesen Traum ausreden darf, wirft allerdings viele neue Fragen auf. Wie sollte das gehen? Wie will sie das erreichen? Was wären die Folgen? Würde er überhaupt „einknicken“? Weckt das Verständnis füreinander?
Als sich Sven und Maria für Kinder entschieden haben, sollte beiden klar gewesen sein, dass ein Familienleben Zeit erfordert und mit persönlichen Opfern verbunden ist. Wenn einer der Partner diese Zeit nicht mehr aufbringen kann, braucht es einen gemeinsam besprochenen und tragfähigen Ausweg. Seinen Traum zu Lasten der Restfamilie zu verwirklichen, ist nicht fair und widerspricht einer wertschätzenden, liebevollen Beziehung.
Was Träume wertvoll macht
Träume sind aber immer auch eine Chance, mehr übereinander zu erfahren. Ich liebe es, wenn Männer und Frauen noch Träume haben, sich für etwas einsetzen können und nicht zufrieden und satt sind. Was bewegt Sven? Welche tiefer liegenden Antriebe, unerfüllten Bedürfnisse oder Wünsche stecken dahinter? Das ist hoch interessant und spannend. Über Träume zu reden, muss ja noch nicht gleich bedeuten, sie auch wahr werden zu lassen. Ich habe auch Träume, meine Frau hat welche, und gemeinsam haben wir schon überall in der Welt Ferienhäuser eingerichtet – nur im Traum. Der Austausch darüber ist für uns immer eine besonders schöne Zeit, in der wir uns von Herz zu Herz begegnen. Die Ehe und Familie sollte mehr sein als eine Wohngemeinschaft. Es geht neben vielem anderen auch darum, einander näherzukommen und einander zu verstehen.
Status Quo in diesem Fall ist aber, dass er bereits läuft und „nur“ noch etwas besser werden will. Wenn sie das nicht weiter tragen und dulden kann, wäre es hilfreich, wenn sie klar und deutlich äußert, was sie möchte; wozu sie bereit ist und wie für sie ein guter Kompromiss aussähe. Jetzt ist er frei, darauf einzugehen oder nicht, oder etwas anderes vorzuschlagen. Alles hat Konsequenzen und fordert einen Preis, so oder so. Wünschen würde ich dem Paar, diesem Konflikt nicht auszuweichen. Wenn die beiden keine Klärung schaffen, wird es sie später womöglich wieder an einer noch ungünstigeren Stelle einholen.
Christof Matthias ist Supervisor und Regionalleiter von Team.F, www.loscm.de
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