Hände

„Ja, weißt du das denn nicht?“

Christian Rommert merkt, dass man nie genug miteinander reden kann..

„Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Seit zwanzig Minuten diskutieren wir nun schon und kommen keinen Schritt weiter! Ich versuche zu rechtfertigen, warum ich das dritte Wochenende in Folge unterwegs bin. Katrin hält hartnäckig dagegen. Ich fühle mich verletzt, weil ich mit dem an den Wochenenden verdienten Geld doch das Auto, das Haus und den Urlaub bezahle. Katrin sitzt auf der Palme, und ich spüre: Gleich eskaliert es. Da- mit meine ich nicht, gleich fliegt Geschirr. Das passiert nie, wenn wir uns streiten. Die höchste Eskalationsstufe ist bei uns: das Schweigen.

DEN INNEREN KOSMOS MITTEILEN

Gleich ist es sicher wieder soweit. Mich macht das total fertig. Schweigen bedeutet für mich die Höchststrafe. Und Katrin beherrscht das Schweigen perfekt. Aber auch ich kann das gut! Ich bin darin mindestens genauso geübt wie sie. „Nein!“, „Doch!“, „Ohhh!“ Ich will gerade Arme verschränken und beleidigt schauen, da höre ich, wie Katrin mich fragt: „Was macht dir denn solchen Druck?“ Als Reaktion schaue ich sie blöde an. „Ja, weiß sie das denn nicht?“, frage ich mich. „Weißt du, du bist mein bester Freund! Ich brauche dich zum Reden!“, sagt sie. Ich schlucke meinen ersten Impuls herunter und vermeide eine Aufzählung der Gespräche und Spaziergänge, bei denen wir meiner Meinung nach doch ausreichend Zeit zu zweit hatten. Ein Artikel aus einer Zeitschrift kommt mir in Erinnerung. Dort stand: „Deine innere Welt ist für deine Partnerin unsichtbar. Du musst sie ihr mitteilen. Du musst ihr deinen inneren Kosmos mitteilen, damit er verstanden werden kann.“ Reden, sich verständlich machen, damit ich verstanden werden kann und zuhören, hinhören, nachfragen, damit ich verstehe … Das ist so schwierig. Schweigen ist definitiv einfacher!

DAS RICHTIGE MASS

Doch ich starte einen Versuch und erzähle ihr von der Herausforderung, als Selbstständiger und Freiberufler nie genau zu wissen, wieviel genug ist. Soll ich das Wochenende verkaufen und damit den wichtigen finanziellen Puffer für den Sommer aufbauen oder nicht? Ich verkaufe Lebenszeit für Geld. Das ist die Spannung, in der ich mich ständig befinde. Denn beides – Zeit und Geld – sind wertvolle Güter. Und es sind widerstrebende Interessen. Dinge, die miteinander konkurrieren. Das richtige Maß zu finden, fällt mir einfach schwer. Im Verlauf des Gespräches zeige ich Katrin meine Jahresplanung. Wir bauen uns ein paar Inseln der gemeinsamen Zeit, und einen Termin sage ich dafür ab. Dabei geht es noch ein paar Mal hin und her. Aber es scheint, als seien wir wieder auf einer heilsamen Spur. „Und bei dir so?“, frage ich Katrin und merke auch in ihrem Blick eine Irritation. Auf ihrer Stirn meine ich lesen zu können: „Ja, weißt du das denn nicht?“ Also sage ich: „Ich habe eine Fantasie, was es bei dir ist, aber ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege. Ich will dich wirklich verstehen! Erzählst du mir, was dich beschäftigt?“

WIE HUSTENLÖSER

Im weiteren Verlauf unseres Gespräches bestätigt sich: Meine Bilder, von dem, was in meiner Frau vorgeht, sind meine Fantasien. Wie es wirklich aussieht, erfahre ich nur über Gespräch. Mein innerer Kosmos bleibt für Katrin ein Geheimnis, so lange ich ihn nicht zeige. Ihre innere Welt bleibt ein Geheimnis, wenn ich mich nicht darum bemühe, sie wirklich zu begreifen. Das klingt so banal und ist doch eine Erkenntnis, die für unsere aktuelle Situation wie Hustenlöser wirkt. Schließlich fragt Katrin mich: „Wie wäre es, wenn ich mir an dem Montag nach diesem Wochenende freinehme und wir etwas gemeinsam unternehmen?“ Als sie merkt, wie ich zögere, sagt sie verschmitzt. „Nein? Oder: Doch?“ Und ich antworte fröhlich: „Ohhhhh JAAA.“

Christian Rommert ist Autor, Redner und Berater und Fan des VfL Bochum. Er ist verheiratet mit Katrin und Vater von drei erwachsenen Kindern. Regelmäßig spricht er das Wort zum Sonntag in der ARD.