Kindern eine Sprache geben
Viele Eltern wünschten sich, ihr Baby oder Kleinkind besser verstehen zu können. Mit Zeichensprache kann das gelingen. Wie funktioniert es und warum ist es sinnvoll? Eunike Mass erzählt.
Du bist Mutter von drei Kindern und hast jedem von ihnen die Babyzeichensprache beigebracht. Wie kam es dazu?
Ich habe von einer Freundin, die es praktiziert hat, davon erfahren und fand es faszinierend. Sie hat mir daraufhin ein Buch ausgeliehen. Als ich darin blätterte und die Bilder sah, auf denen die Rückantworten der Kinder zu sehen waren, war ich schnell Feuer und Flamme dafür und wollte es unbedingt ausprobieren.
Wie hast du dir die Sprache angeeignet?
Die Zeichen sind sehr logisch, deshalb ist es sehr einfach zu lernen. Ich habe schon während der ersten Schwangerschaft geübt, aber man kann es sich auch aneignen, wenn das Kind schon da ist. Im Prinzip geht es darum, dass man in dem Moment, in dem man spricht, ein Zeichen macht. So lernt das Kind, Wörter mit Zeichen zu verbinden. Meine Kinder haben es sehr schnell gelernt.
Was waren die ersten Zeichen deiner Kinder?
Bei meinen Kindern waren am Anfang „Licht“ oder auch „Vogel“ ganz typische Zeichen. Im Alltag traten dann schnell die Zeichen für „mehr“ und „bitte“ auf, also zum Beispiel: „Kann ich bitte noch mehr haben?“ Und dann im Anschluss „satt“, was das gleiche Zeichen wie für „fertig“ ist. Man kann es generell benutzen, wenn man mit einer Sache fertig ist. „Weg“ kam auch bald – eine Sache ist verschwunden.
Konntet ihr durch die Zeichensprache auch schon Gespräche miteinander führen?
Natürlich konnten wir uns nicht fließend miteinander unterhalten, aber eben kindliche Konversation über alltägliche Dinge führen. Über die Vögel im Garten oder das Essen, über das, was die Kinder wahrgenommen haben. Wir als Eltern hatten so schon früh die Möglichkeit, darauf einzugehen und nachzuhaken. Es war einfach schön zu sehen, wie stolz und glücklich die Kinder darüber wirkten, dass sie von uns verstanden wurden.
Wo siehst du Schwachstellen dieses Konzeptes?
Es gibt Zeichen, die zwei Bedeutungen haben oder sehr ähnlich sind. Da Babys und Kleinkinder mit der Motorik noch nicht so weit sind, kann es zu Verwechslungen kommen oder man muss manchmal raten. Aber normalerweise geht die Bedeutung aus dem Kontext hervor.
Manche Eltern befürchten, dass ihr Kind durch das Erlernen der Zeichensprache später sprechen lernen könnte. Welche Erfahrungen hast du gemacht?
Unsere Kinder haben mit etwa zehn Monaten die ersten Zeichen gemacht, die dann bei jedem mit spätestens eineinhalb Jahren immer mehr durch Wörter verdrängt wurden. Sie werden zudem zweisprachig erzogen, weshalb wir eigentlich erwartet hätten, dass sie später sprechen lernen würden. Haben sie aber nicht. Ich kann diese Befürchtung also nicht bestätigen und kenne auch keine Familie, die Zeichensprache anwenden, auf die das zutrifft. Aus der Sprachentwicklung weiß man, dass man schon früh mit Kindern über Alltägliches sprechen soll. Genau das tun wir mit der Zeichensprache. Mit den Zeichen geben wir ihnen ein Werkzeug an die Hand, mit dem sie viel von sich preisgeben können, noch bevor sie sprechen können. Es ist wie eine Brücke zur Sprache.
Interview: Ruth Korte