„Planung“
EINE FRAU, EIN ZIEL – Katharina Hullen hat einen Plan.
Ein Schlüsselerlebnis am Anfang unserer Beziehung war ein Gespräch darüber, wie wir uns unsere gemeinsame Zukunft als Familie vorstellen. Ich hatte eine klare Idee davon – falls gottgewollt und möglich –, wie viele Kinder ich mir wünschte. Selbstbewusst und voller Vorfreude trug ich meinem geliebten Hauke meine rosige Zukunftsvision vor. Er sah mich an und hörte still zu. „Und was denkst du? Wie viele Kinder möchtest du einmal haben?”, wollte ich wissen.
„Ich kann mir auch vorstellen, keine Kinder zu haben!”
Ich war entsetzt. An dieser Stelle war für mich das Gespräch eigentlich beendet. Wie kann er so was sagen!? Dann ergibt das hier doch alles keinen Sinn! Dann verschwenden wir nur unsere kostbare Zeit! So in etwa schleuderte ich ihm meine impulsiven Gedanken entgegen.
Er ließ diesen Sturm über sich ergehen und sagte dann: „Du hast mich nicht ausreden lassen! Ich glaube, das ist ein großer Unterschied zwischen uns: Du hast meist ganz klare Vorstellungen und Ziele, die du verfolgst. Ich habe über die Kinder-Frage noch nicht so detailliert nachgedacht und wollte jetzt erstmal die ganze Palette an Möglichkeiten durchdenken. Ich wäre schon noch auf sechs denkbare Kinder gekommen.”
Ich schätze es inzwischen sehr, einen Menschen neben mir zu haben, der nicht nur Plan A kennt, sondern stets in der Lage ist, Plan B-Z aus dem Hut zu zaubern. Damit hat er mir schon oft aus der Bredouille geholfen, wenn trotz meiner guten Vorausplanung am Ende die Zeit nicht reicht, weil im Leben eben immer etwas dazwischenkommt. Dennoch brauchen wir beides. Denn die Kehrseite dieser Flexibilität ist, dass die lange Bank lang und länger wird, auf die man alles schieben kann, weil es ja noch Plan B-Z gibt. Nachtschichten bei der Korrektur von Klassenarbeiten oder vor anderen Abgabeterminen sind für meinen Mann die Regel. Raten Sie mal, wann er seinen Artikel hier geschrieben hat. Unter Druck arbeitet er eben am besten. Mir sitzen solche Termine lange vorher im Nacken und schreien nach Erledigung. Hauke entwickelt jedoch die größte Gelassenheit – er hat ja noch Zeit! Da wird Computer gespielt, geschlafen, gelesen, gerne auch mal was gründlich geputzt oder gebaut – aber nicht das erledigt, was sinnvoll wäre. Plan M – drei Nachtschichten – ist einfach zu verlockend. Genuss sofort ist die Devise! Mit Stolz bemerkt er, dass man mit 40 durchaus noch die Nächte durchmachen kann.
Trotzdem funktioniert das Familienkonzept: So gibt meine Vorausplanung der Familie Struktur und seine Flexibilität die nötige Gelassenheit. Und ich staune über ihn: „Wie schafft er das bloß?”
Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache. Sie und Ehemann Hauke haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
EIN MANN, VIELE MÖGLICHKEITEN – Hauke Hullen Kann sich vieles vorstellen
Wenn am Freitagabend die Kinder endlich im Bett sind und ich diesen Moment genieße, wo das leise Summen der Spülmaschine das Gelärme meiner Meute abgelöst hat, dann kommt der kritische Moment: „Und?”, fragt meine beste Ehefrau von allen und schaut mich erwartungsvoll an, „Was hast du für Pläne heute? Und was machen wir morgen? Und am Sonntag?”
Gute Frage. Ich weiß es nicht. Sicher, die ein oder andere Sache muss übers Wochenende irgendwann erledigt werden, doch das ist kein Plan in den Augen meiner Frau. Ich bewundere Leute, die immer eine To-do-Liste im Kopf haben und es auch schaffen, sie Schritt für Schritt abzuarbeiten. Ich habe einen Freund, der stets im Januar das letzte Jahr reflektiert: Was habe ich gewollt? Welche Schritte bin ich gegangen? Und sich dann Ziele für das neue Jahr setzt, verbunden mit heruntergebrochenen Wochen- und Monatszielen. Bei mir würde das Pläneschmieden schon daran scheitern, dass ich gar nicht so genau weiß, was ich will.
Katharina hingegen war immer schon mit klaren Vorstellungen gesegnet. Ein festes Ziel, ein Weg dorthin, eine einfache Entscheidung. Ich aber kann mich angesichts all der schönen Ziele gar nicht festlegen, und dann gibt es auch noch tausend Möglichkeiten, sie zu erreichen. Eine Entscheidung treffen? Schwierig. Vielleicht morgen.
Erst wenn der Adrenalinpegel hoch genug ist, weil die Deadline näher rückt, herrschen für mich und mein Magengeschwür optimale Arbeitsbedingungen. Ich werde aktiv, wähle per Ausschlussprinzip eine Alternative aus, die mit angemessenem Mitteleinsatz noch zu bewerkstelligen ist. Das stresst Kathi ungemein. Und mich natürlich auch – jedes Mal nehme ich mir vor, das nächste Mal vorausschauender zu arbeiten.
Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass sowohl die „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen”-Vertreter als auch die „Genuss sofort”-Fraktion am Ende ein ähnliches Ergebnis erzielen – zugegebenermaßen auf meiner Seite erkauft mit temporärem Schlafmangel, dafür aber mit mehr Freizeit im Vorfeld. Überall wird von Entschleunigung gesprochen – ist diese Aufschieberitis, in Fachkreisen auch Prokrastination genannt, nicht deren erfolgreiche Umsetzung? Man soll den Moment und im Hier und Jetzt leben, sich nicht ums Morgen sorgen – doch kaum beherzige ich diese Kalenderblatt-Ratschläge, trägt Kathi in eben diesen Kalender lauter Termine und Aufgaben ein. Sie hat einen Plan und immer schon an alles gedacht. Und ich staune über sie: „Wie schafft sie das bloß?“
Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben vier quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.
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