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Homeschooling: Es ist nicht alles schlecht

Der digitale Unterricht bringt für Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern viele Herausforderungen. Aber er birgt auch Chancen.

Noch immer dürfen viele Schülerinnen und Schüler nicht in die Schule und lernen via Distanzunterricht von zu Hause aus. Teilweise hat es lange gedauert, bis das auch einigermaßen funktionierte. Bei Eltern kann schnell die Frage aufkommen: „Verpasst mein Kind wichtige Lerninhalte?“ Das muss nicht unbedingt der Fall sein – ob das Lernen von zu Hause aus klappt, hängt von vielen Faktoren ab.

Homeschooling: Probleme an Haupt- und Realschulen

Längst läuft nicht immer alles gut beim Homeschooling: Eltern sitzen überfordert im Homeoffice und müssen zusätzlich ihre Kinder beim Unterricht begleiten. Nicht alle Schülerinnen und Schüler haben einen funktionstüchtigen Laptop zu Hause oder bekommen einen von der Schule gestellt. Janine Weber (Name geändert), Gymnasiallehrerin für Biologie und Sport und Klassenlehrerin einer 5. Klasse, weiß beispielsweise von Kolleginnen, die dem Großteil ihrer Schülerinnen und Schüler deswegen die Arbeitsblätter regelmäßig nach Hause bringen. Gerade an Haupt- und Realschulen gäbe es oft Motivationsprobleme, besonders die Teenager würden manchmal den ganzen Tag verschlafen. Und auch unter den Lehrkräften gäbe es ab und zu schwarze Schafe, sagt sie. Manche hätten einfach aufgegeben und würden nicht einmal versuchen, Videokonferenzen anzubieten.

Lehrkräfte lernen technisch hinzu

Trotzdem hat die Pandemie den Fortschritt in Sachen digitaler Bildung deutlich beschleunigt. Die Professorin für Didaktik der Informatik Ira Diethelm freut sich beispielsweise darüber, dass der digitalen Bildung endlich mehr Augenmerk geschenkt wird: „Alle konzentrieren sich gerade gleichzeitig auf ein Thema. Das bringt tatsächlich Dynamik in die Sache und man gelangt auch schneller zu Entscheidungen, wie zum Beispiel Tablets für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zur Verfügung zu stellen.“

Nach fast einem Jahr Ausnahmezustand wäre nun auch genügend Zeit vorhanden, neue Gewohnheiten zu entwickeln und Expertise aufzubauen. „Die meisten Lehrkräfte sind in ihrer technischen Kompetenz weitergekommen und haben positive Erfahrungen damit gemacht. Das ist ganz wichtig, um nachhaltig eine Veränderung zu erreichen, egal in welchem Zusammenhang“, meint Diethelm.

Experimente via Handy

Janine Weber hatte schon vor Corona ihr ganzes Arbeitsmaterial digitalisiert. „Ich arbeite schon ewig mit einer Tafelbildsoftware, das kommt mir jetzt zugute“, berichtet die Gymnasiallehrerin. Ihr Unterricht ist praxisorientiert, sie arbeitet viel mit Experimenten, die die Kinder zu Hause aus Alltagsmaterialien nachmachen können.

Da sie die Versuche nicht mehr in der Schule durchführen kann, dreht sie nun mit ihrem Handy Videos, die sie in die Präsentation einbaut. Zu Beginn des Distanzunterrichts hatte sie Respekt vor der Aufgabe und konnte sich den dauerhaften Online-Unterricht nicht richtig vorstellen. „Aber jetzt bin ich total begeistert davon. Ich hätte nie gedacht, dass das so gut laufen kann“, sagt sie zufrieden. Ungefähr 90 Prozent ihres Unterrichts kann sie wie geplant umsetzen. Das liegt auch daran, dass sie am Gymnasium unterrichtet und die Kinder den nötigen Ehrgeiz mitbringen. Zudem sind die Eltern ihrer Klasse sehr kooperativ und unterstützen beim Distanz-Unterricht.

Schwache Schüler profitieren manchmal vom Homeschooling

Für manche Kinder scheint der Online-Unterricht sogar besser als der reguläre Unterricht zu funktionieren. Janine Weber erzählt von einigen leistungsschwachen Schülern, die plötzlich viel besser abschneiden, weil sie zu Hause nicht so stark abgelenkt werden. „3- Schüler sind auf einmal im Einserbereich. Das sind die positiven Effekte“, berichtet die Lehrerin. Auch Ira Diethelm sieht Chancen im Distanz-Unterricht: „Schüchterne Schülerinnen und Schüler, die sich sonst nicht gerne melden und keine vermeintlich dumme Frage stellen wollen, können ihre Fragen nun per Mail oder Chat stellen. Das ist für manche leichter.“

Alexandra von Plüskow-Kaminski, Bildungskoordinatorin im Landkreis Heidekreis, gibt außerdem zu bedenken, dass es beim Lernen nicht immer nur um den konkreten Lerninhalt geht: „Bei den Kindern ist viel Lernzuwachs an anderer Stelle zu beobachten. Zum Beispiel beim Erstellen von Power-Point-Präsentationen und Podcasts für den Unterricht.“

Dialog ist besonders wichtig

Was aber können Eltern tun, wenn das Homeschooling bei ihrem Kind nicht so gut klappt wie erwartet? Frau von Plüskow-Kaminski rät, zunächst einmal mit der Klassen- oder Fachlehrkraft des Kindes zu sprechen: „Der Dialog ist besonders wichtig und dass alle Beteiligten in die Schuhe des anderen schlüpfen, um die Situation auch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten.“ Grundsätzliche Herausforderungen, die vielleicht die ganze Schule betreffen, könnten dann auch mit der Schulleitung besprochen werden.

Vieles liegt in Sachen Homeschooling immer noch im Argen. Die Bildungsschere zwischen denen, die über die nötige technische Ausstattung verfügen und von ihren Eltern begleitet werden, und denen, die keine Unterstützung bekommen, wird immer größer. Trotzdem bemüht sich ein Großteil der Lehrkräfte nach bestem Wissen und Können, den Herausforderungen des Distanz-Unterrichtes gerecht zu werden. Janine Weber versucht zum Beispiel, ihre zögerlichen Kolleginnen und Kollegen für den Video-Unterricht zu motivieren, und merkt, wie die Zurückhaltung nachlässt: „Langsam trauen sich immer mehr. Am Anfang habe nur ich Videokonferenzen gehalten, jetzt hat meine Klasse jeden Tag Online-Unterricht.“

Sarah Kröger ist freie Journalistin und Projektmanagerin und bloggt unter neugierigauf.de zu Themen wie Familie, Digitales, Arbeit, Soziales und Nachhaltigkeit.

11 Tipps für entspanntes Home-Schooling

Diese Tipps unterstützen Eltern bei der Herausforderung Distanz-Unterricht. Ein Gastbeitrag der Pädagogin und Autorin Dr. Birgit Ebbert.

1. Suchen Sie Ihren eigenen Weg!

Jede Familie ist anders, deshalb kann es kein Rezept für alle geben. Erfinden Sie Ihre Zuhause-Schule mit Ihrer Familien-Klasse, in Ihrem Wohnzimmer-Klassenraum und dem Knowhow in Sachen Lernstoff und Lernen, das Sie mitbringen. Lassen Sie sich nicht von anderen Familien beeindrucken, sondern vertrauen Sie darauf, dass Ihr Weg für Sie und Ihr Kind bzw. Ihre Kinder richtig ist.

2. Legen Sie für jedes Kind einen Lernplatz fest!

Das A und O für das Home-Schooling ist ein Lernplatz, der „Lernen“ ruft! Suchen Sie für Ihre Familie die richtige Lösung – jeder in seinem Zimmer, alle an einem Tisch, richtig oder falsch gibt es da nicht. Wichtig ist, dass der Platz immer derselbe ist, sodass klar ist: An diesem Platz wird gelernt! Das hilft, sich aufs Lernen zu konzentrieren.

3. Erstellen Sie einen Lernstundenplan für die ganze Familie!

Auch im normalen Alltag passiert in einer Wohnung im Laufe des Tages einiges. Der eine kommt, der andere geht, arbeitet, kocht, putzt, räumt auf – eben was gerade anfällt. In diesen bewährten Plan muss nun das Home-Schooling von einem oder mehreren Kindern und vielleicht sogar noch das Home-Office der Eltern eingefügt werden. Das ruft nach einem Lernstundenplan für die Familie, in dem die lauten und leisen Zeiten aller Mitglieder aufeinander abgestimmt werden. Dadurch werden Konflikte reduziert und alle wissen, woran sie sich orientieren können.

4. Vereinbaren Sie erreichbare Ziele!

Sie können es sich nicht oft genug klar machen: Sie und Ihr Kind können nicht dasselbe leisten wie die Schule. Die Lehrerinnen und Lehrer ziehen auch nicht immer das Programm durch, das sie sich für eine Stunde, Woche oder ein Halbjahr vorgenommen haben. Setzen Sie sich realistische Ziele. Im besten Fall hat die Lehrkraft bereits die Arbeitsblätter oder den Wochenplan mit Sternchen versehen, die zeigen, was mindestens erledigt werden sollte. Klären Sie mit Ihrem Kind, was es sich zutraut und arbeiten Sie auf dieses Ziel hin. Erreichte Ziele machen glücklich und motivieren, nicht erreichte Ziele frustrieren und blockieren die Lernmotivation.

5. Helfen Sie die Aufgaben sinnvoll zu sortieren!

Lernzeit ist eine wichtige und oft auch schöne Zeit, aber draußen spielen, mit dem Hund spazieren gehen und mit Freunden skaten – all das macht auch Spaß. Je besser die Lernzeit geplant wird, umso mehr Zeit bleibt für Hobbys und gemeinsame Aktivitäten übrig. Deshalb lohnt es sich, die Lernaufträge clever zu sortieren und am besten die Materialien passend zurechtzulegen. Dann können die Aufgaben hintereinander abgearbeitet werden und am Ende bleibt mehr Zeit für Herzensdinge.

6. Fragen Sie bei Unklarheiten in der Schule nach!

Auch wenn das Wort „Home“ in Home-Schooling sehr dominant ist, bedeutet das nicht, dass Sie alleine vor der Aufgabe stehen. Nutzen Sie die Angebote der Schule, Sie und Ihr Kind zu unterstützen, und fordern Sie ggf. Hilfe ein, höflich, freundlich, aber souverän, denn Sie und die Schule sind Partner in diesem außergewöhnlichen Projekt.

7. Geben Sie Tipps statt Lösungen!

Ja, es ist oft verlockend, hinter eine Rechenaufgabe die richtige Lösung zu schreiben. Aber damit helfen Sie Ihrem Kind nicht, Sie verschieben das Problem nur, dass Ihr Kind das Thema nicht verstanden hat. Fragen Sie Ihr Kind nach Ideen, wie es die Aufgabe lösen könnte, geben Sie Tipps oder erzählen Sie, wie Sie die Lösung angehen würden. Entwickeln Sie mit Ihrem Kind das Grundprinzip einer Aufgabe und wenn es gar nicht geht, notieren Sie, dass Ihr Kind dieses Thema nicht verstanden hat und geben Sie das an die Schule weiter. Nur so können die Lehrerinnen und Lehrer Ihrem Kind helfen.

8. Sehen Sie Fehler als Chance für alle Seiten!

Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der Fehler negativ beurteilt werden. Dabei sind Fehler eine Chance. Beim Lernen helfen sie zu erkennen, wo Unterrichtsstoff nicht oder falsch verstanden wurde. Als Lerncoach lernen auch Sie noch und Sie machen Fehler, aber daraus können Sie lernen und wissen beim nächsten Mal, was gut funktioniert und was nicht. Sehen Sie Ihre Fehler, die Ihres Kindes und auch die der Lehrkräfte als Hinweis darauf, wo etwas zu verändern ist.

9. Gönnen Sie sich den Mut zur Lücke!

Ein Lerncoach ist ein Begleiter, kein Zauberer! Sie können Ihr Leben nicht mit einem Fingerschnips umkrempeln, damit Ihr Kind optimale Home-Schooling-Bedingungen hat. Schauen Sie, was Sie leisten können – und wenn das weniger ist, als die Schule erwartet, teilen Sie der Schule dies mit. Lassen Sie auch mal Fünfe gerade sein und eine Aufgabe liegen – wegen eines nicht geschriebenen Aufsatzes ist bisher die Welt noch nicht untergegangen!

10. Feiern Sie Erfolge!

Zeigen Sie Wertschätzung für die Leistung Ihres Kindes und für Ihre eigene. Eine Woche Home-Schooling, das allein ist schon ein Fest wert, zumindest eine Portion Eis oder eine Pizza vom Italiener nebenan. Feiern Sie die Erfolge, wie Sie fallen, nicht nur die Lernerfolge Ihres Kindes –  die sowieso. Feiern Sie auch Ihre eigenen Erfolge, wenn zum Beispiel Ihr Lernstundenplan perfekt aufgegangen ist, Ihr Kind selbstständig am Videomeeting der Klasse teilgenommen hat und vorher der Technik-Check auf Anhieb geklappt hat. Home-Schooling besteht aus so vielen Puzzleteilen, die zusammengefügt werden müssen, da ist jedes fertige Motiv eine Anerkennung wert.

11. Bleiben Sie gelassen!

Vor allem aber: Setzen Sie sich nicht selbst unter Druck. Home-Schooling ist keine Meisterschaft und es winkt auch kein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde für die perfekten Lerncoach-Eltern. Home-Schooling ist ein Weg, damit die Schülerinnen und Schüler den Anschluss behalten und nicht zu viel Lernstoff verpassen. Und wenn Ihr Kind dennoch etwas verpasst, dann holt es das später nach. Die wesentlichen Informationen werden im Wissensspeicher auf jeden Fall ankommen. Vor allem ist wichtig, dass Ihr Kind sich gedanklich mit dem Schulstoff beschäftigt und nicht beim In-die-Luft-gucken das bisher Gelernte vergisst. Lernen braucht Wiederholung. Home-Schooling hilft hier auf jeden Fall, Lesen, Schreiben und Medienkompetenz im Falle eines digital gestützten Unterrichts zu trainieren. Das ist mehr, als Ihr Kind ohne die Schule zu Hause mitnehmen würde. Bleiben Sie also gelassen. Schule ist wichtig, aber nicht überlebenswichtig.

Diese Tipps entstammen dem „Ratgeber Homeschooling & Co.“, herausgegeben von Birgit Ebbert und Stephan Schampaul, als eBook und Hörbuch erschienen im Schulwerkstatt-Verlag.