Beiträge

Mutter erkennt: „Die Kinder müssen ihren Weg finden, nicht ich.“

Wenn Kinder erwachsen werden, müssen sie ihre Entscheidungen selbst treffen. Das ist ein Lernprozess für die Kinder und ihre Eltern. Eine Mutter berichtet von ihrem Weg.

Als die Kinder klein waren und unseren täglichen Alltag bestimmten, habe ich immer wieder den Satz gehört: „Die Kinder werden so schnell groß.“ Im Stillen habe ich mich dann müde und erschöpft gefragt: „Wann wird das denn endlich sein?“ Ich fühlte mich Lichtjahre von diesem Zeitpunkt entfernt und spürte gleichzeitig eine gewisse Sehnsucht nach Freiheit. Und dann ging doch alles so schnell. Und ich komme gedanklich und emotional kaum hinterher. Ich weiß, es ist an der Zeit. Wenn ich unsere Kinder so betrachte, dann überragen sie mich längst mit ihrer Körpergröße. Sie sind zu jungen Menschen herangewachsen, von Kindern keine Spur mehr. Meine jüngste Tochter meinte kürzlich: „Mama, wir sind doch beide aus dem Alter raus!“ Ehrlich, deutlich und unmissverständlich.

Steine aus dem Weg räumen

Ein neues Lebenskapitel für uns Eltern und auch für die Kinder beginnt. Sie suchen ihren Lebensweg und ihre berufliche Zukunft. Viele Entscheidungen sind abzuwägen und zu treffen. Welche Ausbildung, welcher Studiengang ist richtig? An welchem Ort kann man eine selbstbestimmte Heimat finden? Das Bildungsangebot ist vielfältig und die Fragen berechtigt. In so manchen Gesprächen versuche ich, eine Antwort zu finden und weiterzuhelfen. Mehr geht nicht, entscheiden müssen die Kinder selbst. So mancher gut gemeinte Ratschlag trifft auf Unverständnis. Ich muss lernen, ruhig zu bleiben. Eigene Erfahrungswerte können wertvolle Lebensbegleiter der Kinder sein. Es fällt mir nicht leicht, ihre Gedanken und Ziele anzunehmen. Zu gern möchte ich auch jetzt mögliche Steine aus dem Weg räumen und mich schützend vor sie stellen. Doch ich kann sie nicht mehr vor allem bewahren.

„Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden“, sagte Søren Kierkegaard. Ich spüre: So manche Entscheidung meiner Lieben könnte in die falsche Richtung gehen. Das kann nicht gut gehen, denke ich. Die gesteckten Ziele und Vorstellungen der Kinder sind nur schwer realisierbar. Mein Herz sagt ziemlich laut „Nein“. Doch dann schreit mein Verstand ein lautes „Ja“. Ich muss es einfach aushalten! Die Kinder müssen ihren Weg finden, nicht ich.

Ohne Groll und Vorhaltungen

In diesen Situationen kommt mir immer meine Lieblingsgeschichte aus der Bibel vom „verlorenen Sohn“ in den Sinn (nachzulesen in Lukas 15). Der Vater lässt seinen Sohn ziehen. Er versorgt ihn finanziell und materiell mit allem, was er benötigt, er ist großzügig im Geben. Ein letztes Mal nimmt er ihn fest in die Arme. Welche Gedanken werden ihm durch den Kopf gegangen sein? Ob er da schon ahnte, dass dieser Weg der falsche ist? Dennoch macht er keine Vorhaltungen, er lässt seinen Sohn ziehen. Lange schaut er ihm nach und schickt seine Liebe und seinen Segen mit auf dessen Lebensreise. Nach vielen Wochen kehrt der Sohn heim, er ist nicht mehr der, der er bei der Abreise war. Abgemagert, am Ende und mit leeren Händen kehrt er zurück. Wie oft wird der Vater nach seinem Sohn bereits Ausschau gehalten haben, vielleicht sogar täglich? Und dann ist der Tag da und er sieht ihn von ferne. Ohne Groll und Vorhaltungen läuft er ihm mit offenen Armen entgegen, so schnell seine alten Beine ihn noch tragen. Der geschundene und gezeichnete Körper seines Sohnes hindert ihn nicht, er drückt ihn fest an sein Herz. Diese tiefe Vaterliebe überstrahlt alle Vorwürfe und Fehler. Der Sohn ist auf- und angenommen. Ein großes Festmahl mit feierlicher Kleidung bringt die Freude des Vaters über diesen verlorenen und wiedergefundenen Sohn zum Ausdruck.

Offene Arme und Türen

Von dieser bedingungslosen Annahme und Liebe will ich lernen, auch wenn alles „schiefgelaufen“ ist und die Befürchtungen des Vaters sich bewahrheitet haben. Und auch wenn unsere Kinder Wege einschlagen, die wir als Eltern nicht befürworten oder bei denen wir Zweifel haben, will ich sie fürsorglich verabschieden, sie ziehen lassen. Ich bete für sie, halte Ausschau nach ihnen und erkundige mich. Und egal, wie sich ihr Weg und ihre Entscheidung gestalten, möchte ich sie stets aufnehmen. Ohne ein „Ich habe es doch gewusst …“ stets die Türen offenhalten und meine Arme entgegenstrecken.

Dieses Bild aus der Geschichte vom verlorenen Sohn will ich mir immer wieder vor Augen halten. Auch wenn mein Herz anders denkt und fühlt, möchte ich ebenso wie der Vater den Weg frei machen. Und egal, wie sich die Kinder entscheiden und welche Erfahrungen sie auf ihrem Lebensweg machen: Die Türen und Arme sind immer geöffnet.

Birgit Ortmüller ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Buchenau. Sie ist als Dozentin an der Hochschule und in der Erwachsenenbildung tätig.

Einfache Regeln fürs komplizierte Leben

Paare brauchen bewährte Grundsätze, mit denen sie gut durchs Leben kommen, wenn es unübersichtlich wird. Von Jörg Berger

Beziehungen und Menschen waren schon immer kompliziert. Die Gesellschaft aber wird vielfältiger und vernetzter, das Tempo gesellschaftlicher Veränderungen zieht an. Deshalb widmet die Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit zunehmend der Frage, wie Menschen in komplizierten Situationen entscheiden. Der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann hat auf faszinierende Weise entlarvt, welche Denkfehler uns unterlaufen, wenn wir Entscheidungen treffen. Sein Bestseller dazu heißt: „Schnelles Denken, langsames Denken.“ Der Cambridge-Professor für Management Donald Sull und die Stanford-Professorin für Ingenieurwissenschaften Kathleen Eisenhardt haben ihre Forschungsergebnisse in dem Bestseller „Simple Rules“ zusammengefasst: Erfolgreiche Menschen und Unternehmen orientieren ihre Entscheidungen an einfachen Regeln. Bewährte Regeln schützen uns vor Fehlern, besonders wenn Situationen emotional und unübersichtlich werden. Ihre Einfachheit hilft, dass wir sie auch wirklich anwenden.

Das hat mich inspiriert, auch einmal für Paarbeziehungen zu fragen: Wie finden wir einfache Regeln, die das gemeinsame Leben gelingen lassen? Längst hat sich unsere Lebenserfahrung zu Regeln verdichtet, an denen wir unsere Entscheidungen orientieren. Es ist spannend, sich das einmal bewusst zu machen. So können wir unsere Regeln überprüfen und auch neue Regeln finden.

Einfache Regeln sind konkret

Wenn ich bei uns als Paar und Familie beginne, dann ist mein erster Gedanke: „Als Christen wollen wir uns in jeder Entscheidung an Jesus orientieren. Das ist unsere einfache Regel.“ Doch in dieser Verallgemeinerung sagt eine Regel alles und nichts. Was heißt es denn konkret, dass wir uns an Jesus orientieren? Zwingen wir zum Beispiel unsere Kinder früh zum Teilen, weil Jesus auch geteilt hat? Oder wäre das lieblos und überfordernd? Wir haben aber auch konkrete Regeln gefunden. Eine ist: „Lebensentscheidungen treffen wir nicht aufgrund von finanziellen Kriterien. Wir vertrauen, dass Gott uns materiell versorgt.“ So haben wir in manchen Jahren Ersparnisse aufgebraucht, statt Vermögen zu bilden und uns um die gebotene Altersvorsorge zu kümmern. In anstrengenden Zeiten hatten wir beide unsere Stellen reduziert. Dadurch blieb für unser Familienleben und unsere Ehe so viel Zeit, wie es uns gut und richtig erschien. Wir könnten heute vielleicht wohlhabender sein, wenn wir nach einer anderen Regel entschieden hätten. Aber gefehlt hat uns bisher nichts.

Einfache Regeln sind individuell

Wir haben uns auch eine Priorisierungsregel gegeben: „Erst die persönliche Gottesbeziehung von jedem von uns beiden, dann Ehe und Familie, dann der Beruf und dann das übrige Engagement, zum Beispiel in der Kirche.“ Meine Frau hat mich auch in der Kleinkindphase zu Schweigetagen im Kloster freigesetzt, obwohl das für sie anstrengend war. Meine Tätigkeit als Psychotherapeut in einer Klinik dagegen hat zeitweise nicht zu unserer Priorisierungsregel gepasst. Durch die Überstunden und die hohe emotionale Beanspruchung hat sich der Beruf dann gegen meinen Willen an die erste Stelle geschoben. Meine verbleibende Kraft hat sich auf die anderen Bereiche aufgeteilt. Erst die Tätigkeit in meiner eigenen Praxis hat das geändert. Ich erwähne das auch, weil deutlich wird: Das darf nicht jeder so machen. Wer würde seine Erfahrung an junge Kollegen weitergeben, wenn jeder in die Freiheit einer eigenen Praxis fliehen würde? Wo stünden wir, wenn nicht manche Paare das Wagnis eingingen, für eine berufliche Schlüsselposition eines Partners die Familie hinten anzustellen und zu vertrauen, dass es trotzdem gutgeht? Unsere Priorisierungsregel passt zu uns. Wir sind überzeugt, dass wir mit ihr unser Bestes geben können. Die gleiche Regel könnte aber das Leben eines anderen Paares in die Irre führen.

1. Gesprächsimpuls: Regeln für unsere Prioritäten

Macht euch doch einmal eine Liste mit den zehn Dingen, die euch im Leben am wichtigsten sind. Versucht eine Reihenfolge zu finden, die euch als Orientierung dienen kann. An dieser geordneten Liste könnt ihr eure Priorisierungsregeln ablesen: „Wenn … und … nicht beide gut zu schaffen sind, dann muss … zurückstehen.“

Einfache Regeln verändern sich durch Erfahrungen

Manche Regeln stellen sich mit der Zeit als unpassend oder zu idealistisch heraus. Eine Regel, die uns selbstverständlich erschien, könnte man vielleicht so formulieren: „Wir begegnen jedem Menschen offen, ehrlich, konfliktbereit und unterstützend.“ Diese Regel hat uns aber auch in Auseinandersetzungen geführt, die uns viel Kraft gekostet haben, ohne dass dadurch etwas Gutes entstanden wäre. Wir haben uns auch an Unvollkommenheiten unserer Arbeitsstellen und unserer Kirchengemeinde gerieben und oft vergeblich mit Verantwortlichen nach besseren Wegen gesucht. Heute würden wir die Regel ergänzen: „Aber wir lassen los, bevor wir zum Opfer unguter Verhaltensweisen oder Strukturen werden.“ Man kann immer Nischen finden, man kann sich immer diplomatisch und unauffällig zurückziehen und sich so auf die Beziehungen und Einsatzfelder konzentrieren, in denen wirklich etwas Gutes entsteht. Umgekehrt würden wir ja auch nicht wollen, dass sich jemand lange und vergeblich an unseren Schwächen aufreibt. Unsere Lebenserfahrung stellt daher Regeln auf den Prüfstand. Wer sich an Regeln orientiert hat, die für andere passen mögen, sich aber für das eigene Leben nicht bewähren, der braucht den Mut zu eigenen Regeln. Und wer sich an überfordernden Grundsätzen abgearbeitet hat, darf sie bescheidener fassen.

Einfache Regeln für schwierige Zeiten

Seit über zwanzig Jahren begleite ich Menschen. Ich bin vielfach Zeuge von Gelingen und Scheitern geworden. Warum halten die einen Belastungen und Versuchungen stand? Warum zerbricht anderen, was sie sich aufgebaut haben? Ein Grund für das Scheitern hat mit unserem Thema zu tun. Menschen haben sich für vorhersehbare Schwierigkeiten keine Regel gegeben. Zum Beispiel ist es wahrscheinlich, dass sich im Lauf einer Ehe einer einmal fremdverliebt. Wer dann erst nach einer Regel sucht, ist vielleicht verloren. Auf dem Boden starker Gefühle gedeihen exotische Grundsätze, die nichts mit den bisherigen Überzeugungen eines Menschen zu tun haben, zum Beispiel ein Grundsatz wie dieser: „Seinen Gefühlen muss man folgen, wenn man sich treu bleiben will.“ Es hat aber noch einen weiteren Nachteil, wenn Menschen erst in Krisen nach einer guten Regel suchen. Denn eine junge Überzeugung kann sich nicht tief genug in der Persönlichkeit verwurzeln. Sie hat vielleicht die Kraft, ein schlechtes Gewissen zu wecken, doch Entscheidungen bestimmt sie nicht. Partner dagegen, die eine Fremdverliebtheit gut bewältigt haben, hatten Regeln wie: „Wenn mir das einmal passieren sollte, offenbare ich mich sofort meinem besten Freund/meiner besten Freundin und unternehme nichts, ohne dort Rechenschaft abzulegen.“

2. Gesprächsimpuls: Unsere Regeln für schwierige Zeiten

Habt ihr schon eine Regel für die Fremdverliebtheit? Und habt ihr einfache Regeln für andere Lebensereignisse, die euch vermutlich einmal treffen werden: ein Partner muss durch eine Krankheit gehen und verliert in dieser Zeit seine Leistungsfähigkeit und Ausgeglichenheit; in eurer Ehe entsteht ein Problem, das ihr trotz vieler Gespräche nicht lösen könnt; einer erlebt in seiner Gottesbeziehung eine längere Funkstille und wird von Glaubenszweifeln heimgesucht; einer gerät in eine berufliche Situation, die so schwer ist, dass sie auch das gemeinsame Leben belastet; eines der Kinder trifft eine Lebensentscheidung, die Leid nach sich ziehen wird. Vielleicht entdeckt ihr auch Regeln, die grundsätzlich für schwierige Zeiten passen.

Mit einfachen Regeln das Leben aufbauen

Einfache Regeln bauen unser Leben also in dreifacher Weise auf. Sie helfen uns erstens dabei, das Wichtige auch wirklich wichtig zu nehmen und unsere alltäglichen Entscheidungen daran zu orientieren. Eine einfache Regel, die uns als Familie gut durch die Jahre gebracht hat, lautet: „Was immer auch passiert, wir nehmen uns Zeit für schöne Momente und gute Gespräche miteinander.“ Das hat auch seinen Preis gehabt, denn in der Zeit, in der wir dieser Regel gefolgt sind, haben wir uns für anderes keine Zeit genommen. Zweitens helfen uns Regeln, Dinge auf Anhieb richtig zu machen. Eine How-to-Regel zum Beispiel, die ich gerne früher entdeckt hätte, lautet: „Versuche ein Kind erst zu erziehen, nachdem du eine einfühlsame innere Haltung gefunden hast und diese auch in deiner Körpersprache und deinen Worten ausdrücken kannst.“ Und drittens helfen uns einfache Regeln, in schwierigen Situation Fehler zu vermeiden. Ab und zu erziele ich in der Paartherapie schnelle Erfolge. Wenn das gelingt, dann nur aus einem Grund: Ich habe ein Paar dafür gewonnen, sich einfachen Regeln zu unterwerfen. Meist sind es die Regeln wie diese, die ich beiden Partnern an die Hand gebe: „Konzentriere dich auf das, was du selbst beeinflussen kannst. Wenn etwas nicht hilft, dann überlege dir etwas anderes. Wo du alleine überfordert bist, warte auf Hilfe.“

3. Gesprächsimpuls: Unsere How-to-Regeln

Im Alltag folgt ihr längst Regeln. Versucht doch einmal, von eurem Verhalten auf die Regeln zu schließen, denen ihr folgt: zum Beispiel in der Kindererziehung, bei der Haushaltsorganisation oder bei der Pflege eurer Beziehungen. Gäbe es hier vielleicht einfache Regeln, die euren Alltag noch leichter und erfolgreicher machen? Welchen Regeln folgen Paare, die euch in einem bestimmten Bereich ein Vorbild sind?

Ein Paar, zwei Perspektiven: Verschwörung

DER PAKT VON MORDOR

Katharina Hullen kämpft gegen eine innerfamiliäre Verschwörung. Dass ihr Mann Teil des Komplottes ist, macht die Sache nicht einfacher.

Katharina: Es gibt so Tage: Die Spülmaschine heizt nicht mehr, der Kaffeeautomat spuckt nur noch heiße Luft, die Waschmaschine schreit mir Fehler 23 entgegen und verlangt nach einem Techniker. Na super! Ein 7-Personen-Haushalt ohne funktionierende Spül- und Waschmaschine – wie soll man das aushalten? Ohne Kaffee?

Offensichtlich hat sich an solchen Tagen die Welt gegen mich verschworen. Überhaupt Verschwörung: Auch meine eigene Familie, Hauke und die Kinder, treffen offensichtlich ständig geheime Absprachen, um mich zu manipulieren und letztendlich in den Wahnsinn zu treiben.

Dafür gibt es sichtbare Anzeichen, wirklich! Zum Beispiel die Streifen von Schuhsohlen in der ganzen Wohnung. Ich sage zwar täglich mehrmals jedem der sechs Beteiligten: „Zieh bitte deine Schuhe aus!“ Doch offenbar bin ich Teil eines Experimentes, das sich um die Frage dreht, wann eine Mutter resigniert und sich willenlos dem Chaos ergibt. Wahrscheinlich denken die Kinder auch, dass die Sache mit den Schuhen gar keine Familienregel ist, da sich der Papa ja auch nicht daran hält.

Oder die allabendlichen Verzögerungstaktiken der Kinder, um nicht schon ins Bett gehen zu müssen. Es scheint ein Abkommen zwischen dem Vater und seiner Brut zu geben, denn statt einzuschreiten, macht er es sich auf dem Sofa gemütlich. So schlage ich allein die „Jetzt-ist-Schlafenszeit!“-Trommel und fische mir mühsam die jüngsten, widerborstigsten Kandidaten heraus, während der Rest als eingeschworene Gemeinschaft den Tag digital auf dem Sofa beschließt.

Zudem braut sich gerade auch ein Pakt zwischen unserer Ältesten (13) und ihrem Papa zusammen: Seit sie zwölf Jahre alt ist und die entsprechenden Filme theoretisch sehen darf, empfindet Hauke einen cineastischen Lehrauftrag und möchte all die großen und kleinen Blockbuster mit ihr erleben. An sich ja eine schöne Vater-Tochter-Idee, wenngleich ich nicht jeden Film, der ab 12 freigegeben ist, auch geeignet finde. Aber das ist ein anderes Thema …

An unserem Familienfilmabend beteuern die beiden also mit treuherzigen Augen, dass sie jetzt im Obergeschoss einen anderen Film sehen müssen, immerhin habe die Tochter auch das dicke Buch zum Film gelesen. So werden wir unsere bislang gemeinsam erlebten Filmabende nun getrennt verleben, die zwei mit Frodo in Mordor und wir anderen mit der Eiskönigin in Arendelle. Dabei gäbe es dutzende Filme, die eine gemeinsame Schnittmenge hätten und uns einen schönen Familienfilmabend bescheren würden – doch mit Argumenten ist den Verschwörern eben nicht beizukommen.

Ist so ein Tag, an dem sich scheinbar alles gegen mich verschworen hat, aber erst mal vorbei, kann ich Gott sei Dank auch die Wahrheit sehen: Nicht alle Missgeschicke folgen einem bösen Plan. Wenn jemand die Fäden in der Hand hält, dann unser gnädiger Schöpfer, der mit mir mein Leben ideenreich, fröhlich und mutig gestalten will.

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

MACHTLOSER FÄDENZIEHER

Hauke Hullen unterliegt regelmäßig, wenn es um die Berufung des Vorsitzenden geht, und kann die Wahl nicht anfechten.

Hauke: Haben Sie die Demonstration gesehen? Plakate und aufwieglerische Sprüche, die Unterdrückung und Freiheitsberaubung behaupteten; eine Minderheit, die sehr lautstark für ihre Wünsche eintrat! Und was wollten die Protestierenden? Ganz einfach: Ein eigenes Zimmer für unsere älteste Tochter, damit die Zwillinge ebenfalls ihre eigenen Reiche bekommen.
Ja, diese Demo fand bei uns im Wohnzimmer statt, doch es gibt Gemeinsamkeiten zu den aktuellen Verschwörungen: Beide setzen mehr auf gefühlte Wahrheiten denn auf Fakten, und beide fabulieren von einer Diktatur, wenn ihren Wünschen nicht entsprochen wird. Dabei vermischen sich sowohl die Anhänger der diversen Ideologien als auch ihre Argumente zu einem allseits kompatiblen Verschwörungsbrei.

Leichtfertig sollte man die Theorien jedoch nicht vom Tisch wischen – es gibt ja tatsächlich perfide Pläne, die im Geheimen vorangetrieben werden. Zum Beispiel das berühmte Brotdosen-Komplott: Um die gesamte Familie schleichend mit Vitaminen und Liebe zu kontaminieren, hat meine Frau  wider jede Vernunft den Kindern bis ins Teenager-Alter hinein jeden Morgen überkandidelte Pausenbrote vorbereitet, umrahmt von allem, was die Obstplantagen weltweit so hergeben. Ich fand immer, jeder könne sich selbst einfach ein Brot mit Wurst belegen – das geht schnell und macht satt, fertig.

Offenbar fanden meine Argumente endlich Gehör: Die drei älteren Mädels machen sich nun ihre Frühstücksboxen selbst. Doch der Sieg der Vernunft war nur vordergründig, musste ich doch mit ansehen, wie die Mädchen in ihren Brotdosen weiterhin filigrane Kunstwerke aus Gemüse, Dips, Obst, Brot und vertaner Lebenszeit anrichteten. Und als ich eines Morgens meine Dose noch mal öffnete, lachte mich ein Gemüse-Obst-Frosch an und der Rest der Familie aus. Wo bin ich hier hineingeraten?

Während ich also einer realen Konspiration ausgesetzt bin, sind die von unseren Kindern behaupteten Verschwörungen nur eingebildet. Sie glauben, dass Kathi und ich eine eingeschworene Gemeinschaft seien, die unbeirrt eine gemeinsame Strategie verfolge. Das mag daran liegen, dass ich auf alle Anfragen stets mit „Das muss ich erst noch mit Kathi besprechen“ geantwortet habe. (Um etwas mehr Würde zu bewahren, habe ich inzwischen das „muss“ durch ein „möchte“ ersetzt.)

Intern geht es bei uns jedoch höchst divers und demokratisch zu: Kathi und ich erörtern die Sachlage und stimmen schließlich ab. Bei zwei Leuten könnte schnell ein Patt entstehen, möchte man meinen, doch nicht bei uns: Bei Gleichstand gibt die Person, die gerade den Vorsitz innehat, den Ausschlag. Es gibt transparente Kriterien für die Berufung in dieses Amt.

In diesem Jahr gab es, wie immer, zwei Bewerber. Am Ende ist es, wie immer, meine Frau geworden, weil das bei uns wie bei anderen Stellenausschreibungen auch funktioniert: „Frauen und Schwerbehinderte werden bei entsprechender Eignung bevorzugt berücksichtigt.“ Ich finde das unfair, weil so immer meine Frau den Vorsitz einnehmen wird, Kathi meint jedoch, wir hätten beide die gleichen Chancen.

So gesehen stimmt die Annahme unserer Kinder nicht, ich wäre Teil einer verschworenen Elite. Andererseits muss man festhalten: Am Ende des Tages stecke ich doch wieder mit der Regierung unter einer Decke.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

Generation Maybe: Wieso sich Jugendliche oft nicht mehr entscheiden können

Jungen Erwachsenen fällt es oft schwer, sich festzulegen. Roswitha Wurm nervt das. Aber ein bisschen maybe ist sie auch …

Vor ein paar Jahren verkündete meine Tochter wenige Wochen vor ihrem Geburtstag: „Ich feiere diesmal im Freien mit einem Picknick mit meinen acht besten Freunden!“ Wir planten gemeinsam die Location und das Essen. Zumindest zwei Tage lang. Denn dann beschloss meine Tochter, ihren Geburtstag „doch nicht mit Freunden, sondern nur mit der Familie“ zu verbringen. In den nächsten Tagen änderte sie wieder ihre Meinung. Nun wollte sie bei uns zu Hause eine Party geben, aber „nur für 12 Freunde“. In den zwei Wochen bis zum Geburtstag sagten einige Freunde zu und einige wieder ab.

Schließlich kamen 18 junge Menschen, von denen ursprünglich nur acht eingeladen waren. Mein Mann und ich verbrachten den Abend auswärts und überließen den jungen Leuten unsere Wohnung. Alles ging gut und alle waren glücklich. Nur ich fühlte mich überfordert. Ähnliches erlebte ich bei Gruppen, Familienfeiern und anderen Festen. Zusagen und Absagen von den (jungen) Besuchern in der letzten Minute, weil sich irgendetwas anderes Interessantes angeboten hatte. Mich verwirrte und verunsicherte dieses Hin und Her!

Alles ist möglich

Zum Glück klärte mich ein Buch von Oliver Jeges auf. Der in Wien geborene Journalist, Jahrgang 1982, outete sich: „Ich bin ein Maybe. Meine Freunde sind Maybes. Ich wäre zwar gern keiner, aber es ist nun mal so. Ich habe kein ADHS, dennoch tue ich mich schwer, Entscheidungen zu treffen. Mich festzulegen. Mich einer Sache intensiv zu widmen. Ich bin entscheidungsschwach. Ich sehe all die Optionen vor mir, die Verlockungen einer ultramodernen Welt, in der alles möglich ist.“

Unendlich viele Wahlmöglichkeiten

Die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurden im digitalen Zeitalter sozialisiert. Ihre Kindheit und Jugend war geprägt vom immer stärker werdenden Einfluss von Social Media. Wer täglich über die verschiedenen Kanäle erfährt, was sich so alles tut im Leben seiner Bekannten, ist überzeugt: Ich habe unendlich viele Wahlmöglichkeiten. Vergleichbar ist das mit dem Gefühl, wenn man im Eisladen vor 25 Eissorten steht und sich für zwei entscheiden muss. Die verärgerte Menschenschlange hinter einem wird länger, während man unentschlossen, zaudernd und zögernd abwartet, bis man sich sicher ist, ob es Weiße Schokolade oder doch lieber Melonensorbet sein soll.

„Bis dass der Tod euch scheidet“ weicht „Solange es nicht zu kompliziert ist“

„Maybes“ tun sich zum Leidwesen ihrer Mitmenschen schwer, Entscheidungen zu treffen und Wort zu halten. Flexibilität und Bereitschaft, spontan etwas Neues zu wagen, sind die Schlagwörter dieser Generation. Wenn es sein muss, auch auf Kosten anderer. Die Generation der Maybes ist mitunter auch überzeugt davon, dass sie die Freiheit hat zu wählen, ob sie einen schwierigen Weg geht oder nicht. Die Frage ist jedoch, ob uns die vielen Wahlmöglichkeiten wirklich frei machen. Wir können vor Schwierigkeiten davonlaufen. Jeder findet das in Ordnung und hat Verständnis dafür. Schließlich muss jeder „auf seine Art glücklich werden“. Wir können Beziehungen, die uns nerven oder zu schwierig sind, einfach beenden. Wenn es uns zu schwerfällt, dem anderen dabei in die Augen zu schauen, sogar einfach per WhatsApp. „Bis dass der Tod euch scheidet“ ist einem „Solange es nicht zu kompliziert ist“ oder einem „Bis ich etwas scheinbar Besseres für mich gefunden habe“ gewichen.

Unentschlossenheit bringt Stress

Diese scheinbare unendliche Freiheit bringt in vielen Fällen innere Leere und Orientierungslosigkeit mit sich, die eine ganze Generation zu befallen scheint. Oliver Jeges schreibt: „Wir sind die Generation, die nichts mit sich anzufangen weiß und sich permanent fragt: Leben – wie geht das? Wir wollen tun, worauf wir Lust haben, wollen nur Erlebnis, aber nie Alltag. Ist das vielleicht die Lebenslüge unserer Generation? Uns alle eint die Sorge, nicht dahin zu gelangen, wo wir uns in unseren Vorstellungen sehen. Die Sorge, dass wir vielleicht die falschen Entscheidungen treffen. Wir wollen unsere Träume wahr werden lassen, haben aber nie gelernt, was zu tun ist, wenn das nicht klappen sollte.“

So sehr wir uns als Über-Fünfunddreißigjährige auch an der Unschlüssigkeit und der Unverbindlichkeit der Jungen stoßen, vergessen wir nicht: Es ist für die Maybes gar nicht so angenehm, sich nicht entscheiden zu können. Schließlich verpasst man dann auch vieles, zum Beispiel Beziehungen, die bereits in jungen Jahren beginnen und ein Leben lang halten. Oder Ausbildungs- und Jobmöglichkeiten ohne langes Zaudern anzunehmen. Auch auf das Wagnis hin, dass man erst nach und nach in etwas hineinwächst, wenn man wagt, es zu tun. Stattdessen ist da die Angst, man würde etwas verpassen, wenn man sich festlegt.

„Schauen wir mal“

Da ich nicht nur Mutter dreier Kinder der Maybe-Generation bin, sondern auch beruflich viel mit jungen Leuten zu tun habe, sind mir Aktionen wie die variable Geburtstagsfestplanung nichts Neues. Und ehrlich gesagt: Wir sind von der Generation Maybe vielleicht mehr beeinflusst, als uns lieb ist. Auch wir Eltern sind uns in der Fülle aller Angebote nicht immer sicher, wofür wir uns entscheiden sollen. In der Stadt, in der ich lebe, gibt es ein geflügeltes Wort: „Schauen wir mal!“

Wenn uns jemand fragt: „Wollen wir uns treffen?“, antworten wir gern mit diesem Satz. Ich ertappe mich auch immer wieder, dass ich mit „Schauen wir mal!“ antworte, wenn ich mich nicht festlegen möchte. Im Grunde genommen warte ich dann darauf, ob noch „etwas Besseres“ für dieses Datum in mein Leben kommt. Dabei bin doch gerade ich eine Verfechterin des wichtigen Bibelwortes: „Euer Ja sei ein Ja! Euer Nein ein Nein!“ (Matthäus 5,37). Das zitiere ich gern den lieben Maybes in meinem Leben.

Zusammenleben mit Maybes

Diese Erkenntnis hat mich den Maybes gegenüber verständnisvoller gestimmt. Es fällt tatsächlich schwer, aus dem riesigen Angebot zu wählen, das uns heute allerorts geboten wird.

Ich will Verständnis haben für die jungen Menschen, die so viel mehr Möglichkeiten vor Augen haben, als wir das in unserer vordigitalen Zeit hatten. Da kann es schon einmal vorkommen, dass Verabredungen oder Familienfeiern nicht eingehalten werden können. Für uns als Familie haben wir eine Lösung gefunden, die meist alle glücklich macht. Wir sprechen uns am Sonntag jeder Woche ab: Wie ist der ungefähre Plan aller für die kommende Woche? Welche Termine, die uns alle betreffen, sind wirklich wichtig für jeden Einzelnen von uns? Es klappt manchmal gut, manchmal weniger gut. Aber seit wir darüber reden und mitunter lachen können, fällt es auch uns „Oldies“ leichter, mit der scheinbaren Unverbindlichkeit umzugehen. Nicht selten kommt ein Anruf unserer Kinder, die mit einem humorvollen Unterton meinen: „Mama, du weißt, hier spricht dein Maybe … Wegen Mittwochabend …“

Corona kann auch Segen sein

Unsere Maybe-Generation macht gerade eine schwere Zeit durch: Corona hat sie in die Knie gezwungen. Plötzlich sind die Möglichkeiten beschränkt. Es ist für uns alle eine harte, eine gute Schule. Ein Kurs im Dankbarsein für das, was wir trotz allem noch haben. Minimalismus im Angebot kann für geraume Zeit ein Segen sein. Jedenfalls habe ich unsere Maybes selten so entspannt erlebt wie in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen: „Endlich muss ich mich für nichts entscheiden, weil es nur eine Sache zu tun gibt!“

Einmal Maybe, immer Maybe?

Neulich fragte mich unser ältester Sohn per WhatsApp, ob wir an einem bestimmten Feiertag auf seine Kinder aufpassen könnten. Ich wollte mich zuerst mit meinem Mann absprechen. Dann vergaß ich es, und als es mir wieder einfiel, hatte ich gerade zu tun und dachte, vielleicht hat sich das Ganze ja schon erledigt und ich könnte an diesem Tag etwas mit Freunden unternehmen. Drei Tage vor dem Termin fragte mein Sohn nach: „Wisst ihr bereits, ob ihr das übernehmen könnt?“ Ich zögerte. Höflich wie er ist, fragte er nicht laut: „Mama, bist du jetzt auch ein Maybe?“ Aber im Unterton seiner Stimme meinte ich, genau das zu hören!

Tja, unsere Maybe-Kinder sind erwachsen geworden. Spätestens wenn sie selbst Eltern sind und Verantwortung tragen, weicht das Zaudern und Zögern einer Erkenntnis: Manchmal gibt es keine Wahlmöglichkeit! Es gilt vielmehr, den eingeschlagenen Weg mit der Hilfe Gottes zu bewältigen. Dann weicht dem „Vielleicht“ ein „So ist es“.

Roswitha Wurm ist Förderpädagogin und Kinderbuchautorin. Sie lebt mit ihrer Familie in Wien. Ihre Webseite ist lesenmitkindern.at

Die Meinung der anderen

Diese Woche hatte ich einen interessanten Mailwechsel mit einer unserer Autorinnen. In einem Artikel fürs übernächste Heft hatte sie ein Beispiel erzählt von einer Frau, die Angst hatte, ihr Kind in die Betreuung zu geben. Nicht weil sie sich Sorgen um das Kind machte. Sondern weil sie die Reaktionen aus ihrem Umfeld fürchtete, in dem Fremdbetreuung sehr kritisch gesehen wird.

Ich fragte zurück, ob dies ein realistisches Beispiel sei. Und die Autorin, die auch als Coach arbeitet, schrieb, dass ihr in der Beratungspraxis häufig Menschen begegnen, die sich sehr stark an der Meinung anderer orientieren. Die ihre Entscheidungen so treffen, dass sie möglichst wenig anecken.

Ja, natürlich kenne ich das auch. Und grundsätzlich ist es ja auch nicht verkehrt, sich die Meinungen und Ratschläge anderer Menschen anzuhören. Aber sich davon abhängig zu machen – das finde ich problematisch. Ganz freimachen davon können sich wahrscheinlich nur die wenigsten. Muss man ja auch nicht. Aber der erste Schritt wäre zu erkennen, wie sehr die Meinung anderer meine Entscheidung prägt.

Schicke ich meine Tochter aufs Gymnasium wie ihre Cousinen, um in der Großfamilie gut dazustehen? Suche ich mir einen Job nach dem ersten Lebensjahr meines Kindes, weil meine Freundinnen das auch so gemacht haben? Zwinge ich meinen Teenager, mit ihn den Gottesdienst zu kommen, weil ich sonst schlecht dastehe in der Gemeinde? Mache ich pünktlich Feierabend, um noch Zeit mit den Kindern zu haben, obwohl alle anderen länger arbeiten?

Ich wünsche uns allen mehr Selbstbewusstsein, zu unseren Überzeugungen und Entscheidungen zu stehen. Wir sollten uns durchaus Rat holen bei guten Freunden. Aber wir sollten uns vor allem unsere eigenen Gedanken machen und dann eine gute Entscheidung für uns und unsere Kinder treffen. Denn die Folgen dieser Entscheidungen betreffen ja schließlich zuerst uns und unsere Kinder – und nicht die anderen.

Bettina Wendland, Redakteurin Family/FamilyNEXT

Too much information

Heute habe ich mal wieder das Gefühl, dass mein Leben zu kurz ist für alle Themen, die auf mich einströmen: Trump kündigt den Klimavertrag, in der christlichen Verlagswelt gibt es Veränderungen, meine Kinder kommen von der Klassenfahrt zurück, die nächsten Hefte von Family und FamilyNEXT müssen geplant werden und mein Postfach ist voll von Presseinfos, die meine Aufmerksamkeit fordern: Veränderungen beim Unterhaltsvorschuss für Alleinerziehende, Medienkompetenz für Grundschulkinder, Kinder vor sexueller Gewalt schützen …

Wie beneide ich manchmal unsere Haustiere, die Kaninchen und die Schildkröte. Ihre größte Sorge ist es, etwas Leckeres zu fressen zu bekommen. Sie liegen im Gras und genießen die Sonne (Schildkröte) oder den Schatten (Kaninchen).

Ich finde es oft schwierig, mich zu fokussieren, abzugrenzen von Dingen und Themen, für die jetzt einfach mal kein Platz ist in meinem Leben. Ein paar Strategien habe ich schon: Mails, die auf den ersten Blick irrelevant erscheinen, lösche ich ungelesen. Ich beschäftige mich vorrangig mit Problemen, die ich auch lösen oder zumindest beeinflussen kann. Deshalb beklage ich zwar die Entscheidung von Mister Trump, lese aber nicht jeden Artikel und Kommentar dazu. Und ich hole meinen Sohn selbst vom Klassenfahrtstreffpunkt ab. Nachbarn haben angeboten, ihn mitzubringen. Das würde mir eine Menge Zeit sparen, in der ich anderes erledigen könnte. Aber ich glaube, dass es ihm wichtig ist, dass er von seiner Familie abgeholt wird. Und deshalb hat das für mich Priorität.

Das sind meine Strategien für heute. Was sind eure? Wie geht ihr mit der Flut an Informationen, Themen und Anforderungen um?

Bettina Wendland
Redakteurin bei Family und FamilyNEXT

Zum Zaungast degradiert?

Medien, Schule, Freunde – all das beeinflusst unsere fast erwachsenen Kinder. Haben wir als Eltern überhaupt noch Einfluss?

Jan hat gerade seinen 16. Geburtstag gefeiert und ist davon überzeugt, dass ihm jetzt die Welt offen steht. Endlich darf er den Führerschein für ein Moped oder einen Roller erwerben. Von den Eltern will er sich gar nichts mehr sagen lassen. So wie Jan sehen viele heranwachsende Kinder ihre eigene Position. Sie fühlen sich bereits erwachsen, obwohl sie es faktisch – und auch vor dem Gesetz – noch gar nicht sind. Das ist keine einfache Situation. Eltern wünschen sich manchmal, ihr Kind wäre noch klein und auf sie angewiesen. Denn Babys begreifen ihre Eltern als Erweiterung von sich selbst und hängen deshalb sehr an ihnen. Erst mit der Entwicklung des eigenen Ichs wird die Umwelt allmählich wichtiger. Mit dem Alter des Kindes nimmt die Beeinflussung außerhalb des Elternhauses kontinuierlich zu. Irgendwann ist dann der Punkt gekommen, an dem der Einfluss von Schule, Freunden und Medien dominiert und sich der junge Mensch kaum mehr etwas von den Eltern sagen lässt.

DAS GROSSE SCHWEIGEN
Marc ist 17, seine Freundin Svenja hat vor wenigen Wochen ihren 16. Geburtstag gefeiert. Beide halten ihre Beziehung vor den Eltern geheim. Marc, weil er genau weiß, dass seine Eltern die neue Freundin mit den schlechter werdenden Schulnoten in Verbindung bringen und deshalb gegen die Beziehung Partei ergreifen würden. Svenja, weil sie fürchtet, dass die Eltern es nicht gern sehen, dass sie sich mit einem Freund abgibt, der weder im Jugendkreis der Gemeinde anzutreffen ist noch sonst irgendeinen Bezug zum christlichen Glauben hat. Doch Svenja sieht in Marc jemanden, mit dem sie ihre Probleme besprechen kann und der sie versteht. Svenja empfindet diese Beziehung als Bereicherung, aber sie weiß, dass ihre Eltern das ganz anders sehen würden. Tom besucht die 10. Klasse einer Realschule. In diesem Jahr steht die Abschlussprüfung an. Doch statt fleißig zu lernen, sitzt Tom den ganzen Tag am Computer und macht … Ja, was er dort treibt, wissen seine Eltern nicht. Denn Tom schweigt sich darüber aus. Da sich die Eltern bisher wenig für den Computer interessiert haben und damit selbst nicht viel anzufangen wissen, können sie sich auch gar nicht vorstellen, was Tom den ganzen Tag im Internet macht. Auf jeden Fall hängt er den lieben langen Tag vor dem Computer ab und ist nicht zu motivieren, sich um die Schulaufgaben zu kümmern. Die 16-jährige Lisa blendet jede Unterhaltung von vornherein aus, da ihre Aufmerksamkeit vom Smartphone so sehr in Anspruch genommen ist, dass sie gar nicht mehr merkt, dass die Eltern mit ihr reden wollen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Denn so viele unterschiedliche Jugendliche es gibt, so viele unterschiedliche Situationen gibt es auch, in denen Jugendliche ihre Eltern regelrecht ausbremsen und aus ihrem persönlichen Alltag außen vor lassen. Sie orientieren sich lieber an Medien oder Menschen, die vollkommen außerhalb des Einflussbereichs der eigenen Eltern stehen.

BETRETEN VERBOTEN!
Für Eltern, die den Zugang zu ihren Kindern suchen und dabei gegen Wände laufen, kann das sehr frustrierend sein. Obwohl die Kinder in derselben Wohnung leben, haben sie sich einen Bereich geschaffen, zu dem die Eltern keinen Zutritt haben. Sie zeigen das nicht nur ganz konkret durch Schilder an der Tür, wie „Betreten verboten – Lebensgefahr“ oder „Eltern müssen draußen bleiben“, sondern auch dadurch, dass sie ihren Eltern nichts von ihren Problemen oder auch nur von den Alltagserlebnissen erzählen. Tipps für ihr Leben holen sie sich eher aus den sozialen Netzwerken als von den Eltern. Eltern fragen sich deshalb nicht zu Unrecht: „Habe ich überhaupt noch Einfluss auf mein Kind?“ Grundsätzlich ist diese Frage schon allein deshalb zu bejahen, weil Sie als Eltern in all den vergangenen Jahren einen immensen Einfluss auf Ihren Sohn oder Ihre Tochter ausgeübt haben. Dieser Einfluss hat in Ihrem Kind bereits Grundlagen gelegt, die dafür sorgen, dass es sich bei seinen Handlungen in der Regel fragen wird, ob die Eltern diese Handlung gut oder schlecht finden werden. Das heißt natürlich nicht zwangsläufig, dass sich Ihr Jugendlicher genauso verhält, wie Sie es für richtig halten. Es kann im Gegenteil bedeuten, dass er genau aus diesem Grund einen anderen Weg wählt, als er ihn vom Elternhaus vorgelebt bekommen hat. Ein junger Mensch setzt sich mit den Werten und Meinungen auseinander, die ihm die Eltern vermittelt haben. Dazu gehört auch, dass er sich gegen die weitere Beeinflussung sperrt und absichtlich konträre Entscheidungen trifft. Wir kennen dieses Verhalten alle sehr gut aus der eigenen Jugend. Warum sollten unsere Kinder anders reagieren?

FALSCHE ENTSCHEIDUNGEN
Eltern sollten sich nicht unbedingt in die Entscheidungen ihrer Kinder einmischen. Lassen Sie Ihr Kind ruhig auch mal Fehler machen. Falsche Entscheidungen können durchaus heilsam sein. Außerdem ist es immer schwierig zu sagen, dass eine Entscheidung richtig oder falsch ist. Selbst „falsche“ Freunde können für den jungen Menschen wichtig sein. Vielleicht ist es für Ihre Tochter wichtig, gerade jetzt einen Freund zu haben, der so gar nicht zu Ihren Vorstellungen passt. Eltern müssen sich auch mal zurücknehmen und abwarten. Der erste Freund ist ganz selten der Mann fürs Leben. Geben Sie Ihren Kindern den Raum, allein Entscheidungen zu treffen. Wenn Ihre Kinder dann aber vor einem Scherbenhaufen stehen, weil die Entscheidung eben tatsächlich falsch war, dann vermeiden Sie es, Ihrem Kind zu sagen: „Ich habe es doch gleich gewusst.“ Zum einen nützt es nichts, mit dieser Bemerkung Salz in die Wunde zu streuen. Und zum anderen ist Ihr Kind jetzt sicherlich offen für Ihren Trost und Ihre Hilfestellung. Diese Offenheit sollten Sie nicht dadurch wieder zunichtemachen, dass Sie Ihre Überlegenheit ausspielen. Egal wie die Situation ist, behalten Sie die Ruhe und warten Sie einfach ab. Irgendwann kommt Ihr Kind wieder auf Sie zu.

DER 16. GEBURTSTAG
Manche Jugendliche haben hohe Erwartungen an ihren 16. Geburtstag. Spätestens jetzt erhalten sie einen eigenen Personalausweis. Außerdem sind manche Jugendschutzbestimmungen nun nicht mehr relevant für sie. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zum Erwachsenwerden ist für die meisten jungen Menschen der Erwerb des Führerscheins. Seitdem es die Möglichkeit gibt, den Führerschein im Rahmen des „Begleiteten Fahrens ab 17“ vorzeitig zu erwerben, ist der 16. Geburtstag ein wichtiges Datum, das die Heranwachsenden dem Führerschein näher bringt. Da jedoch meist die Eltern diejenigen sind, die den Führerschein bezahlen, können Sie diesen Erwerb auch mit der Bedingung verknüpfen, dass der oder die Heranwachsende sich an die Regeln des familiären Zusammenlebens hält. Dazu gehört es selbstverständlich, dass Jugendliche eben nicht machen, was sie wollen, sondern sich an Absprachen halten, ihr Zimmer selbst in Ordnung halten, die Hausaufgaben regelmäßig erledigen und an gemeinsamen Mahlzeiten teilnehmen. Welche Regeln für Ihre Familie wichtig sind, legen Sie selbst fest.

EINMISCHUNG DER ELTERN
Es gibt sicherlich viele Bereiche, in denen die Heranwachsenden ihre eigenen Erfahrungen machen wollen und auch müssen. Trotzdem gibt es auch Situationen, in denen Jugendliche ihre Eltern brauchen. Um das herauszufinden, ist es wichtig, mit den Kindern im Gespräch zu bleiben. Im Alter von 16, 17 oder 18 Jahren wollen Kinder oft alles selbst regeln und schweigen Probleme manchmal tot. Wenn Sie als Eltern jedoch immer wieder zeigen, dass Sie an Ihrem Kind interessiert sind und sehr wohl merken, wenn es ihm nicht gut geht, wird sich Ihr Sohn oder Ihre Tochter leichter öffnen und eine schwierige Situation zumindest andeuten. Wenn Sie erfahren, wo das Problem zu suchen ist, können Sie beispielsweise mit dem Lehrer oder dem Arbeitgeber reden und so Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht braucht Ihr Jugendlicher auch Hilfe bei der beruflichen Orientierung. Diese Frage treibt Jugendliche oft mehr um, als sie zugeben. Manchmal passen die Noten nicht zum Wunschberuf, oder der Jugendliche hat zu nichts Lust. Versuchen Sie, gemeinsam Stärken herauszufinden und entwickeln Sie mit ihm zusammen Ideen. Es ist nicht so, dass Sie als Eltern auf dem Abstellgleis stehen und nur noch als Zaungast zuschauen müssen. Ihr Kind braucht Sie als Eltern genauso dringend wie früher. Es zeigt es nur nicht – und braucht Sie anders. Doch wenn Jugendliche begreifen, dass die Eltern immer für sie da sind, dann ist das eine gute Grundlage für Ihre Eltern-Kind- Beziehung – bis ins Erwachsenenleben hinein.

Ingrid Neufeld ist Erzieherin und Mutter von drei inzwischen erwachsenen Töchtern. Sie lebt in Mittelfranken.