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Ein Paar, zwei Perspektiven: Kochen

HÜTERIN DER TRADITION

Katharina Hullen weiß, wie bestimmte Gerichte gekocht werden müssen. Trotzdem darf sich ihre Tochter gerne ausprobieren, aber nicht unbedingt ihr Mann.

Katharina:

Unsere älteste Tochter (13) hat sich zu Weihnachten ein leeres Rezeptbuch gewünscht. „Ich möchte schon mal anfangen, all die leckeren Familienrezepte aufzuschreiben, damit ich sie später nachkochen kann!“ Ich weiß ja nicht, wie konkret ihre Auszugspläne schon sind, hoffte aber beim Lesen des Wunschzettels, dass das noch ein bisschen Zeit hat. Sei’s drum – sie bekam ein schönes Buch, hat sich sehr darüber gefreut und es auch schon mit einem knappen Dutzend Rezepten gefüllt.

Denn sie ist unsere Backfee, und wann immer sich Lust oder Frust in ihr breitmachen, wird der Vorratsschrank geplündert. Das ist wirklich wunderbar – mit 13 Jahren wäre mir das im Traum nicht eingefallen. Vermutlich hätte ich es auch gar nicht allein gedurft, da Kochen und Backen ja auch irgendwie gefährlich sind. Nicht nur das Hantieren mit heißen Töpfen, Geräten und Flüssigkeiten hielt meine Mutter davon ab, mir die Küche zu überlassen. „Wie du das Messer schon hältst!“ war ein mehrfach geäußerter Satz, bevor mir selbiges entrissen wurde, was mir die Lust am freudigen Kochlöffelschwingen kräftig vermieste. Aber auch die unterschwellige Gewissheit, das richtige Würzen und Portionieren ohnehin nicht hinzubekommen, nahm mir das Selbstvertrauen, einfach mal drauflos zu kochen oder zu backen.

Unsere Große ist das totale Gegenteil. Sie ist herrlich souverän im Umgang mit „Fehlern“ und sie wird bestimmt mal eine großartige Köchin. Beispiel: Einmal produzierte sie aus Versehen einen gigantischen Hefeteig, weil sie irrtümlich 12 Eier in den Teig geschlagen hatte. Eine falsch abgespeicherte Erinnerung an ihren letzten Pfannkuchenteig! Egal – sie borgte sich noch ein paar Kilo Mehl von Oma, und wenig später verteilte sie die Berge von köstlichen, warmen und duftenden Zimtschnecken kurzerhand in der Nachbarschaft mitsamt der netten 12-Eier-Pannengeschichte.

Hauke ist auch so ein Improvisationstalent. Wenn er Hunger hat, steht er in der Küche und zaubert aus dem, was er finden kann, irgendein leckeres Essen. Rezepte findet er eigentlich eher lästig, schließlich hat er doch selbst ganz gute Ideen, welche Zutaten er mit welchen Gewürzen zusammenstellt. Und natürlich ist es fast immer lecker. Außer …
Außer er hält sich nicht ans Familienrezept! Daran, wie es immer gekocht wird! Was Neues ausprobieren? Soll er ruhig machen! Aber die Gewürze oder die Art zu verändern, wie ein traditionelles Gericht gekocht wird? Da werde ich nervös – das ist nämlich dann falsch!

Ja, Prägung ist manchmal eine schwierige Sache! Ich freue mich, dass ich es trotzdem geschafft habe, meinen Kindern schon Freiheiten in der Küche zu lassen.
Aber Hauke? Wie der das Messer schon hält!

Katharina Hullen (Jahrgang 1977) ist Bankkauffrau und Dolmetscherin für Gebärdensprache in Elternzeit. Sie und Ehemann Hauke haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

 

KULTURKAMPF AM HERD

Hauke Hullen improvisiert gerne und bewegt sich mit seinen Kochkünsten auf schwierigem Terrain.

Hauke: Die Küche ist der Nahe Osten unserer Wohnung. Gleich mehrere Teile der hier wohnhaften Bevölkerung haben den Anspruch, in dieser Region das Sagen zu haben. Selbst die erst vor Kurzem eingewanderte jüngere Generation macht sich hier breit und nimmt dabei leider keine Rücksicht auf die Traditionen der Alteingesessenen.

Wobei – selbst bei den Alteingesessenen prallen uralte kulturelle Unterschiede aufeinander, die immer wieder zu heftigen Konflikten führen. Obschon die Küche als Mittelpunkt des Hauses mythisch aufgeladen und damit quasi heiliger Boden ist, toben gerade hier die erbittertsten Schlachten. Kommt das Salz ins Nudelwasser, bevor es kocht – oder erst danach? Müssen Zwiebeln, die später im Eintopf verschwinden, angebraten oder gedünstet werden? Ist der Zitronensaft im Salatdressing obligatorisch oder kann man ihn auch weglassen, weil das Grünzeug sonst ungenießbar wird und der Zahnschmelz wegplatzt?
Man könnte meinen, in einer Ehe seien diese Fragen von untergeordneter Bedeutung und man findet im Zweifel sicher schnell eine Lösung. Weit gefehlt!

Liebe geht durch den Magen, und wenn dieser Liebesbeweis absichtlich und heimtückisch falsch zubereitet wird, dann kann man auch gleich die Scheidungspapiere neben den Teller legen. So deute ich zumindest die Reaktion meiner Frau, wenn ich irgendwo den Muskat vergessen habe. Denn Katharina bemüht sich nach Kräften, die uralten Schriften und Legenden, die in ihrer Familie seit Jahrtausenden von Mutter zu Tochter weitergegeben werden, aufs Gramm genau zu befolgen. Ihre Kochkunst ist eine Buchreligion – und wehe, der Göttergatte erdreistet sich einer kleinen Improvisation! Laut geäußerte Überlegungen, ob der Kuchen nicht auch mit 510 Gramm Mehl gelingt, sind Ketzerei und rufen heiligen Zorn hervor. Da in dieser Umgebung Messer, Spieße und siedendes Öl nicht weit sind, habe ich inzwischen gelernt, die verworrenen Rituale stillschweigend mitzutragen.

Trotzdem bleibt die gemeinsame Zubereitung eines Partybuffets eine Herausforderung. Doch je knisternder die Stimmung in der Küche war, umso mehr freuen wir uns dann, wenn endlich die Gäste kommen. Die feiern dann mit uns einen runden Geburtstag, und die beste Ehefrau und ich feiern, dass wir das Kochduell beide überlebt haben.

Hauke Hullen (Jahrgang 1974) ist Lehrer für Deutsch und Sozialwissenschaften. Er und Ehefrau Katharina haben fünf quirlige Kinder und leben in Duisburg. Gemeinsam bilden die beiden das Kirchenkabarett „Budenzauber“.

How to say: I’m sorry!

Genau genommen kann man sich nicht entschuldigen, nur um Entschuldigung bitten. Alles andere wären Rechtfertigungen und selbstbezogene Erklärungen. Eine Anleitung zu ehrlichen Entschuldigungen von Jörg Berger

Um wen geht es bei der Entschuldigung? Um mich? Dass ich es nicht so gemeint habe? Dass es Erklärungen für mein ungutes Verhalten gibt? Oder dass ich die verletzten Gefühle und den berechtigten Zorn meiner Frau aus der Welt schaffe, weil sie mir unangenehm sind? Oder geht es mir um meine Frau? Um die Verletzung oder den Nachteil, den ich ihr zugefügt habe? Um ein Verständnis für ihre Gefühle? Um eine Wiedergutmachung, wo das möglich ist? Wo es mir um mich selbst geht, wird meine Entschuldigung meine Frau nicht berühren, vielleicht sogar verärgern. Nur eine echte Entschuldigung bewirkt Versöhnung und räumt das beiseite, was zwischen uns steht.

Wenn ich Sie in das Geheimnis wirksamer Entschuldigungen einführe, lassen Sie sich bitte nicht unter Druck setzen. Denn eine Entschuldigung muss nicht perfekt sein, um das Herz des anderen zu erreichen. Außerdem genügt es in vielen Fällen, eine Entschuldigung einmal ehrlich und ausführlich auszusprechen – wenn der andere weiß, wie es gemeint ist, genügt beim nächsten Mal auch ein „Entschuldigung!“

Wer um Entschuldigung bittet, muss erst einmal selbst sein inneres Gleichgewicht finden. Denn auch schuldig werden stresst: Es belastet mit Schuldgefühlen, greift das Selbstwertgefühl an und weckt Angst vor der Reaktion des anderen. Weisen Sie, wenn nötig, Selbstanklagen oder Selbstabwertungen ab: Jeder darf Fehler machen und jeder wird in der Liebe schuldig werden. Machen Sie sich bewusst, dass Sie stark genug sind, einen Zorn, eine Enttäuschung oder eine verletzte Überreaktion Ihres Partners auszuhalten. Nun können Sie mit ganzer Aufmerksamkeit für den anderen da sein.

TREFFSICHERE ENTSCHULDIGUNGEN

Worum geht es Ihnen, wenn ein anderer Sie verletzt oder Ihnen einen Schaden zugefügt hat? Vermutlich erst mal um ein ehrliches Eingeständnis. Denn Schuld braucht eine Würdigung und eine Anerkennung. Außerdem muss der Schuldige auch verstanden haben, wie er schuldig geworden ist, denn sonst muss man ja fürchten, dass sich das Gleiche bald wiederholt. Und umgekehrt: Wenn wir schuldig werden, hängt fast alles davon ab, ob wir erkennen, was nicht gut gelaufen ist, und ob wir das aussprechen können. Weil das nicht so einfach ist, habe ich eine Sammlung treffender Entschuldigungen für Sie zusammengestellt. Vermutlich erkennen Sie sich in einigen Formulierungen wieder und entdecken: „Genau das mute ich meinem Partner manchmal zu.“ Außerdem erhalten Sie Anregungen, wie Sie eine Entschuldigung formulieren können, auch wenn Sie dann andere, eigene Worte verwenden. Ich habe die Entschuldigungen in sieben typische Bereiche geordnet, in denen wir in der Liebe aneinander schuldig werden.

Schuldig werden, in dem ich den anderen herabsetze:

  • „Ich habe dich gerade viel zu scharf und viel zu hart kritisiert. Das tut mir leid!“
  • „Ich bin gerade in meinem inneren Film aus meiner Kindheit gelandet: ‚Ich bin von Idioten umzingelt!‘ So habe ich dich gerade auch behandelt. Das stimmt natürlich nicht. Tut mir leid!“
  • „Das muss gerade geklungen haben, als hättest du einen furchtbaren Charakter. Dabei hast du nur einen kleinen Fehler gemacht und dir nichts Böses dabei gedacht. Sorry.“
  • „Ich habe erst an deiner Reaktion bemerkt, wie spöttisch und verletzend meine Bemerkung war. Das hast du nicht verdient. Tut mir leid.“

Schuldig werden, indem ich dem anderen seine Freiheit nehme:

  • „Ich habe dein Nein nicht akzeptiert und so lange auf dich eingeredet, bis du doch zugestimmt hast. Das war bestimmt nicht angenehm für dich. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir gar nicht die Möglichkeit gelassen, mitzuentscheiden. Tut mir leid für diese Vereinnahmung.“
  • „Ich habe dich gerade mit meiner Meinung und meinen Wünschen bedrängt, oder? Sorry.“
  • „Jetzt habe ich dich gar nicht zu Wort kommen lassen. Entschuldige bitte.“

Schuldig werden, indem ich mich selbst darstelle: 

  • „Sorry! Ich habe mehr versprochen, als ich halten kann.“
  • „Ich habe bei dir Erwartungen geweckt und dich dann enttäuscht, oder? Das tut mir leid.“
  • „Ich habe das so dargestellt, dass ich der Tolle bin und du dumm dastehst. Das hast du nicht verdient.“
  • „Ich habe mich in den Mittelpunkt gestellt und dir damit die Aufmerksamkeit genommen, die dir zusteht. Das tut mir wirklich leid.“

Schuldig werden, indem ich mich räche oder den anderen bestrafe:

  • „Ich habe mich zurückgezogen, weil ich sauer auf dich war. Ehrlich gesagt, wollte ich dich das auch spüren lassen. Aber das ist natürlich nicht in Ordnung. Entschuldige bitte.“
  • „Mit meiner Bemerkung eben habe ich dich da verletzt, wo es dir bestimmt sehr wehtut. Irgendetwas in mir wollte das auch. Aber das ist nicht fair. Bitte vergib mir.“
  • „Ich habe da völlig unnötig Nein gesagt und dich blockiert. Eigentlich geht es mir um ein ganz anderes Thema. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dir eine unangenehme Szene gemacht. Ich war unzufrieden und verärgert. Aber es gibt natürlich bessere Wege, damit umzugehen. Sorry.“

Schuldig werden, indem ich mich vor Unangenehmem drücke:

  • „Ich habe mich einfach zurückgezogen, statt dir zu sagen, dass mich etwas gestört hat. Entschuldige bitte.“
  • „Da bin ich dir etwas schuldig geblieben, weil ich unsicher war und gezögert habe. Tut mir leid.“
  • „Ich habe dich da sehr eingeschränkt, weil ich mich auf vieles nicht einlassen konnte. Das war bestimmt frustrierend für dich. Tut mir sehr leid.“
  • „Ich habe das so lange aufgeschoben, bis es dir Sorgen gemacht und dich frustriert hat. Vergib mir!“

Schuldig werden, indem ich den anderen in meine Probleme hineinziehe:

  • „Ich habe mich übernommen. Und jetzt musst du aushalten, dass ich so unausgeglichen und erschöpft bin. Tut mir leid!“
  • „Ich habe dich gerade zu meinem Helfer und Retter gemacht, oder? So möchte ich dich nicht strapazieren. Sorry!“
  • „Du machst dir wahrscheinlich Sorgen um mich. Ich wirke wahrscheinlich, als würde ich gleich zusammenbrechen. Entschuldige bitte. Ich möchte dich da nicht so reinziehen, wenn ich mir zu viel zumute.“
  • „Es tut mir leid: Ich bin gerade kopflos, weil ich schon wieder zu lange mit meiner Mutter telefoniert habe – obwohl ich weiß, dass mir das nicht guttut. Und jetzt musst du schon wieder auf mich warten. Das hast du nicht verdient.“

Schuldig werden, indem ich zu kämpferisch oder aggressiv auftrete:

  • „Gerade bin ich laut geworden, weil ich mich durchsetzen wollte. Ich kann mir vorstellen, wie unangenehm das für dich ist. Tut mir leid.“
  • „Du sagst gar nichts mehr. Bin ich zu heftig geworden? Wenn ja, tut es mir sehr leid.“
  • „Mir ist gerade bewusst geworden, dass meine Worte wie Drohungen klingen. Vielleicht waren es sogar welche. Verzeih’ mir bitte!“
  • „Du hast vor zehn Minuten schon angedeutet, dass du lieber drüber nachdenken möchtest als mit mir so hitzig weiter zu diskutieren. Das habe ich einfach ignoriert. Tut mir leid.“

VERSÖHNUNG GENIESSEN

Treffsichere Entschuldigungen sind Balsam auf die Wunden, die man dem anderen zugefügt hat. Zugleich haben Sie beim Lesen vielleicht gespürt: Es ist nicht einfach, dermaßen ehrlich zu sein und seine Schuld so offen auszusprechen. Aber Ehrlichkeit lohnt sich. In vielen Situationen stellt sie in Sekunden wieder eine entspannte Beziehung her. Wenn die Verletzung tiefer oder ein Schaden größer war, braucht der andere noch Zeit, um darüber hinwegzukommen. Aber die ehrliche Entschuldigung verhindert, dass die Situation zu Bitterkeit führt oder im nächsten Streit wieder hochkommt.

Ein letzter Bestandteil einer echten Entschuldigung kommt dann fast von selbst dazu. Denn glaubhaft ist eine Entschuldigung nur, wenn ich den gleichen Fehler nicht gedankenlos wiederhole. Eine gesunde Scham über mein Verhalten, ein Schmerz über das, was ich meiner Frau zugefügt habe, geben mir die Motivation, die ich brauche, um an einem bestimmten Punkt achtsamer zu sein. Natürlich werde ich in einem schlechten Moment wieder einmal in meine Schwäche zurückfallen. Aber wenn das seltener passiert oder wenn ich es früher bemerke, macht das meine Entschuldigung glaubhaft. Und das wiederum wird mich auch glaubwürdig machen, wenn ich mich einmal an anderer Stelle entschuldigen muss.

Manchmal erscheinen Partner nachtragend, unversöhnlich, kleinlich im Verzeihen oder so, als ob sie erwarten würden, dass der andere nie einen Fehler macht. Doch in Wirklichkeit liegt das Problem woanders: Es gab nie eine echte Entschuldigung und deshalb war auch kein echtes Verzeihen möglich. Es ist eine überraschende, befreiende Erfahrung: Je ehrlicher wir sind und je näher uns geht, was wir verschuldet haben, desto großzügiger, versöhnlicher und vergebungsbereiter sind die Reaktionen unseres Partners.

Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg. Mit seiner Online-Paartherapie epaartherapie.de geht er gerade neue Wege in der Begleitung von Paaren.

„Mein Kind ist überarbeitet“ – Diese drei Tipps schützen vor dem Burnout

„Mein Sohn ist vor kurzem ins Berufsleben eingestiegen und reibt sich total auf. Ständig schiebt er Überstunden und hat kaum mehr Zeit für sich. Was kann ich ihm Hilfreiches sagen, ohne mich zu sehr einzumischen?“

Es ist schwierig, auf diese Frage eine individuelle Antwort zu geben. Aber ein paar Ideen und Gedanken möchte ich gern nennen:

ACHTEN SIE AUF BEZIEHUNGEN!

Am wichtigsten im Leben von uns Menschen sind Beziehungen: zu Freunden, zu Geschwistern, zum Partner und so weiter. Wenn Ihr Sohn in einem Verein ist, einen guten Freundeskreis hat oder sich in einer Kirchengemeinde ehrenamtlich engagiert, dann hat er eine gute Basis, damit sein Leben im Gleichgewicht bleibt. Wenn er allerdings anfängt, aufgrund seiner vielen Arbeitsstunden Freunde aufzugeben oder die wöchentliche Gruppe zu meiden, ist dies kein gutes Zeichen. In diesem Fall ist es vermutlich sinnvoll, ihn darauf anzusprechen.

SEIEN SIE STOLZ!

Männer (und oft auch Frauen) neigen dazu, sich ihre Bestätigung durch Leistung zu holen. Gerade junge Männer wollen zeigen, was sie können – und das ist erst mal eine gute Sache, denn dadurch bewegt sich vieles in unserer Gesellschaft. Aber wenn junge Männer sich nur noch durch ihre Arbeit, durch Leistung, durch Erfolg definieren, dann wird es kritisch. Absolute Fokussierung auf Leistung führt nicht selten zu körperlichen und seelischen Problemen. Jeder Mensch braucht andere Menschen, die ihn bestätigen. Und Sie können Ihrem Sohn zeigen, dass Sie ihn lieben, indem Sie ihm zum Beispiel einen Brief schreiben, in dem Sie ihm sagen, was Sie an ihm schätzen, warum Sie auf ihn stolz sind: auf seine Begabungen, auf seine Art, was auch immer ihn auszeichnet.

LASSEN SIE IHN DURCH FEHLER LERNEN

Wir Menschen lernen durch Fehler. Eltern wollen ihre Kinder gern vor Fehlern oder Problemen bewahren. Aber vor allem erwachsene Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen. Sie müssen auch mal stolpern und hinfallen, um dann aus diesen Fehlern zu lernen. Und vielleicht muss Ihr Sohn erst einmal die Grenze seiner Leistungsfähigkeit erfahren, um zu lernen, seine Kraft richtig einzuteilen. Von daher mache ich Ihnen Mut, Ihren Sohn wertschätzend und betend zu begleiten auf dem Weg, den er geht – auch wenn es ein schwieriger Weg ist.

Stephan Münch ist Leiter und Gründer des Orientierungsjahrs Lebenstraum in Uffenheim (dein-lebenstraum.com). Illustration: Sabrina Müller

 

 

Als Eltern versagt?

Eltern wollen gern alles richtig machen, um ihren Kindern keine Steine für ihr späteres Leben in den Weg zu legen. Doch ohne Fehler geht es nicht. Von Debora Güting

Ich habe als Vater versagt.“ Daniel* sitzt vor mir und weint. Ich bin erschüttert. Er ist ein Vater wie aus dem Bilderbuch. Wir kennen uns seit etwa 15 Jahren, in denen seine beiden Söhne geboren sind. Ich weiß, wie wichtig es ihm ist, ein guter Vater zu sein. Denn sein eigener Vater war abwesend bis abweisend. Daniel unternimmt viel mit seinen Jungen. Er ist ein Abenteurer, und seine beiden Kinder erleben viel mit ihm. Linus, der Ältere, war gerade in einer schweren Phase in der Schule, hörte nicht auf seine Eltern und sortierte sich als Teenager neu. Da passierte es: Linus wollte auf ein Wochenende mit Freunden. Kurz vorher gab es einen Konflikt, und Daniel nahm ihm als Konsequenz das Handy weg. So wie das Wochenende geplant war, würde Linus es nicht wirklich brauchen und sich hoffentlich mal mehr offline beschäftigen. Aber das Wochenende verlief anders. Linus geriet in eine traumatisierende Notlage, die über das ganze Wochenende anhielt. Er konnte sich nicht mit seinen Eltern in Verbindung setzen, weil ihm das Handy fehlte. „Ich habe ihn im Stich gelassen“, sagt Daniel gebrochen. „Als er mich brauchte, konnte ich ihn nicht schützen. Ich bin schuld an dem, was er erlebt hat.“ Als ich mit Daniel rede, ist der Vorfall schon ein Vierteljahr her. Sie waren zusammen in einer Beratungsstelle, Linus hatte psychologische Betreuung, und die Situation in der Schule ist noch schwerer als vorher. Zu Hause ist der Umgang mit Linus so unerträglich und voller ungelöster Konflikte, dass Daniel überlegt, ihn in einem Heim unterzubringen. Er und seine Frau Petra sind mit ihrer Erziehung am Ende. Daniel weint. So hat er sich das Vatersein nicht vorgestellt. Ich leide mit, als ich seine Geschichte höre. Ich habe Daniel noch nie weinen gesehen. Was würde ich in einer Situation machen, in der mein Kind, teilweise durch mein Zutun, in eine solche Notlage gerät? Wie würde ich mit so einer Schuld umgehen?

DAS LEBEN VERMASSELT?
Das Wort „Schuld“ erinnert mich schmerzlich an einen Artikel, den ich von einer Freundin empfohlen bekam. Darin ging es um „sechs wahre Ursachen von Süchten“ Erwachsener, die alle auf die Erziehung ihrer Eltern zurückzuführen seien. Ursache könne sowohl sein, dass der Erwachsene als Kind überbehütet wurde, als auch dass er allein gelassen und seine Bedürfnisse nicht befriedigt wurden. Nach dem Lesen dieses Artikels hatte ich Schuldgefühle und sah meine vier Kinder als verkorkste Erwachsene vor mir, die mir vorwerfen, ich habe ihr ganzes Leben vermasselt. Nach Aussage dieses Artikels hatte ich schon alles Mögliche falsch gemacht. Ich fühlte mich fast schuldig, dass ich meinen Kindern angetan hatte, meine Kinder zu sein. Mit etwas Abstand fragte ich mich: Wie vielen Eltern, die diese Auflistung lesen, hilft dieser Artikel, gute Eltern zu sein? Sind wir alle von Schuldgefühlen getrieben? Bemüht, nur nichts falsch zu machen? Sind wir Eltern wirklich an allem schuld, was unsere Kinder in ihrem Erwachsenenleben tun oder nicht tun? Ich bin gern Mutter von meinen vier Kindern. Ich freue mich, wenn meine Kinder etwas erobern, wenn sie aus ihren Fehlern lernen, wenn sie Freude aneinander haben, wenn sie einander trösten oder mit sich selbst ringen. Ich freue mich, wenn wir Zeit miteinander verbringen, lesen, spielen, die Sonne genießen. Ich finde, Elternsein sollte Freude machen – und nicht ständig von möglichen Mängeln oder falschen Entscheidungen beherrscht sein.

ZEHN ERZIEHUNGSFEHLER
Vor ein paar Jahren war ich bei einem Vortrag zum Thema Erziehung. Ich erinnere mich, dass der Referent sagte, dass wir als Eltern auch Fehler machen dürfen – und dass selbst kleine Kinder Erziehungsfehler verzeihen würden. Sein Argument war, dass Kinder merken, wie wir es grundsätzlich mit ihnen meinen, selbst wenn wir mal anders handeln oder überreagieren. Wenn wir unsere Kinder im Allgemeinen mit ihren Bedürfnissen wertschätzen und annehmen, wird aus einem Mal, an dem wir sie übergehen, keine Problematik entstehen. Bis zu zehn Erziehungsfehler am Tag seien völlig normal. Erst ab über zwanzig Fehlern pro Tag verliere ein Kind die Orientierung in der Erziehung. Was für eine Befreiung! Ich darf als Mama auch noch Mensch sein! Meine Kinder sind robust und können mich als Otto-Normal-Mutter aushalten und einordnen – auch wenn ich nicht immer alles richtig mache. Ein wunderbarer Ratschlag kommt von Christof und Hedwig Matthias von der christlichen Beratungsorganisation Team.F. Sie wissen um die Problematik, dass wir als Eltern unseren Kindern nicht alles sein und alles geben können. Sie geben diese Sorge um ihre Kinder in Gottes Hand, indem sie beten und ihn bitten, die Lücken zu füllen. Das Gebet könnte so aussehen: „Herr, hilf uns, die guten Eltern zu sein, die du dir in uns vorgestellt hast. Fülle du die Lücken und gib unserem Kind die Dinge, die es braucht, die wir aber nicht geben können.“ Gott ist mit im Spiel. Er ist der Schöpfer von Eltern und Kindern. Er hat uns als Familie zusammengestellt. Gott findet offenbar, dass ich meinem Kind eine gute Mutter sein kann. Und das will ich, so gut ich kann, erfüllen. Gott weiß, dass ich menschlich bin, Fehler habe und meinem Kind nicht alles vermitteln kann. Aber Gott hat noch mehr Möglichkeiten. Ich will ihm zutrauen, mein Kind in der Hand zu halten und sich um mein Kind zu kümmern – besser und umfangreicher, als ich es kann.

LAST ABGEBEN
Aber was ist, wenn etwas kolossal schiefläuft wie bei Daniel und Linus? Hier gibt es natürlich keine universalen Antworten. In Daniels und Linus‘ Fall hat Daniel es grundsätzlich gut gemeint, aber im entscheidenden Moment tatsächlich das Unglück mit provoziert. Was passiert ist, ist aber nicht Daniels Schuld. Das Leben auf diesem Planeten läuft nicht reibungslos oder gar schmerzlos ab – für niemanden. Nicht für Daniel, nicht für Linus, nicht für mich oder für Sie. Dafür immer nach dem Schuldigen zu suchen, führt niemanden in die richtige Richtung: weder „Opfer“ noch „Täter“. Natürlich sollte sich Daniel bei Linus entschuldigen und seinen Anteil an dem Vorfall besprechen – aber die Schuld an dem, was andere Linus angetan haben, trägt er nicht. Er konnte nicht wissen, wie sich sein Handeln auswirken würde. Jesus hat die Schuld der Welt am Kreuz getragen. Er hat auch unsere Schuld getragen, egal, ob wir etwas absichtlich oder aus Versehen falsch gemacht haben. Er kann diese Last tragen. Wir können es nicht. Es macht uns kaputt. Wir dürfen diese Last an Jesus abgeben – immer wenn sie uns drückt oder erdrückt.

SEGEN GESCHENKT
Ich denke da gern an Josef aus der Bibel: Josef hat einen Weg gefunden, mit einem „Vorfall“ fertig zu werden. Seine Brüder hatten ihn aus Neid als Sklaven in ein fremdes Land verkauft. Sicherlich grollte Josef ihnen. Aber als er den Brüdern viele Jahre später begegnete, war er nicht ein verbittertes Opfer. Josef hatte unterwegs gelernt, seinen Lebensweg anzunehmen und Schritte von da aus zu gehen, wo er war – so deplatziert das auch schien und so gern er seine Schritte woanders gegangen wäre. Gott gab Josef eine Schlüsselposition, um später seine ganze Familie zu retten. Josef vergab seinen Brüdern. Er ließ das geschehene Unrecht in Gottes Hand – und Gott konnte Schritte mit Josef gehen. Er konnte Josefs Leben lenken und einen Segen schenken, der ohne das Leid in Josefs Leben nicht so enorm groß und faszinierend ausgefallen wäre. Trauen wir Gott zu, dass er das Leben unserer Kinder heute in seiner Hand hält, auch wenn sie – wie wir ja auch – Leid erleben und ertragen müssen. Gott hat die Kontrolle – nicht wir Eltern. Was für ein Befreiungsschlag!

 

Debora Güting ist Referentin und Teil des Pastoralteams der Kirche des Nazareners in Seligenstadt, verheiratet mit Johannes und hat vier Kinder.