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Fremdverliebt: Zum Hochzeitstag bekommt Sina einen Liebesbrief – vom falschen Mann

Aus dem Nichts verliebt sich Sina Wendel [Pseudonym] in einen Vater aus der Kita. Plötzlich steht ihre Ehe vor dem Abgrund.

Es ist ganz plötzlich passiert. Ein Bekannter aus der Kita kommt zu Besuch und reißt mich aus dem Trott der Gefühle. Die sprichwörtlichen Schmetterlinge toben durch meinen Bauch, völlig unerwartet und ungewollt. Warum er? Warum trifft es mich so? Mir wird schnell klar: Er verkörpert all das, wonach ich mich zutiefst sehne. Die Zeit, die er sich für seine Kinder und auch für mich nimmt. Die tiefgreifenden Fragen, die er stellt. Die Art, wie er das ausspricht und mit Begeisterung tut, was ihm in den Sinn kommt. Er springt in eine Lücke meines Herzens und öffnet dort einen Raum der Sehnsucht.

Als ich mich in den Mann aus der Kita verliebe, gleicht meine Ehe eher einer Fahrt durch ein Industriegebiet als durch blühende Landschaften. Unsere beiden Kleinkinder brauchen viel Aufmerksamkeit und Geduld, manchmal mehr, als mein Mann und ich zu geben haben. Außerdem sind wir beide beruflich und ehrenamtlich sehr gefordert. In unseren Gesprächen und in der körperlichen Beziehung zueinander kämpfen wir ständig mit Ampeln und Staus, kurzum: Unsere Ehe läuft nicht mehr richtig rund.

Er erwidert die Gefühle

Nach der Begegnung mit dem anderen Mann möchte mein Herz unbedingt in dieser neuen, schönen Landschaft weiterfahren, doch mein Verstand erkennt die Gefahr und bremst mich. Nach einer Woche Schlaflosigkeit gestehe ich ihm, dem Bekannten, meine Gefühle – mit der Bitte um Abstand. Er empfindet auch etwas für mich, wie er unumwunden zugibt. Damit bringt er alles ins Rollen und treibt mich nach und nach fort aus meinem vertrauten Leben. Ich erfahre etwas, das ich so bisher nicht kannte – eine zweigeteilte Liebe in mir: erfrischendes Verliebtsein auf der einen Seite, tiefe Verbundenheit auf der anderen. Auf der Geisterfahrt meines Herzens entferne ich mich immer mehr von meinem Mann und allem, was mir bislang wichtig war: meinem Glauben, meinen Freunden und meinen Kindern. Denn trotz des Versuchs, Abstand zu halten, kommt es immer wieder zu zufälligen Zusammentreffen, die mir sehr nahe gehen. Ich verzweifle an der Macht, die mich mit aller Wucht gepackt hat und mich unwillkürlich in Richtung Ehebruch zieht.

In unserer Kleinstadt weiß jeder fast alles über den anderen. Ich bete und flehe und weiß keinen anderen Weg als den der Ehrlichkeit: Ich beichte das Verliebtsein meinem Mann, den ich eigentlich schonen wollte. Er reagiert verletzt und wütend. Ich bin getroffen von seiner großen Distanz mir gegenüber und der Distanz, die ich von nun an zum Anderen in aller Konsequenz halten soll. Der tägliche Kampf gegen den Wunsch, ihn wiederzusehen, mit ihm zu reden, ihm zu schreiben oder auch nur an ihn zu denken, beginnt. Jeder Tag erscheint mir wie eine Schlacht, die all meine Kraft kostet. Fast alles andere um mich herum weicht der Auseinandersetzung mit mir selbst in dieser Phase des Fremdverliebtseins.

Liebesbrief vom falschen Mann

Doch das innere Loslassen braucht wesentlich mehr Zeit als angenommen. Immer wieder gibt es Rückschläge durch unvermeidliche Begegnungen in der gemeinsamen Kita. Ein ständiges Auf und Ab. Dabei bin ich mir bewusst, dass mein Handeln weitreichende Konsequenzen für sieben andere Menschen hat. Denn der andere Mann ist sogar bereit, mit mir ein neues Leben anzufangen. Was ich nicht wusste: Die innerliche Trennung von seiner Partnerin hatte schon vor unserer Begegnung stattgefunden. Mein Mann spürt die Entfremdung zwischen uns als Ehepaar deutlich und ist im Alltag schnell gereizt. Mir wird ebenfalls alles zu viel: die Eifersucht und der Vertrauensverlust meines Mannes, das auf mich gerichtete Verliebtsein des Anderen und meine eigene Sehnsucht und Angst. Ich bin am Ende meiner Kräfte. In all diesem Durcheinander, das ich anrichte, hilft mir mein Glauben. Der christliche Glaube erzählt mir, dass Gott mich auch jetzt noch liebt. Nicht nur als brave Kirchgängerin, als Vorzeigemama oder Ehefrau. Ganz neu lese ich die Passagen in der Bibel. Jesus hört zu, verurteilt nicht gleich. Auch die Psalmenbeter leiden mit mir, wenn ich einfach nur traurig bin. Dafür bin ich unendlich dankbar und erfahre eine neue Tiefe des Glaubens, die mir zuvor verschlossen war.

Der Höhepunkt des Fremdverliebtseins ist zugleich der Tiefpunkt unserer Ehe. An einem Sommertag sehe ich den anderen Mann durch Zufall allein in der Stadt. Er umarmt mich und spricht davon, dass er meine innere Einsamkeit sieht, die mein Mann nicht erkennen kann. Am nächsten Morgen erhalte ich einen Liebesbrief zum Hochzeitstag, allerdings vom falschen Mann. Mein Ehepartner erfährt nichts von dem Treffen und dem Brief, aber er ahnt es instinktiv. Es kommt zu einem riesigen Streit mit meinem Mann, der zu tiefen Verletzungen auf beiden Seiten führt. Unser Vertrauen ineinander hat einen heftigen Schlag abbekommen. Ich erkenne, dass es so nicht weitergehen kann und beschließe deshalb, dass meine Kinder nach den Ferien die Kita wechseln werden. Der Wechsel klappt mit nur einem Anruf, meine Kinder werden beide zusammen in meiner Wunschkita aufgenommen. Was für eine Erleichterung in dieser schwierigen Situation!

Schleichende Besserung

Die dringend notwendige Behebung der Ursachen erfolgt schleichender. Uns wird bewusst, dass mein Fremdverliebtsein aufzeigt, was sich in den letzten Monaten und Jahren in die falsche Richtung entwickelt hat. Im verflixten siebten Jahr unserer Ehe sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir desillusioniert voreinander stehen. Farblos und langweilig erscheint uns der geliebte Mensch, alles andere ringsherum wirkt lebendiger. Mein Mann und ich brauchen beide Zeit, um uns gegenseitig ein „Ja“ wieder neu zusprechen zu können.

Bewusst suche ich die Nähe zu meinem Mann und gebe dafür die Kinder öfter bei den Schwiegereltern ab. Er ist zwar gekränkt, es hilft ihm jedoch, dass ich mit dem anderen nicht geschlafen habe. Ich erkenne mehr denn je, dass wir nur Hand in Hand alles andere in unserem Leben bestehen können: vom Ehrenamt über die Hausarbeit bis hin zur Kindererziehung. In einer Gesprächstherapie nimmt unser eingeschlafener Ehemotor schließlich langsam wieder Fahrt auf. Oft stotternd, grummelnd, holprig, doch der Dialog ist wieder da.

Froh über das „Nein“

Unser gemeinsames Navigationssystem, die Bibel, trägt mich und meinen Mann durch die schwierigsten Zeiten am Abgrund. Sie zeigt Grenzen auf und macht deutlich, dass Ehebruch einfach falsch ist und nichts Gutes bringt. Mein Mann hält an unserem Eheversprechen fest, es trägt ihn in all den Zweifeln an mir. Gleichzeitig lerne ich auf dieser Irrfahrt meine inneren Schätze neu kennen. Durch kreative Methoden wie Gedichte schreiben, in der Bibel zeichnen und ein Dank-Tagebuch führen kann ich einige Lebensthemen aufarbeiten.

Mittlerweile bin ich froh, dass ich dieses kleine „Nein“ dem Anderen gegenüber immer wieder ausgesprochen habe und die Krise überwunden ist. Es ist zum Symbol meiner Stärke, meiner Treue zu mir selbst, zu all meinen Werten und zu meinem Glauben geworden. Ich verstehe, warum Verzicht eine grundsätzliche Lebenskunst ist, die alle Religionen lehren und die jeder Mensch irgendwann lernen muss. Ich habe mich dafür entschieden, das Unperfekte in meinem Mann anzunehmen und er in mir. Wir sind wieder gemeinsam unterwegs und können dank unserer Gegensätzlichkeit viele Schwierigkeiten auf unserem Weg besser meistern. Zusammen setzen wir voll Zuversicht und neuer Freude unseren Weg fort.

Unter dem Pseudonym „Sina Wendel“ beschreibt die Autorin ihre Erfahrungen zum Fremdverliebtsein auch in einem Blog. Neben Tagebucheinträgen und Heilmitteln hat sie dort auch viele Gedichte zum Thema veröffentlicht. fremdverliebt.wordpress.com

Seismograph der Ehe

Kann eine Partnerschaft florieren, wenn im Bett nicht mehr viel geht? Oder umgekehrt: Kann Sex eine bröckelnde Ehe zusammenhalten? Und was können Paare tun, wenn der Wunsch nach Sex bei einem weniger ausgeprägt ist als beim anderen? Christof Klenk bat den Therapeuten Dr. Michael Hübner um Antworten.

Es kann eine Ehe beflügeln, wenn es im Bett gut läuft. Umgekehrt profitiert das eheliche Sexleben davon, wenn die Ehepartner gut miteinander unterwegs sind. Würdest du dem zustimmen?
Grundsätzlich ja. Beziehung und Sex gehören zusammen. Man kann sogar sagen, dass die Zufriedenheit in der sexuellen Beziehung seismographisch die Ehe widerspiegelt. Anders ausgedrückt: Wo Paare gut miteinander kommunizieren und diese Ebene für beide schön ist, werden beide in der Regel auch guten Sex haben. Ausnahmen sind allerdings beispielsweise körperlich-medizinische Störungen, die das Sexualleben beeinflussen können, oder auch Missbrauchserfahrungen.

Gegenseitig zur Masturbation ermutigen

Gleichzeitig scheint Sex durchaus auch in guten Ehen ein heikles Thema zu sein. Woran könnte das liegen?
Häufig ist es ein Problem, dass er öfter Sex möchte als sie oder umgekehrt. Man hat festgestellt, dass der Höhepunkt der Libido im männlichen Lebenszyklus bei etwa zwanzig Jahren liegt, der der Frau erst etwa bei vierzig Lebensjahren. Danach geht sie ganz langsam zurück. Als Theologe glaube ich, dass Gott den Sex zur Lust, zum Spaß für beide geschaffen hat. Ich rate, Sex eher zu gestalten als zu problematisieren.

Und wie könnte das Gestalten aussehen, wenn ein Teil häufiger will als der andere? Zurückweisen, weil man keine Lust hat, ist nicht schön. Vom anderen zurückgewiesen werden, ist auch nicht schön.
Das ist durchaus eine typische Situation bei vielen Paaren. Wie so oft, gilt auch hier: Die beiden sollten offen miteinander darüber reden. Manche lernen es in der Sexualberatung. Sie können ihre sexuelle Begegnung unterschiedlich gestalten, wenn sie sich gegenseitig liebevoll beschenken wollen. Kreative Möglichkeiten gibt es genug: Sie können sich gegenseitig zur Masturbation ermutigen – freilich ohne Porno, wie heute oft üblich –, oder sie befriedigen sich gegenseitig und führen sich so zum Orgasmus. Auch wenn zum Beispiel die Frau einmal gar nicht zum Orgasmus kommen möchte – es ist ihr vielleicht im Moment „zu aufwendig“ –, so kann sie sich doch körperlich ihrem Mann zum Glied-Scheide-Verkehr hingeben. Oder beide versprechen sich am nächsten Tag zu einem gemeinsamen Date, einem Fest, das vorbereitet ist.

Anders anziehend

Nach zehn oder zwanzig Jahren Ehe kennt man die Vorlieben des anderen und ist vertraut miteinander. Das ist sicher ein Vorteil, aber eine gewisse Routine kann auch langweilig werden.
Geht man von zwei sexuellen Begegnungen pro Woche aus, dann hat ein Paar in zwanzig Jahren ungefähr zweitausend Mal Sex miteinander. Da kann schon mal eine gewisse Routine einkehren, die beide eher als langweilig empfinden.

Ist das das Schicksal von langjährigen Ehen oder kann man dem entgegenwirken?
Liebe und Lust zeigen sich nach Jahrzehnten anders als am Anfang. Das Empfinden für körperliche Attraktivität tritt vielleicht zurück. An ihrer Stelle werden andere Qualitäten des Partners, der Partnerin sexuell anziehend: Vertrautheit und Wärme, Genussfähigkeit, Sinnlichkeit, Zeit zum Spiel, Verwöhnaktionen … Für sie mag es nicht mehr nur seine Sportlichkeit oder der knackige Hintern sein. Sie mag beispielsweise empfinden: Wenn ich ihn mit Abstand reden höre, seine entschlossenen Entscheidungen und den liebevollen Umgang mit den Kindern und seine Zärtlichkeit sehe, dann will ich seine Nähe. Für ihn spielt nicht mehr die Form des Busens eine große Rolle, dafür macht es ihn vielleicht an, ihre geschmeidigen Bewegungen auf dem Fahrrad zu sehen, während er hinter ihr fährt, oder wie sie musiziert … Kreativität im sexuellen Spiel ist angesagt. Manchmal kommt in dieser Zeit der „Appetit auch erst beim Essen“: Ein schöner Sexabend kann wie ein kleines Fest gestaltet werden. Schöne Musik, ein Gläschen Wein, Bodylotion, Duftkerze und angenehmes Licht – das alles ist nicht wie „Fastfood“ und die Vorfreude und Erregung kann steigen.

Sex nicht totschweigen

Wenn das alles nicht mehr hilft, ziehen manche Paare einen Schlussstrich unter das Thema. Nach dem Motto: Bei uns läuft nicht mehr viel, aber es gibt Wichtigeres.
Überarbeitung, Burnout, aber auch ungeklärte Themen und Ablenkungen können die sexuelle Erregungskurve stören und beispielsweise die männliche Erektion beeinflussen. Selbstverständlich sind dies schambehaftete, heikle Themen. Warum? Nicht jeder kann über sexuelle Themen frei reden. Manchmal auch deshalb, weil gerade auch in guten Ehen einer den anderen oder auch sich selbst schonen möchte und das Gegebene hinnimmt. Dies alles kann sich aber früher oder später auf die Beziehungsqualität legen. Paare sollten das aber nicht ignorieren und das Thema Sex nicht unterschätzen. Die Schamschwelle zu überwinden und qualifizierte Hilfe zu suchen, ist jetzt angesagt. Es gibt sehr gute Seelsorger, christliche Berater, Therapeuten oder auch Ärzte und hilfreiche Medikamente, und die Prognose ist in dem Bereich gut.

Es gibt Paare, die keinen Sex miteinander haben, aber nach eigenen Angaben glücklich miteinander sind, vielleicht sogar glücklicher, weil das Feld der Sexualität immer mit Konflikten verbunden war.
Das kann ich mir kaum vorstellen. Wenn sie es aber beide ehrlich sagen: wieso nicht? Dann sollte niemand ein Problem daraus machen.

Ich hätte die Befürchtung, dass dann doch mal irgendjemand kommt, der das Bedürfnis nach Intimität bei einem von beiden weckt.
Da gebe ich dir Recht. Ich würde diesem Paar deshalb ans Herz legen, dass sie über dieses Thema offen und kontinuierlich im Gespräch bleiben. Auch darüber, ob sie ihre sexuellen Bedürfnisse auf andere Weise befriedigen. Manchmal besteht ein ausgesprochener oder unausgesprochener Kontrakt, mit dem sie sich gegenseitig die Freiheit dazu geben. Sich aber beispielsweise anhand von Pornos zu befriedigen, ist keine gute Lösung. Keinen Sex miteinander haben sollte nicht heißen: Wir reden nicht mehr drüber.

Körperlichkeit alleine reicht nicht

Mal von der anderen Seite: Eine Frau schrieb uns, dass ihre Ehe in einem schlechten Zustand war, weil sie sich in einen anderen Mann verliebt hatte. Auf körperlicher Ebene lief es aber trotzdem noch gut mit ihrem Mann. Das habe sie sogar ein Stück weit zusammengehalten. Ist das für dich nachvollziehbar?
Da möchte ich korrigieren: Sie hatte sich in einen anderen verliebt, weil ihre Ehe in einem schlechten Zustand war. Denn wer verliebt ist, verliebt sich nicht anderweitig. Und die Frage ist eigentlich: Warum liebte sie ihren Mann nicht mehr und was hatte sie dafür getan, ihn zu lieben? Dass nur die Körperlichkeit noch zusammenhält, das gibt es tatsächlich, ist aber keine Lösung. Ihr hat anscheinend der andere Mann etwas gegeben, was sie bei ihrem nicht bekommen konnte. Darüber hätte ich mit ihnen in meiner Praxis gerne geredet. Sie befinden sich in einer notvollen fürchterlichen Sackgasse, die sich in der Regel bald psychisch negativ auswirkt.

Kann Sex zusammenhalten, was eigentlich auseinanderdriftet?
Das mag bei manchen Paaren so sein. Die amerikanische Soziologin Judith Wallerstein beschreibt Ehetypen so: Neben der traditionell geführten und der partnerschaftlichen Ehe gibt es die Ehe als Zuflucht, aber eben auch die „leidenschaftliche Ehe“, um die es hier geht. In ihr spielt die sexuelle Lust von beiden Seiten eine sehr große Rolle. Das birgt natürlich auch Gefahren. Wenn einzig sexuelle Lust zwischen beiden der Kitt ist, der sie zusammenhält, kann dies beispielsweise dann zur Gefahr für die Beziehung werden, wenn mindestens einer von beiden – aus welchen Gründen und wie lange auch immer – Sex nicht möchte oder nicht haben kann.

Wöchentliches Ehemeeting

Erotische Anziehung scheint davon zu leben, dass der Partner/die Partnerin anders ist als ich. Ist zu viel Harmonie und Seelenverwandtschaft vielleicht gar nicht so förderlich?
Ja, das Fremde ist das Attraktive. Wenn wir das Fremde im Gewohnten immer wieder zu entdecken versuchen – unser Gegenüber verändert sich ja auch immer wieder –, bleibt die Beziehung spannender. Im Gewusel des Alltags fallen uns die Veränderungs- und Entwicklungsprozesse oft gar nicht so auf. Meine Frau und ich – wir machen Paaren Mut zu einem wöchentlichen „Ehemeeting“. Das ist ein wichtiger Punkt in unserem Buch. Bei so einem Meeting kann es dann auch darum gehen, über Sexualität zu reden. Wichtig ist, miteinander im Gespräch zu bleiben – und das besonders in bestimmten Lebensphasen, wenn die gemeinsame Zeit knapp bemessen ist, weil die familiäre Situation oder der Beruf sehr viel abverlangt.

Dr. (theol.) Michael Hübner ist Gründer und Dozent der Stiftung Therapeutische Seelsorge und leitet eine Therapiepraxis in Neuendettelsau. Mit seiner Frau Utina hat er das Buch „Der Kick für die Partnerschaft – Vitaminkur für das Ehegespräch“ geschrieben.

Schmetterlinge auf Irrwegen

Frisch verliebt in den Freund meines Mannes – und dann?

„Was war das?“, dachte ich erschrocken. Dieser Blickkontakt dauerte etwas zu lange und ging mir viel zu tief. Zwar fühlte sich das ungewohnt schön an, aber natürlich auch zutiefst falsch. Mir wurde sofort bewusst, dass etwas Ungewöhnliches passierte, aber dass das der Beginn einer emotionalen Achterbahnfahrt mit heftigen Zerwürfnissen für meine Ehe war, ahnte ich nicht.

Zu Tom (alle Namen geändert), einem langjährigen Freund meines Ehemannes, pflegten wir als Familie ein freundschaftliches Verhältnis und teilten viele Alltagsmomente. Dass wir uns schon so viele Jahre kannten, erschwerte es mir, den Ernst der Lage zu erkennen. Nach diesem Blick nahm ich den jahrelangen Freund plötzlich anders wahr. Ich sammelte meinen Mut, schrieb Tom und konfrontierte ihn mit dem nicht zu leugnenden Knistern zwischen uns. Das war der Beginn vieler Nachrichten.

Zerrissen zwischen Glücksgefühl und Scham

Eine Grenze war überschritten. Es ging nicht mehr nur um Absprachen zur nächsten Grillparty oder zum nächsten Gottesdienstplan. Nein, plötzlich ging es um uns beide. Wir teilten uns einander mit. Wir schrieben über das, was wir fühlten, dachten und erlebten. Damit gossen wir Öl in das beginnende Feuer und beschleunigten die Gefühlslawine massiv.

Eine Zeit der Zerrissenheit in mir hatte begonnen. Auf der einen Seite die Glücksmomente mit Tom in unserer Nachrichtenwelt, auf der anderen die tiefe Scham gegenüber David, meinem Ehemann. Das Tempo der wachsenden Gefühle überstieg meine rationale Entscheidungsfähigkeit.

Kein Kontakt – unmöglich!

Nach wenigen Wochen erzählte ich David von meinen Gefühlen und dem Kontakt zu unserem gemeinsamen Freund. Er reagierte sanft schockiert, aber auch noch zuversichtlich und nicht verurteilend. Darüber war ich sehr dankbar. Jedoch wünschte er sich mit Nachdruck, dass Tom und ich keinen weiteren Kontakt haben sollten, damit es nicht schwieriger für alle Beteiligten werden würde.

Doch zu dem Zeitpunkt dachte ich noch völlig naiv, dass das nicht nötig sei. „Ich habe meine Gefühle doch im Griff und kenne meine Grenzen!“, behauptete ich. Dabei hatte ich die Situation schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Ich schrieb Tom noch eine Weile offiziell, später dann heimlich.

Erfüllender als der Ehealltag

All die virtuellen Momente mit Tom erschienen mir schöner, romantischer und erfüllender als mein Ehealltag. Alles fühlte sich so echt, tief und unglaublich nah an, obwohl wir uns ausschließlich in unseren Nachrichten „trafen“. Ich nutzte jede freie Minute, um ihm zu schreiben.

Auf diese Weise nahm ich ihn virtuell fast überall mit – auf Geburtstagspartys, zur Beerdigung, zum Trainieren, zum Unkrautjäten. Ohne dass ich es wahrnahm, entwickelte er sich zu einem riesengroßen Teil meines Lebens. So permanent umgeben von Schmetterlingen gab es allerdings keinen einzigen Tag, an dem mich nicht mein Gewissen plagte und mich stumm anschrie. Ich schrie innerlich eine Menge an Rechtfertigungen zurück: „Wir schreiben uns doch nur und mehr passiert nicht!“, „Es ist doch gar keine echte Affäre!“ …

Die Ehe bröckelt

David spürte, dass ich nicht ganz bei ihm war, dass meine Gefühle und Gedanken bei einem anderen Mann festhingen. Es schmerzte ihn sehr, dass ich es nicht schaffte, den Kontakt zu Tom komplett zu unterbinden. Am meisten verletzte es ihn, dass ich nicht ehrlich zu ihm war. Häufig kam es zu Streit. Derart schwere Auseinandersetzungen hatten wir noch nie zuvor in unserer Ehe miteinander erlebt. Es wurde laut, emotional verletzend und aufwühlend. Nach vielen Diskussionen und Streitereien musste etwas passieren. Als Ehepaar waren wir uns mittlerweile so fremd geworden, dass ich an unserer Liebe zweifelte. Zweimal überlegte ich, ob es vielleicht besser sei, getrennte Wege zu gehen. Wir taten uns nicht mehr gut und verletzten uns permanent mit Worten. Es war keine Freude mehr, in Davids Nähe zu sein. Wir konnten zwar noch gut als Eltern-WG funktionieren, aber natürlich spürten unsere Kinder die Spannungen zwischen uns.

Allerdings gab es hin und wieder Momente der Nähe. Ohne viele Worte zu verlieren, konnten wir uns trotz allem Frust und aller Distanz intim nah sein. Dies war fast unsere einzige Brücke, die noch geblieben war. Wieso konnte es so weit kommen? Ich war doch während der letzten zehn Jahre glücklich in meiner Ehe, oder? Wie konnte Tom einen Platz in meinem Herzen einnehmen, den ich eigentlich meinem Partner versprochen hatte?

„Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre schlummerte“

Tom fand mich toll und war begeistert von mir, von meinem Wesen und von Eigenschaften, die David eher nicht so spannend oder erwähnenswert fand. Tom schätzte meine Kreativität, meine Ideen, meine Sensibilität und fand mich als Frau einfach wunderbar. David brachte Lob und Wertschätzung nur sporadisch zum Ausdruck. Eigentlich hatte ich mich damit abgefunden, dass David mir auf andere Weise seine Liebe zeigte.

Ich hatte meine Bedürfnisse vernachlässigt und viel zu selten reflektiert, was mir guttun würde. In den Kleinkindjahren war es leider fast ein Luxus für mich, mal ganz bewusst nach innen zu sehen und zu erkennen, was gerade für mich und uns als Paar dran ist.

Und plötzlich kommt jemand, der mich genau mit meinen Gaben wertschätzt, meine Bedürfnisse versteht und die offenbar brachliegenden Facetten meiner Persönlichkeit wahrnimmt. Er hatte etwas in mir geweckt, was viele Jahre einfach nur schlummerte. Ich sog die Aufmerksamkeit und Wertschätzung von Tom wie ein Schwamm auf. Da war jemand, der mich wirklich sah.

Abschied von Tom

Ein heftiger Streit zwischen David und mir ließ mich plötzlich realisieren, dass es so nicht weitergehen konnte. Meine Gewissensbisse türmten sich zu einer großen Welle, die über mich hereinbrach. Mein Herz schlug, meine Beine zitterten ununterbrochen und ich weinte. David konfrontierte mich damit, dass ich mich entscheiden musste. Das tat ich auch! Nur ein paar Stunden nach diesem Vorfall beendete ich die Verbindung mit Tom. Schweren Herzens, aber klar und bestimmt.

Der Abschied von Tom war schmerzhaft. Es fühlte sich an, als würde ein Teil in mir sterben und zerfallen. Gleichzeitig entwickelte sich eine tiefe Erleichterung und ein Frieden in mir. Endlich gab es keine Gewissensbisse mehr, die mir täglich zusetzten. Außerdem wurde mir mehr und mehr bewusst, was passieren hätte können, wenn wir über das Schreiben hinaus weitere Schritte gegangen wären …

Und heute?

Es hat gedauert, bis ich wieder im Ehealltag ankam. In den Jahren davor waren David und ich mit unseren zwei Kindern vor allem als Team, als WG, als Mini-Management-Group unterwegs. In der Krise haben wir uns als zwei individuelle Persönlichkeiten neu entdeckt. Es war gut, sich selbst neu zu betrachten und zu fragen: Wo stehe ich? Was ist von mir als Persönlichkeit noch da und was ist zu einem großen Wir verschmolzen?

Mittlerweile sind die Gefühle für Tom tatsächlich abgeklungen. Zu Beginn war der Verzicht auf die Nachrichten von Tom wie eine Entwöhnung. Tatsächlich stellten sich mit der Entscheidung für David Vertrautheit, Gefühle und Frieden in unserer Ehe nach und nach wieder ein. Davids Vertrauen in mich und uns musste wieder aufgebaut werden. Es wurde stetig besser, brauchte aber sehr viel Zeit.

Ich bin keineswegs dankbar für diese Erfahrung – zu schmerzhaft und auslaugend war diese Zeit. Dennoch durften wir so viel lernen. Dafür bin ich absolut dankbar!

Unsere Autorin möchte anonym bleiben.

Was hat geholfen?

  • Viele, viele Gespräche zu zweit: Wir versuchten, erst über dieses Thema zu reden, wenn die Kinder schliefen, aber es nicht zu spät werden zu lassen, weil unser Austausch nach 23 Uhr oft aus dem Ruder lief.
  • Körperliche Nähe: Auch wenn dies vielleicht paradox klingt: In manchen Phasen konnten wir uns nur auf körperlicher Ebene nahe sein – das hat unsere Ehe mit gerettet.
  • Freunde und Familienangehörige, die sich trauten, nachzufragen: Dies war leider wirklich eine Seltenheit. Wir versuchten, unsere Ehekrise nicht zu verheimlichen. Die wenigsten trauten sich aber, konkret nachzufragen. Dabei hätte ich mir so sehr mutiges Interesse gewünscht! Seitdem frage ich viel konkreter in meinem Freundes- und Familienkreis nach, wie es in den Ehen geht. Einsamkeit in schweren Zeiten ist kein guter Begleiter.
  • Ehe-Beratung: Wir haben beide schnell gemerkt, dass wir alleine nicht weiterkommen. Die Unterstützung einer Beratungsstelle war für uns massiv hilfreich. Eine Aussage der Beraterin half mir besonders: „Gefühle für jemanden außerhalb der Ehe zu entwickeln, ist völlig normal. Die Frage ist nur: Wie fair und ehrlich gehe ich damit um? Was mache ich draus?“
  • Professionelle Einzelberatung: Jeder von uns nahm persönliche Beratung oder psychologischen Support für sich in Anspruch. Es war gut, einen Rahmen zu haben, um diese Erlebnisse allein und ganz frei mit professioneller Hilfe aufzuarbeiten.
  • Der Eheabend: Unsere Eheberatung empfahl uns, einen festen Abend pro Woche für uns beide zu reservieren, und das machen wir seitdem. An diesem Termin wurde selbst in den schlimmsten Zeiten nicht gerüttelt, selbst wenn es alles andere als romantisch war. Doch diese Abende wurden zu einem emotionalen Anker für uns beide.
  • Eine Freundin: Für ihre Hartnäckigkeit und Ehrlichkeit war ich sehr dankbar. Sie ermutigte mich, an unserer Ehe festzuhalten und daran zu arbeiten. Sie sagte mir sehr oft: „Jeder Mensch hat wundervolle, aber auch herausfordernde Seiten. Das wird auch mit einem anderen Partner so sein.“ Völlig logisch, aber eben nur, wenn man nicht gerade frisch verliebt ist.

Emotionale Affäre: Verliebt in einen anderen – wie diese Frau doch noch ihre Ehe rettete

„Auf einmal war da ein klopfendes Herz“, erinnert sich Lisa* an den Tag, an dem sie sich in einen Fremden verliebte. Ganz ohne Ehekrise, einfach so.

Es ist über zehn Jahre her, und ich bin nicht stolz darauf. Ich war für eine Studienreise im Ausland: ein anderes Land, eine andere Kultur, andere Sitten und andere Bedrohungen. Wir hatten einen Reiseleiter, der uns das Land und die Leute zeigte und der sich als Deutscher sicher in der für mich fremden Umgebung bewegte. Ich fühlte mich unsicher in der fremden Welt – er gab mir die Sicherheit, die ich brauchte, um mich wohl zu fühlen und das Abenteuer des anderen Landes auch zu genießen. Ich lernte das Land lieben. Und ich fing an den Mann zu lieben, der mir den Zugang zu diesem Land zeigte.

Zu Hause in Deutschland waren zur gleichen Zeit mein Mann und meine beiden Kinder ohne mich. Sie managten den Alltag für mich, vermissten mich und nahmen alle Kraft zusammen, mir diese Erfahrung zu ermöglichen. Ich sage ja, ich bin nicht stolz darauf, was ich tat und empfand.

DIE LINIE DER TREUE ÜBERTRETEN

Aber diese Studienreise hatte ein Nachspiel: E-Mails. Durch diese E-Mails stellten der Mann aus der Ferne (der nicht meiner war) und ich fest, dass wir beide ähnliche Gefühle füreinander hegten. Das brachte meine Emotionen vollends zur Explosion. Spätestens hier übertrat ich die Linie der Treue. Ich schrieb Worte, die ich nicht hätte schreiben sollen. Ich las seine Worte der Bewunderung für mich und sog sie in mich auf. Dieser Mann schien mich als Mensch und Frau mehr wertzuschätzen und zu sehen als jeder andere. Das tat so gut, und ich wollte mehr davon. Ich fühlte mich auf einmal lebendig. Meine Gefühle schwemmten meinen Verstand in einer rasenden Flut davon. Ich hatte es mehr und mehr zugelassen. Aber nun fühlte ich mich unfähig, diese Flut zu stoppen.

EINFACH DURCHBRENNEN?

Der Mann fragte mich per E-Mail, was unsere Gefühle nun bedeuten würden und was ich bereit war zu tun oder zu lassen. Das war eine faire Frage. Würde ich meine Familie verlassen? Was war ich bereit für diese Beziehung aufzugeben? Gott sei Dank ernüchterte mich diese Frage. Es hatte schon Momente gegeben, da hatte ich die Flugkosten recherchiert und mir vorgestellt und geträumt, einfach durchzubrennen und ein anderes Leben in einem anderen Land an der Seite eines anderen Mannes zu führen.

Ich bin im Rückblick dankbar, dass dieser Mann einen Flug weit entfernt wohnte und nicht nur eine Autofahrt. Ich weiß nicht, wie stark ich gewesen wäre, wenn ich nur hätte hinfahren brauchen, um den Traum, den ich heimlich hegte, real werden zu lassen, und meine Kinder und meinen Mann in einen Alptraum zu stürzen.

Mit dieser Frage erwachte ich. Ich wollte nicht, dass meine Kinder ohne mich aufwachsen. Und ich wollte meinen Mann nicht verletzen. Trotzdem rang ich in den nächsten Wochen mit den Gefühlen, die ich selbst so heiß gekocht hatte, dass ich sie nicht abstellen konnte. Ich weinte um meinen Traum. Es schmerzte, ihn loszulassen. Ich entschied mit dem Kopf, mein Herz würde folgen, so hieß es in Ratgebern. Es dauerte Monate. Intensive Scham wechselte sich ab mit der Versuchung, die Worte, die mir Wert und Bedeutung gegeben hatten, in meinem Herzen zu tragen und mich daran zu erwärmen.

BEDÜRFNISSE STILLEN

Wie hatte dieser Mann mein Herz erobern können? Mein Mann und ich waren nicht in einer Krise gewesen. Wir hatten eine Ehe wie viele andere. Es war alles okay. Aber nach einigen Jahren habe ich das Gute nicht mehr gesehen. Die Herausforderungen und Erwartungen aber wurden größer. Der Alltag schlich sich ein, die Wertschätzung meines Mannes war nicht mehr so reich wie am Anfang unserer Ehe – oder ich nahm sie nicht mehr so wahr. Die Unterschiedlichkeiten waren nicht mehr reizvoll, sondern aufreibend. An das Gute hatte ich mich gewöhnt. Die Lücken in meinem Selbstwertgefühl hat mein Mann nicht (mehr) gefüllt. Und es gab Dinge, die ich mir wünschte, die einfach nicht in seinen Möglichkeiten standen. Mit all diesen Aspekten hatte ich zu dieser Zeit keinen Frieden gefunden. Und da kam ein anderer und füllte mir all diese Bedürfnisse: Wertschätzung, Bewunderung und das Abenteuer, das mir im Alltag fehlte.

Ich merkte damals, dass ich die Krise in mir nicht alleine in den Griff bekam. Und so habe ich mir eine Beraterin gesucht. Ein Prozess des Aufarbeitens begann. Wichtig war für mich, als die Beraterin sagte, dass all meine Bedürfnisse, die eine Rolle für meine Gefühle gespielt hatten, echt und gut seien; der Knackpunkt war aber, dass ich für die Erfüllung der Bedürfnisse keinen anderen Mann brauchte. Ich hatte tatsächlich gedacht, meine Bedürfnisse seien das Problem. Und wenn ich den anderen Mann aus meinem Leben bannte, müsste ich für immer auf die Erfüllung verzichten. Aber ich habe gelernt, dass ich diese Bedürfnisse auch selbst in die Hand nehmen kann.

Und auch für mein Selbstwertgefühl bin ich verantwortlich. Letztlich ist mein Selbstwert in Gottes Hand, weder meinem Mann noch einem anderen sollte ich meinen Wert in die Hand legen. Es war ein guter Anfang, das zu verstehen. Auch für meine Sehnsucht nach Abenteuer oder Abwechslung bin ich selbst verantwortlich. Dieses Bedürfnis hatte ich vorher gar nicht so wahrgenommen. Ich musste Wege finden, diese Bedürfnisse, die ich in mir entdeckt hatte, ernst zu nehmen, aber andere Lösungen zu finden, um sie zu stillen. Ich musste mir selbst vergeben und wieder mit mir ins Reine kommen. Und natürlich war es nötig, alles mit meinem Mann aufzuarbeiten.

„Ich habe gelernt, für meine Bedürfnisse selbst zu sorgen.“

VERGEBUNG UND NEUANFANG

Ich bin dankbar, dass mein Mann bereit war, mir zu vergeben. Er hat sich getraut, mir wieder zu vertrauen. Wir haben einen Weg aus der Krise gefunden und an unserer Ehe gearbeitet. Wir akzeptieren heute im Großen und Ganzen die Schwächen und die Stärken des anderen. Wir können unsere Unterschiedlichkeit besprechen und sehen sie meist nicht als bedrohlich, sondern als bereichernd. Es war ein langer Weg, der noch durch mehr Herausforderungen führte. Heute genießen wir eine stabile und glückliche Ehe. Das ist nicht selbstverständlich.

Außerdem habe ich gelernt (und bin noch dabei), für meine Bedürfnisse selbst zu sorgen. Manchmal gelingt es mir zum Beispiel, ein Abenteuer in mein Leben einzubauen, etwas Neues auszuprobieren und etwas zu wagen, was ich noch nie gemacht habe. Das ist wichtig für mich, und ich nehme mir die Energie, die ich brauche, um es umzusetzen. Manchmal habe ich aber auch einfach Frieden über einem ganz normalen Familienalltag und komme auch gut ohne weitere Abenteuer aus.

Was andere Männer anbetrifft, bin ich mehr auf der Hut: Wenn ich zum Beispiel ein warmes Kompliment von einem anderen Mann bekomme, gehe ich anders damit um. Ich freue mich, und das darf ich auch. Aber ich lasse es nicht nachhallen oder hänge meinen Wert daran. Ich versuche auch nicht den Kontakt zu intensivieren, um mehr davon zu bekommen. Letztlich weiß ich, dass kein Mann alle meine Bedürfnisse (für die ich sowieso selbst verantwortlich bin) stillen würde, selbst wenn einer mal reizvoll erscheint. Dann hat er Lücken eben woanders. Es hilft, das mit dem Verstand zu wissen.

„Ich kann sagen, dass ich meine Gefühle im Griff habe, solange sie noch tröpfeln.“

GEFÜHLE IM GRIFF

Ich weiß heute auch, dass ich meine Gefühle kontrollieren kann und dass es am einfachsten ist, wenn ich Gefühle für andere gleich im Keim in Angriff nehme. Ob ich heute gegen die Flut besser ankommen würde, kann ich nicht mal sagen. Aber ich kann sagen, dass ich meine Gefühle im Griff habe, solange sie noch tröpfeln. Und ich lasse sie nicht zum Strom werden.

Es gibt dazu eine indianische Geschichte: Ein alter Cherokee-Indianer unterhielt sich mit seinem Enkel. „Großvater“, fragte der Junge, „sind wir Menschen gut oder böse?“ – „Das kommt darauf an“, erwiderte der alte Mann. „Jeder von uns beherbergt zwei Wölfe in seinem Herzen. Der eine ist der Wolf der Gier und des Hasses. Der andere ist der Wolf der Liebe und des Mitgefühls.“ – „Und welcher Wolf ist stärker?“, wollte der Junge nun wissen. „Der, den du fütterst“, sagte der Großvater.

Derartige emotionale Entgleisungen sind mir nicht wieder passiert. Denn ich füttere den bösen Wolf nicht mehr.

*Die Autorin möchte anonym bleiben.

 

Hoffen, wo es nichts zu hoffen gibt

Er will sich trennen, hat sogar schon eine andere. Sie will an der Ehe festhalten und ihn weiterlieben. Kann das gut gehen? Die amerikanische Bloggerin Shauna Shanks hat ein Buch über den Kampf um ihre Ehe geschrieben. Von Christof Klenk

„Könntet ihr nicht mal das Thema Scheidung und Trennung in eurer Zeitschrift aufgreifen?“, fragt eine Leserin. Ja, wir tun das regelmäßig. Immer wieder erscheinen im Partnerschaftsteil von Family und FamilyNEXT Artikel, die sich mit dem Scheitern von Ehen befassen. Wir sind der Überzeugung, dass Familien, die eine Trennung erleben, derart einschneidende Veränderungen durchmachen, dass sie jede Hilfestellung, jeden Rat, jeden Erfahrungswert von anderen brauchen können. Manchen ist zu wenig davon in Family und FamilyNEXT zu lesen, anderen ist das eher zu viel. Sie erinnern uns daran, dass es doch die Aufgabe einer christlichen Familienzeitschrift sein müsste, Ehen zu stärken und zu fördern. Ja, das sehen wir als elementare Aufgabe von Family und FamilyNEXT. Wir wollen das eine tun und das andere nicht lassen. Manchmal fallen Trennung und Erneuerung in einer Ehe zusammen. Die Geschichte von Shauna Shanks, festgehalten in ihrem Buch „Ich muss verrückt sein so zu lieben“, ist ein Beispiel dafür. Sie wirft spannende Fragen auf: Inwieweit können die Worte der Bibel und die Beziehung zu Gott helfen, wenn eine Ehe zu scheitern droht? Kann die Liebe wirklich alles (er)dulden (1. Korinther 13)? Warum scheitern viele Ehen trotz aller guten Ansätze?

HARTE BOTSCHAFT

Kurz vor dem zehnten Hochzeitstag erklärt Shaunas Mann Micah, dass er aus der Ehe aussteigen will. Die Mutter von drei Söhnen hat überhaupt nicht damit gerechnet. Sie schildert die Situation recht eindrücklich in ihrem Buch: „Unsere Beziehung lief gut, dachte ich. Natürlich war unsere Ehe nicht perfekt. Aber wer führt schon eine perfekte Ehe? Doch als Micah dann zu reden begann, traute ich meinen Ohren nicht. Zuerst lachte ich und war mir sicher, dass er sich einen Spaß mit mir erlaubte. Dann weinte ich. Micah erklärte allen Ernstes, dass er nicht mehr mit mir verheiratet sein wollte. Während er redete, verschwand mein geliebter Mann vor meinen Augen. An seine Stelle trat ein Fremder, böse und kalt, berechnend und gefährlich.“ Er sei nicht glücklich mit ihr, fände sie nicht mehr attraktiv und wolle nicht mehr mit ihr zusammen sein. Ja, er ist sich sogar sicher, dass er sie nie geliebt hat.

Für Shauna bricht eine Welt zusammen. Nicht nur die Sicht auf ihren Mann verändert sich, auch ihr Selbstbild zersplittert. Sie hat eine schlaflose Nacht, in der die gläubige Frau mit dem vernichtenden Urteil ihres Mannes ringt und bei ihrem Gott Halt sucht. „Bitte, Gott, gib mir irgendetwas!“, fleht sie. Und sie hat den Eindruck, dass Gott tatsächlich zu ihr redet und ihr drei Wörter sagt: „Halte durch. Hoffe.“

Shauna fühlt sich an eine berühmte Stelle im ersten Korintherbrief erinnert. „Die Liebe ist langmütig und freundlich … sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ Diese Passage aus dem 13. Kapitel des Briefes ist als „Hoheslied der Liebe“ bekannt und für die verzweifelte Ehefrau sind die Worte zugleich Anweisung und Verheißung. Sie will alles ertragen und erdulden, was auf sie zukommt, und auf eine Wende hoffen, auch wenn es eigentlich keine Anzeichen für eine Besserung gibt. Wobei ihr der erste Teil leichter erscheint als der zweite: „Micahs Entschluss stand fest. Er wollte mit mir nichts mehr zu tun haben. Besser wäre es, mich zu verschließen, mein Herz zu schützen, Micah gegenüber unempfindlich zu sein. … Hoffnung. In meiner hoffnungslosen Situation eine riskante Haltung. Dennoch versprach ich Gott: Ich will es versuchen.“

DER „LIEBESFILTER“

In Tagen, Wochen und Monaten danach beginnt sie, um ihre Ehe zu kämpfen. Micah betont zwar ständig, dass er sie verlassen will, dass er sie nicht liebt, ja er eröffnet ihr sogar, dass er eine andere hat, doch er bleibt erst einmal im Haus wohnen – angeblich wegen der Kinder. Einem Freund berichtet er, dass er „seine Optionen abwägen“ würde.

Dass sie nur noch eine Option ist, trifft Shauna hart, aber sie versucht sich von Micahs ständigen Feindseligkeiten nicht runterziehen zu lassen, ihm geduldig zu begegnen und ihn weiter zu lieben. Die Liebe, die in 1. Korinther 13 beschrieben wird, kennt keinen Zorn, sie ist nicht nachtragend, sondern immer geduldig und gütig, sucht nicht den eigenen Vorteil. Die Worte aus der Bibel setzt sie ein wie einen Filter: „Entsprach eine Reaktion (von mir) der Liebesdefinition aus 1. Korinther 13, dann wurde sie durchgelassen; wenn nicht, hielt ich sie zurück. […] Wenn mir Sätze auf der Zunge lagen, die nicht freundlich, geduldig und hoffnungsvoll, sondern destruktiv und gemein waren, dann sprach ich sie nicht aus, egal wie Micah sich mir gegenüber verhielt. Das wurde zu meinem Lebensstil.“ Shaunas Geschichte kann durchaus zwiespältige Gefühle auslösen. Auf der einen Seite kann man sie für ihr Durchhaltevermögen, Gottvertrauen und ihre Hingabe bewundern. Auf der anderen Seite erscheint ihr Handeln doch recht naiv. Kann man die Worte aus 1. Korinther 13 in so einer Situation wortwörtlich nehmen? Müsste Shauna dem Mann, der sie betrogen hat, nicht einen Tritt in den Hintern geben, statt ihn mit Liebe zu pampern? Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass Shaunas Reaktionen nichts mit Unterwürfigkeit, Passivität oder Einfalt zu tun haben, denn sie ist sich sehr wohl bewusst, dass ihr Verhalten nicht den Wünschen ihres Mannes entspricht. Indem sie seiner Verachtung mit Wertschätzung begegnet, erteilt sie ihm nicht die Legitimation für sein Handeln, die er sich erhofft hat. Hätte sie ihn mit Vorwürfen überhäuft, beschimpft und beleidigt, wäre ihm der Ausstieg aus der Ehe sicherlich leichter gefallen. Sie macht deutlich: „Was aber stattdessen von ihm verlangt wurde, war beinahe noch schlimmer: Er musste die Gnade ertragen, die ihm entgegengebracht wurde und die er nicht verdient hatte.“

Shauna Shanks mit ihrem Mann bei einer Autorenlesung in Würzburg.

Wie geht die Geschichte nun aus? Man ahnt, dass ein christliches Buch über Hoffnung und Liebe nicht im Desaster endet, insofern ist es sicherlich kein Spoiler, dass ich oben schon angedeutet habe, dass die beiden wieder zusammenkommen. Micah beendet die andere Beziehung, beginnt sich wieder auf seine Frau einzulassen und die beiden besuchen ein Eheseminar. Es ist spannend zu lesen, wie Shauna das Ganze durchhält, warum Micah so handelt, wie er handelt, und wie die Ehe Erneuerung erfährt. Die Lektüre des Buches lohnt sich also auch, wenn man weiß, wie es ausgeht.

NUR RICHTIG GLAUBEN?

Hinter der Geschichte steckt aber sicher noch eine ganz andere, fast noch wichtigere Frage: Ist die Autorin überzeugt, ein Allheilmittel für Ehen gefunden zu haben? Muss man nur richtig beten, lieben und hoffen? Sollten Menschen, die mit schwierigen Partnern verheiratet sind, mit notorischen Ehebrechern, mit Suchtkranken oder mit Leuten, die psychische und körperliche Gewalt ausüben, einfach durchhalten und um ihre Ehe kämpfen? Shauna Shanks hat dazu eine eindeutige Meinung: „Mangelt es an Glauben, wenn Ehen scheitern? Es ist mir sehr wichtig, zu betonen: Alles, was ich hier erzähle, ist ausschließlich meine Geschichte. Mir hatte Gott gesagt, dass ich durchhalten und an meiner Ehe festhalten sollte. Vor Kurzem musste ich mitansehen, wie die Ehe meiner Freundin zerbrach. … Ihr Mann hatte schon lange eine heimliche Beziehung mit einer anderen Frau. Meine Freundin fand es heraus und die beiden machten eine Ehetherapie. Der Mann behauptete dann, die Beziehung beendet zu haben, aber ein paar Monate später stellte sich das Gegenteil heraus. … Niemals würde ich auf den Gedanken kommen, dass diese Beziehung nicht gerettet werden konnte, weil meine Freundin zu wenig Glauben hatte. Bei meiner Freundin sah der Gehorsam Gott gegenüber jedoch ganz anders aus. In ihrem Fall war es richtig, dass ihre Ehe gelöst wurde.“

Ich bin froh, dass die Autorin hier so eindeutig Stellung bezieht, denn die Liebe und die Hoffnung, von denen Paulus im Korintherbrief spricht, hat nichts mit einem Zukleistern der Wahrheit zu tun. Es gibt Menschen, die viel zu lange in schädlichen Beziehungen leben. Wenn darunter auch noch Kinder zu leiden haben, kann unsere Botschaft nicht lauten: „Erdulde und ertrage alles. Halte um jeden Preis an deiner Ehe fest. Das wird schon wieder!“

INDIVIDUELL UND DOCH BEISPIELHAFT

Aber inwieweit kann die Geschichte von Shauna Shanks nun beispielhaft sein, wenn sie ihr Festhalten an der Ehe mit dem persönlichen Hinweis von Gott begründet? Letztlich glauben Christen, dass Gott durch die Bibel zu ihnen redet. Insofern kann sich jeder von 1. Korinther 13 angesprochen fühlen, egal, ob die Ehe nun gut oder schlecht oder so mittelmäßig läuft.

Ich bin sicher, dass der „Liebesfilter“, von dem Frau Shanks schreibt, tatsächlich einen Unterschied macht. Suche ich nach meinem eigenen Vorteil oder möchte ich das Beste für meine/n Partner/in? Reagiere ich kleinlich und misstrauisch auf alles, was mein Gegenüber sagt und tut, oder entscheide ich mich für eine grundsätzlich großzügige und liebevolle Haltung? Kann ich Fehler, verletzendes Verhalten und falsche Entscheidungen vergeben, oder schreibe ich innerlich mit, um alles bei der passenden Gelegenheit wieder auftischen zu können?

An den schlechten, stressigen und schwierigen Tagen ist diese Haltung alles andere als naheliegend und muss hart erkämpft werden, aber gerade dann kommt es darauf an. Klingt unrealistisch, übermenschlich? Absolut! Genau das ist die Erfahrung, die Shauna Shanks gemacht hat. Sie schreibt dazu: „Meine Liebe kam von Gott, es war Gottes Liebe, die ich empfing und weitergab, und sie war anders als menschliche Liebe. … Diese überwältigende, bedingungslose Liebe, die ich für Micah spürte, ließ mich ahnen, wie groß die Liebe sein muss, mit der Gott mich – und jeden anderen Menschen – liebt.“

 

Foto: Matt Day

Christof Klenk ist Redakteur bei Family und FamilyNEXT.

Shauna Shanks ist Autorin und Bloggerin (www.shaunashanks.com). Sie hat drei Söhne und lebt mit ihrer Familie auf einer Farm in Ohio. Ihr Buch „Ich muss verrückt sein, so zu lieben“ ist im Brunnen Verlag Gießen erschienen

 

Mehr als gute Freunde

Bei mir schlug die Verliebtheit nicht ein wie der Blitz. Sie kam eher schleichend,  auf leisen Sohlen in mein  Herz,  säte hier ein bisschen  Unsicherheit, da ein bisschen  Zweifel, begoss alles mit Herzklopfen, und schließlich sprach ich es dann aus: „Das, was ich für dich empfinde,  ist mehr  als  nur Freundschaft.“  Er sah mich an und ich wusste, dass es ihm genauso ging.

Zu dem Zeitpunkt  war ich seit fast vier Jahren verheiratet; glücklich – so hatte ich es immer  empfunden. Ja, wir waren sehr jung, als wir uns  das Eheversprechen  gaben  im  Standesamt  und  in  der  Kirche, aber ich hatte niemals  an dieser Entscheidung  gezweifelt. Niemals – bis ich bei einem  Besuch bei Bekannten  im Ausland, wo ich schon früher einige Zeit verbracht hatte, einen sehr engen Freund wieder traf. Ich hatte ihn seit fünf Jahren nicht mehr gesehen. Von Anfang an fühlte ich mich ihm wieder so vertraut wie damals, als hätten  zwi- schen dieser und unserer  letzten Begegnung  höchstens  fünf Tage gelegen. Sein Lächeln, sein Gang, seine Art zu sprechen,  der Blick, mit dem er mich ansah – es hatte sich nichts verändert. So dachte ich jedenfalls.

In den ersten Tagen wunderte ich mich auch kein bisschen darüber, dass ich mich in seiner  Gegenwart so wohl fühlte, dass ich seine Nähe suchte und am liebsten keine Sekunde ohne ihn sein wollte. Doch irgendwann  spürte ich, dass ich mich meinem  Freund so viel näher  fühlte als meinem  Ehemann,  dass sich in meinem  Herzen etwas regte, was noch nie da gewesen war.

Meinem  Mann gegenüber  wurde ich lieblos und kalt, am liebsten hätte ich ihn abgeschüttelt und stattdessen den ganzen Tag mit mei- nem Freund verbracht, denn mit ihm konnte ich reden, mein Herz teilen, wie mit keinem anderen Menschen. Wann immer sich unse- re Blicke trafen, spürte ich, dass da mehr zwischen uns war … Nacht für Nacht lag ich mit klopfendem Herzen in unserem Bett, meinem Mann den Rücken zugedreht, und starrte mit leeren Augen in die Dunkelheit. Ich wusste nicht, was da war zwischen meinem  besten Freund und mir.

Einfach nur Freunde geht nicht mehr

Drei  Tage vor unserer  Abreise zurück  nach  Deutschland  waren mein Freund und ich verabredet. Wir wollten vom höchsten Punkt eines Hügels aus den Sonnenuntergang beobachten, so wie wir es damals,  vor über fünf Jahren,  auch oft getan hatten.  Den ganzen Tag lang konnte ich kaum an etwas anderes denken, so sehr fieberte ich diesem gemeinsamen Abend entgegen. Und diesen Abend wer- de ich tatsächlich niemals  vergessen, denn während wir nebenein- ander saßen  und unsere  Beine baumeln  ließen,  während der rote Feuerball hinter  den Bergen versank, erzählte ich ihm von meiner Verwirrtheit, von diesem völlig neuen Gefühl.

Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte. Vielleicht hatte ich gedacht, er würde mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholen, mich an unsere Freundschaft und meinen  Familienstand erinnern, mir  einen  Schlag in die Magengrube  verpassen,  mich  zurückwei- sen. Aber er tat es nicht. Stattdessen  umarmte er mich und sagte mir, dass es ihm genauso ging.

Die kommenden Tage waren schrecklich. Wir einigten uns darauf, dass wir einfach nur Freunde wären und bleiben müssten. Er sagte mir, mein Mann sei genau der Richtige für mich. Aber seine Augen sagten mir etwas anderes, und auch seine Hand  auf meinem  Arm. Er sagte zu mir Dinge, die mir zuvor kein anderer  Mensch gesagt hatte, nicht einmal mein Mann.

Wenn ich mich von meinem  Mann  verabschiedete, um  mich mit meinem Freund zu treffen, hielt das schlechte Gewissen meinen Brustkorb fest umklammert. Ich fühlte mich, als würde ich zu mei- nem Geliebten gehen. Dabei geschah rein körperlich niemals etwas zwischen uns. Kein einziger Kuss.

…  Betrug  mit den Augen

Aber zum Betrug gehört weit weniger als ein Kuss. In die- sen Tagen habe ich verstanden,  was Jesus damit  meint, wenn  er sagt: „Wer eine Frau ansieht,  sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen  in seinem  Her- zen.“ (Matthäus  5,27) Mit meinem  Körper habe ich die Ehe niemals gebrochen. Aber in meinem  Herzen  beging ich diesen Betrug, und mit meinem  Mund und mit mei- nen Augen.

Kurz vor dem Abflug zurück  nach Deutschland  gestand ich meinem  Mann alles. Er hatte nichts geahnt, aber als ich ihm von meinen  Gefühlen für meinen  Freund be- richtete, verstand er, was die ganze Zeit über unsichtbar zwischen uns gewesen war. Ich sagte ihm, dass ich nicht wüsste, ob ich noch mit ihm zusammen sein wolle. Es sei ernst. Ich schonte ihn nicht.

Zurück in Deutschland befand ich mich über mehrere Monate hinweg in einem Ausnahmezustand. Beinahe jeden Tag kommunizierte ich heimlich mit meinem Freund;  wir schrieben  einander  unzählige  E-Mails und SMS, telefonierten, bis meine Telefonrechnung für mich beinahe unbezahlbar wurde. Viele Nächte wälzte ich mich schlaflos herum,  hin- und hergerissen zwischen dem Impuls, meine Sachen zu packen und meinen Mann zu verlassen, für ein besseres Leben, für mein „Glück“, und der Vernunft, dieser inneren Stimme, die einfach nicht schweigen wollte.

Ich fühlte  mich  wie eine elende Heuchlerin und  Betrü- gerin,  und  doch konnte  ich diese heimliche  Beziehung nicht beenden. Unsere Versuche, den Kontakt abzubre- chen, scheiterten  immer  wieder – zu groß war die Faszi- nation, zu übermächtig  das Herzklopfen,  dieser unwider- stehliche  Rausch  der Verliebtheit.  Während  dieser  Zeit war ich innerlich zerrissen, von einem Widerspruch,  den ich in einer solchen Form nie zuvor erlebt hatte: Was sich in meinem  Herzen  vollkommen richtig anfühlte,  wurde von meinem  Verstand und von all dem, was ich im Glau- ben als richtig erkannte,  als Sünde  verdammt.  Aber das Leben, das ich führte, die Ehe, in der ich mich befand und die ich vor etwa vier Jahren  vor Gott geschlossen  hatte, schien mir plötzlich falsch und hohl.

Falsche Entscheidungen

Ich begann, meine Entscheidungen zu hinterfragen. Hat- te ich damals, als ich zu meinem  Mann „Ja“ sagte, einen Fehler gemacht, mich gar gegen Gottes Willen gestellt? Warum  hatte  ich nicht  früher  erkannt,  dass  eigentlich ein anderer  Mann  für mich  gedacht war? Warum  hatte ich mich damals, vor über fünf Jahren, nicht in meinen Freund verliebt?

An manchen  Tagen gelang es mir tatsächlich, mir ein- zureden, ich sei im falschen Leben gefangen, hätte mit unserer Ehe einen verkehrten Weg eingeschlagen – dabei hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt  niemals an meiner Ent- scheidung  gezweifelt. Am Tag unserer  Hochzeit hatte es für mich keinen anderen  Mann gegeben als nur meinen Mann.

Warum  sollte ich auf einmal  eine Entscheidung  anzwei- feln,  die  ich  in  vollem  Bewusstsein  und  aus  ganzem Herzen  vor Gott und den Menschen  getroffen und be- kräftigt hatte? In meinem  Inneren wusste ich, dass ich mir nur etwas vormachte, aber es brauchte einige Monate, bis ich bereit war, mir dies auch einzugestehen und vor mir selbst auszusprechen, dass diese Beziehung  – diese Affäre – falsch war und ich sie sofort beenden musste.

Es ist merkwürdig,  aber in dieser  Zeit fühlte  ich mich Gott so nah wie nie zuvor in meinem  Leben. Gott sprach in diesen Wochen auf vielerlei Weise zu mir. Nicht nur, dass er mir Freundinnen zur Seite stellte, die mir die Wahrheit  ins  Gesicht  sagten  und  mich  dabei doch nie- mals verurteilten. Sie halfen mir, all die liebenswerten Eigenschaften  meines  Mannes wieder neu zu entdecken und  wertzuschätzen. Er legte auch eine tiefe Sehnsucht nach seinem  Wort in mein  Herz  – und  das, was ich da fast täglich in der Bibel las, konnte schließlich nicht ohne Frucht bleiben. Es waren wohl weniger die unmissver- ständlichen  Aussagen  darüber,  was Gott von Ehebruch hält  (nämlich  rein  gar nichts),  die mich  darin  bestätig- ten, meinem  Mann treu zu bleiben und unserer  Ehe eine Chance zu geben. Das, was mich auf unserem gemeinsa- men Weg hielt, war vor allem ein Satz, der mir auf jeder Seite  der  Bibel zugeflüstert  wurde:  „Vertrau  mir!“ Ich lernte, dass ich Gottes Zusagen  absolut vertrauen  kann. Und Gott meint  es gut mit mir – alle Dinge werden mir zum Besten dienen (Römer 8,28), auch die Ehe mit mei- nem Mann und sogar diese „Beinahe-Affäre“.

Von der rosaroten Brille zu klarer Sicht

Es hat eine Weile gedauert, aber inzwischen  sind die Ge- fühle für den anderen Mann gänzlich verschwunden, und ich habe das „Ja“ zu meinem  Mann und unserer Ehe neu finden können. Die Entscheidung, an der Ehe festzuhalten, traf ich zuerst ausschließlich mit dem Kopf und vor dem Hintergrund meiner Überzeugung, dass dies Gottes Wille war. Das war hart – meine Gefühle hinten anzustellen und für einige Wochen eine umkämpfte „Kopfehe“ zu führen. Als ich es schließlich  schaffte, den Kontakt zu meinem Freund  abzubrechen, konnte  ich auf diese  Weise auch emotional  Abstand zu ihm gewinnen  und schließlich er- kennen, dass ich unsere Beziehung bisher lediglich durch die berühmte rosarote  Brille betrachtet  hatte.  Ja, mein Freund  und ich hatten sehr tiefe Gespräche geführt und ich schätze ihn nach wie vor für viele seiner guten Eigen- schaften – aber irgendwann  setzte sich doch die Erkennt- nis durch, dass auch er einige Schwächen besitzt.

Der gelebte Alltag mit meinem  Mann dagegen führte mir vor Augen, was ich eigentlich an ihm habe. Dankbarkeit und Bewunderung  über seine Treue und Zuverlässigkeit, seinen  Humor  und  seine  scheinbar  grenzenlose  Liebe zu mir  schlichen  sich zurück  in mein  Herz  und  breite- ten sich darin aus – ja, sogar das lange vermisste Gefühl der Verliebtheit zog wieder in unsere Ehe ein. Ich genoss es wieder, Zeit  mit  meinem  Mann  zu  verbringen  und in Erinnerungen an gemeinsam Erlebtes zu schwelgen. Ich erkannte,  dass unsere  Beziehung  und  die Nähe, die ich zu meinem  Mann spüre, unendlich  wertvoll und mit nichts zu vergleichen ist.

Dass mein Mann mir verziehen hat und mir wieder be- dingungslos  vertraut – das ist ein Wunder! Ich liebe mei- nen Mann. Sehr! Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens, „Ja“ zu ihm zu sagen.

Der Name der Autorin ist der Redaktion bekannt.

[iconbox title=“Weiterlesen“ icon=“go-jump.png“]Ein Interview zum Thema finden Sie in der Ausgabe 4/12 der Zeitschrift family. Es ist hier bestellbar.[/iconbox]