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Innere Stärke: Mit fünf Knöpfen machen Sie Ihr Kind glücklicher

Wie können Eltern dafür sorgen, dass sich ihr Kind in seiner Haut wohlfühlt? Laut Kinderbuchautorin Dela Kienle braucht es dafür nicht viel.

Endlich Sommerfest! Fröhlich schlendert meine Elfjährige in die Schule, in ihrem neuen knatschroten Kleid und mit selbstgebackenem Kuchen. Doch als sie zurückkommt, ist sie übellaunig und verbarrikadiert sich in ihrem Zimmer. Erst beim Ins-Bett-Bringen verrät sie mir, was passiert ist: Zwei Klassenkameraden, mit denen sie sich sonst gut versteht, haben sie wegen des roten Kleids ausgelacht. Sie würde aussehen wie eine Tomate. „Und das hat dir das ganze Sommerfest verdorben?“ Meine Tochter nickt mit Tränen in den Augen.

Natürlich ist das kein riesiges Drama – nur ein winziges Beispiel. Wohl allen Eltern fallen Gelegenheiten ein, in denen ihr Kind sich von Gleichaltrigen kränken oder einschüchtern ließ. In denen es „Kann ich eh nicht!“ murmelt oder an sich zweifelt, weil es nicht zu einem Geburtstagsfest eingeladen wurde. Vielleicht gibt es auch Momente, in denen es sich zu unsportlich, uncool oder sonst irgendwie nicht gut genug fühlt. Am liebsten würde man sein Kind dann gleichzeitig umarmen und schütteln, weil es wirklich begreifen soll: Du bist wunderbar, genau wie du bist! Lass dir nichts von anderen einreden! Und sei bitte nicht so streng mit dir!

Sei selbst dein bester Freund!

Es ist eine wichtige Lektion, die ein junger Mensch lernen muss, wenn er halbwegs zufrieden durchs Leben gehen will: Sei selbst dein bester Freund! Wer gut mit sich umgeht und positiv denkt, entwickelt Selbstvertrauen, quält sich seltener mit Zweifeln und kann sich schneller aufheitern, wenn etwas nicht so richtig klappt. Er kümmert sich um sich und nimmt seine Stärken und Schwächen an. Mit Egoismus hat gesunde Selbstliebe übrigens nichts zu tun. Wer in sich ruht, muss sich nicht dauernd aufs Neue beweisen, wie toll er ist. Er kann sich auch mal zurücknehmen und fragt nicht ständig, was er zurückbekommt, wenn er anderen etwas gibt.

Unser Denken formt das Gehirn

Gedanken haben eine erstaunlich große Macht. In unserem Gehirn sind Milliarden Nervenzellen miteinander verwoben. Ein Gedanke saust wie ein Elektroblitz von einer Zelle zur nächsten. Je häufiger wir eine Verbindung benutzen, desto stärker wird sie. Das Gehirn ändert sich also ständig – indem wir denken und uns mit bestimmten Dingen beschäftigen. Wir alle sind wie Bildhauer: Durch unser Denken und Tun formen wir Teile des Gehirns!

Und dann hört ein Kind Sätze wie: „Das kannst du nicht!“, oder: „Ist ja typisch für dich!“ Oder es denkt selbst voller Entmutigung: „Was stimmt bloß nicht mit mir?“ Solch ein Satz wird im Gehirn gespeichert. Und je öfter das Kind ihn gedanklich wiederholt, desto leichter kommt er ihm wieder in den Sinn, sobald etwas nicht gleich klappt. Das Negative verstärkt sich selbst. Doch zum Glück stimmt auch das Gegenteil: Das Kind kann sich angewöhnen, auf Positives zu achten, sich selbst zu bestärken und freundliche Gedanken zu denken! Je häufiger es das tut, desto leichter fällt es ihm, aus einem negativen Muffel-Modus auszubrechen.

Das Knopf-Experiment

Manche Psychologinnen und Psychologen glauben, dass es eine Formel gibt: Es geht uns richtig gut, wenn wir dreimal mehr positive Gedanken haben als negative. Nur ist das manchmal ja leider gar nicht so einfach. Nehmen wir einen typischen Montagmorgen. Beim Frühstück kippt Orangensaft um, die Geschwister streiten, alle sind hektisch. Doch wir haben es selbst in der Hand, wie der Tag danach weitergeht. Wir können unsere Sinne schärfen – und auf die vielen erfreulichen Kleinigkeiten achten, von denen ich glaube, dass Gott sie uns täglich schenkt.

Wie wäre es mit einem Experiment? Jedes Kind bekommt morgens fünf hübsche Knöpfe, steckt sie in die Hosentasche und hält nach Gutem und Erfreulichem Ausschau. Vielleicht entdeckt es auf dem Schulweg einen Marienkäfer, einen duftenden Strauch oder eine lustig geformte Wolke? Die Natur ist wundervoll, wenn man nur genau hinschaut! Wer etwas Positives bemerkt, lässt einen Knopf in die andere Tasche wandern. Auch Erfolgserlebnisse zählen – und Spaß. Vielleicht versteht das Kind plötzlich etwas Kompliziertes in Mathe, oder es lacht sich in der Pause mit seinen Freunden schlapp. Wenn alle wieder zu Hause sind, bietet sich so der Einstieg für ein wunderbares Gespräch beim Familienessen: Wie oft haben eure Knöpfe heute die Seite gewechselt? Was war an diesem Tag besonders erfreulich?

Auf die Eltern kommt es an

Auch ich versuche, mich an duftenden Sträuchern zu erfreuen, statt immer nur durch die Stadt zu hetzen. Aber es gibt eine Übung, die ich für uns Eltern sogar noch wichtiger finde: Dass wir uns immer wieder ganz bewusst unseren Kindern zuwenden! Ob sie ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln, hängt nämlich auch davon ab, wie wir Erwachsene auf sie reagieren. Hören wir ihnen richtig zu, wenn sie etwas erzählen wollen? Oder geben wir ihnen häufig das Gefühl, lästig zu fallen? Lassen wir uns ständig vom Handy ablenken, selbst wenn man gerade zusammen spielt oder isst? Fehlende Aufmerksamkeit vermittelt dem Kind: „Ich bin es wohl nicht wert, dass man mich beachtet.“

Manchmal muss ich mich auch dazu ermahnen, das Positive im Blick zu behalten: all die guten Eigenschaften, Verhaltensweisen und Erfolge der Kinder. Bei einem Baby feiern wir Eltern noch täglich jeden winzigen Fortschritt. Doch bei älteren Kindern starren wir manchmal zu sehr auf Fehler und Schwächen, versuchen in bester Absicht, diese zu korrigieren. Doch dabei betonen wir viel zu selten, was bereits wunderbar läuft und was wir an unseren Kindern lieben. Warum eigentlich?

Anstrengungen loben

Für die Familienstimmung ist es so viel besser, wenn wir einen positiven Fokus beibehalten. Allerdings heißt das nicht, dass wir Kinder wahllos mit Lob überschütten sollten. Erziehungswissenschaftler warnen sogar davor, alles mit „Suuuper, ganz toll!“ zu bejubeln. Viel besser sei es, aufrichtig zu loben und ganz genau zu beschreiben, was einem gefällt. Es ist auch empfehlenswert, eher die Anstrengung zu loben, als Können oder Ergebnis. „Toll, dass du so fleißig für die Mathe-Arbeit gelernt hast!“, ist besser als „Du bist Mamas Mathe-Genie!“

Manchmal schadet es auch nichts, sich eine Bewertung ganz zu verkneifen. Wir neigen dazu, Dinge in gut und schlecht, in richtig und falsch einzuteilen. Schenkt mir mein Kind ein selbstgemaltes Bild, will es mir eine Freude machen. Doch mir rutscht fast automatisch eine Beurteilung heraus: „Wow, das sieht ja toll aus!“ Warum bedanke ich mich nicht einfach mit einem dicken Kuss? Auch in der Schule werden Kinder tagein, tagaus bewertet. So entsteht die Gefahr, dass Kinder ständig auf Bestätigung von außen warten und womöglich nur dann mit sich zufrieden sind, wenn ihre Eltern oder die Lehrerin sie loben.

Bestätigung nicht von anderen erwarten

Es gibt noch andere Quellen für Selbstwert, die problematisch sind: Manche Kinder (und Erwachsene!) fühlen sich zum Beispiel vor allem gut, wenn sie denken, dass sie anderen überlegen sind. Oder wenn sie mehr besitzen. Oder wenn sie besser aussehen und von anderen für irgendetwas bewundert werden. Auf den ersten Blick wirken solche Menschen manchmal sogar „selbstbewusster“ als schüchterne Zeitgenossen. Aber ihr Selbstwert ist brüchig, und sie befinden sich in einer unguten Abhängigkeit. Denn wie fühlen sie sich wohl, wenn Erfolg oder Bestätigungen plötzlich ausbleiben?

Nein, das wollen wir unseren Kindern nicht wünschen! Sie sollen sich selbst bestärken, anstatt auf das Lob anderer zu warten. Sie sollen positiv denken, statt über Unerfreuliches zu nörgeln. Sie sollen mit den Schultern zucken, wenn andere unfreundlich zu ihnen sind – und knatschrote Sommerkleider tragen, wenn sie ihnen gefallen. Meiner Meinung nach haben gläubige Familien zudem einen Trumpf in der Hand, wenn es darum geht, gesunden Selbstwert zu vermitteln: Sie können ihrem Kind nahebringen, dass es für Gott unendlich kostbar ist. Dass er es mit all seinen Stärken und Schwächen liebt. Der christliche Gott sagt voller Überzeugung „Ja“ zu jedem Menschen. Auch unser Kind ist eine wunderbare Original-Ausgabe, die es nur ein einziges Mal weltweit gibt. Und es ist goldrichtig, wie es ist!

Dela Kienle ist Journalistin und Kinderbuchautorin („Dein bester Freund? Bist du!“, Ravensburger Verlag GmbH). Mit ihrer Familie lebt sie in der holländischen Grachtenstadt Leiden.

Pädagogin verrät: So steigern Sie das Selbstbewusstsein Ihrer Teenie-Tochter

Vielen Teenagern fehlt das Selbstvertrauen. Genau hier können Eltern sie unterstützen, sagt Diplompädagogin Sonja Brocksieper.

„Unsere Tochter (13) ist total schüchtern und wirkt oft verunsichert. Ich habe das Gefühl, dass sie gar kein Selbstvertrauen hat. Wie können wir sie stärken und unterstützen?“

Die Teenagerjahre sind oft von Unsicherheiten und Selbstzweifeln geprägt, und Eltern sollten in dieser Phase sowohl das Wertgefühl ihres Kindes stärken als auch ein gesundes Selbstvertrauen vermitteln. Denn genau genommen müssen wir zwischen diesen beiden Begriffen „Selbstwertgefühl“ und „Selbstvertrauen“ unterscheiden.

Selbstwertgefühl ist nicht gleich Selbstvertrauen

Für ein gesundes Selbstwertgefühl braucht Ihre Tochter zunächst die Gewissheit, dass sie eine wertvolle Persönlichkeit ist, die um ihrer selbst willen geliebt wird, und das unabhängig von dem, was sie leistet. Nehmen Sie Ihr Kind als ganze Person ernst, mit all ihren Meinungen, Empfindungen und ihrem Temperament. Das bedeutet, dass Sie Ihrer Tochter vermitteln: „Du bist okay so, wie du bist. Und auch wenn ich nicht immer mit allem einverstanden bin, was du tust, bist du geliebt und angenommen.“ Wenn ihre Tochter oft schüchtern wirkt, ist das erst mal okay. Nicht jeder steht gerne im Mittelpunkt und hat das Bedürfnis, sich anderen mitzuteilen. Sprechen Sie Ihrer Tochter zu, dass dieser Wesenszug okay ist und sie sich nicht verbiegen muss.

Selbstvertrauen ist dagegen etwas ganz anderes. Es ist das Wissen um die eigenen Fähigkeiten und Begabungen. Und dieses Vertrauen in die eigenen Stärken kann Ihre Tochter entwickeln, wenn Sie ihr etwas zutrauen. Jedes Kind bringt ein Potenzial mit, das man lobend hervorheben und bestärken kann. Überlegen Sie gemeinsam mit Ihrer Tochter, was sie richtig gerne macht, was sie auszeichnet und besonders macht. Eine gute Schulnote in einem bestimmten Fach, ein gelungenes Musikvorspiel, Erfolg im Sport – all das kann gefeiert werden.

Ermutigen Sie Ihr Kind!

Nutzen Sie dafür die Macht der Worte. Diese haben eine nicht zu unterschätzende Kraft. „Du schaffst das.“ „Ich bin stolz auf dich.“ „Probiere es ruhig aus. Wenn es nicht klappt, helfe ich dir.“ Solche Sätze haben eine starke Wirkung und fördern das Selbstwertvertrauen Ihres Kindes. Wenn ein Kind dagegen ständig hört, was alles nicht gut läuft, dann entwickelt es schnell ein einseitiges Bild von sich selbst. „Pass bloß auf!“ „Das musste ja schiefgehen.“ „War ja klar, dass du die Mathearbeit verhaust.“ All das sind negative Botschaften, die das Selbstvertrauen schwächen. Schaffen Sie stattdessen eine Atmosphäre der Ermutigung.

Manchmal lässt sich aber auch Kritik im Umgang mit Kindern nicht vermeiden. Hierbei sollten Sie sich vor Augen führen, wie vernichtend manch kritische Äußerung sein kann. Vor diesem Hintergrund sollten Sie Kritik möglichst in Maßen, behutsam und besonnen äußern. Und je mehr ein gutes Polster an Wertschätzung und Anerkennung vorhanden ist, desto eher wird die Kritik auf offene Ohren stoßen.

Schwächen sind normal

Übrigens sollte jede Form der Ermutigung und des Lobes angemessen und realistisch sein, damit Kinder kein falsches Selbstbild entwickeln. Jedes Kind hat Schwächen und Begrenzungen, die nicht ignoriert werden sollten. Erzählen Sie von Ihren eigenen Schwächen und Ihrem Umgang damit. Solche persönlichen Erfahrungen können Ihrer Tochter helfen, mit ihren eigenen Misserfolgen selbstsicher umzugehen. Je besser das Selbstwertgefühl eines Kindes ist, desto leichter können Kinder motiviert werden, an ihren weniger starken Seiten zu arbeiten.

Sonja Brocksieper ist Diplom-Pädagogin. Sie lebt mit ihrer Familie in Remscheid und ist Mitarbeiterin bei Team.F. sonja-brocksieper.de

Mut zur Lücke

Warum Jugendliche ihre Eltern dabei brauchen. Von Stefanie Diekmann

Mit grimmiger Miene erscheint Isa beim Abendessen. Sie will nicht so richtig damit raus, was sie gerade beschäftigt. Zwischen Salat und Käsebrot beginnt ihr Bruder Ruben zu reden: „Hey Isa, hast du gehört: Paula geht mit ‚Jugend trainiert für Olympia‘ nach Berlin. Krass, was die alles kann!“ Während Isa Ruben giftige Blicke zuwirft, steigt Mama unbedarft ins Thema ein: „Ja, Paula ist wirklich sehr vielseitig: Sie tanzt, singt im Lobpreisteam der Gemeinde, ist im Physik-Projekt für Jungforscher … Und letzte Ferien hat sie ein Praktikum in Japan gemacht. Unglaublich!“ Isa springt auf. Für sie ist es zu viel. Zu viel, was andere können und sie nicht.

Von Freunden abhängig

Die Begabungen junger Menschen entwickeln sich ab der Pubertät sehr individuell. Während einige sich auf einzelne Sportarten oder ein Musikinstrument konzentrieren, gibt es Jugendliche, die scheinbar alles können. Sich bewusst auf sich zu konzentrieren und die eigenen Interessen zu erspüren, scheint in der Tretmühle eines vollen Wochenplans kaum möglich. In dieser Altersphase ist das Bewusstsein für sich selbst sehr vom Miteinander mit Freunden abhängig. Da geht man mit zum Handball-Training, weil alle gehen, ob wohl man im Orchester viel mehr Spaß hat.

Mut zur Lücke ist eine befreiende Haltung, die junge Lebensentdecker immer wieder aus ihrem Umfeld hören sollten: Du brauchst nicht alles zu wissen. Du darfst alles fragen, musst aber nicht auf alles Antworten haben. Und du musst schon gar nicht alles können. Sich mit anderen zu vergleichen und scheinbar weniger begabt zu sein, wird in dieser Zeit oft als Niederlage erfahren. Das kann dem Jugendlichen zusetzen, weil das Selbstbewusstsein meist noch einem weichen Tonkrug gleicht.

Als Letzte im Ziel

Was können Eltern tun? Zum Beispiel von ihren eigenen Lücken berichten: Wie Papa sich im Kunstunterricht beim Zeichnen gequält hat. Wie Mama bei den Bundesjugendspielen als Letzte ins Ziel lief. Wie Oma bis heute beim Scrabble immer verliert und der Jugendleiter gar nicht singen kann.

Eine Lücke hat niemand gern. Auch Erwachsene nicht. Ihnen kann es unangenehm sein, nach den aktuellen Kommaregeln zu fragen. Oder sich zum dritten Mal erklären zu lassen, wie man den Streaming Dienst startet. Wenn schon Menschen mit erlebten Erfolgen und Kompetenzen ungern Lücken aushalten und preisgeben, dann sollten wir Jugendliche umso mehr ermutigen, dass sie nicht alles können und wissen müssen.

Der Schweizer Psychiater Léon Wurmser hat ein komplexes Thema mit diesem Zitat zusammengefasst: „Scham ist die Hüterin der menschlichen Würde.“ Mich als unwissend zu entblößen, bedeutet, die Scham auszuhalten, dass andere wissender, klüger, gebildeter … sein könnten oder sind als ich. Jugendliche darin zu begleiten, die Scham über eine „Lücke“ nicht als Endpunkt zu erleben, ist die Aufgabe der Eltern. Jugendliche zeigen auch hier einen ganz unterschiedlichen Umgang mit ihren Lücken. „Wenn ich etwas nicht weiß, guck ich mir später eine Doku dazu an“, verrät Alba ihren Umgang mit Lücken. Leo meint: „Ich finde mich damit ab. Ich bin wohl eher der Dulli in Physik! Dafür kann ich viel besser kochen als meine Freunde!“
Die Würde eines Menschen ist unabhängig von dem, was er tut. Unabhängig von Leistung und Können. Hier ist Gottes bedingungslose Zustimmung zur Persönlichkeit jedes Menschen zu spüren. An diese Annahme und Würde werden alle gern erinnert: Eltern und Jugendliche.

Stefanie Diekmann ist Pädagogin und Autorin und lebt mit ihrer Familie in Göttingen.

 

Freies Spiel macht kreativ

„Macht es Sinn, bei meinem zweijährigen Kind freies Spiel zu fördern? Wie stelle ich es an? Und warum ist es so wichtig, wie alle immer sagen?“

Freies Spiel – also vom Kind selbst initiiert und unbeeinflusst vom Erwachsenen – ist sehr wichtig für die kindliche Entwicklung. Denn dabei eignet es sich Wissen über seine Umwelt mit Hilfe eigener Fähigkeiten und in seinem eigenen Tempo an. Beim freien Spiel ist das Kind kreativ, findet Lösungen für Probleme, übt sich in Ausdauer und Geduld und macht vielfältige Sinnes- und Materialerfahrungen.

Man kann nicht früh genug damit beginnen, sein Kind diesbezüglich zu fördern. Schließlich helfen ihm diese Fähigkeiten sein ganzes Leben lang. Wer gelernt hat, selbst Lösungen zu finden und sich allein mit etwas zu beschäftigen, ist unabhängiger und entwickelt durch die vielfältigen Erfahrungen ein stabiles Selbstbewusstsein.

Zeit zum Nichtstun

Wir haben bestimmt schon alle erlebt, dass wir unseren Kleinen Spielzeuge angeboten haben, im Glauben, dass sie genau das gerade bräuchten. Aber sie haben es keines Blickes gewürdigt. Das Spielzeug, welches wir als gut befunden haben, passte in diesem Moment nicht in den Entwicklungsplan des Kindes. Es ging sozusagen an seinem Thema vorbei. Genauso ist es mit durchgeplanten „Frei-Zeit“-Aktivitäten. Wir wollen unseren Kindern das Beste bieten, vergessen aber oft, dass die Kinder nicht primär Unterhaltung, sondern Zeit brauchen, um Gesehenes zu verarbeiten, einzuüben und schließlich zu verfestigen. Übung macht bekanntlich den Meister. Also planen Sie öfter Zeit ein, in der Ihr Kind einfach „nichts“ tut.

Der Erwachsene sollte in solchen Zeiten nur die Beobachterrolle einnehmen und nur dann Hilfestellung leisten, wenn das Kind es ausdrücklich wünscht. In solchen Situationen beschäftigen sich Kinder mit dem, was sie gerade bewegt. Sie handeln intuitiv und arbeiten höchst motiviert an ihren Entwicklungsthemen.

„Wichtiges“ verschieben

Achten Sie darauf, welche Materialien das Kind wirklich interessieren. Was hat es immer wieder in der Hand? Welche Tätigkeiten übt es immer wieder aus? Ist es ihm möglich, sich mit diesen Materialien allein zu beschäftigen? Oder müssen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden? Oft interessieren Kinder die Materialien, die auch wir ständig in der Hand haben, zum Beispiel beim Kochen, Putzen, Arbeiten oder bei der Gartenarbeit. Stellen Sie Ihrem Kind ein sicheres Paket zusammen und lassen Sie es damit herumexperimentieren. Im Alter von zwei Jahren ist beispielweise schütten, werfen, klettern, rennen oder Fahrzeuge fahren oft sehr beliebt.

Wenn freies Spiel geschieht, verlangt es von uns Erwachsenen ein gewisses Maß an Spontanität. Fragen Sie sich deshalb: Ist das, was Sie eigentlich vorhatten, wirklich wert, den Lernprozess des Kindes zu unterbrechen? Ist es jetzt, wo das Kind gerade so schön spielt und lernt, wirklich nötig, einkaufen zu gehen? Zeit können Sie nicht einkaufen oder herunterladen. Zeit muss man sich noch ganz altmodisch nehmen.

Anika Schunke ist Erzieherin, bietet Bewegungskurse für Eltern und Kinder an und lebt mit ihrer Familie in Eggenstein bei Karlsruhe.
Illustration: Sabrina Müller, sabrinamueller.com

Die Meinung der anderen

Diese Woche hatte ich einen interessanten Mailwechsel mit einer unserer Autorinnen. In einem Artikel fürs übernächste Heft hatte sie ein Beispiel erzählt von einer Frau, die Angst hatte, ihr Kind in die Betreuung zu geben. Nicht weil sie sich Sorgen um das Kind machte. Sondern weil sie die Reaktionen aus ihrem Umfeld fürchtete, in dem Fremdbetreuung sehr kritisch gesehen wird.

Ich fragte zurück, ob dies ein realistisches Beispiel sei. Und die Autorin, die auch als Coach arbeitet, schrieb, dass ihr in der Beratungspraxis häufig Menschen begegnen, die sich sehr stark an der Meinung anderer orientieren. Die ihre Entscheidungen so treffen, dass sie möglichst wenig anecken.

Ja, natürlich kenne ich das auch. Und grundsätzlich ist es ja auch nicht verkehrt, sich die Meinungen und Ratschläge anderer Menschen anzuhören. Aber sich davon abhängig zu machen – das finde ich problematisch. Ganz freimachen davon können sich wahrscheinlich nur die wenigsten. Muss man ja auch nicht. Aber der erste Schritt wäre zu erkennen, wie sehr die Meinung anderer meine Entscheidung prägt.

Schicke ich meine Tochter aufs Gymnasium wie ihre Cousinen, um in der Großfamilie gut dazustehen? Suche ich mir einen Job nach dem ersten Lebensjahr meines Kindes, weil meine Freundinnen das auch so gemacht haben? Zwinge ich meinen Teenager, mit ihn den Gottesdienst zu kommen, weil ich sonst schlecht dastehe in der Gemeinde? Mache ich pünktlich Feierabend, um noch Zeit mit den Kindern zu haben, obwohl alle anderen länger arbeiten?

Ich wünsche uns allen mehr Selbstbewusstsein, zu unseren Überzeugungen und Entscheidungen zu stehen. Wir sollten uns durchaus Rat holen bei guten Freunden. Aber wir sollten uns vor allem unsere eigenen Gedanken machen und dann eine gute Entscheidung für uns und unsere Kinder treffen. Denn die Folgen dieser Entscheidungen betreffen ja schließlich zuerst uns und unsere Kinder – und nicht die anderen.

Bettina Wendland, Redakteurin Family/FamilyNEXT