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Tragetuch: „Gebt euren Babys Nähe!“, sagt die Expertin

Babytragetücher liegen im Trend. Warum das Tragen so wichtig ist und was man dabei beachten sollte, erklärt die Trageschulleiterin Petra Wilhelm.

Warum erlebt das Tragen von Babys so einen Aufschwung?
Eigentlich wurden Babys schon immer getragen. Mit dem Kinderwagen ist es in den Hintergrund gerückt und erlebt jetzt wieder eine Hochkultur, auch aus ganz praktischen Gründen: Man ist beweglicher, wenn man das Kind am Körper trägt! Menschenbabys sind Traglinge. Die Wissenschaft hat inzwischen bewiesen, dass sie am Körper der Eltern weiterreifen. Die Eltern sorgen beim Tragen für die Temperaturregulierung des Kindes. Auch rhythmische Körperarbeiten wie Herzschlag und Atmung bekommen immer wieder Impulse. Durch das Tragen wird auch die Verdauung unterstützt und das Urvertrauen und Selbstwertgefühl werden gestärkt. Babys funktionieren noch wie in der Steinzeit: Weggelegt werden bedeutet Todesgefahr! Am Körper der Eltern finden sie Sicherheit.

Aber es gibt doch auch Babys, die im Liegen zufriedener sind?
Wenn sich ein Kind wohlfühlt und eine gewisse Zeit gern im Kinder- oder Stubenwagen liegt, sollten Eltern dies genießen! Aber wenn das Kind zeigt, dass es die Nähe braucht, dann sollten sie es an den Körper nehmen.

Ab wann sollten Mütter ein Tragetuch verwenden?

Ab wann und wie lange sollte man sein Kind tragen?
Von Anfang an und so lange, wie es beiden guttut! Die Mutter sollte sich nicht gleich am Tag nach der Geburt das Tragetuch umbinden, sondern sich erst einmal im Wochenbett erholen und dort viel mit dem Baby kuscheln. Solange gibt es den Papa oder andere Bezugspersonen, die das Baby tragen können. Bei einem gesunden Kind spricht nichts dagegen, es von Anfang an zu tragen. Jedoch sehe ich Neugeborene nicht so gern in einer Tragehilfe, da konstruktionsbedingt die Haltung des Babys aufrechter ist und die Beinchen weiter gespreizt werden. Neugeborene haben in den ersten Wochen die Beinchen lieber eng zusammen und angehockt. Das brauchen sie, damit sich die Hüften gut entwickeln. Diese Haltung lässt sich mit einem Tragetuch meist besser unterstützen.

Wie finde ich heraus, was das richtige System für uns ist?
Das Angebot an Tragetüchern und -hilfen ist inzwischen riesig und macht es Eltern schwer, die für sie passende Tragemöglichkeit zu finden. Eine Trageberatung spart hier Zeit, Nerven und Geld, indem sie teure Fehlkäufe und Rückenschmerzen verhindert. In der Beratung wird individuell geschaut, was Eltern und Kind brauchen, und es wird die Möglichkeit des Erlernens und Ausprobierens gegeben. Gemeinsam wird geschaut, welche Trageweise wirklich passt und Eltern und Kind gut unterstützt. Denn gerade auch das Kind hat ein gehöriges Wörtchen mitzureden.

Was sollte das Kind im Winter anhaben?

Was empfehlen Sie im Herbst und Winter, wenn sowohl das Baby als auch die Eltern mehr anhaben?
Solange das Kind noch nicht selbst läuft, sollte es mit in der Jacke der Eltern getragen werden. Tragejacken und -einsätze schützen beide vor der Kälte. Wenn es schon läuft, kann es in der Tragehilfe über der Jacke getragen werden. Wenn das Kind dabei einen Schneeanzug trägt, bitte bei längerer Tragezeit überprüfen, ob es ihm nicht zu kalt ist. Die Luft wird beim Einbinden aus den Polstern des Anzuges gedrückt, und er kann so das Kind nicht mehr wärmen. Ein Wollwalkanzug ist da die bessere Wahl.

Interview: Ruth Korte

Trageliebe

„Sollte ich mein Baby tragen? Was spricht dafür, was dagegen? Wie lange ist das gut für mein Kind und auch für mich?“

Für kleine Kinder ist Getragenwerden ein großes Plus hinsichtlich Wahrnehmung und Vertrauen. Über die Haut wird dem Kind beim Tragen ein positives Körpergefühl vermittelt, die eigene Begrenzung als Geborgenheitsgefühl verankert. Auch der Gleichgewichtssinn wird durch diese Art der passiven Bewegung stimuliert, kleine Blähungen lösen sich. Ganz natürlich lieben Kinder es, getragen zu werden. Und so hilft es Kindern oft aus Unwohlsein heraus. Eltern lernen ihr Kind kennen, je näher sie ihm sind.

TRAGEN, NICHT ERTRAGEN
Tragen sollte dennoch niemals zum „Ertragen“ werden. Wenn mit Ihrem Kind auf dem Arm verschiedene Tätigkeiten und Bewegungen nicht verrichtet werden können oder Ihr Körper ein „Genug“ signalisiert, nehmen Sie Ihre Grenzen ernst. Haben Sie mal ein Tragetuch ausprobiert? Damit schaffen Sie nicht nur Erleichterung, damit liegen Sie voll im Trend. Tragetücher und Tragesysteme gibt es in allen Bequemlichkeitsstufen, unter variationsreichen Gebrauchsanleitungen und in munteren Farben. Wussten Sie, dass die Hüftgelenke Ihres Kindes beim Tragen im Tragetuch in eine optimale Position geschoben werden können? Eine Position, in der die Hüfte sehr natürlich nachreifen kann, erreichen Sie, wenn Sie das Kind im Tragetuch zu sich gerichtet auf dem Bauch tragen. Ganze Nationen bevorzugen Tragetücher, um das eigene Kind unkompliziert bei sich zu haben und zu transportieren.

MOTIVE HINTERFRAGEN
Wenn Sie dennoch einen innerlichen Konflikt in Bezug auf das Hochnehmen Ihres Kindes erleben, prüfen Sie, warum Sie Ihr Kind hochnehmen möchten: Wann handelt es sich beim Aufnehmen Ihres Kindes um den eigenen Wunsch, Ihr Kind zu tragen, wann um eine Gelegenheit für Sie beide, wann um reine Forderung Ihres Kindes, wann um Erwartungsdruck durch das Umfeld und wann um wahre Notwendigkeit? Verwechseln Sie „Tragen“ nicht mit „Aufmerksamkeit geben“. Für Nähe brauchen sie Ihr Kind nicht hochnehmen. Legen Sie sich doch einfach runter zu Ihrem Kind auf den Boden. Es gibt echte Alternativen zum Tragen. Auch Menschen, die ihr Kind rein körperlich nicht heben können, können dennoch fantastische Eltern sein. Machen Sie sich frei von Druck und Erwartungen. Genießen Sie die gesunde Bindung zu Ihrem Kind. Wann immer Sie Ihr Kind tragen möchten, tun Sie es. Wenn Sie es schaffen, Ihrem Kind zu vermitteln, dass eine reine Erwartung an das Tragen nichtig ist, werden Sie gewisse Schemata durchbrechen und schnell Ihren persönlichen Mittelweg finden. Ein Kind zu tragen oder nicht zu tragen hat nichts damit zu tun, eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein. Und trotzdem kann Tragen so wunderschön sein.

Irina Kostic ist Kinderkrankenschwester, Autorin und Mutter von vier Kindern. Sie lebt mit ihrer Familie in Nordfriesland. www.irinakostic.de