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Experten erkären: Warum Kinder nicht nerven wollen!

Auch wenn es manchmal so scheint: Kinder haben nicht die Absicht, ihre Eltern zu ärgern. Aber sie setzen sich für sich selbst und ihre Bedürfnisse ein. Eva-Mareile und Hannsjörg Bachmann erklären im Interview das Prinzip der Gleichwürdigkeit.

Was verstehen Sie unter Gleichwürdigkeit?

Eva-Mareile Bachmann: Unter Gleichwürdigkeit verstehen wir eine innere Haltung, zu der wir uns als Erwachsene bewusst entscheiden. Es geht darum, jedem Menschen, egal welchen Alters, mit demselben Respekt zu begegnen, ihm dieselbe Würde zuzugestehen – von Geburt an. Das ist für viele eine neue Sichtweise. Traditionellerweise wird einem Erwachsenen in unserer Gesellschaft deutlich mehr Achtung entgegengebracht als einem Kind.

Hannsjörg Bachmann: Eine gleichwürdige Eltern-Kind-Beziehung beruht auf einer Liebes- und Vertrauensbeziehung. Sie beinhaltet, dass Eltern ihr Kind mit echtem Interesse, Wohlwollen und Empathie begleiten, fest davon überzeugt, dass ihr Kind immer sein Bestes gibt und sie nicht ärgern, nerven oder provozieren will – auch wenn es manchmal auf den ersten Blick so aussehen mag. Und dass auch schon kleine Kinder in vielen Bereichen kompetent sind und sich wünschen, in ihrer Individualität und als ganze Person gesehen, gehört und ernst genommen zu werden. Hier geht es ihnen ganz genauso wie den Erwachsenen.

Unterschiedliche Bedürfnisse

Haben Sie dafür ein praktisches Beispiel?

EMB: In vielen Familien gibt es morgens Streit. Die kleinen Kinder sind nicht rechtzeitig für den Kindergarten fertig, möchten sich in ihrem eigenen Tempo aber unbedingt selbst anziehen. Die Eltern fühlen sich unter Druck, weil sie pünktlich bei der Arbeit sein müssen. Alle elterlichen Ermahnungen, endlich schneller zu machen, verhallen scheinbar ungehört. Das Kind schreit und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die Bemühungen der Eltern, das Anziehen zu beschleunigen. Und die Eltern sind wütend oder enttäuscht, weil der Start in den Tag mal wieder so nervenaufreibend war. Das Kind ahnt nicht, dass sein Bedürfnis nach Selbstständigkeit mit den Bedürfnissen der Erwachsenen nach Effizienz oder Pünktlichkeit kollidiert. Außerdem fehlt ihm noch jegliches Zeitgefühl. Für Kinder sind deshalb elterliche Wut- oder Ärger-Reaktionen oft überhaupt nicht nachvollziehbar.

HB: Es lohnt sich zu fragen – und dann auch gut zuzuhören: Warum warst du eben so ärgerlich? Auch kleine Kinder können oft schon erstaunlich gut ausdrücken, was sie wütend gemacht hat. Im Kleinkindalter geht es oft um das Thema Selbst-Machen oder Allein-Machen. In dieser Lebensphase erleben Kinder oft mit großem Stolz, wie ihre Kompetenz in vielen Bereichen rasch zunimmt – und natürlich möchten sie diese neuen Fähigkeiten unbedingt weiter erproben, zum Beispiel beim selbstständigen Anziehen. Sie wehren sich, wenn sich Erwachsene hier einmischen. Sie kämpfen für sich und ihre Selbstständigkeit und nicht gegen ihre Eltern. Wir sprechen deshalb heute vom Selbstständigkeitsalter, nicht vom Trotzalter. Die Situation entspannt sich oft schon merklich, wenn man von diesen Bedürfnissen des Kindes weiß und ihnen Rechnung trägt, indem man beispielsweise mehr Zeit für das Anziehen einplant und sich nicht ungebeten in diese Prozesse einmischt.

Prinzip Gleichwürdigkeit

Worin unterscheiden sich Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung?

HB: Kinder und Eltern sind überhaupt nicht gleichberechtigt. Die Führung in der Familie liegt eindeutig und immer bei den Eltern. Nur sie verfügen über den notwendigen Überblick und die Erfahrung, um die Familie in eine gute Zukunft zu führen. Die Eltern tragen somit auch die erste Verantwortung für die Gestaltung der Eltern-Kind-Beziehung.

Gilt Gleichwürdigkeit für Kinder jeden Alters?

HB: Die Haltung ist immer dieselbe. Sie gilt für die Neugeborenen ebenso wie für die Kinder im Kita- und Grundschulalter, genauso für die jugendlichen oder erwachsenen Kinder. Das ist das Praktische: Wenn Eltern diese Haltung verinnerlicht haben, benötigen sie nicht für jedes Lebensalter neue Ratgeber. In jeder Situation geht es immer wieder neu um das echte Interesse am anderen – die Fähigkeit, sich in die Schuhe des anderen zu stellen, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und die Bereitschaft, aufmerksam zuzuhören und verstehen zu wollen.

EMB: Herausfordernde Äußerungen des Kindes oder des Jugendlichen – sie oder er ist wütend, rennt weg, schreit, erscheint aggressiv – müssen dechiffriert werden. Wenn ich den anderen mit Wohlwollen betrachte und davon ausgehe, dass er oder sie mir nichts Böses will, bleibt die Frage: Warum sonst könnte er sich so verhalten? Es braucht oft viel Geduld und Einfühlungsvermögen, um die Botschaft dahinter zu verstehen. Wichtig ist, in solchen Situationen in Beziehung zu bleiben und nicht aus dem Kontakt zu gehen. Ärger und Aggressivität sind oft Hinweise dafür, dass das Kind oder der Jugendliche davor verletzt, gekränkt, übersehen oder ungerecht behandelt worden ist.

Wünsche und Bedürfnisse

Bedeutet Gleichwürdigkeit, jedem Wunsch des Kindes nachzugeben?

HB: Nein. Auf keinen Fall! Eltern lernen gewöhnlich rasch, gut hinzuhören und auch zwischen Wunsch und Bedürfnis des Kindes zu unterscheiden. Wichtig ist, sich für die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes echt zu interessieren, sie verstehen zu wollen. Das bedeutet nicht, sie auch erfüllen zu müssen. Kinder sind oft schon zufrieden, wenn Mutter oder Vater klar signalisieren: Ich habe verstanden, was du gesagt hast, dein Wunsch ist bei mir angekommen, auch wenn sich diese Antwort mit einem Nein verbindet: „Heute Abend kannst du nicht mehr draußen spielen.“

EMB: Wie in jeder anderen Beziehung ist auch für Eltern Nein-Sagen erlaubt und unbedingt erforderlich. Jeder darf und muss Grenzen äußern. Und jeder hat unterschiedliche Ideen, Gefühle, Befindlichkeiten und Bedürfnisse – auch wenn sich daraus Konflikte ergeben und man damit umgehen lernen muss. Wichtig ist aber, dass sich jeder gesehen, gehört und verstanden fühlt und das Wohlwollen des anderen spürt. Dann ist die gefundene Lösung oft zweitrangig.

Eigene Prägung hinterfragen

Ist ein gleichwürdiger Umgang miteinander erlernbar?

EMB: Erfreulicherweise ja. In unserer Gesellschaft werden die meisten Kinder in Familien groß, in denen Eltern und Kinder nicht gleichwürdig miteinander umgehen. Viele der heutigen Eltern sind selbst noch eher autoritär erzogen worden und geben diese Haltung als das ihnen vertraute Erziehungsmodell an ihre Kinder weiter. Insbesondere in Konfliktsituationen, wenn bei allen die automatisierten Muster greifen. Dabei geht es zentral um Gehorsam, Funktionieren und Anpassung. Der Erwachsene definiert, was richtig oder falsch ist, und sorgt dafür, dass das Kind diesen Vorgaben folgt. Schimpfen, Kritisieren, Strafen oder manipulatives Belohnen oder Loben sind gängige Erziehungsmethoden. Die Erziehung steht im Vordergrund, nicht die gleichwürdige Beziehung. Viele Kinder erleben, dass sie klein gemacht werden – ein gesundes Selbstwertgefühl kann sich so nicht entwickeln. Und natürlich leidet auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern unter diesen Erfahrungen.

HB: Dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul ist es zu verdanken, dass die Haltung der Gleichwürdigkeit in den vergangenen Jahrzehnten eine Renaissance erlebt hat. Diese Haltung ist ja nicht wirklich neu. „Geh mit dem anderen so um, wie du selbst behandelt werden möchtest“, ist die alte biblische Formulierung von Gleichwürdigkeit. Trotz dieser Verankerung in der Bibel hat sich die gleichwürdige Haltung jedoch noch nicht durchgesetzt.

Wie kann man Gleichwürdigkeit in familiären Beziehungen umsetzen?

HB: Sehr einfach. Die Eltern beginnen damit, sie machen es vor. Sie reflektieren ihre eigenen – oft autoritären – Prägungen, Einstellungen und Verhaltensmuster kritisch und entscheiden sich für eine neue Haltung. Indem sie selbst erproben und vorleben, wie ein gleichwürdiger Umgang in den Erwachsenen-Beziehungen und in der Eltern-Kind-Beziehung aussieht, haben die Kinder ein neues Vorbild, an dem sie sich orientieren und das sie übernehmen können. Gleichwürdige Beziehungen fühlen sich warm, angenehm, herzlich und lebendig an, die Beziehungen bekommen eine ganz neue Qualität. Gleichwürdigkeit schafft Vertrauen und Offenheit. Wer gleichwürdige Beziehungen kennengelernt hat, möchte nie mehr darauf verzichten.

Das Interview führte Lisa-Maria Mehrkens. Sie ist Psychologin und Journalistin.

Dr. Eva-Mareile Bachmann ist Psychotherapeutin in eigener Praxis und Mutter von zwei Zwillingspaaren.

Prof. Dr. Hannsjörg Bachmann, geboren 1943, war 20 Jahre lang Leiter einer Kinderklinik in Bremen. Er machte Ausbildungen bei Jesper Juul und Karl-Heinz Brisch und ist Mitbegründer der „Familienwerkstatt im Landkreis Verden e. V.“.

Mein Begehren – dein Begehren

Wenn Ehepartner unterschiedlich stark ausgeprägte sexuelle Lust haben, kann das die Beziehung sehr belasten. Was hilft, damit die Lust nicht zum Frust wird? Von Susanne und Marcus Mockler

„Wie oft habt ihr beide Sex?“ Als uns in einer anonymen Fragerunde bei einem Eheseminar diese Frage gestellt wurde, waren wir uns einig: Darauf geben wir keine konkrete Antwort! Garantiert keine Zahl – denn wem sollte das helfen? Anders Martin Luther, der einst frei heraus den Ratschlag gab: „In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr, macht im Jahre hundertvier.“ Doch wir glauben, dass Sexualität sich nicht so verallgemeinern lässt. Es gibt kein Richtig oder Falsch in Praktiken oder Häufigkeit. Entscheidend ist, wie es beiden damit geht. Viel wichtiger als die genaue Zahl der Sexualkontakte ist die Qualität der Paarbeziehung. Allerdings bedingt sich beides oft: Paare, die in Befragungen eine hohe Beziehungszufriedenheit angeben, haben in der Regel häufiger Sex als Paare, die insgesamt unzufrieden sind.

Unzufriedenheit und Konflikte

Das Problem kennt fast jedes Paar: unterschiedliches sexuelles Verlangen und verschiedene Vorstellungen darüber, was eine angemessene Frequenz für Intimverkehr sei. Tendenziell beobachten wir mehr Interesse an Sex bei Männern. Das variiert aber von Paar zu Paar. Immer häufiger sind es auch Frauen, die sich mehr intime Aktivitäten erhoffen, während ihre Partner sich zurückziehen. Die Gründe sind vielfältig: Stress, Erschöpfung, medizinische Probleme, hormonelle Schwankungen, traumatische Vorerfahrungen, psychische Erkrankungen, häufiger Pornokonsum. Oft ist es eine Störung der Beziehungsdynamik insgesamt, Unzufriedenheit über die Qualität des gemeinsamen Lebens und mit dem gegenseitigen Umgang, die einem (oder beiden) die Lust rauben.

Die Kluft im sexuellen Begehren führt zu Unzufriedenheit und Konflikten. Schließlich ist Sexualität ein starker Motor und Teil der Identität. Wer immer wieder im Bett abgewiesen wird, entwickelt Frustgefühle und fühlt sich manchmal sogar persönlich abgewertet. Allerdings gerät auch die Person, die weniger Lust hat, unter Druck. Viele plagt ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht auf das Drängen des anderen eingehen. Sie fühlen sich möglicherweise auf ihren Körper reduziert und als Ehepartner ungenügend. Wenn dann Sex regelrecht eingefordert oder einzig aus Angst vor Ablehnung ertragen wird, hilft das der Liebe auf keiner Seite weiter.

Was sind gute Strategien, um mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umzugehen?

Offen über Sex reden

Wer Probleme mit der Sexualität hat, sollte darüber reden, und zwar offen und mit der ehrlichen Absicht, die Sicht des anderen zu hören und zu verstehen. Vielen ist das Thema unangenehm und sie ziehen sich zurück oder attackieren einander auf anderen Ebenen. So halten sie den anderen auf Abstand, um sich dem eigentlichen Problem nicht mehr stellen zu müssen. Das verfestigt aber den Keil zwischen beiden.

Ein ehrliches Gespräch über unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse und sexuelle Gefühle hilft, einander wieder näherzukommen und möglicherweise auch die Gründe hinter der starken Lust oder Lustlosigkeit zu entdecken. Dabei ist wichtig: Man darf den anderen nicht angreifen oder Vorwürfe machen, sondern sollte ausschließlich die eigenen Gefühle und Erwartungen beschreiben. Währenddessen sollte der Partner einfühlsam und interessiert zuhören. Nicht selten führt allein schon diese offene Kommunikation dazu, dass sich etwas in der Paardynamik bewegt und sich Lösungen, mit denen beide gut leben können, finden lassen.

Forschungen weisen sogar darauf hin, dass Einfühlungsvermögen, aktives Zuhören und die Bereitschaft, auf den Partner einzugehen, sexuelles Verlangen fördern können.

Wichtig ist, dass sich das Gegenüber wertgeschätzt und geliebt fühlt: „Auch wenn du meine Sehnsüchte gerade nicht befriedigen kannst, liebe und achte ich dich.“ „Auch wenn mir deine sexuelle Energie manchmal zu heftig ist, glaube ich dir, dass du mich als Person liebst und es dir nicht nur ums Körperliche geht. Ich respektiere deine größere Lust und kann sie als Ausdruck deiner Leidenschaft für mich annehmen.“ „‚Nein, nicht heute‘ bedeutet nicht, dass ich dich nicht liebe. Es liegt nicht an deiner Attraktivität und deinem Wert.“

Zugegeben, das klingt idyllisch und manchmal ist es ein schmerzlicher Weg, bis Paare dahin kommen. Einige schaffen es nicht ohne therapeutische Hilfe. Die Moderation einer dritten Person und der neutrale, wohlwollende Blick von außen können hilfreich sein, um gute Lösungen zu finden.

Sex ist nicht alles

Wie steht es um die Paarbeziehung insgesamt? Paare, die Probleme im sexuellen Bereich haben, sollten viel Zeit in andere Aktivitäten investieren, die beiden guttun: gemeinsame Hobbys, Ausflüge, ehrenamtliches Engagement, sportliche Aktivitäten. Wer auf dem sexuellen Pfad so gar nicht weiterkommt, muss Druck rausnehmen. Es hilft nicht, wenn einer dem anderen permanent ein schlechtes Gewissen macht. Vielleicht ist es für den sehr bedürftigen Partner auch dran, Selbstbeherrschung zu lernen und sich bei der geliebten Person weniger auf den Körper als vielmehr auf die inneren Werte zu konzentrieren.

Manche Paare gehen einander regelrecht aus dem Weg, um ja nicht in die Situation zu geraten, nach Sex gefragt zu werden. Da kann es helfen, zu vereinbaren, das Thema für eine gewisse Zeit ganz ruhen zu lassen und sich stattdessen bewusst auf andere Gemeinsamkeiten zu fokussieren. Manche brauchen diese Sicherheit, um wieder vertrauen zu können.

Gott um Hilfe bitten

Einige Christen tun sich schwer, Gott in das Thema Sexualität einzubeziehen. Aber auch so eine „fleischliche Angelegenheit“ wie sexuelle Unzufriedenheit ist etwas, womit man sich direkt an den Schöpfer wenden darf. Immerhin war das seine Idee! Wer sonst wüsste am besten, welche Wege einem Paar zu mehr Freiheit und Zufriedenheit verhelfen könnten? Wer leidet, sollte Gott um Hilfe bitten. Am besten gemeinsam, laut und im Vertrauen, dass er Wege kennt, wo wir noch keinen Ausweg sehen. Aber auch das persönliche Gebet wird nicht unerhört bleiben.

Die Lust auf Sex anregen

Oft leidet der Partner mit geringerer Libido darunter und würde eigentlich dem anderen zuliebe, aber auch für sich selbst gerne mehr sexuelle Intensität entwickeln. Die Forschung sagt: Menschen, die öfter Sex haben, empfinden auch ein höheres Maß an Lust auf Sex und wollen öfter intim werden. Ist Sex eine gute Erfahrung, möchte man sie häufiger machen.

Insofern könnten Partner, die eine geringere Libido haben, versuchen, sich in Stimmung zu versetzen. Eine Frau kann sich gedanklich auf Lust programmieren, indem sie im Lauf des Tages immer wieder bewusst ihre Geschlechtsorgane wahrnimmt, den Beckenboden durch Anspannen trainiert, hübsche Unterwäsche trägt, in der sie sich schön fühlt. Angenehme erotische Anspielungen des Partners, schmeichelnde Bemerkungen und zärtliche Berührungen im Alltag können luststeigernd wirken. Manchen hilft es, Termine für Sex zu setzen. Was für manche befremdlich klingt, hilft anderen, weil sie sich kontrolliert auf diese Paarzeit vorbereiten und intensiv darauf einstellen können.

Sich auf die unterschiedlichen Empfindungen einlassen

Es klingt ein bisschen verrückt, aber tatsächlich: Der Appetit kommt mit dem Essen. Befriedigender, lustvoller und erfüllender Sex steigert die Lust auf Wiederholung. Enttäuschende Erfahrungen beim körperlichen Zusammensein haben gegenteilige Wirkung. Das heißt auch: Der Partner mit der stärkeren Lusterfahrung sollte intensiver danach fragen, wie Sex für den anderen zu einem beglückenderen Erlebnis werden könnte.

Vor allem Frauen haben oft nicht spontan Lust auf Sex, können aber durch liebevolles Werben des Partners und durch erotische Berührungen, die sie mögen, dafür gewonnen werden. Hier ist Kommunikation besonders wichtig! Viele Partner wissen nämlich gar nicht, was sich für den anderen tatsächlich gut anfühlt und was der andere erotisch findet. Auch ändert sich das im Verlauf des Zyklus einer Frau stark. Während zum Beispiel in einem Stadium die Berührung der Brustwarzen elektrisiert, kann es an anderen Tagen wehtun und abschrecken. Ein bisschen ist Sex eben wie ein Tanz: Einer fordert auf, der andere lässt sich ein, beide finden in den Rhythmus und erst nach einigen Takten ist die Harmonie hergestellt.

Kompromisse aushandeln

Wenn die Erwartungen an die Häufigkeit der sexuellen Begegnungen stark abweicht, können Paare versuchen, Kompromisse auszuhandeln. Vielleicht hätte er gerne am liebsten täglich Sex, während ihr alle zwei Wochen vollkommen ausreichen. Wie wäre es, wenn die beiden sich zum Beispiel auf einmal pro Woche einigen? Dann sind die Parameter klar und beide können sich darauf einstellen und diese Begegnungen bewusst gestalten.

Sicher wird es nicht für alle die vollkommen zufriedenstellende Lösung geben. Einige körperliche oder hormonelle Ursachen sind zwar medikamentös behandelbar, aber manchmal kommt die Medizin an ihre Grenzen. Nebenwirkungen von Medikamenten hemmen teilweise die Lust und machen es schwer bis unmöglich, sexuelle Leidenschaft zu entwickeln. Auch psychische Belastungen wie Stress oder Depressionen können nicht einfach durch einfühlsame Kommunikation überwunden werden.

Aber auch solche Paare können Wege finden, wie sie einander dennoch nah bleiben: Zärtlichkeiten müssen nicht immer im Beischlaf enden, sorgen aber für die Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen und stärken damit das Wohlbefinden. Alternative Formen von Intimität ohne Penetration können helfen, dass der lustbetonte Partner trotzdem auf seine Kosten kommt.

Marcus und Susanne Mockler – er ist Journalist, sie ist Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland.

Ich will mehr Sex! – So finden Paare einen gemeinsamen Weg

Wenn Liebespaare unterschiedlich stark ausgeprägte sexuelle Lust haben, kann das die Beziehung sehr belasten. Was hilft, damit die Lust nicht zum Frust wird?

„Wie oft habt ihr beide Sex?“ Als uns in einer anonymen Fragerunde bei einem Eheseminar diese Frage gestellt wurde, waren wir uns einig: Darauf geben wir keine konkrete Antwort! Garantiert keine Zahl – denn wem sollte das helfen? Anders Martin Luther, der einst frei heraus den Ratschlag gab: „In der Woche zwier, schaden weder ihm noch ihr, macht im Jahre hundertvier.“ Doch wir glauben, dass Sexualität sich nicht so verallgemeinern lässt. Es gibt kein Richtig oder Falsch in Praktiken oder Häufigkeit. Entscheidend ist, wie es beiden damit geht. Viel wichtiger als die genaue Zahl der Sexualkontakte ist die Qualität der Paarbeziehung. Allerdings bedingt sich beides oft: Paare, die in Befragungen eine hohe Beziehungszufriedenheit angeben, haben in der Regel häufiger Sex als Paare, die insgesamt unzufrieden sind.

Unzufriedenheit und Konflikte

Das Problem kennt fast jedes Paar: unterschiedliches sexuelles Verlangen und verschiedene Vorstellungen darüber, was eine angemessene Frequenz für Intimverkehr sei. Tendenziell beobachten wir mehr Interesse an Sex bei Männern. Das variiert aber von Paar zu Paar. Immer häufiger sind es auch Frauen, die sich mehr intime Aktivitäten erhoffen, während ihre Partner sich zurückziehen. Die Gründe sind vielfältig: Stress, Erschöpfung, medizinische Probleme, hormonelle Schwankungen, traumatische Vorerfahrungen, psychische Erkrankungen, häufiger Pornokonsum. Oft ist es eine Störung der Beziehungsdynamik insgesamt, Unzufriedenheit über die Qualität des gemeinsamen Lebens und mit dem gegenseitigen Umgang, die einem (oder beiden) die Lust rauben.

Die Kluft im sexuellen Begehren führt zu Unzufriedenheit und Konflikten. Schließlich ist Sexualität ein starker Motor und Teil der Identität. Wer immer wieder im Bett abgewiesen wird, entwickelt Frustgefühle und fühlt sich manchmal sogar persönlich abgewertet. Allerdings gerät auch die Person, die weniger Lust hat, unter Druck. Viele plagt ein schlechtes Gewissen, wenn sie nicht auf das Drängen des anderen eingehen. Sie fühlen sich möglicherweise auf ihren Körper reduziert und als Ehepartner ungenügend. Wenn dann Sex regelrecht eingefordert oder einzig aus Angst vor Ablehnung ertragen wird, hilft das der Liebe auf keiner Seite weiter.

Was sind gute Strategien, um mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen umzugehen?

Offen über Sex reden

Wer Probleme mit der Sexualität hat, sollte darüber reden, und zwar offen und mit der ehrlichen Absicht, die Sicht des anderen zu hören und zu verstehen. Vielen ist das Thema unangenehm und sie ziehen sich zurück oder attackieren einander auf anderen Ebenen. So halten sie den anderen auf Abstand, um sich dem eigentlichen Problem nicht mehr stellen zu müssen. Das verfestigt aber den Keil zwischen beiden.

Ein ehrliches Gespräch über unterschiedliche Wünsche, Bedürfnisse und sexuelle Gefühle hilft, einander wieder näherzukommen und möglicherweise auch die Gründe hinter der starken Lust oder Lustlosigkeit zu entdecken. Dabei ist wichtig: Man darf den anderen nicht angreifen oder Vorwürfe machen, sondern sollte ausschließlich die eigenen Gefühle und Erwartungen beschreiben. Währenddessen sollte der Partner einfühlsam und interessiert zuhören. Nicht selten führt allein schon diese offene Kommunikation dazu, dass sich etwas in der Paardynamik bewegt und sich Lösungen, mit denen beide gut leben können, finden lassen.

Forschungen weisen sogar darauf hin, dass Einfühlungsvermögen, aktives Zuhören und die Bereitschaft, auf den Partner einzugehen, sexuelles Verlangen fördern können.

Wichtig ist, dass sich das Gegenüber wertgeschätzt und geliebt fühlt: „Auch wenn du meine Sehnsüchte gerade nicht befriedigen kannst, liebe und achte ich dich.“ „Auch wenn mir deine sexuelle Energie manchmal zu heftig ist, glaube ich dir, dass du mich als Person liebst und es dir nicht nur ums Körperliche geht. Ich respektiere deine größere Lust und kann sie als Ausdruck deiner Leidenschaft für mich annehmen.“ „‚Nein, nicht heute‘ bedeutet nicht, dass ich dich nicht liebe. Es liegt nicht an deiner Attraktivität und deinem Wert.“

Zugegeben, das klingt idyllisch und manchmal ist es ein schmerzlicher Weg, bis Paare dahin kommen. Einige schaffen es nicht ohne therapeutische Hilfe. Die Moderation einer dritten Person und der neutrale, wohlwollende Blick von außen können hilfreich sein, um gute Lösungen zu finden.

Sex ist nicht alles

Wie steht es um die Paarbeziehung insgesamt? Paare, die Probleme im sexuellen Bereich haben, sollten viel Zeit in andere Aktivitäten investieren, die beiden guttun: gemeinsame Hobbys, Ausflüge, ehrenamtliches Engagement, sportliche Aktivitäten. Wer auf dem sexuellen Pfad so gar nicht weiterkommt, muss Druck rausnehmen. Es hilft nicht, wenn einer dem anderen permanent ein schlechtes Gewissen macht. Vielleicht ist es für den sehr bedürftigen Partner auch dran, Selbstbeherrschung zu lernen und sich bei der geliebten Person weniger auf den Körper als vielmehr auf die inneren Werte zu konzentrieren.

Manche Paare gehen einander regelrecht aus dem Weg, um ja nicht in die Situation zu geraten, nach Sex gefragt zu werden. Da kann es helfen, zu vereinbaren, das Thema für eine gewisse Zeit ganz ruhen zu lassen und sich stattdessen bewusst auf andere Gemeinsamkeiten zu fokussieren. Manche brauchen diese Sicherheit, um wieder vertrauen zu können.

Die Lust auf Sex anregen

Oft leidet der Partner mit geringerer Libido darunter und würde eigentlich dem anderen zuliebe, aber auch für sich selbst gerne mehr sexuelle Intensität entwickeln. Die Forschung sagt: Menschen, die öfter Sex haben, empfinden auch ein höheres Maß an Lust auf Sex und wollen öfter intim werden. Ist Sex eine gute Erfahrung, möchte man sie häufiger machen.

Insofern könnten Partner, die eine geringere Libido haben, versuchen, sich in Stimmung zu versetzen. Eine Frau kann sich gedanklich auf Lust programmieren, indem sie im Lauf des Tages immer wieder bewusst ihre Geschlechtsorgane wahrnimmt, den Beckenboden durch Anspannen trainiert, hübsche Unterwäsche trägt, in der sie sich schön fühlt. Angenehme erotische Anspielungen des Partners, schmeichelnde Bemerkungen und zärtliche Berührungen im Alltag können luststeigernd wirken. Manchen hilft es, Termine für Sex zu setzen. Was für manche befremdlich klingt, hilft anderen, weil sie sich kontrolliert auf diese Paarzeit vorbereiten und intensiv darauf einstellen können.

Sich auf die unterschiedlichen Empfindungen einlassen

Es klingt ein bisschen verrückt, aber tatsächlich: Der Appetit kommt mit dem Essen. Befriedigender, lustvoller und erfüllender Sex steigert die Lust auf Wiederholung. Enttäuschende Erfahrungen beim körperlichen Zusammensein haben gegenteilige Wirkung. Das heißt auch: Der Partner mit der stärkeren Lusterfahrung sollte intensiver danach fragen, wie Sex für den anderen zu einem beglückenderen Erlebnis werden könnte.

Vor allem Frauen haben oft nicht spontan Lust auf Sex, können aber durch liebevolles Werben des Partners und durch erotische Berührungen, die sie mögen, dafür gewonnen werden. Hier ist Kommunikation besonders wichtig! Viele Partner wissen nämlich gar nicht, was sich für den anderen tatsächlich gut anfühlt und was der andere erotisch findet. Auch ändert sich das im Verlauf des Zyklus einer Frau stark. Während zum Beispiel in einem Stadium die Berührung der Brustwarzen elektrisiert, kann es an anderen Tagen wehtun und abschrecken. Ein bisschen ist Sex eben wie ein Tanz: Einer fordert auf, der andere lässt sich ein, beide finden in den Rhythmus und erst nach einigen Takten ist die Harmonie hergestellt.

Kompromisse aushandeln

Wenn die Erwartungen an die Häufigkeit der sexuellen Begegnungen stark abweicht, können Paare versuchen, Kompromisse auszuhandeln. Vielleicht hätte er gerne am liebsten täglich Sex, während ihr alle zwei Wochen vollkommen ausreichen. Wie wäre es, wenn die beiden sich zum Beispiel auf einmal pro Woche einigen? Dann sind die Parameter klar und beide können sich darauf einstellen und diese Begegnungen bewusst gestalten.

Sicher wird es nicht für alle die vollkommen zufriedenstellende Lösung geben. Einige körperliche oder hormonelle Ursachen sind zwar medikamentös behandelbar, aber manchmal kommt die Medizin an ihre Grenzen. Nebenwirkungen von Medikamenten hemmen teilweise die Lust und machen es schwer bis unmöglich, sexuelle Leidenschaft zu entwickeln. Auch psychische Belastungen wie Stress oder Depressionen können nicht einfach durch einfühlsame Kommunikation überwunden werden.

Aber auch solche Paare können Wege finden, wie sie einander dennoch nah bleiben: Zärtlichkeiten müssen nicht immer im Beischlaf enden, sorgen aber für die Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen und stärken damit das Wohlbefinden. Alternative Formen von Intimität ohne Penetration können helfen, dass der lustbetonte Partner trotzdem auf seine Kosten kommt.

Marcus und Susanne Mockler – er ist Journalist, sie ist Paartherapeutin mit eigener Praxis und Vorsitzende der MarriageWeek Deutschland.