Als Paar einen Treuebruch überleben
Wenn ein Treuebruch passiert, fällt die betrogene Person oft aus allen Wolken. Ist eine Ehe nach einer Affäre noch zu retten? Von Christina Glasow
Kati (alle Namen geändert) hatte schon wochenlang so ein Gefühl … Jetzt hält sie Tills Handy in der Hand und starrt mit klopfendem Herzen auf seinen Chatverlauf mit Lena. Kati kennt sie schon lange. Sie arbeitet für die gleiche Firma wie Till. Was sie da liest, lässt sie erstarren: Herzchen, Küsschen, „Ich vermisse dich“, „Ich sehne mich nach dir“ …
In Katis Kopf und Herz bricht Chaos aus: Schmerz. Wut. Angst. Enttäuschung. Scham. Wie konnte er das nur tun? Bin ich nicht gut genug? Ist unsere Beziehung eine einzige Lüge? Wie lange geht das schon so? Was hat er ihr über uns erzählt? Ich werfe ihn raus. Ich will ihn nicht verlieren.
Mit Katis Entdeckung konfrontiert, kommt Till stammelnd mit der Wahrheit heraus. Er hat Angst und ist gleichzeitig von einer tonnenschweren Last befreit. Till hatte sich mit Lena so lebendig gefühlt, so begehrt. Aber Kati anzulügen, war schwer. Er liebt sie doch. Er war ständig in Angst, aufzufliegen. Aber auch unfähig, aufzuhören.
Wo und wie beginnt Treuebruch?
Treuebruch ist ein Durchbrechen der getroffenen Vereinbarung über die Exklusivität einer Partnerschaft. Ein Aufbauen von Intimität mit einer dritten Person. Wie genau diese aussieht, wo die Grenze liegt, ist sehr unterschiedlich. Treuebruch hat viele Gesichter: einmalig oder länger andauernd, mit einer Person aus dem Umfeld oder jemand Unbekanntem, mit oder ohne Gefühle, „nur“ emotional oder auch körperlich … Es finden Heimlichkeiten, Hintergehen und damit ein Vertrauensbruch statt, der die betrogene Person in unterschiedlichem Maße erschüttert.
Oft entsteht Untreue schleichend und mit einer Person aus dem Lebensumfeld (Freundeskreis, Job, Hobby, Gemeinde), der man mehr und mehr Aufmerksamkeit schenkt, die auch erwidert wird. Unmerklich wird so der Punkt der Freundschaftlichkeit überschritten. Der Partner oder die Partnerin dürfte jetzt nicht mehr danebenstehen, wenn Nachrichten ausgetauscht werden. Ist dieser Punkt erreicht, wird es schwierig, aus der Situation wieder herauszukommen.
Was ist jetzt wichtig?
Auch wenn die Hürde riesengroß ist: Es ist besser, wenn die untreue Person den Treuebruch selbst beichtet, als dass es durch andere oder durch die betrogene Person herausgefunden wird. Nach dem Aufdecken der Untreue können auf beiden Seiten schwer aushaltbare Gefühle wie Enttäuschung, Verrat, Hilflosigkeit, Schmerz, Angst, Zerrissenheit, Wut und Scham aufkommen. Eine Trennung scheint eine naheliegende, schnelle Lösung zu sein. Es ist jedoch wichtig, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen.
Ein Treuebruch muss nicht das Ende einer Beziehung sein. Wenn beide grundsätzlich die Beziehung weiterführen möchten (von diesem Fall gehe ich im Weiteren aus), ist es möglich, einen Treuebruch zu verarbeiten. In meiner Praxis durfte ich schon viele Paare begleiten, die sich diesem schmerzhaften Prozess gestellt haben und anschließend als Paar gestärkt aus dieser Krise hervorgegangen sind. Ob ein Treuebruch verarbeitet werden kann, hängt davon ab, wie empathisch der Verursacher mit der Verletztheit des Gegenübers umgeht, sodass das verlorene Vertrauen wieder wachsen kann. Im zweiten Schritt muss geschaut werden, ob und welche Faktoren es in der Beziehungsdynamik gibt, die den Boden für den Treuebruch bereitet haben könnten.
Wichtige Schritte für die Verarbeitung
Kontaktabbruch und Transparenz: Die untreue Person um die grenzüberschreitenden Interaktionen beziehungsweise muss den anderen Kontakt beenden. Und zwar in Form von klarer und fairer Kommunikation, zum Beispiel: „Meine Frau/mein Mann weiß jetzt über uns Bescheid. Ich entscheide mich, an meiner Beziehung zu arbeiten. Das zwischen uns ist aus.“ Etwaige Kontaktversuche der dritten Person sollten sofort mitgeteilt werden.
Faktencheck und Gefühlslage: Es braucht jetzt Zeit, über die Gefühle und das Geschehene zu sprechen. Immer wieder und solange es nötig ist. Die betrogene Person hat jetzt Gedankenspiele darüber, wie genau der Treuebruch ausgesehen haben mag. Auch wenn es schmerzhaft ist, ist es wichtig, die Fakten zu kennen, damit die Gedanken darüber irgendwann zur Ruhe kommen können. Manchmal sind die Befürchtungen schlimmer als das, was tatsächlich geschehen ist. Bitte nicht, um die eigene Haut zu retten oder den anderen zu schonen, die „Salamitaktik“ anwenden und Informationen erst nach und nach preisgeben. Das erschüttert immer wieder das Vertrauen und sorgt für Rückschläge im Prozess.
Zum eigenen Schutz sollte nicht zu detailliert nachgefragt werden. Welche genauen Wortlaute oder Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, ist nicht unbedingt relevant, um ein Bild vom Geschehenen zu bekommen. Die Devise lautet: so viel Information wie nötig und so wenig wie möglich. Sollten auch nach dem Aufdecken noch Emotionen für die dritte Person vorhanden sein, durchläuft die ehemals untreue Person parallel einen Prozess des Loslassens und der Trennung.
Oft ist mit dem Aufdecken jedoch die Affäre auch emotional vorbei. Die Gedanken und Gefühle sind bald wieder sortiert und fokussiert auf die ursprüngliche Beziehung. Für die betrogene Person fängt aber alles erst an. Die Verarbeitung dauert ihre Zeit und ist anstrengend. Je geduldiger und gründlicher sich beide Partner dem Prozess der Verarbeitung stellen, desto besser sind die Chancen, die Krise zu bewältigen. Es braucht jetzt von beiden Personen vor allem Geduld.
Sätze wie „Darüber haben wir doch jetzt schon x-mal gesprochen, du musst jetzt auch mal darüber wegkommen“ oder „Wir haben doch nur geschrieben, es ist doch nichts passiert“ bringen den Verarbeitungsprozess nicht voran. Im Gegenteil: Die verletzte Person fühlt sich nicht gesehen und im Schmerz alleingelassen. Nun ist es wichtig, Empathie zu zeigen, die emotionale Achterbahn des oder der anderen liebevoll auszuhalten und die Konsequenz des eigenen Handelns verantwortungsvoll zu tragen. Wenig hilfreich für den Prozess ist es, wenn die betrogene Person verdrängt und schnell und oberflächlich vergibt. Es ist wichtig, die Gefühle zuzulassen, auch wenn das unangenehm ist.
Nur durch gemeinsames Tragen dieser schmerzhaften Folgen kann die Beziehung heilen und wachsen. Es führt kein gesunder Weg daran vorbei! Es kann in dieser Phase zu langen, kräftezehrenden Gesprächen kommen. Hilfreich ist es hier, vor dem Gespräch einen Zeitrahmen zu vereinbaren, um zu einem Ende zu finden, auch wenn noch nicht alles besprochen ist.
Freiwillige Rechenschaft: Für die meisten betrogenen Partner ist es in der ersten Zeit schwierig, mit bestimmten Trigger-Situationen umzugehen, ohne ständig zu kontrollieren, zum Beispiel wenn die ehemals untreue Person allein ausgeht. In der ersten Zeit kann es helfen, freiwillig Rechenschaft abzulegen: Wenn Till ins Büro fährt, hat Kati jedes Mal Angst, dass er dort Lena treffen und sich wieder Heimlichkeiten zwischen den beiden einstellen könnten. Till versteht das. Die beiden haben verabredet, dass er von sich aus erzählt, wenn er Lena gesehen hat. Wenn Kati unsicher ist, fragt sie zusätzlich nach. Langsam kann so Vertrauen und Sicherheit zurückkehren.
Es ist eine besondere Herausforderung, wenn sich die dritte Person weiterhin im Umfeld des Paares befindet. Den Job oder den Freundeskreis zu verlassen, sind große Schritte, die man nicht unbedingt gehen kann oder möchte. Diese Situationen können sehr knifflig sein und werden am besten professionell begleitet. Als Richtschnur kann dienen, dass die betrogene Person das Tempo vorgibt, wie und ob wieder ein Treffen oder gar eine Annäherung an die dritte Person stattfindet. Es muss weder alles schnell wieder normal sein, noch muss es bedeuten, dass nie wieder miteinander gesprochen wird. Zunächst ist es am wichtigsten, dass das Paar wieder zueinander findet. Alles, was das weitere Umfeld betrifft, kann dann zu seiner Zeit folgen, sofern das gewünscht ist.
Wie konnte das passieren?
In Studien zum Thema Untreue geben 40 Prozent der Befragten an, in ihrem Leben schon einmal untreu gewesen zu sein, wobei es Männer und Frauen etwa gleichermaßen betrifft. Wie kommt es dazu? Die Gründe sind sehr individuell und können an dieser Stelle nur angerissen werden. Oft beobachte ich in meiner Arbeit mit betroffenen Paaren aber das gleiche Grundprinzip:
Die Lebensumstände eines Menschen verändern sich stetig. Sie wandeln sich in Bezug auf den Job, Wohnort, Kinder, Hobbys, Ehrenamt oder Freundschaften. Aber auch Krankheiten oder der Verlust eines geliebten Menschen führen zu Veränderungen. Man passt sich den Gegebenheiten an und setzt Prioritäten. Manches muss weichen, weil die Kraft oder die Zeit dazu fehlt. Vor allem in der Kleinkind-Phase bleibt häufig wenig Raum für anderes.
Oft fällt diesem Lauf des Lebens die Pflege der Paarbeziehung, also die ungeteilte Zeit mit dem Partner/der Partnerin, als Erstes zum Opfer. Man funktioniert zusammen als Team, aber den Bedürfnissen des Gegenübers wird weniger Beachtung geschenkt. In seinem Buch „Die 5 Sprachen der Liebe“ beschreibt Gary Chapman, was Menschen brauchen, um sich geliebt zu fühlen und wie man es schaffen kann, trotz Unterschiedlichkeit beim Gegenüber keinen Mangel aufkommen zu lassen. Das Bedürfnis nach ungeteilter Zeit mit dem Partner spielt eine große Rolle. Tritt über einen längeren Zeitraum ein Mangel auf, der von einer dritten Person gestillt wird, besteht die Gefahr, dass sich eine Außenbeziehung anbahnt.
Die eigene Prägung, alte Glaubenssätze, das Selbstbewusstsein und auch bereits vorangegangene ungeklärte Verletzungen in der Beziehung tragen außerdem dazu bei. Das bedeutet, dass für die Umstände, die den Treuebruch begünstigt haben, in der Regel beide Verantwortung tragen. Für den Treuebruch an sich trägt aber ausschließlich die untreue Person die Verantwortung. Die Gründe sind also sehr individuell und oft komplex. Es lohnt sich, hier mit professioneller Unterstützung hinzuschauen, um die Basis der Beziehung nachhaltig zu festigen. Das gilt besonders, wenn Untreue wiederholt ein Thema ist. Meist spielen die psychologischen und lebensgeschichtlichen Hintergründe eine relevante Rolle. Aber auch als Opfer wiederholter Untreue ist es wichtig, sich Hilfe zu holen und abzuwägen, ob eine Trennung die bessere Alternative wäre, als sich immer wieder so tief verletzen zu lassen.
Wann ist die Krise bewältigt?
Um mit einem erlittenen Treuebruch abzuschließen, ist es wichtig, sich irgendwann zu entscheiden, die zugefügte Verletzung loszulassen und zu vergeben. Nicht, weil man das tun müsste oder das Gegenüber das erwartet, sondern um des eigenen Herzens willen. Ich glaube, dass Gott uns die Möglichkeit zu vergeben hauptsächlich um unseretwillen geschenkt hat, damit unser Herz nicht bitter wird. Unvergebenes liegt als Last auf der eigenen Seele. Vergebung ermöglicht es einem selbst, wieder frei zu werden. Vergeben bedeutet nicht vergessen. Es ist aber der Schritt, den beide brauchen, damit das Geschehene irgendwann nicht mehr zwischen ihnen steht.
Jedes Paar sollte an den Stellschrauben für eine gesunde und reife Beziehung arbeiten: Kommunikation auf Augenhöhe, Arbeit an den eigenen Themen sowie ein aufmerksames, wertschätzendes und liebevolles Miteinander. Wer gerade in einer Krise dieser Art steckt, dem möchte ich Mut machen: Es wird sich nicht für immer so anfühlen. Wer die wichtigen oben genannten Punkte beachtet, hat eine gute Chance, das Geschehene zu verarbeiten und reifer daraus hervorzugehen. Es braucht Zeit und Vertrauen in den Prozess. Aber es lohnt sich!
Ein Jahr später schauen Kati und Till auf eine schmerzhafte Zeit zurück. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt. Die aufreibenden Gespräche sind vorbei. Ab und zu kommen Erinnerungen hoch, aber sie schmerzen nur noch kurz. Die beiden sind wieder aufmerksamer füreinander geworden und haben gelernt, über ihre Gefühle und Bedürfnisse zu sprechen. Tills Kontakt zu Lena beschränkt sich auf ein „Hallo“ im Büro. Katis Groll ihr gegenüber hat sich abgeschwächt. Aber ob und wie Kati ihr wieder begegnen möchte, darüber ist sie sich noch nicht sicher.
Christina Glasow ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und lebt mit ihrer Familie in Pulheim. christinaglasow.de