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Erziehungscoach klärt auf: Wutausbruch ist wie ein Nervenzusammenbruch

Die Wutausbrüche ihres Sohnes brachten Coach Marina Hoffmann an ihre Grenzen. Im Interview verrät sie, wie es ihr gelang, ihn zu begleiten und zu verstehen.

Wie hast du die bindungsorientierte Erziehung für dich entdeckt?
Es begann mit einer Krise mit meinem Sohn. Ich hatte vorher immer gedacht, dass ich schon weiß, wie ich erziehen werde und wie sich meine Kinder dann benehmen werden. Aber in der Autonomie-Phase meines Sohnes ist alles aus dem Ruder gelaufen. Es gab täglich Machtkämpfe. Das war sehr frustrierend. Ich habe Erziehungsbücher rausgekramt und versucht, die Tipps darin konsequent umzusetzen. Aber das hatte weder einen Effekt auf die Wut meines Sohnes, noch haben sie unserer Beziehung gutgetan. Mein Sohn war immer sehr enttäuscht von mir. Und ich habe mich auch sehr unwohl gefühlt, wenn ich ihn zum Beispiel ins Zimmer geschickt habe und dann von außen die Tür zugehalten habe, damit er drinbleibt. Ich war ratlos und unzufrieden mit meinem Mamasein. Ich habe verzweifelt nach neuen Ansätzen gesucht. Und ich habe auch um Inspiration gebetet.

Wie ging es weiter?

Ich habe über Instagram einige Profile kennengelernt. Das war mein erster Berührungspunkt mit bindungsorientierter Erziehung. Es hat mich völlig überrascht, wie viel dieser Erziehungsansatz mit meinem christlichen Glauben zu tun hat.

Der Perspektivwechsel: Wie kann ich als Mutter dem Kind helfen?

Was sind für dich die wesentlichen Elemente der bindungsorientierten Erziehung?
Für mich war der erste Wendepunkt das Verständnis über die kindliche Unreife. Es ist wichtig zu wissen, dass ein Kind in solchen Wutausbrüchen eigentlich einen Nervenzusammenbruch erlebt. Dass es uns nicht absichtlich ärgern möchte, sondern dass es überfordert und auf Hilfe angewiesen ist. Es handelt wegen seiner Unreife so impulsiv, weil es Gefühle noch nicht so ausgleichen kann wie ein Erwachsener. Wenn uns das bewusst ist, sehen wir unser Kind mit anderen Augen. Vorher hatte ich eher eine verurteilende Haltung: Was soll das? Wieso machst du das jetzt? Das hat sich entwickelt zu den Fragen: Wie kann ich dir helfen? Wie kann ich jetzt mit dir in Verbindung bleiben?

Hat sich dadurch die Situation für dich und deinen Sohn verändert?
Ja, es hat sich sehr viel verändert, auch wenn das nicht bedeutet, dass ich jetzt alles perfekt mache und immer verständnisvoll reagiere. Ich habe eher entdeckt, wie viele unreife Anteile ich an mir habe. Ich merke zum Beispiel: Wenn mein Sohn wütend wird, werde ich auch wütend und kann gar nicht mehr empathisch auf ihn eingehen. Deshalb habe ich angefangen, mich mit mir selbst mehr zu beschäftigen: Was triggert mich und woher kommt das? Und es hat auch meine Beziehung zu meinem Kind verändert, vor allem in den Momenten, wo ich in seinem Wutausbruch da sein konnte und in der Verbindung zu ihm bleiben konnte. Das hat eine große Veränderung in ihm bewirkt, dass er gesehen hat: „Mama verlässt mich jetzt nicht mehr, wenn ich etwas Blödes mache, und schickt mich nicht wieder allein aufs Zimmer, sondern sie ist für mich da.“ Das hat bei ihm eine Ruhe und eine Dankbarkeit entwickelt, dass er sagt: „Mama, danke, dass du da bist.“ Dabei habe ich mich auch an Psalm 23 erinnert gefühlt. Dort heißt es: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal bist du bei mir.“ Das hat auch meinem Glauben gutgetan, denn ich spürte, dass auch ich nicht allein bin.

Wie waren denn die Reaktionen bei deinem Mann, als du angefangen hast, anders zu erziehen?
Das war genial, weil wir gleichzeitig diesen Weg gegangen sind. Er war ja genauso frustriert. Er sagte: „Ich habe mir das Vatersein anders vorgestellt. Das ist alles so stressig und so nervig und anstrengend mit den Kindern.“ Ich habe ihm dann von meinen Entdeckungen der bindungsorientierten Erziehung erzählt, und wir haben zusammen ein Buch gelesen. Er war total offen, etwas zu ändern.

Bindungsorientiert bedeutet nicht antiautoritär

Es gibt ja die Kritik an der bindungsorientierten Erziehung, dass Kinder dadurch verwöhnt und verzogen werden …
Dann hat man sich damit vielleicht nicht gut genug beschäftigt und verwechselt bindungsorientierte mit antiautoritärer Erziehung. In der bindungsorientierten Erziehung ist es ja nicht so, dass es keine Grenzen gibt. Kinder sind täglich mit Grenzen konfrontiert, mit Dingen, die sie nicht hinkriegen oder nicht haben können. Es ist nicht unsere Aufgabe, alle Grenzen zu vermeiden, sondern ihnen zu helfen, sich mit diesen Grenzen zu versöhnen. Und wenn die Kinder mit Grenzen konfrontiert werden und entsprechend reagieren, gehen wir nicht aus der Beziehung heraus. Das ist ein großer Unterschied. Ich vermittle meinem Kind: „Ich gehe mit dir gemeinsam durch die Wut, wenn du an deine Grenze kommst.“

Du wolltest deine Entdeckung nicht für dich behalten. Deshalb bietest du Online-Kongresse an.
Genau, ich möchte, dass es alle erfahren. Im März habe ich meinen ersten „Erziehe mit Herz“-Online-Kongress organisiert. Wir hatten 6.000 Teilnehmende. Das war wunderbar. Viele hat angesprochen, dass ich die bindungsorientierte Erziehung mit dem christlichen Glauben verbinde, weil sie das so noch nicht gehört haben. Ich hatte erst einmal das Ziel, christliche Mütter zu erreichen. Der nächste Kongress richtet sich an beide Elternteile.

Interview: Bettina Wendland

 

Marina Hoffmann ist Sozialarbeiterin, Veranstalterin von mittlerweile zwei „Erziehe mit Herz“ Onlinekongressen, Christin und bindungsorientierter Erziehungscoach für Eltern. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder (6 und 3). Weitere Informationen zu ihren Angeboten unter: das-weiche-herz.de

Schwer zu kontrollieren: die Wut

Wut ist ein Gefühl mit unbändiger Kraft – bei Kindern und Erwachsenen. Von Corinna Lang

August 2019. Mein Mann und ich feiern zusammen Geburtstag. Die Sonne scheint, aus der Grillhütte dringt ein leckerer Duft, und die Gäste sind fast vollzählig eingetroffen. Feierlaune? Nicht bei unserem damals 2-jährigen Sohn. Er hat einen Wutanfall. Er steht mitten auf dem Platz und brüllt ununterbrochen. Ich erinnere mich nicht mehr an den Auslöser – von der Zubereitung seiner Grillwurst bis hin zu einer falsch sitzenden Socke könnte es alles gewesen sein. Unser Sohn brüllt. Laut. Ohne Rücksicht auf Anwesende. Ohne Rücksicht auf Timing, den Zustand unserer Nerven oder die Verhältnismäßigkeit.

Ein zuverlässiges „Allheilmittel“ haben wir noch nicht gefunden, außer dass es wichtig ist, selbst die Ruhe zu bewahren. Ermahnen fördert selten ein Zurückgehen der Wut, setzt aber die nötigen Grenzen, was vor allem wichtig wird, wenn das Kind sich selbst oder andere in Gefahr bringt. Manchmal helfen offene, tröstende Arme oder Ablenkung. Zu viel Aufmerksamkeit macht das Ganze für das Kind oft nur noch interessanter, daher kann es helfen, den Wutausbruch zu ignorieren. Da seine Wut nicht abebbt, bringt meine Schwägerin mich auf die Idee, ihn mit dem Auto ein bisschen hin- und herzufahren. Ich folge ihrem Rat und komme kurz darauf mit einem schlafenden Kind zurück. Dieser Höhepunkt der Trotzphase mit einstündigen Brüllattacken dauerte glücklicherweise nur einige Wochen. Mittlerweile können wir darüber lachen.

Unvorbereitet und heftig

Wie ist das denn bei uns Erwachsenen? Kennen wir das auch? Haben wir uns perfekt im Griff? Immer? Mit Sicherheit finden Wutausbrüche bei uns in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität statt. Aber vermutlich kann sich jeder an Momente erinnern, in denen er oder sie in unschöne Sprache verfallen ist, einen Gegenstand in seine Einzelteile zerlegt oder dem Wutauslöser schmollend den Rücken zugekehrt hat. Nahezu jeder war schon einmal das aktive und das passive Ende eines Wutanfalls.

Der Emotion „Wut“ begegne ich mit Respekt, weil sie anders auftritt als viele andere Gefühle. Sie trifft einen oft unvorbereitet und heftig und schleicht sich nicht heran wie zum Beispiel die Traurigkeit. Sie lässt sich nicht gut hinter der Fassade ausleben wie die Bitterkeit. Sie mobilisiert in kürzester Zeit ungeahnte Kräfte und lässt dem Wütenden nicht immer Zeit, diese vernünftig zu kanalisieren. Eltern, die ihre Nächte mit einem „Schreikind“ verbringen müssen, wird oft geraten, aus dem Zimmer zu gehen, wenn die Wut zu groß wird, damit sie ihr Kind nicht schütteln. Was für eine Emotion, die uns dazu bringen kann, unseren liebsten, schwächsten Mitmenschen physischen Schaden zuzufügen! Sie ist scheinbar nur schwer kontrollierbar.

Plötzlich da, plötzlich weg

Auf der anderen Seite erscheint mir die Wut kurzlebiger als andere Emotionen. Ich nehme noch einmal die Bitterkeit als Beispiel. Ein bitterer Mensch ist oft über einen langen Zeitraum in diesem Gemütszustand. Die Bitterkeit hat sich über eine lange Zeit gebildet und muss auch über eine solche wieder abgebaut werden. Die Wut kommt plötzlich und verschwindet meist auch plötzlich. Der Wütende ist vielleicht erstaunt oder bestürzt über seine eigene Gefühlswelt, kann aber recht schnell wieder in die Routine des Alltags zurückfinden. Er hat sich „abreagiert“. Nachdem zum Beispiel der Wutanfall unseres Sohnes am Tag unserer Geburtstagsfeier vorbei war, hat er den restlichen Nachmittag begeistert gespielt. Ein Freund witzelte noch: „Was für ein liebes, ausgeglichenes Kind, der ist bestimmt immer so!“ Leider kommt es gerade bei uns Erwachsenen nicht immer zu diesen unkomplizierten, nahezu konsequenzlosen Verläufen nach der Wut. Der Schaden ist unter Umständen riesig oder kann nur mit großer Mühe vermieden oder gekittet werden.

Die Wut in ihre Schranken weisen

Ich habe mich gefragt, ob man Wut überhaupt bekämpfen kann, wenn die Wutauslöser sich nicht ändern lassen. Im Moment des Wutausbruchs ist es oft zu spät, weil das Gefühl bereits die Kontrolle über unsere Aktionen übernommen hat. Oft kann man sie da höchstens noch auf etwas anderes, weniger Empfindliches lenken, zum Beispiel mit der Faust auf den Tisch hauen statt gegen eine Glasscheibe. Ich habe zumindest bei mir selbst festgestellt, dass die Möglichkeiten, diese Emotion einzuschränken, eher im Vorfeld liegen, und zwar indem ich sie gar nicht erst auftreten lasse. Ich werde zum Beispiel vermehrt wütend, wenn ich zu wenig geschlafen oder Hunger habe.

Was bedeutet das konkret, wenn ich einen möglichst wutfreien Tag erleben will? Es kann bedeuten, die spannende Serie abends doch schon eine Folge früher abzuschalten. Wenn mein Mann und ich unser Abendessen erst für die Zeit geplant haben, nachdem die Kinder ins Bett gegangen sind, kann es bedeuten, dass ich am späten Nachmittag an einen kleinen Snack für mich denken muss, damit ich bei einem möglicherweise bockigen oder extrem albernen, aufgedrehten Kind, das nicht sofort ins Bett will, nicht so schnell die Nerven verliere.

Wutauslösern auf die Spur kommen

Bei anderen Wutauslösern sind es natürlich andere Fragen, die man sich stellen kann: Habe ich Stress, weil die To-do-Liste auch nicht ganz so dringende Punkte enthält? Lebe ich über meine Verhältnisse und habe deshalb finanziellen Druck? Arbeite ich zu viel oder zu wenig? Sollte ich mir Hilfe holen, sei es von Freunden, der Familie oder professionell? Müsste ich mit meinem Partner über Verhaltensweisen reden, die ich nur schwer tolerierbar finde? Sollte ich eine Zeit in meinen Tag einplanen, in der ich kurz „runterfahre“, zum Beispiel durch Beten, einen Spaziergang oder ein gutes Buch? Sich Gedanken darüber zu machen, lohnt sich, wenn man merkt, dass die Zündschnur kürzer wird. Was sich auch immer lohnt: Gott sein Herz in aller Ehrlichkeit ausschütten und um Vergebung, Erkenntnis und Hilfe bitten. Er hält unsere Wut aus.

Corinna Lang ist Übersetzerin und wohnt mit ihrem Mann Tobias und ihren zwei Kindern Fiona (6) und Florian (3) in Siegen.

Mehr zum Thema „Gefühle“ gibt es in der November/Dezember-Ausgabe der Family und FamilyNEXT.

Wenn Eltern aus der Haut fahren

„Mein Sohn (5) bringt mich ständig auf die Palme. Neulich hat er beim Anziehen für den Kindergarten so lange getrödelt und gemeckert, bis ich ihn am Arm gepackt und angeschrien habe. Wie kann ich meine Gefühle im Zaum halten und meinem Kind auch in Stresssituationen beherrscht begegnen?“

Diese Situation kennt jede Mutter. Wir fühlen uns total hilflos, gestresst und überfordert. Wir kommen an unsere Grenzen und schauen dabei in emotionale Abgründe, die wir bei uns nie für möglich gehalten hätten. Das erschreckt uns und wir fühlen uns furchtbar. Verurteilen Sie sich nicht. Überlegen Sie stattdessen, wie Sie es in Zukunft besser machen können.

Beobachten Sie, in welchen Situationen Sie aus der Haut fahren. Auf immer gleiche, wiederkehrende Stresssituationen kann man sich vorbereiten! Einige Fragen, die in der beschriebenen Situation helfen könnten, sind: Warum trödelt Ihr Sohn? Möchte er überhaupt in den Kindergarten? Möchte er in dem Moment lieber noch etwas spielen? Haben Sie durch Termine Zeitlimits? Gefällt ihm die Kleidung, die für ihn bereitliegt?

DIE SITUATION ENTSTRESSEN

Sie können ihn zum Beispiel selbst Kleidung aus einer begrenzten Auswahl aussuchen lassen oder ihn auch mal im Schlafanzug in den Kindergarten schicken (dies sollten Sie natürlich vorher mit den Erzieherinnen absprechen). „Ich hab’s geschafft“-Listen können die Situation spielerisch entstressen. Ein weiterer Tipp, den Stress aus der Situation zu nehmen, ist, dass Sie sich und Ihrem Kind mehr Zeit vor dem Kindergarten lassen oder aber die Zeit vorher so begrenzen, dass Ihr Kind vor dem Gehen nicht noch ins Spielen gerät. Umso schwerer fällt es ihm dann natürlich, sich davon zu lösen.

Sie können auch mit Ihrem Kind in einem ruhigen Moment darüber sprechen, dass sein Verhalten Ihnen Stress bereitet und es fragen, wie es besser laufen kann. Manchmal muss man sich auch mal die Frage stellen: Ist an dieser Stelle ein Kampf wirklich sinnvoll und nötig?

INNERLICH BIS ZEHN ZÄHLEN

Fragen Sie auch andere Eltern, wie sie in solchen Momenten reagieren, und überlegen Sie vor solchen Eskalationen, wie Sie reagieren möchten. Vielleicht gibt es auch etwas, was Ihr Stresslevel senkt – zum Beispiel ein wenig Entschleunigung im Alltagsstress, eine Haushaltshilfe oder mehr Hilfe aus dem sozialen Umfeld? Ist die Situation da, versuchen Sie, innerlich einen Schritt zurückzutreten und bis zehn zu zählen. Und – was immer gut ist – schicken Sie ein Stoßgebet zu Gott. Sie können überhaupt (auch mit anderen) für gute Ideen beten und dafür, ruhig und liebevoll zu bleiben. Ist die Situation eskaliert, sein Sie nicht zu hart zu sich selbst. Wir alle machen Fehler. Haben Sie Geduld: Elternsein ist eine große Herausforderung, aber mit der Zeit verändert sich viel: Ihre Reaktionen und auch Ihr Kind.

Genau so, wie Sie Ihr Kind um Entschuldigung bitten können, dürfen Sie auch Gott um Vergebung bitten. Er erwartet nicht, dass Sie perfekt sind. Die gute Nachricht ist, dass Gott uns trotzdem liebt und uns genau das Kind anvertraut hat, das wir erziehen können! Wenn Gott uns das zutraut, dann hilft er auch.

Antje Voß ist verheiratet, Mutter von drei erwachsenen Kindern und arbeitet als Hebamme in Gießen. Illustration: Sabrina Müller

 

 

Wutanfälle sind okay

„Mein Sohn ist gerade in der Trotzphase. Gefühlt zwanzigmal am Tag hat er einen Wutanfall. Ich bin unsicher, wie ich reagieren soll. Eher verständnisvoll? Oder muss ich ihm klar Grenzen setzen?“

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