Trigger erkennen: Experte verrät, wie Traumaforschung in der Paarbeziehung hilft
Das Verhalten des Partners kann uns emotional aus der Bahn werfen. Die Trigger liegen oft in früheren Erfahrungen. Sind das schon Traumata? Ein Experte erklärt.
Eine Patientin streitet mit ihrem Mann (Beispiele anonymisiert). Nach einem Streit zieht er sich zurück. Über Stunden fühlt sie sich unruhig und verlassen. Doch ihr Mann braucht Zeit. Er will im Streit nichts sagen, was er später bereut. Lieber geht er in sich, um herauszufinden, wie er zu dem strittigen Thema steht. Was ihm entspricht und ihm guttut, ist für meine Patientin ein schrecklicher Trigger. Was ist passiert? Welche alten Erfahrungen können heute getriggert werden? Das macht eine Therapiemethode sichtbar, die ich gerne einsetze.
Die Gefühlsbrücke
Ich lade meine Patientin ein, sich mit mir anzuschauen, was genau in ihr abläuft: „Versetzen Sie sich noch einmal in Gedanken in die Situation mit Ihrem Mann. Dann leite ich Sie an, eine Kindheitssituation auftauchen zu lassen, in der Sie sich einmal ähnlich gefühlt haben.“ Über diese Gefühlsbrücke gehen wir zurück in eine ferne Vergangenheit.
Meine Patientin erinnert sich an eine Situation, in der sie etwa fünf Jahre alt ist. Ihre Mutter ist überfordert. Sie zieht sich ins Schlafzimmer zurück. In dieser Zeit leidet die Mutter an Depressionen und liegt häufig im Bett. An manchen Tagen geht es der Mutter besser. Dann meistert sie den Alltag und kann für meine Patientin da sein. Doch wenn das Mädchen einmal wütend wird oder weint und sich nicht beruhigen kann, wird es der Mutter zu viel. Sie sagt noch ein paar halbherzige Worte. Dann geht sie in ihr Bett und ruht sich aus. Ihre kleine Tochter bleibt allein und verstört zurück. Schrecklich.
Obwohl dieser Zusammenhang naheliegend ist, hat meine Patientin ihn noch nicht entdeckt. Mit seinem Rückzug triggert ihr Mann die alte Erfahrung, verlassen zu werden. Natürlich ist es ist nicht angenehm, wenn sich der Partner nach einem Streit zurückzieht. Doch zur Not kann man das aushalten. Wer aber mit Gefühlen aus der Vergangenheit überflutet wird, gerät in eine bedrohliche und unerträgliche Situation. Das macht einen Unterschied: Es ist nicht der Ehemann, der die schlimmen Gefühle verursacht. Er löst sie nur aus.
Was getriggert werden kann
Ist meine Patientin nun traumatisiert? Ja und nein. Um die Diagnose einer Traumafolgestörung zu stellen, müssten die Erfahrungen aus der Vergangenheit immer wieder in gefühlsgeladenen Erinnerungen auftauchen, auch nachts in Alpträumen. Betroffene vermeiden dann alles, was an die traumatische Erfahrung erinnern könnte. Sie bleiben in einem körperlichen und geistigen Alarmzustand, der sich nur selten beruhigt.
So weit geht es bei meiner Patientin nicht. Doch vollständig verarbeitet ist ihre kindliche Verlassenheit nicht. Sie kann durch entsprechende Auslöser wieder aktiv werden. Insofern liegt eine traumatische Erfahrung vor. Neben der Verlassenheit, die meine Patientin durchlitten hat, gibt es auch andere Kindheitserfahrungen, die später getriggert werden können, zum Beispiel:
- von zu hohen Maßstäben überfordert werden
- misshandelt werden, wenn ein Elternteil zum Beispiel seine Wut am Kind abreagiert
- in der eigenen Selbstständigkeit und im Selbstvertrauen untergraben werden
- emotional vernachlässigt werden
- keine angemessenen Grenzen gesetzt bekommen (und dadurch von der eigenen Freiheit überfordert sein)
- ständig auf jemanden Rücksicht nehmen müssen, dem es schlechter geht
- in seinen Gefühlen und Bedürfnissen nicht verstanden werden
- für Dinge bestraft werden, auf die man keinen Einfluss hatte
- kontrolliert und klein gehalten werden
- für Eltern Verantwortung übernehmen müssen, wenn diese mit sich und dem Leben nicht zurechtkommen
- unter übertriebenen Sorgen der Eltern leiden
- sich nur geliebt fühlen, wenn man erwünschtes Verhalten zeigt
Welches Verhalten meiner Frau oder meines Mannes bringt mich aus dem Gleichgewicht? Welche Verhaltensweisen von mir triggern meine Frau oder meinen Mann? Und welche frühen Erfahrungen werden dabei berührt? Die Chancen sind gut, dass Sie die Antwort auf diese Fragen in der Liste finden.
Es gibt allerdings noch andere, seltenere Prägungen. Wenn Sie psychisch stabil sind, können Sie selbst einmal versuchen, über die Gefühlsbrücke zu gehen. Dazu versetzen Sie sich in eine Situation, in der Sie das Verhalten Ihres Partners emotional aus dem Gleichgewicht gebracht hat: Was fühlen Sie genau? Was noch? Wenn es Wut ist, gibt es unter der Wut vielleicht noch ein zarteres Gefühl? Wie spüren Sie die Gefühle im Körper? Und nun bleiben Sie bei den Gefühlen und Körperempfindungen. Öffnen Sie sich für eine Kindheitssituation, in der Sie sich einmal ähnlich gefühlt haben. Lassen Sie sich einfach ein wenig Zeit und warten ab, was kommt.
In den meisten Fällen taucht eine Situation auf, die man leicht einordnen kann, eine Erfahrung ähnlich wie die in der Liste auf Seite 51. Manchmal muss man ein wenig nachdenken, worin die Ähnlichkeit zur heutigen Situation besteht und warum eine Kindheitssituation wie die, die einem eingefallen ist, noch heute eine Rolle spielen könnte.
Liebevoll mit dem Trigger umgehen
Wenn ein Paar um seine Triggerpunkte weiß, erleichtert das vieles. Eine Ehefrau könnte zum Beispiel sagen: „Ich fühle mich gerade furchtbar dominiert von dir. Aber ich weiß, dass du offener für meine Wünsche bist, als ich gerade denke.“ Der Partner fühlt sich dann nicht mehr wie ein Tyrann, wie es in vergangenen Konflikten der Fall war. Dagegen hat er sich gewehrt.
Nun kann er vielleicht sehen, womit er dieses Gefühl seiner Partnerin ausgelöst hat. Vielleicht hat er seine Sicht der Dinge zu kämpferisch vertreten und nicht nach der Sicht seiner Partnerin gefragt. Er könnte nun auf die Triggerpunkte seiner Partnerin achten. Dann würde er sich in seiner Selbstbehauptung bremsen und nach ihren Wünschen fragen. Seiner Partnerin würde es so viel bedeuten, in einer Beziehung zu leben, in der ihre Bedürfnisse etwas zählen. Er würde sogar dazu beitragen, dass ihre alte Wunde der Fremdbestimmung heilt. Denn jede neue gute Erfahrung überschreibt alte Erfahrungen. Der Partner würde staunen, wie entspannt Situationen werden, die früher zu Konflikten geführt haben. Schließlich wäre er überwältigt davon, wie viel Liebe sein neues Verhalten bei ihr weckt – und das alles nur, weil er sich zwischendurch bremst und sich für ihre Bedürfnisse interessiert.
Doch es ginge sogar ohne Veränderung auf seiner Seite. Auch die Partnerin kann das Triggerthema lösen. Dazu reicht es, wenn sie sich Luft verschafft, wie mit den zwei Sätzen, die ich ihr in den Mund gelegt habe. Sie zeigt, wie sie sich fühlt, übernimmt aber die Verantwortung für ihre Gefühle. Dadurch hören sich ihre Worte nicht wie ein Vorwurf an. Gleichzeitig macht sie sich selbst bewusst, dass sie ihre Wünsche heute vertreten darf und nicht sofort nachgeben muss, nur weil ihr Partner gerade so kämpferisch diskutiert. Auch das kann eine entspannende Lösung sein.
Über Heute und Damals sprechen
Manchmal kann man den Zusammenhang zwischen heute und früher sogar ansprechen. Dann könnte ein Partner erklären: „Wenn du dir Sorgen machst, fühle ich mich wie früher, als die Sorgen meines Vaters das ganze Familienleben bestimmt haben. Ich habe mich damals so eingeengt und beschwert gefühlt. Du bist ja nicht wie mein Vater, trotzdem bekomme ich manchmal Beklemmungen, wenn du Sorgen aussprichst.“
Auch hier kann von jedem der beiden Partner eine entspannende Lösung ausgehen. Die besorgte Partnerin könnte prüfen, ob sie die Dinge nicht auch zuversichtlicher sehen und optimistischer reagieren kann. Vielleicht würde ihr das auch selbst guttun. In jedem Fall würde sie ihrem Partner die Erfahrung schenken, dass er endlich einmal wichtiger ist als die Sorgen. Aber sie muss sich nicht verändern. Es würde auch reichen, wenn sich ihr Partner den Unterschied zwischen heute und früher bewusst macht. Dann kann er entspannter auf die Sorgen seiner Frau reagieren: „Ich bin da gerade zuversichtlicher und selbst, wenn etwas schiefgeht, könnte ich damit umgehen. Denkst du, wir können das trotzdem wagen und dabei eine gute Zeit haben?“ Er ist den Sorgen seiner Frau nicht so ausgeliefert wie den Sorgen seines Vaters damals.
Wahrscheinlich lässt sich seine Frau für mehr Zuversicht gewinnnen, wenn man darüber spricht. Vielleicht wird sie aus Liebe einen Kompromiss eingehen, dabei ängstlich sein, aber tapfer mit ihren Sorgen umgehen. Wo es sie wirklich überfordert, kann ihr Mann Dinge vielleicht auch ohne sie machen. Er muss den sorgenvollen Gedanken seiner Frau auch nicht so lange zuhören, bis es ihn selbst runterzieht. Zwei Minuten Zuhören und Mitgefühl reichen für die meisten Sorgen, dann darf man unauffällig das Thema wechseln. Oder man steht auf und kocht einen Tee – auch Unterbrechungen bringen oft auf andere Gedanken. Heute gibt es einfach so viel mehr gute Möglichkeiten als damals.
Trigger: Eine Mode, die uns dient
Der Traumahype mag übertrieben sein, wenn etwa Sendungen oder Podcasts von Triggerwarnungen eingeleitet werden: „Die Mordfälle unserer Sendung sind auf keinen Fall für Ihre Kinder geeignet. Auch nicht für Menschen, die darauf sensibel reagieren.“
Doch der Hype um die Trigger macht uns auch ein Geschenk. Denn allmählich wird es zum Allgemeinwissen: Die meisten Menschen haben auch schwere Erfahrungen gemacht und diese sind oft nicht vollständig verarbeitet. Sie können deshalb getriggert werden. Dann bricht eine alte Erfahrung ins Heute durch. Das ist bedrohlich und verwirrend, weil wir dabei früher und damals verwechseln. Wir nehmen eine Person heute schlimmer wahr, als sie es verdient hat. Wir zeigen ein Verhalten, das eigentlich der Person gilt, die uns vor langer Zeit beeinträchtigt hat.
Wer hier zu unterscheiden lernt, kann Situationen entspannen. Er kann außerdem verständlich machen, wie er fühlt und was er braucht. Gäbe es einen Führerschein für Liebesbeziehungen, würde ich eine Trauma-Lektion in den Prüfungsstoff aufnehmen.
Jörg Berger ist Psychotherapeut und Paartherapeut in eigener Praxis in Heidelberg. Sein Buch zum Thema zeigt wunde Punkte in Beziehungen auf: „Meine Stacheln. Wie Sie Ihre Liebe vor Verletzungen schützen.“







