Trauerndes Paar. Symbolbild: Getty Images / KatarzynaBialasiewicz / iStock / Getty Images Plus

„Unser Sohn starb im Bauch“ – Als Paar den Verlust überstehen

Wenn ein Kind im Mutterleib oder bei der Geburt stirbt, kann das für die Partnerschaft zur Zerreißprobe werden. Zwei betroffene Ehepaare und eine Paartherapeutin erzählen vom Umgang mit der Trauer und was in der Krise wirklich hilft.

Von Lisa-Maria Mehrkens

Kein Herzschlag mehr

Nach der Geburt ihres ersten Kindes dauerte es etwas, bis Angelina endlich wieder schwanger wurde. Nun freuten sie und ihr Mann Michael sich auf Wunschkind Nummer zwei. Dann der Schock: Beim Ultraschall konnte die Ärztin keinen Herzschlag beim Baby mehr finden. „Was, wie kann das sein? Du warst doch ein Versprechen und wirst sehnlichst erwartet?! Unser Baby ging. Die Leere blieb“, fasst Angelina ihr Empfinden damals zusammen. Sie und ihr Mann trauerten eine Zeit gemeinsam, weinten miteinander und ließen den Schmerz zu. Doch schon bald spürten sie, wie unterschiedlich sie als Einzelpersonen das Erlebte verarbeiteten.

Während Michael eher versuchte, allmählich im alltäglichen Leben weiterzugehen und sich weniger auf den Verlust und Schmerz zu fokussieren, war Angelinas Bedürfnis, häufig über das Erlebte zu reden, Gefühle einzuordnen und Dinge zu hinterfragen. Das führte zu Spannungen in der Paarbeziehung, sie mussten neu zueinanderfinden. „Gemeinsam reden, einander zuhören und Gefühlen Platz schaffen, ohne den ganzen Raum für sich allein einzunehmen. Den Bedürfnissen des Partners offen begegnen und gleichzeitig den Blick auf sich selbst nicht verlieren. Unterschiede annehmen und Kommunikation in diesem emotional vielschichtigen und sensiblen Prozess als Brücke zwischen unseren Herzen nutzen, statt gegenseitig Mauern zu bauen“, beschreibt Angelina die Herausforderung. Doch genau dadurch lernten sie, sich gegenseitig noch mehr zu schätzen und sensibler aufeinander zuzugehen, auch ohne den anderen in seiner eigenen Gefühlswelt immer zu verstehen.

Das Wichtigste in dieser Zeit war für sie die Entscheidung, als Paar verbunden zu bleiben und den Schmerz anzunehmen. „Gerade in Krisenzeiten kann es besonders schwer werden, Raum zu schaffen für all die Trauer, Wut und Angst, für unbeantwortete Fragen und persönliche Gedanken. Um sich nicht als Paar zu verlieren, muss man genau dann aneinander festhalten und miteinander durch diesen Prozess gehen.“, erzählt Angelina. Das überraschende Happy End der Geschichte: Ein halbes Jahr nach ihrem Verlust durften sie ein kleines Mädchen in ihre Familie aufnehmen und im gleichen Monat hatte Angelina wieder einen positiven Schwangerschaftstest – nun sind Angelina und Michael stolze Vierfacheltern, mit einem Sternenkind im Himmel.

Geburt und Abschied zugleich

Susann und Renes kleine Welt schien nach der Geburt des ersten Kindes und dem Einzug ins eigene Haus perfekt. Doch ihr zweites Wunschkind hatte den Gendefekt Trisomie 18 und nur sehr schlechte Überlebenschancen. „Man hofft einfach nur, dass ein Wunder geschieht. Doch leider starb unser Sohn zwei Tage nach dem errechneten Termin in meinem Bauch und ich musste ihn still auf die Welt bringen. Meine bis dato heile Welt brach zusammen“, erzählt Susann. Sie und ihr Mann gingen vollkommen verschieden mit der Situation um. Rene begann nach der Diagnose – noch während der Schwangerschaft – mit dem Trauern, Ringen und beten. Er findet Trost in dem Wissen, dass es seinem Sohn jetzt bei Gott gut gehe. „Rene sieht es als Gnade an, dass er nicht leiden musste, sondern von einem geschützten Raum, dem Bauch, in den nächsten, den Himmel, übergegangen ist. Es ist kein Ende, sondern wir sehen uns wieder“, erklärt Susann.

Der christliche Glaube hilft Rene, besonnen und ausgeglichen mit der Situation und auch den beiden gemeinsamen Kindern hier auf Erden umzugehen. „Mein Mann ist der Fels in der Brandung, der Anker und das Licht unserer Familie. Ich bin so dankbar, dass er so ist, wie er ist und dass er gelernt hat, mich so zu nehmen mit all den Veränderungen, die dieser Verlust mit sich gebracht hat“, meint Susann. Sie selbst musste intensiver mit dem Erlebten kämpfen. Zunächst lebte jeder in der eigenen Trauerblase, funktionierte. „Es ging in den ersten Monaten nach der Beerdigung ums reine ‚Überleben‘“, erinnert sie sich. Wichtig war für beide, sich gegenseitig Freiraum zum individuellen Trauern und Verarbeiten zu geben und die Unterschiede anzunehmen. Dadurch lernten sie, den anderen so zu akzeptieren, wie er ist, und genau zu überlegen, wie sie sich gegenseitig das geben können, was sie jeweils brauchen. Trotz unterschiedlicher Empfindungen halten sie aneinander, an ihrer Liebe und am Glauben fest.

Auch der ehrliche Austausch untereinander sowie mit Freunden, Familie oder anderen Betroffenen brachte Trost durch die Erfahrung, nicht allein zu sein. Das Erlebte hat Susann und Rene dankbarer gemacht für Gesundheit, Wohlstand und andere Menschen und gleichzeitig gelassener gegenüber scheinbar banalen Alltagsproblemen und den Macken des Partners. Obwohl der Verlust zwei Jahre zurückliegt, stecken sie noch mitten im schwierigen Trauerprozess. „Wir sind auf dem Weg aus dem Tal hinaus und gehen diesen Hand in Hand, manchmal jeder für sich, manchmal schiebt der eine den anderen an oder trägt ihn hindurch. Trotz dieser Wunde im Herzen sind wir als Familie und Paar stärker geworden“, fasst Susann zusammen.

Unterschiede akzeptieren

Diana Muschiol, Paartherapeutin und langjährige Begleiterin von Paaren in Krisenzeiten, weiß, wie unterschiedlich Männer und Frauen trauern. „Jeder sieht und spürt erst einmal hauptsächlich den eigenen Schmerz. Man weiß, wie sich das anfühlt. Wenn man dann vom Partner oder der Partnerin eine andere Reaktion sieht, kann das irritieren, verunsichern oder auch verärgern“, sagt sie. Männer kommen oft in den Problemlöse-Modus, fühlen sich dadurch weniger ohnmächtig dem Erlebten gegenüber. Für die Frau kann es einerseits hilfreich sein, zu wissen, dass der Mann sich kümmert, den organisatorischen Teil übernimmt etc. Doch andererseits besteht die Gefahr, dass der Mann nur auf der Handlungsebene bleibt, seine Gefühle unterdrückt oder sich mit diesen alleingelassen fühlt. Das Verdrängen von Gefühlen kann den falschen Eindruck erwecken, der Tod des eigenen Kindes berühre den Mann emotional gar nicht. Dies kann zu Konflikten als Paar führen.

Frauen spüren den Verlust eines Kindes nicht nur emotional, sondern auch noch physisch durch körperliche und hormonelle Veränderungen in einer Schwangerschaft und nach Fehl- oder Totgeburten. Durch diese weitere Komponente sind sie möglicherweise näher am Verlust dran und wollen eher von anderen in ihrer Not gesehen und wahrgenommen werden.

Sich gegenseitig zu erlauben, auf unterschiedliche Art und Weise zu trauern, ist daher sehr wichtig. Ebenso, negative Gefühle wie Wut oder Fassungslosigkeit zu akzeptieren und sich dann gemeinsam ehrlich und verständnisvoll über die verschiedenen Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle auszutauschen. „Denn auch wenn beide in so großer Not und starkem Schmerz sind, so ist der Partner oder die Partnerin die Person auf Erden, von der man den besten und hilfreichsten Trost, Mitgefühl und Mitleid erwartet“, beschreibt Muschiol.

Damit sich weder Männer noch Frauen mit ihrem Schmerz über den Verlust alleingelassen fühlen, braucht es Kommunikation untereinander und nach außen. „Doch manchmal – gerade zu Beginn oder kurz nach der Fehlgeburt –, wenn der Schock, der Schmerz oder der Verlust so groß ist, kann es zu schwer sein, darüber zu reden. Man findet keine Worte für den großen Schmerz. Auch das ist in Ordnung“, weiß die Expertin. Dann sollte man seinem Gegenüber das auch zu verstehen geben und auf andere Arten Kontakt, Nähe oder Trost suchen. Zum Beispiel kann man sich im Arm halten, schweigend zusammensitzen, händchenhaltend spazieren gehen oder durch andere Gesten signalisieren, dass man da ist und an den anderen denkt.

Lisa-Maria Mehrkens ist Psychologin und freie Journalistin.