Foto: Dein Sternenkind

Einmal noch öffnete Baby Mia die Augen – Fotograf hält bewegenden Moment für die Ewigkeit fest

Oliver Wendlandt fotografiert Sternenkinder, also Babys, die rund um die Geburt sterben. Seine Fotos helfen den Eltern. Hier erzählt er von seinem intensivsten Auftrag.

Der Alarm kam für Regensburg – 16 Uhr Nottaufe, die Eltern wollen Bilder. Also flugs ins Auto gehüpft und sehr zügig in die Klinik in Regensburg gefahren. Die Zeit war knapp, um die Taufe noch dokumentieren zu können. Einen Stau musste ich auch umfahren. 15 Minuten vor der Taufe erreichte ich die Klinik und ging schnurstracks zur Kinderintensivstation, wo mich die Schwester, die uns gerufen hatte, schon erwartete. Im Raum zwei Häuflein Elend: die Eltern.

Alles sah gut aus …

Beim kurzen Gespräch wurde das ganze Ausmaß des persönlichen Dramas offenbar: Das kleine Mädchen wurde in der 25. Schwangerschaftswoche geboren, es war zu wenig Fruchtwasser vorhanden, und das Kind war unterversorgt. Auf der Intensivstation wurde sie über Tage gepäppelt, alles sah gut aus. Das Kind nahm zu, wuchs, die Hoffnung der Eltern war groß. Dann kam es zu einer Infektion des Darmes, die von den Ärzten trotz aller Versuche nicht in den Griff zu bekommen war. Man könne nichts mehr für die Kleine tun, war die Aussage der Ärzte. So entschieden sich die Eltern, das kleine Mädchen taufen zu lassen und dann die lebenserhaltenden Systeme abzuschalten.

Die Taufe

Ich begann, bevor der Pfarrer kommen sollte, einige Bilder des Mädchens im Brutkasten zu machen – die Scheiben haben das erschwert, aber nicht unmöglich gemacht. Wenige Minuten danach kam der Pfarrer. Die Taufe war würdevoll, ich habe sie für die Eltern gefilmt. Nachdem der Pfarrer sich verabschiedet hatte, wurden dem Mädchen Schmerzmittel verabreicht und der Brutkasten samt Infusionsturm in ein anderes Zimmer gebracht, in das natürlich die Eltern der Kleinen, aber auch einige Schwestern, eine Seelsorgerin und ein Arzt mitkamen.

Winzige Händchen greifen nach der Mutter

Das Mädchen wurde vorsichtig herausgenommen und nach und nach wurden alle Schläuche abgeklemmt, lediglich das EKG lief weiter. Als ich anfing zu fotografieren (die Mutter hatte das Kind auf dem Arm), öffnete die Kleine die Augen und griff immer wieder mit den winzigen Händchen nach dem Daumen der Mutter und dem Finger des Vaters. Das war irgendwie surreal, anders kann ich das nicht beschreiben. Nach etwa 10 Minuten schloss das kleine Mädchen seine Augen für immer.

Intensiver als alles andere

Das war das zweite Kind, das ich bisher beim Sterben begleitet habe, alle anderen waren schon tot. Dadurch, dass die Kleine die Augen offen hatte und sich bewegt hat, war das aber ungleich intensiver als alles, was ich in diesem Bereich bisher erlebt habe. Die Bilder und der Film, die ich von ihr machen durfte, bedeuten neben den Erinnerungsstücken unglaublich viel für die Eltern. Sie sind sichtbarer Beweis dafür, dass das Kind da war, dass sie für kurze Zeit eine Familie waren. Sie helfen, die Kleine nicht zu vergessen. Erinnerungen verblassen – diese Fotos holen sie zurück, wenn man das Bedürfnis danach hat. Nicht nur visuelle Erinnerungen, sondern auch zum Beispiel Gerüche, Berührungen, Emotionen. Es war mir eine große Ehre, die kleine Mia zu den Sternen zu begleiten.

Oliver Wendlandt (*1966) ist Fotograf und Filmemacher. Der Vater von drei erwachsenen Kindern engagiert sich ehrenamtlich als Fotograf und als Pressesprecher bei „Dein Sternenkind“. Er lebt mit seiner Frau in Pfatter in der Oberpfalz. Dort betreiben sie eine Medienagentur. Der Artikel ist ein Ausschnitt aus dem Buch „Auf das Leben!“ von Tina Tschage (adeo).

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  1. […] jetzt unbedingt meinen Wunsch durchdrücken. Als ich dann das erste Mal schwanger war und das Baby nach ein paar Wochen verloren habe, hat er auch sehr getrauert. Seitdem war ein Kind noch mehr unser gemeinsamer […]

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